Inhalt

VG München, Urteil v. 29.11.2023 – M 5 K 21.1357
Titel:

Dienstunfall, Anerkennung weiterer Körperschäden, Amtsermittlung, Kein weiteres Gutachten erforderlich

Normenkette:
BayBeamtVG Art. 46
Schlagworte:
Dienstunfall, Anerkennung weiterer Körperschäden, Amtsermittlung, Kein weiteres Gutachten erforderlich
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38434

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Tatbestand

1
Der 1971 geborene Kläger steht als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11) beim Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei im Dienste des Beklagten. Er begehrt die Anerkennung eines Knalltraumas und eines Tinnitus als Dienstunfall und wendet sich gegen die Rückforderung von vorläufig unter Vorbehalt ausgezahlten Dienstunfallfürsorgeleistungen.
2
Am ... Dezember 2018 nahm der Kläger im Rahmen eines Polizeieinsatztrainings an einem interaktiven Rollenspiel mit Farbmarkierungsmunition teil. Laut einer Stellungnahme des Institutsleiters und Leitenden Polizeidirektors H. vom … März 2019 sollte nach einer theoretischen Unterweisung in einem hierfür ausgestatteten Raum geübt werden, wie mehrere Einsatzkräfte im Rahmen einer lebensbedrohlichen Einsatzlage vorzugehen haben. Der Kläger war – wie alle anderen Teilnehmenden – dabei mit einer speziellen Schutzausrüstung (u.a. einem Farbmunitionshelm und einer Schutzweste) ausgestattet. Drei Übungsteams, darunter auch der Kläger mit POK S., drangen mit Farbmunition in die Übungsräume ein, um gegen den Übungstäter vorzugehen. POK S. habe mit seiner Farbmunitionswaffe P 7 auf den schießenden Übungstäter geschossen. Insgesamt hätten der Übungstäter sowie die anderen Zugriffsteams eine Reihe von Schüssen abgegeben. Nach Abbruch der Übung habe der Kläger angegeben, dass er ein „Pfeifen“ im Ohr verspürt habe, da sein Teampartner während der Übung nah an ihm vorbeigeschossen habe. Er habe das Training daraufhin abgebrochen und sich in ärztliche Behandlung begeben.
3
Der Kläger ließ sich am selben Tag im HNO-Zentrum T. … untersuchen. Im (deutlich später datierten) Befundbericht vom … Juli 2019 stellte die HNO-Fachärztin Dr. K. die Diagnose Knalltrauma (H83,3G).
4
Am … März 2019 beantragte der Kläger die Anerkennung des Unfallereignisses vom … Dezember 2018 als Dienstunfall.
5
Eine Rekonstruktion des Unfallgeschehens fand bislang nicht statt. Im Beiblatt zur Meldung des Dienstunfalls vom … Februar 2019 gab der Kläger an, er sei mit seinem Teampartner gemeinsam in Schusshaltung auf den Täter zugegangen und habe auf den Übungstäter gezielt. Der Kläger habe eine Maschinenpistole im Anschlag gehabt. Plötzlich habe es neben seinem rechten Ohr gekracht. Er habe seinen Kopf nach rechts gerissen. Sein Teampartner habe rechts hinter ihm in Schießhaltung gestanden. Seine Ohren hätten in einem hohen Ton zu pfeifen begonnen. Dann habe er den Kopf nach vorne gedreht und auf den Täter mit einer Maschinenpistole geschossen. Bei Schussabgabe durch POK S. habe der Abstand der Waffenmündung zum Kopf des Klägers 20 cm (Unfallschilderung vom … Februar 2019) oder 80 cm (Stellungnahme im Widerspruchsverfahren vom … August 2020) betragen.
6
Der Beklagte gab eine Untersuchung des Klägers in Auftrag, die am … November 2019 erfolgte. In dem daraufhin erstellten Gutachten des Dr. med. S. vom … Dezember 2019 kam dieser zu dem Ergebnis, dass es an der Kausalität zwischen den Hörschäden und dem Unfallereignis fehle. Der Gutachter stützte sich dabei sowohl auf eigene Testungen, als auch auf die Reintonaudiogramme vom … Dezember 2018 und vom … Januar 2019 der HNO-Gemeinschaftspraxis T. Die Audiogramme aus der HNO-Gemeinschaftspraxis zeigten eine sensorineurale Hochtonschwerhörigkeit rechts. Diese sei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Zusammenhang mit dem Unfallereignis zu bringen. Denn derlei Schwerhörigkeiten träten üblicherweise beidseits auf und seien im weiteren Sinn auf Alterungsprozesse zurückzuführen. Es könne daher angenommen werden, dass zum Zeitpunkt der Lärmexplosion auch auf der linken Seite eine solche Hörminderung bestanden habe. Auch aktuelle Hörtestungen würden eine beidseitige hochtonbetonte Schwerhörigkeit belegen. Eine Kausalität zwischen der im Dezember 2018 deutlich linksbetonten, nun geringer linksbetonten Schwerhörigkeit und dem Lärmereignis könne daher nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Die im Audiogramm der HNO-Gemeinschaftspraxis T. … nur für das linke Ohr festgestellte lärmtypische Veränderung in Form einer fis5-bzw. c5-Senke sei nicht erklärlich durch eine Schallquelle auf der rechten Seite. Vielmehr sei bei einer Schallquelle auf der rechten Seite eine Lärmschädigung (auch) des rechten Ohres zu erwarten. Es liege eine für das beschriebene Lärmereignis untypische audiometrische Konstellation vor, die die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen der beklagten Hörstörung und der beschriebenen Lärmexplosion nicht zulasse. Es bestehe daher keine ausreichende Sicherheit für die Annahme, dass die beklagte Hörstörung Folge des Dienstunfalls sei. Auch der Tinnitus sei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf das beschriebene Lärmereignis zurückzuführen, da er beiderseits annähernd symmetrisch im Hochtonbereich liege und somit genauso gut durch eine mutmaßlich vorbestehende lärmunabhängige Schwerhörigkeit erklärt werden könne.
