Titel:
Einstweilige Anordnung, Stellenbesetzung, Abbruch des Besetzungsverfahrens, Fortführung des Besetzungsverfahrens ohne ausgewählten Bewerber, Neue Konkurrenzsituation, Hilfsantrag, (vorläufiger) vorbeugender Rechtsschutz vor Auswahlentscheidung, Rechtsschutzbedürfnis (verneint)
Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 33 Abs. 2
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Stellenbesetzung, Abbruch des Besetzungsverfahrens, Fortführung des Besetzungsverfahrens ohne ausgewählten Bewerber, Neue Konkurrenzsituation, Hilfsantrag, (vorläufiger) vorbeugender Rechtsschutz vor Auswahlentscheidung, Rechtsschutzbedürfnis (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38433
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 49.940,68 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen eines Stellenbesetzungsverfahrens.
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Der Antragsgegner schrieb am … Juli 2022 intern die streitgegenständliche Stelle „Richter/in beim Finanzgericht M. … (Besoldungsgruppe R 2)“ aus.
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Auf diesen Dienstposten bewarben sich sechs Beamte, unter anderem die Antragstellerin und der Beigeladene. Für alle Beamten wurden Anlassbeurteilungen erstellt. Bei einem Vergleich der Anlassbeurteilungen stellte der Antraggegner in seinem Auswahlvermerk vom … Dezember 2022 fest, dass sich anhand der Gesamturteile ein Leistungsvorsprung des Beigeladenen gegenüber allen anderen Bewerber ergibt.
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Am … November 2022 wurden zwei weitere Stellen als Richter/in beim Finanzgericht M. … ausgeschrieben. Auf eine dieser Stellen hat sich auch die Antragstellerin beworben.
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Mit Schreiben vom … Januar 2023 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, die streitgegenständliche Stelle, die am … Juli 2022 ausgeschrieben wurde, mit dem Beigeladenen als leistungsstärkstem Bewerber zu besetzen. Hiergegen hat die Antragstellerin Widerspruch erhoben, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden wurde.
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Die Antragstellerpartei hat am 9. Februar 2023 Klage gegen diese Auswahlentscheidung erhoben (M 5 K 23.704) sowie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und beantragt,
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I. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die ausgeschriebene Stelle der „Richter/in beim Finanzgericht M. …“ bis zu einer bestandskräftigen oder rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin nicht zwischenzeitlich mit einer Mitbewerberin / einem Mitbewerber, insbesondere nicht mit dem Mitbewerber (Name des Beigeladenen) zu besetzen.
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II. Hilfsweise: dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die letzte der ausgeschriebenen drei Stellen einer Richterin / eines Richters am Finanzgericht M. … bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin mit dem Beigeladenen (Name des Beigeladenen) zu besetzen.
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Es bestehe ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, da dringend zu besorgen sei, dass der Antragsgegner mit einer fehlerhaften Neubesetzung der gegenständlichen Stelle vollendete Tatsachen schaffe.
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Der Antragsgegner hat beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Mit Schreiben vom … Mai 2023 teilte der Antragsgegner mit, dass im streitgegenständlichen Auswahlverfahren der Beigeladene für die Besetzung der am … Juli 2022 ausgeschriebenen Stelle nicht mehr zur Verfügung stehe. Der Beigeladene sei inzwischen in einem weiteren Stellenbesetzungsverfahren für eine am … November 2022 ausgeschriebene Stelle als Richter am Finanzgericht M. … ausgewählt worden. Gegen diese Auswahlentscheidung seien von keinem Mitbewerber Einwendungen erhoben worden. Das Verfahren hinsichtlich der am … Juli 2022 ausgeschriebenen Stelle werde mit den verbliebenen Bewerbungen fortgesetzt und unterlegene Bewerber könnten nach entsprechender Information um Rechtsschutz nachsuchen. Die verfahrensgegenständliche Auswahlentscheidung sei somit gegenstandslos geworden.
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Der ausgewählte Beamte, der mit Beschluss vom 22. Februar 2023 zum Verfahren beigeladen wurde, hat sich im Verfahren nicht geäußert.
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Mit Schreiben vom 17. Mai 2023, 11. August 2023 sowie 18. Oktober 2023 hat das Gericht der Antragstellerpartei mitgeteilt, dass nach vorläufiger Auffassung des Gerichts wohl Erledigung eingetreten sein könnte.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unzulässig.