7
Mit Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom ... März 2020 erkannte der Beklagte den Unfall vom 3. Dezember 2018 als Dienstunfall an (Ziff. 1) und stellte als Dienstunfallfolge „HWS-Distorsion“ fest (Ziff. 2). Die Anerkennung weiterer Körperschäden insbesondere auf HNOfachärztlichem Gebiet als Folge des Unfallereignisses vom … Dezember 2018 lehnte der Beklagte ab (Ziff. 3). Der Beklagte forderte die unter Vorbehalt geleisteten Behandlungskosten in Höhe von 7.108,08 EUR, soweit sie sich auf das HNOfachärztliche Gebiet bezogen haben, mithin in Höhe von 6.910,17 EUR zurück (Ziff. 4) und stellte fest, dass der Dienstunfall abgeschlossen ist (Ziff. 5). Der Nachweis eines Kausalzusammenhangs der Schädigungen auf HNOfachärztlichem Gebiet könne laut HNOfachärztlichen Gutachtens des Dr. med. S. vom … Dezember 2019 nicht mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit geführt werden. Daher seien die erlittenen Körperschäden auf HNOfachärztlichem Gebiet als Dienstunfall abzulehnen. Dementsprechend seien die unter Vorbehalt geleisteten Zahlungen teilweise zurückzufordern. Billigkeitsgründe für ein Absehen von der Rückforderung lägen nicht vor. Da die HWS-Distorsion vollständig abgeheilt sei, sei der Dienstunfall damit abgeschlossen.
8
Am ... April 2020 erhob die Klagepartei Widerspruch gegen den Bescheid vom ... März 2020 und begründete diesen wie folgt: Das Unfallereignis vom … Dezember 2018 sei kausal für das Knalltrauma und den Tinnitus. Das Hörvermögen des Klägers sei bis zum Unfallereignis einwandfrei gewesen. Der Gutachter habe übersehen, dass die Schussabgabe nicht neben dem Ohr des Klägers, sondern ca. 20 Zentimeter hinter dem Ohr des Klägers passiert sei. Dementsprechend seien die Schallwellen auf dem gesamten Hinterkopf des Klägers aufgetroffen und hätten auch das linke Ohr des Klägers geschädigt. Im Übrigen habe Dr. med. St. des HNO-Zentrums D. in einem Arztbericht vom ... Mai 2020 bestätigt, dass der Tinnitus des Klägers erstmalig in direktem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schussereignis aufgetreten sei und dass es möglich sei, dass ein Lärmtrauma des linken Ohres bei ungünstiger Kopfneigung oder einem Schuss von hinten entstehen könne. Die Klagepartei trägt zudem vor, dass sich der Kläger mit dem linken Ohr nahe an der glatten Wand links befunden habe, sodass der Schall durch Reflexionsvorgänge auf das linke Ohr gelenkt worden sei.
9
Das Landesamt für Finanzen holte daraufhin eine gutachterliche Stellungnahme des Gutachters Dr. med. S. vom ... Dezember 2020 ein, in dem dieser die in der Widerspruchsbegründung neu vorgelegten Beweismittel berücksichtigte und sich mit den hierin geäußerten Einwänden auseinandersetzte. Hierin verblieb der Gutachter bei der Bewertung, dass die akustischen Defizite nicht mit ausreichender Sicherheit Folge des Dienstunfalls seien. Die nun vorgelegten Hörtests aus den Jahren 2009 und 2010 zeigten am ehesten einen vollständig restituierten Hörsturz auf der linken Seite. Hieraus könne nicht abgeleitet werden, dass das Hörvermögen des Klägers zwischen 2010 und 2018 normal geblieben sei. Jeder Mensch entwickle mit zunehmendem Lebensalter eine zunächst im Hochtonbereich auftretende Hörminderung; als solche sei die in den eigens erhobenen Audiogrammen festgestellte Hochtonhörminderung zu werten. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass der Kläger eine solche Hörstörung nicht als problematisch oder behandlungsbedürftig eingestuft habe, da diese regelmäßig schleichend voranschreite und erst bei einer auftretenden Beeinträchtigung des Spachverstehens als Einschränkung empfunden werde. Auch aus den nach der Gutachtenerstellung vorgelegten Audiogrammen, insbesondere des Audiogramms vom Unfalltag, ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. In den zeitlich nach dem Unfalltag erstellten Audiogrammen fänden sich auf der linken Seite Hörtestveränderungen, die grundsätzlich mit einem Lärmschaden in Einklang zu bringen seien, während auf der rechten Seite keinerlei Senkenbildung dokumentiert sei. Die These der Dr. med. S. in einem Arztbericht vom ... Mai 2020, dass es im Rahmen eines otoakustischen Unfalls durchaus auch bei ungünstiger Kopfneigung oder eines Lärmtraumas von hinten und nicht direkt neben dem Ohr zu einem Lärmtrauma des anderen Ohres kommen könne, sei nicht begründet und damit nicht nachvollziehbar. Es sei rein spekulativ und physikalisch völlig unplausibel, dass der Schalldruckpegel des abgegebenen Schusses so groß gewesen sein soll, dass über die Knochenleitung des Schädelknochens ein Lärmtrauma des linken Ohres ausgelöst worden sei. Hierfür bedürfe es eines deutlich höheren Schalldruckpegels als bei einer Luftleitungsinduzierten Lärmschädigung. Die Knochenleitung wirke im Übrigen immer auf beide Ohren, sodass ein einseitiger Lärmschaden nicht durch eine Schallweiterleitung über den Schädelknochen erklärlich sei. Da es kein Gutachten über den bei Schussabgabe auftretenden Schalldruckpegel gebe, könne lediglich angenommen werden, dass dieser über der sog. „Knallschwelle“ von 160 dB gelegen habe. Die Behauptung, die Schädigung des linken Ohres sei durch Reflexionsphänomene an einer glatten Wand ausgelöst worden, sei rein hypothetisch. Unklar bliebe selbst bei Einholung eines experimentellen technischen Gutachtens, weshalb auf dem rechten Ohr ein Hörschaden vorliege, der typisch für einen degenerativen Hörschaden sei und nicht für einen lärminduzierten Hörschaden.
10
Mit Widerspruchsbescheid vom … Februar 2021, dem Kläger zugestellt am … Februar 2021, wies das Landesamt für Finanzen den Widerspruch gegen den Bescheid vom … März 2020 zurück und stützte sich dabei neben dem Gutachten des Dr. med. S. vom … Dezember 2019 maßgeblich auf dessen gutachterliche Stellungnahme vom … Dezember 2020.
11
Am … März 2021 hat die Klagepartei gegen diesen Bescheid Klage erhoben. Dem Gutachter sei in entscheidenden Teilen nicht zu folgen. Es sei belegt, dass eine massive Lärmbeeinträchtigung auf dem linken Ohr vorliege, da die Audiogramme lärmtypische Veränderungen des linken Ohres zeigten. Beleg für die Kausalität des Dienstunfalls für die lärmtypischen Veränderungen sei, dass diese unmittelbar seit dem streitgegenständlichen Vorfall eingetreten seien und bis heute andauern würden. Die Folgerung, dass die sensorineuronale Hochtonschwerhörigkeit rechts auf Alterungsprozesse zurückzuführen sei, lasse nicht den Schluss zu, dass auch auf der linken Seite zum Zeitpunkt der Lärmexplosion eine solche altersbedingte Hörminderung vorgelegen habe. Diese sei beim Kläger nicht festgestellt worden. Der Kläger sei seit seinem Hörsturz im Jahre 2009 nicht mehr in HNOärztlicher Behandlung gewesen und habe erst ab dem Unfallereignis eine Minderung des Hörvermögens bemerkt. Um die Kausalität des Unfallereignisses für den Lärmschaden auf dem linken Ohr bejahen zu können, sei nicht erforderlich, dass lärmschädigende Veränderungen auf dem rechten Ohr vorlägen. Beide Ohren seien nicht zwingend gleichermaßen lärmempfindlich. Zudem sei das rechte Ohr des Klägers vom Schaft seiner Maschinenpistole geschützt gewesen.
12
Die Klagepartei hat beantragt,
13
Der Bescheid des Landesamts für Finanzen, Dienststelle Regensburg, vom ... März 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … Februar 2021 wird in den Ziffern 3, 4 und 5 aufgehoben.
14
Der Beklagte wird verpflichtet, als weitere Folge des Dienstunfalls des Klägers vom … Dezember 2018 ein Knalltrauma und einen Tinnitus beidseits anzuerkennen und dem Kläger die gesetzlichen beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeleistungen hierfür zu gewähren.
15
Der Beklagte hat beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Ein lärmbedingter Hörschaden liege lediglich auf dem linken Ohr vor. Die Hochtonschwerhörigkeit auf dem rechten Ohr sei laut dem Gutachter Dr. med. S. auf Alterungsprozesse zurückzuführen. Mit Blick auf das linke Ohr sei nicht belegt, dass die Senke bzw. Lärmzacke um 4 kHz kausal durch das Unfallereignis verursacht worden sei. Gegen eine solche Kausalität spreche bereits die Position der Schallquelle rechts hinter dem Kläger. Es sei unwahrscheinlich, dass ein Lärmschaden nicht am der Schallquelle näher gelegenen Ohr, sondern ausschließlich am gegenüberliegenden Ohr eingetreten sei. Die Audiogramme aus den Jahren 2009 und 2018 zeigten beide eine Lärmzacke bei 4 kHz, sodass davon auszugehen sei, dass der Tinnitus und die Hörminderung auf dem Hörsturz aus dem Jahr 2009 beruhten und eine vollständige Heilung seit dem Hörsturz nicht stattgefunden habe. Es sei fraglich, auf welchen Sachverhalt ein experimentelles Gutachten gestützt werden sollte, da der Kläger für den Abstand des Laufs der Waffe bei Schussabgabe unterschiedliche Angaben gemacht habe und unklar sei, welcher Schuss ursächlich für das behauptete Knalltrauma gewesen sei. Die Rückforderung der Unfallfürsorgeleistungen erfolge in rechtmäßiger Weise, da die Körperschäden auf HNOfachärztlichem Gebiet nicht als Unfallfolgen anerkannt würden.
18
In der mündlichen Verhandlung ist Beweis erhoben worden über den Inhalt und das Zustandekommen des fachärztlichen Gutachtens betreffend den Kläger vom … Dezember 2018 und der ergänzenden Stellungnahme vom … Dezember 2020 durch Einvernahme von Dr. med. S. als sachverständiger Zeuge.
19
Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. November 2023 verwiesen, insbesondere hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme.

Entscheidungsgründe

20
Die zulässige Klage ist unbegründet.
21
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Körperschäden auf Hals-Nasen-Ohren (HNO)-fachärztlichem Gebiet als Dienstunfall und entsprechend auch keinen Anspruch auf Gewährung von Unfallfürsorgeleistungen. Denn der Bescheid des Landesamts für Finanzen vom ... März 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom … Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO). Infolgedessen war auch die Rückforderung von unter Vorbehalt geleisteter Versorgungsbezüge in Höhe von 6.910,17 EUR und die Behandlung des Dienstunfalls als abgeschlossen rechtmäßig.
22
1. Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung von Körperschäden auf HNOfachärztlichem Fachgebiet, insbesondere eines Knalltraumas und eines Tinnitus, als Dienstunfall besteht nicht.
23
Nach der Legaldefinition des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Als Folgen eines Dienstunfalls können nur Körperschäden anerkannt werden, die durch diesen verursacht wurden.
24
Ein äußeres, den Dienstunfall verursachendes Ereignis kann dabei nicht nur ein physisch auf den Körper des Beamten einwirkendes Ereignis sein, sondern auch ein solches, das nur mittelbar krankhafte Vorgänge im Körper auslöst, etwa durch die Verursachung eines seelischen Schocks (vgl. BVerwG, U.v. 9.4.1970 – 2 C 49.68 – BverwGE 35, 133, juris Rn. 14). Unter einem Körperschaden im Sinne des Dienstunfallrechts ist jede über Bagatelleinbußen hinausgehende Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität zu verstehen, mithin auch eine als Folge einer Traumatisierung eingetretene seelische Erkrankung (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2009 – 2 C 134.07 – BVerwGE 135, 176, juris Rn. 24).