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Der Hauptantrag ist unzulässig, da durch die Aufhebung der streitgegenständlichen Auswahlentscheidung und Mitteilung des Antragsgegners, dass das Auswahlverfahren mit den verbleibenden Bewerbern fortgeführt und eine erneute Auswahlentscheidung getroffen wird, das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist.
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Die Antragstellerin hatte mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, dem Antragsgegner aufzugeben, die ausgeschriebene Stelle der „Richter/in beim Finanzgericht M. …“ bis zu einer bestandskräftigen oder rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin nicht zwischenzeitlich mit einer Mitbewerberin / einem Mitbewerber, insbesondere nicht mit dem Mitbewerber Herrn (Name des Beigeladenen) zu besetzen.
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Gegenstand des Verfahrens war demnach die der Antragstellerin am … Januar 2023 bekannt gegebene Auswahlentscheidung, mit der der Antragsgegner beabsichtigte, den Beigeladenen auf den Dienstposten zu bestellen.
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Diese Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen wird durch dessen nunmehr erfolgte Bestellung auf eine andere Stelle (für den er in einem rechtlich selbstständigen Auswahlverfahren ausgewählt worden ist) sowie der Mitteilung des Antragsgegners, dass eine neue Auswahlentscheidung hinsichtlich der streitgegenständlichen Stelle erfolgen wird, nicht mehr vollzogen werden. Diese frühere Auswahlentscheidung ist gegenstandslos geworden. Ein Rechtsschutzinteresse hinsichtlich einer Maßnahme, die nicht mehr verwirklicht werden kann, besteht nicht.
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Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin bezieht sich nur auf ein konkretes Auswahlverfahren. Der Bewerbungsverfahrensanspruch ist dabei dahingehend zu verstehen, dass jeweils ein selbständiges Konkurrenzverhältnis zwischen Antragstellerpartei und dem ausgewählten Bewerber besteht (HessVGH, B.v. 4.8.1993 – 1 TG 1460/93 – NVwZ 1994, 398, juris Rn. 8; VG München, B.v. 11.4.2012 – M 5 E 12.918 – juris Rn. 30; VG München, B.v. 14.4.2014 – M 5 E 14.442 – juris Rn. 23). In dem fortzusetzenden bzw. neu durchzuführenden Auswahlverfahren wird eine neue Auswahlentscheidung getroffen und es wird eine neue Konkurrenzsituation zwischen ausgewählter/m Bewerber/in und nicht zum Zuge kommendem Bewerbern entstehen. Gegen diese neue Auswahlentscheidung steht den unterlegenen Bewerbern dann die Möglichkeit zu, Eilrechtsschutz nachzusuchen. Die Überprüfung dieser Entscheidung stellt einen neuen Streitgegenstand dar (OVG NW, B.v. 15.10.2013 – 6 B 1033/13 – IÖD 2014, 10, juris Rn. 6).
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2. Soweit die Antragstellerin hilfsweise beantragt hat, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die letzte der ausgeschriebenen drei Stellen einer Richterin / eines Richters am Finanzgericht M. … bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin mit dem Beigeladenen (Name des Beigeladenen) zu besetzen, fehlt ebenfalls das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
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Der hilfsweise gestellte Antrag ist entsprechend einer Auslegung nach § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahingehend zu verstehen, dass er sich auf eine der am … November 2022 ausgeschriebenen Stelle bezieht, auf welche die Antragstellerin sich ebenfalls beworben hat.
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Das Stellenbesetzungsverfahren nach § 123 VwGO dient der Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des unterlegenen Bewerbers. Der Antrag zielt darauf ab, dem Antragsgegner bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Stellenbewerbung zu untersagen, die streitgegenständliche Stelle zu besetzen. Vorliegend ist jedoch weder im Zeitpunkt der Antragstellung noch im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine Auswahlentscheidung durch den Antragsgegner getroffen worden – ein anderer Verfahrensstand ist dem Gericht nicht bekannt und wurde weder durch die Antragstellerpartei noch den Antragsgegner vorgetragen. Die Antragstellerin begehrt vorliegend daher unzulässigerweise vorbeugenden Rechtsschutz im Hinblick auf die erst noch zu treffende Auswahlentscheidung, ohne jedoch ein besonderes (qualifiziertes) Rechtsschutzinteresse hierfür im Einzelnen darzulegen (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2022 – 6 CE 21.3272 – juris Rn 13; B.v. 25.1.2021 – 3 CE 20.3148 – DRiZ 2021, 202, juris Rn. 16; OVG LSA, B.v. 17.6.2013 – 1 M 59/13 – juris; VGH BW, B.v. 6.6.2017 – 4 S 1055/17 – juris Rn. 7 ff.; VG Ansbach, B.v. 23.12.2005 – AN 11 E 05.03716 – juris Rn. 22; ähnlich VG München, B.v. 25.5.2020 – M 5 E 20.404 – juris Rn. 19).