25
Als Ursachen im Rechtssinne auf dem Gebiet der beamtenrechtlichen Dienstunfallversorgung sind nur solche für den eingetretenen Schaden ursächlichen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 2 C 81.08 – NVwZ 2010, 708, juris Rn. 9). Der Ursachenzusammenhang ist nicht schon dann ausgeschlossen, wenn außer dem Unfall auch andere Umstände (namentlich eine anlage- oder schicksalsbedingte Krankheit oder ein anderes Unfallereignis) als Ursachen in Betracht kommen. In derartigen Fällen ist der Dienstunfall vielmehr dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) beigetragen hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.1999 – 2 B 117/98 – juris Rn. 4).
26
Löst ein Unfallereignis ein bereits vorhandenes Leiden aus oder beschleunigt oder verschlimmert es dieses, so ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen „der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte“ bei einer Krankheit, „die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen war“. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der krankhaften Veranlagung) derartig zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist (BayVGH, B.v. 30.1.2018 – 3 ZB 15.148 – juris Rn. 5 m.w.N.). Nicht Ursache im Rechtssinn sind demgemäß sogenannte Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht, d.h. wenn die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlicher Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2009 – 2 C 134.07 – BVerwGE 135, 176, juris Rn. 26; U.v. 18.4.2002 – 2 C 22.01 – NVwZ-RR 2002, 761, juris Rn. 10 m.w.N.; OVG NW, U.v. 6.5.1999 – 12 A 2983/96 – juris Rn. 50).
27
Der Grundgedanke dieser aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung übernommenen Kausaltheorie liegt darin, dass der Dienstherr nicht für Folgen haften soll, die nicht seiner Risikosphäre zugerechnet werden können. Die beamtenrechtliche Unfallfürsorge darf nicht dazu führen, dass dem Beamten jedes denkbare Risiko abgenommen wird, auch wenn es sich in gar keiner Weise aus dem Dienst ableitet; vielmehr kann nur eine solche Risikoverteilung sinnvoll sein, die dem Dienstherrn die eigentümlichen und spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit auferlegt, dagegen dem Beamten mindestens die Risiken belässt, die sich aus seinen persönlichen Anlagen und etwa bereits bestehenden Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes ergeben. Körperschäden auch psychischer Art sind so dem individuellen Lebensschicksal des Beamten und damit seinem Risikobereich zuzurechnen, wenn der Körperschaden jederzeit auch außerhalb des Dienstes bei einer im Alltag vorkommenden Belastungssituation hätte eintreten können (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2002 – 2 C 22/01 – NVwZ-RR 2002, 761, juris Rn. 11).
28
Für das Vorliegen eines Dienstunfalls, eines Körperschadens und der Ursächlichkeit des Dienstunfalls für den Körperschaden ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen. Der Beamte trägt das Feststellungsrisiko bzw. die materielle Beweislast, sowohl für das Vorliegen des behaupteten Körperschadens als auch dafür, dass die Schädigungsfolge wesentlich auf den Dienstunfall und nicht etwa auf eine anlagebedingte Konstitution zurückzuführen ist. Bleibt nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht offen, ob die anspruchsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind, geht dies damit zu Lasten des Beamten. Ein Anspruch ist nur dann zuzuerkennen, wenn sowohl das Vorliegen des behaupteten Körperschadens als auch der Kausalzusammenhang mit dem Dienstunfallgeschehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sind (st. Rspr.; vgl. BVerwG, U.v. 22.10.1981 – 2 C 17/81 – NJW 1982, 1893, juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris Rn. 5).
29
Gemessen an diesen Vorgaben konnte der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass durch den Dienstunfall vom … Dezember 2018 Körperschäden auf HNOfachärztlichem Gebiet in Form eines Knalltraumas und eines Tinnitus an einem oder beiden Ohren hervorgerufen wurden und somit als weitere Dienstunfallfolge anzuerkennen sind. Denn es ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Kausalzusammenhang der behaupteten HNOärztlichen Körperschäden mit dem Dienstunfallgeschehen gegeben ist (vgl. st. Rspr.; vgl. BVerwG, U.v. 22.10.1981 – 2 C 17/81 – NJW 1982, 1893, juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris Rn. 5).
30
a) Vorliegend kommt das vom Beklagten eingeholte HNOfachärztliche Gutachten vom … Februar 2019 sowie die nachfolgende HNOärztliche Stellungnahme vom ... Dezember 2020 des Dr. med. S. (Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde X.) zu dem Ergebnis, dass die festgestellten Hörstörungen auf beiden Ohren nicht mit hinreichender Sicherheit auf das Unfallereignis vom ... Dezember 2018 zurückzuführen sind.
31
Nach ständiger Rechtsprechung stellen im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässige Beweismittel dar, sofern sie inhaltlich und nach der Person des Sachverständigen den Anforderungen entsprechen, die an ein gerichtliches Gutachten zu stellen sind (BVerwG, B.v. 20. 2.1998 – 2 B 81/97 – juris). Die von einer Verwaltungsbehörde bestellten Gutachter sind grundsätzlich als objektiv urteilende Gehilfen der das öffentliche Interesse wahrenden Verwaltungsbehörde und nicht als parteiische Sachverständige anzusehen (BVerwG, U.v. 28. 8.1964 – VI C 45.61 – juris). An der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters, der Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Oberarzt einer Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde ist, bestehen für die Kammer keine Zweifel.
32
Das Gericht folgt den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen des sachverständigen Zeugen Dr. med. S. Dessen Gutachten vom … Februar 2019 und die nachfolgende HNOärztliche Stellungnahme vom … Dezember 2020 sind nachvollziehbar und weisen keine offen erkennbaren Mängel auf. Das Gutachten überzeugt auch nach Methodik und Durchführung der Erhebungen. Insbesondere hat der Gutachter die relevanten Reintondiagramme und ärztlichen Stellungnahmen ausgewertet und im Rahmen der Anamnese die Beschwerden des Klägers ausführlich eruiert. Er hat den Kläger persönlich untersucht und dabei insbesondere verschiedene Hörprüfungen durchgeführt, wozu auch die Erhebung eigener Reintonaudiogramme sowie eine Tinnitusbestimmung gehörte. Seine Folgerungen beruhen sowohl auf eigenen medizinischen Erkenntnissen als auch auf Befunden, die in nachprüfbarer Weise im Gutachten angegeben sind. In der nachfolgenden HNOärztlichen Stellungnahme vom ... Dezember 2020 hat sich der sachverständige Zeuge mit den nach Gutachtenerstellung vorgelegten Reintonaudiogrammen und ärztlichen Stellungnahmen fundiert auseinandergesetzt.
33
Im Hinblick auf den Hörschaden am rechten Ohr begründete der sachverständige Zeuge in seinem Gutachten vom … Februar 2019, konkretisiert und erläutert in der mündlichen Verhandlung, die Feststellung, dass auf dem rechten Ohr kein lärmbedingter Hörschaden vorliegt, damit, dass die Tonschwellenkurven der Reintonaudiogramme allesamt einen Schrägabfall der Hörkurven im Hochtonbereich zeigten. Dies bedeute, dass das Hörvermögen kontinuierlich in kleinen Schritten abfalle. Dieser Verlauf der Tonschwellenkurven im Hochtonbereich sei völlig untypisch für einen Lärmschaden und typisch für einen degenerativen Hörschaden. Für einen Lärmschaden typisch sei vielmehr ein spitzzackiger Abfall des Hörvermögens in einem bestimmten Frequenzbereich. Dies sei dadurch erklärbar, dass es zu einer Schädigung der Strukturen des Innenohres kommen könne, wenn der Schall im Resonanzbereich des Trommelfells und der Hörknöchelchen, d.h. im Bereich zwischen zwei und vier- oder fünftausend Kilohertz, verstärkt werde. Dies sei bei dem Kläger am rechten Ohr gerade nicht feststellbar. Vielmehr liege dort ein degenerativer Hörschaden vor, der schon im Alter des Klägers auftreten könne, auch wenn der Hörtest typisch für einen Hörtest eines 60-Jährigen sei. Diese Ausführungen sind logisch und nachvollziehbar.
34
Hinsichtlich des beidseitig festgestellten Tinnitus geht der Gutachter in nachvollziehbarer Weise davon aus, dass dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf das beschriebene Lärmereignis zurückzuführen sei. Der Tinnitus beruhe beim Kläger auf einer Innenohrschädigung. Der Tinnitus liege im Bereich des Hörverlusts. Es sei zwar generell schwer festzustellen, ob der Tinnitus aufgrund eines Lärmschadens oder durch degenerative Veränderungen eingetreten sei. Gegen ein Lärmereignis als auslösendes Ereignis spreche, dass der Tinnitus an beiden Ohren – im Rahmen der Messmethode – annähernd gleich aufgetreten sei. Läge eine Schädigung infolge eines Lärmereignisses vor, wäre die Schädigung, mithin auch der Tinnitus immer einseitig auf der Seite der Schallquelle festzustellen. Dies sei bei dem Kläger gerade nicht der Fall. Der Tinnitus könne daher genauso gut mit einer mutmaßlich vorbestehenden lärmunabhängigen Schwerhörigkeit erklärt werden.
35
Betreffend den Lärmschaden am linken Ohr legte der sachverständige Zeuge in seinem Gutachten vom … Februar 2019, konkretisiert durch die HNOärztliche Stellungnahme vom … Dezember 2020 und die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dar, dass die Hörstörung auf dem linken Ohr unter Anwendung der fachlichen Richtlinien zur Begutachtung von Hörschäden mit einer Schallquelle auf der rechten Seite nicht in Einklang gebracht werden könne.
36
Dieser hat plausibel begründet, dass der Schaden am linken Ohr ausgehend vom Kurvenverlauf der Tonschwellenkurven auf ein Lärmereignis zurückführen sei bzw. für ein Knalltrauma typisch sei. Allerdings passe der Auslösungsmechanismus nicht zum am linken Ohr des Klägers vorliegenden Schaden. Dies liege daran, dass bei einer Schallquelle auf der rechten Seite auch lärmtypische Schäden auf dem rechten Ohr zu erwarten seien. Am rechten Ohr sei jedoch keine lärmtypische Hörminderung feststellbar, sondern ein degenerativer Hörschaden. Auch eine unterstellte degenerative Vorschädigung des rechten Ohres des Klägers würde zu keiner anderen Betrachtung führen. Denn auch ein etwaiger Lärmschaden würde sich dennoch als „Zacke“ in der Tonschwellenkurve bemerkbar machen, sodass ein etwaiges degenerativ vorgeschädigtes Gehör den Nachweis eines Lärmschadens nicht behindern würde.
37
Soweit vorgetragen wird, es bedürfe keines festgestellten Schaden auf dem rechten Ohr zum Nachweis der Kausalität des Lärmschadens auf dem linken Ohr mit dem Lärmereignis kann dem nicht gefolgt werden. Denn es liege nach Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. med. S. ein sehr atypischer Befund, eine sog. atypische audiometrische Konstellation vor, die die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen der beklagten Hörstörung auf der linken Seite und der beschriebenen Lärmexplosion mit einer rechts hinter dem Kläger positionierten Schallquelle nicht zulasse. Es sei vielmehr nach den Ausführungen des Gutachters Dr. med. S. rein spekulativ, wollte man die Lärmquelle rechts hinter dem Kopf für die lärmtypische Veränderung (ausschließlich) am linken Ohr verantwortlich machen.
38
Wenn die Klagepartei vorträgt, dass der Kläger seit dem Hörsturz im Jahre 2009 bis zum Unfallereignis nicht mehr in HNOärztlicher Behandlung gewesen sei und erst seit dem Unfallereignis eine Minderung des Hörvermögens bemerkt habe bzw. lärmtypische Veränderungen eingetreten seien, so beweist dies nicht hinreichend die Kausalität der Hörschädigungen mit dem Unfallereignis. Soweit der Kläger auf subjektive Wahrnehmungen abstellt, sind diese nur bedingt aussagekräftig. Dies hängt damit zusammen, dass es nach Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. med. S. nicht ungewöhnlich sei, dass Hörminderungen nicht als problematisch oder behandlungsbedürftig empfunden würden, da diese regelmäßig schleichend voranschritten und erst dann als Einschränkung empfunden würden, wenn das Sprachverstehen beeinträchtigt werde. Es sei daher auch möglich, dass sich in den nahezu zehn Jahren zwischen den Hörtests im Jahre 2009 und 2019 am linken Ohr des Klägers relevante Veränderungen ergeben hätten, die den Hörschaden auf dem linken Ohr erklärten. Insbesondere könne es sein, dass die Lärmbelastung auf dem linken Ohr des Klägers über die Jahre höher gewesen sei als auf dem rechten Ohr und dass sich die Schädigung hierdurch erklären ließe. Diese Erwägungen sind plausibel und nachvollziehbar.
39
b) Die Ausführungen des Gutachters werden auch nicht durch privatärztliche Atteste in Frage gestellt.
40
Dies gilt zum einen für den Befundbericht der Dr. med. H. des HNO-Zentrums T. vom ... Juli 2019, in dem die HNO-Fachärztin die Diagnose Knalltrauma (H83,3G) gestellt hat, ohne diese in irgendeiner Form zu begründen.
41
Zum andere hat die Ärztin Dr. med. St. des HNO-Zentrums D. in einer ärztlichen Stellungnahme vom … Mai 2020 ohne Begründung angeführt, dass es im Rahmen eines otoakustischen Unfalls durchaus auch bei ungünstiger Kopfneigung oder eines Lärmtraumas von hinten und nicht direkt neben dem Ohr zu einem Lärmtrauma des anderen Ohres kommen könne und dass dies im Fall des Klägers gegeben sei. Zu dieser These hat der sachverständige Zeuge Dr. med. S. bereits in seiner schriftlichen Stellungnahme vom … Dezember 2020 sowie in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen und keine belastbare Erklärung für diese Hypothese gefunden.
42
Für die Kammer ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass bei einer Positionierung der Schallquelle rechts hinter dem Kläger ein Lärmschaden nur auf dem linken Ohr eingetreten ist. Das Gericht folgt den plausiblen und nachvollziehbaren Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. med. S., der sich mit den von der Klagepartei vorgebrachten Erklärungsansätzen in seiner schriftlichen Stellungnahme vom ... Dezember 2020 sowie in der mündlichen Verhandlung intensiv auseinandergesetzt hat.
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Insbesondere hat der sachverständige Zeuge überzeugend dargelegt, dass der lediglich auf dem linken Ohr feststellbare Lärmschaden nicht durch eine Schallweiterleitung über den Schädelknochen zu erklären sei. Denn Voraussetzung für eine solche Schallweiterleitung über den Schädelknochen wäre, dass die Schallquelle – anders als im vorliegenden Fall – direkt am Knochen anliege. Ansonsten verlöre der Schalldruck seine Wirkung und würde nicht ausreichen, um eine Schädigung des linken Innenohres hervorzurufen. Es sei völlig unplausibel, dass der Schalldruckpegel im konkreten Fall so groß gewesen sein soll, dass es zu einer Lärmschädigung im von der Schallquelle weiter entfernten Ohr gekommen sei. Selbst wenn der Schalldruckpegel dementsprechend hoch gewesen sei, so lasse sich hierdurch nicht erklären, wieso auf dem rechten Ohr kein lärmbedingter Schaden entstanden sei. Denn eine Weiterleitung von Schall über den Schädelknochen erfolge regelmäßig gleichgerichtet auf beide Ohren. Es müsse daher auch auf dem rechten Ohr eine entsprechende Schädigung feststellbar sein. Dies sei jedoch nicht der Fall. Diese Ausführungen sind für die Kammer in sich schlüssig und nachvollziehbar.
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Es ist auch nachvollziehbar dargelegt worden, dass es nicht hinreichend wahrscheinlich ist, dass ein Hörschaden auf der linken Seite bei einer Schallquelle rechts hinter dem Kläger auf Reflexionsvorgänge von der linken Wand, zu der das linke Ohr des Klägers ausgerichtet gewesen sein soll, zurückzuführen ist. Denn in der Raumakustik gelte das Prinzip, dass jede Reflexion von Schall zu einer gewissen Abschwächung des Schalls führe. Dementsprechend wäre es höchst spekulativ, anzunehmen, dass die außergewöhnliche Konstellation eingetreten sei, dass sich die Schallwellen bei einer Reflexion verstärkten und zielgerichtet (vor allem) auf das entgegengesetzte Ohr aufträfen. Es gibt für die Kammer keinen Anhalt, an diesen schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen zu zweifeln.
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Auch der Vortrag der Klagepartei, dass ein typischer Lärmschaden auf dem rechten Ohr deshalb nicht eingetreten sei, da das Ohr durch die Schulterstütze der Waffe, die am rechten Arm im Anschlag gewesen sei, den Oberkörperschutz und den Schutzhelm abgedeckt gewesen sei, vermag eine kausale Verknüpfung des Lärmschadens auf der linken Seite mit dem streitgegenständlichen Unfallereignis nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit herzustellen.
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Ob und inwieweit tatsächlich das rechte Ohr des Klägers bei der Schussabgabe wesentlich verdeckt gewesen sein mag, ist jedenfalls vor dem Hintergrund zweifelhaft, dass der Kläger diese Tatsache nicht bereits im Zeitpunkt des Antrags auf Anerkennung als Dienstunfall und auch nicht im weiteren Verwaltungsverfahren, sondern erst spät im gerichtlichen Verfahren vorgetragen hat. Um eine Lärmquelle von 160 Dezibel (dB) komplett auszuschalten bzw. um zu verhindern, dass weniger als 160 Dezibel auf das Ohr auftreffen, hätte jedenfalls das rechte Ohr – nach Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. med. S. – „quasi hermetisch“ gegen den Schall abgedeckt gewesen sein müssen. Dies wird allein mit dem vom Kläger getragenen – an den Ohren perforierten – Schutzhelm, der eine Unterhaltung bzw. Kommunikation mit anderen Personen ermöglicht hat, nicht erreicht. Die Kammer hat auch ernstliche Zweifel daran, dass ein quasi hermetischer Abschluss, d.h. ein nahezu völlig abgedichtetes Ohr, in Kombination mit der schusstypisch angelegten Schulterstütze der MP-5 A2 Heckler-Koch und der getragenen ballistischen Schutzweste erreicht werden kann. Denn die Schulterstütze wird typischer Weise auf Schulterhöhe angelegt. Ist die Waffe schusstypisch angelegt, so ist der Kopf typischerweise gerade ausgerichtet, sodass die Schulterstütze höchstens bis zur Kinnregion, nicht aber bis zur Ohrenregion reicht. Es müsste daher im Falle des Klägers eine absolut untypische Schießhaltung zugrunde gelegt werden, bei der der Kopf stark nach rechts zur Waffe hingeneigt wäre, damit es überhaupt zu einer Abdeckung des Ohres kommen könnte. Dies wäre eine äußert ungewöhnliche Schießhaltung, die wohl auch aufgrund der starken Neigung des Kopfes bzw. auch der Schulterstütze wohl auch die Zielgenauigkeit der Waffe stark einschränken würde.
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Selbst wenn man davon ausginge, dass die Knallschwelle am rechten Ohr unterschritten worden wäre, so hat der sachverständige Zeuge plausibel dargelegt, dass es untypisch wäre, dass auf demselben Ohr zwar kein Lärmschaden, jedoch ein Tinnitus feststellbar sei. Es sei medizinisch nicht vorstellbar, dass einerseits durch das Abdecken des Ohres ein Lärmschaden des Innenohres nicht feststellbar sein soll, wohl aber ein (lärmbedingter) Tinnitus. Tatsächlich bestehe der Tinnitus aber auf beiden Ohren annähernd gleich. Dies lasse sich nicht miteinander vereinbaren. Bei einem unterstellten Unterschreiten der Knallschwelle wäre es untypisch, dass auf diesem Ohr ein Tinnitus auftreten würde, ganz ausschließen lasse sich dies jedoch nicht. Es sei jedenfalls aber untypisch, wenn der Tinnitus beidseitig angegeben werde, der lärmbedingte Hörverlust jedoch nur auf dem linken Ohr festgestellt werde. Es sei auch äußerst untypisch, dass der Tinnitus durch andere Ursachen, beispielsweise orthopädische, hervorgerufen worden wäre, da der Tinnitus im Bereich des Hörverlusts gemessen worden sei. Diese Ausführungen sind für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend.
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Im Übrigen hat der sachverständige Zeuge Dr. med. S. auch nicht ausgeschlossen, dass die Schädigung des linken Ohres durch alternative Schallereignisse wie beispielsweise durch ein lautes Musikinstrument oder eine plötzliche Schallentwicklung, oder durch eine Innenohrentzündung hervorgerufen worden sei.
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Zur Überzeugung des Gerichts steht daher fest, dass der Kläger auf HNOfachärztlichem Gebiet keine weiteren Körperschäden erlitten hat, die sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Dienstunfall zurückführen lassen. Dies geht zu Lasten des Beamten (st. Rspr.; vgl. BVerwG, U.v. 22.10.1981 – 2 C 17/81 – NJW 1982, 1893, juris Rn. 18 m.w.N.; B.v. 11.3.1997 – 2 B 127/96 – juris Rn. 5).
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c) Der in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich als bedingt gestellte Beweisantrag „Zum Beweis der Tatsache, dass die lärmschädigende Knallschwelle am rechten Ohr des Klägers durch das schusstypische Anlegen der Schulterstütze der Maschinenpistole MP-5 A2 Heckler-Koch und die getragene ballistische Schutzweste unterschritten wurde, wird die Einholung eines physikalisch-technischen Gutachtens beantragt“, wird abgelehnt. Denn es lässt sich ausschließen, dass die Beweiserhebung zu neuen Ergebnissen führen kann, die geeignet sind, die bisherige Überzeugung des Gerichts zu erschüttern (vgl. OLG Saarlouis, B.v. 16.6.2015 – 2 A 197/14 – juris).
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Das beantragte physikalisch-technische Sachverständigengutachten stellt ein völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2, Satz 3 Nr. 4 der Strafprozessordnung/StPO dar. Diese Vorschrift ist entsprechend im Verwaltungsprozess heranzuziehen (vgl. BVerwG, B.v. 9.5.1983 – 9 B 10466/81 – NJW 1984, 574, juris Ls. 1). Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet in diesem Sinn, wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erzielen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen würde (vgl. BGH, B.v. 15.3.2007 – 4 StR 66/07 – NStZ 2007, 476, juris Rn. 11 ff.). Dies trifft auf einen Sachverständigen dann zu, wenn sein Gutachten zu keinem verwertbaren Beweisergebnis führen kann (vgl. BGH, B.v. 7.8.2008 – 3 StR 274/08 – NStZ 2009, 48, juris Rn. 7). Das ist dann der Fall, wenn es an den Grundlagen für eine Gutachtenerstattung mangelt, weil die erforderlichen Anknüpfungstatsachen fehlen, auf denen die sachverständige Beurteilung aufbauen muss (BGH, B.v. 29.11.2017 − 3 StR 526/17 – NStZ 2018, 300, juris Rn. 13). Dies kommt etwa in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf (BGH, U.v. 10.7.2003 – 3 StR 130/03 – NStZ 2003, 611, juris Rn. 19 f.; BGH, B.v. 7. 8. 2008 – 3 StR 274/08 – NStZ 2009, 48, juris Rn. 7).
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So liegt der Fall hier. Zur Beantwortung der Frage, ob die lärmschädigende Knallschwelle am rechten Ohr des Klägers unterschritten gewesen ist, fehlt es an den nötigen tatsächlichen Grundlagen. So sind eine Vielzahl von Anknüpfungstatsachen unklar, da der genaue Dienstunfallhergang weder durch objektive Umstände gesichert noch nachträglich rekonstruierbar ist. Die Angaben des Klägers reichen als Beweisgrundlage nicht aus. Denn es ist unter anderem völlig unklar, welche Ausrichtung die Schusswaffe des Teamkollegen POK S. gehabt hat, welche Schallenergie im konkreten Fall bei der Schussabgabe ausgetreten ist, wie der Kopf des Klägers zur Wand, zum Übungstäter, zur eigenen Waffe und zu seinem Teamkollegen ausgerichtet gewesen ist und welchen Abstand der Schaft der Maschinenpistole des Klägers von dessen rechtem Ohr gehabt hat. Auch bezüglich des Abstandes der Mündung der Farbmunitionswaffe P 7 des Kollegen POK S. zum Ohr des Klägers sind höchst unterschiedliche Angaben gemacht worden (20 bis 80 Zentimeter). Hinzu kommt, dass der maßgebliche Vortrag, das rechte Ohr des Klägers sei durch die Schulterstütze der Maschinenpistole und der Schutzweste abgedeckt gewesen, bereits nicht dem Vortrag zur Dienstunfallmeldung entspricht und erst spät im Verfahren angeführt worden ist, sodass jedenfalls Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben bestehen. Nach alledem fehlen hinreichende Tatsachengrundlagen, um den Beweisantrag zu stützen. Mithin kann das Sachverständigengutachten keine sicheren und eindeutigen Beweisergebnisse erzielen.
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Es ist auch nicht substantiiert dargelegt, inwieweit die beantragte Beweiserhebung andere bzw. bessere Erkenntnisse erbringen würde als die, die bereits Gegenstand des Verfahrens sind. Dementsprechend begegnet es keinen durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken, wenn das Gericht ein beantragtes Sachverständigengutachten mangels ausreichend aussagekräftiger und nicht weiter ermittelbarer Anknüpfungstatsachen als völlig ungeeignetes Beweismittel ansieht (BGH, B.v. 7.12.2021 − 5 StR 215/21 – juris).
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Denn das streitgegenständliche Schadensbild ist mit der Schallquelle hinten rechts vom Kläger nicht in Einklang zu bringen. Selbst eine geringgradige Wahrscheinlichkeitsaussage könnte die Überzeugung der Kammer, die nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Kausalität des Unfallereignisses für den Lärmschaden ausgeht, nicht beeinflussen. Das Gericht hat vielmehr – insbesondere infolge der nachvollziehbaren Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. med. S. – durchgreifende Zweifel daran, dass das Unfallereignis den Lärmschaden am linken Ohr verursacht hat. Vielmehr ist es untypisch, dass bei einer Lärmquelle auf der rechten Seite ein Lärmschaden nur auf dem linken Ohr, nicht aber auf dem rechten Ohr auftritt, gleichzeitig aber ein Tinnitus beidseitig angegeben wird. Nach Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. med. S. hätte das rechte Ohr quasi hermetisch abgeschirmt gewesen sein müssen, wobei eine solche Abschirmung durch den getragenen Schutzhelm nicht zu erreichen war. Das Gericht hält es für nahezu ausgeschlossen, dass eine solche Abschirmung mittels der Schulterstütze der Maschinenpistole und der Schutzweste erreicht werden könnte (hierzu bereits unter Rn. 45). Eine solche Abschirmung könnte nur dann angenommen werden, wenn sich der Kläger im Moment der Schussabgabe durch den Teampartner in einer absolut untypischen Schusshaltung befunden hätte.
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Das Gericht hat nicht jede Tatsache in einem noch so atypischen Geschehensablauf zu erforschen und nicht jedem noch so geringen Zweifel nachzugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der sachverständige Zeuge die Kausalität in nachvollziehbarer Weise als typischerweise nicht gegeben schildert und die Anknüpfungstatsachen für eine weitere Begutachtung einer hochgradig atypischen Konstellation höchst variabel sind. Es bestehen für das Gericht keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Unfallereignis mit der Schallquelle, die sich hinten rechts vom Kläger befindet, für den Lärmschaden auf der linken Seite nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kausal ist.
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2. Es bestehen daher auch keine Bedenken gegen die Rückforderung von unter Vorbehalt geleisteten Versorgungsbezügen in Höhe von 6.910,17 EUR. Die mit Bescheiden vom … März 2019, … Juli 2019 und … Dezember 2019 unter Vorbehalt der Rückforderung bewilligten und vorläufig geleisteten Heilbehandlungskosten können auf Grundlage des Art. 7 Abs. 2 BayBeamtVG i.V.m. §§ 818 ff. BGB zurückgefordert werden. Die Zahlung dieser nicht dienstunfallbedingten Heilbehandlungskosten erfolgte ohne Rechtsgrund. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Dienstunfallfürsorgeleistungen auf HNOfachärztlichem Gebiet, da zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Kläger auf diesem Gebiet keine dienstunfallbedingten Körperschäden erlitten hat. Da die Versorgungsbezüge unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung standen, kann sich der Kläger nicht auf Entreicherung berufen (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2011 – 3 CS 11.165 – juris Rn. 21). Auch die Billigkeitsentscheidung des Antragsgegners nach Art. 7 Abs. 2 Satz 3 BayBeamtVG ist nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner geht zu Recht davon aus, dass keine Billigkeitsgründe vorliegen, aufgrund derer von der Rückforderung ganz oder teilweise abgesehen werden müsste.
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3. Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesamt für Finanzen den Dienstunfall als abgeschlossen betrachtet.
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4. Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung/ZPO.