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Verwaltungsrechtsschutz ist grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen – ggf. einstweiligen – Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland – Grundgesetz/GG) grundsätzlich ausreicht (vgl. VG München, B.v. 25.3.2021 – M 21b E 21.1394 – Rn. 14, n.v.). Rechtsschutz besteht daher in Stellenbesetzungsverfahren grundsätzlich erst gegen die Sachentscheidung selbst, die das entsprechende Verfahren zum Abschluss bringt. Zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens kann daher in Stellenbesetzungsverfahren nur die Auswahlentscheidung (oder der Abbruch des Verfahrens) als abschließende Sachentscheidung gemacht werden (BayVGH, U.v. 4.12.2012 – 7 ZB 12.1816 – BayVBl 2013, 308, juris Rn. 17; VG München, B.v. 14.12.2021 – M 5 E 21.4451 – juris Rn. 19). Vorbeugende Klagen sind nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn also der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (stRspr; vgl. etwa BVerfG, B.v. 7.12.2018 – 2 BvQ 105/18 u.a. – NVwZ 2019, 161, juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 35.07 – BVerwGE 132, 64, juris Rn. 26 m.w.N.).
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Ein derartiges spezifisches Interesse gerade an vorbeugendem vorläufigem Rechtsschutz ist vorliegend jedoch nicht erkennbar. Es ist daher auch keine Rechtsschutzvereitelung zu befürchten. Der Antragstellerin ist es vielmehr zuzumuten, die Auswahlentscheidung des Antragsgegners abzuwarten und erst im Fall der Nichtauswahl innerhalb einer Frist von zwei Wochen um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen (vgl. OVG LSA, B.v. 17.6.2013 – 1 M 59/13 – juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 6.6.2017 – 4 S 1055/17 – juris Rn. 10 f.).
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Zudem ist der Antrag wohl auch deshalb unzulässig, da er auch von einer außerprozessualen Bedingung abhängig ist (HessVGH, B.v. 29.7.2019 – 5 B 1245/19 – HGZ 2019, 364, juris Rn. 8; Hoppe in: Eyermann/Hoppe, VwGO, 16. Auflage 2022, § 82 Rn. 11). Zum Zeitpunkt der Antragstellung, wie der Entscheidung des Gerichts gibt es – wie oben dargestellt – noch keine Auswahlentscheidung, sodass der Eilantrag – neben einer möglichen innerprozessualen Bedingung, namentlich dem Unterliegen im Hauptantrag – auch unter der Bedingung gestellt war, dass die Antragstellerin in einem anderen Stellenbesetzungsverfahren nicht ausgewählt werden würde. Dies stellt ein zukünftiges außerprozessuales Ereignis dar.
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3. Höchst vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass der hilfsweise gestellte Antrag auch dann unzulässig wäre, wenn man im Rahmen der Auslegung nach § 88 VwGO zu dem Ergebnis käme, dass er sich ebenfalls auf die am … Juli 2022 ausgeschriebenen Stelle bezieht, da sich diese Auswahlentscheidung – wie oben dargestellt – erledigt hat und auch dem Hilfsantrag das Rechtschutzbedürfnis fehlt.
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4. Die Antragstellerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten unter Billigkeitsgesichtspunkten selbst, da er weder einen Antrag gestellt noch sonst das Verfahren gefördert hat (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
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5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 Gerichtskostengesetz (GKG) – ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen (Jahresbezüge der Antragstellerin nach Angaben des Antragsgegners im angestrebten Amt R 2 Stufe 11: Grundgehalt: 94.749,12 EUR zuzüglich auf das Grundgehalt bezogene jährliche Sonderzahlung in Höhe von 5.132,24 EUR somit 99.881,36 EUR, hiervon ein Viertel ergibt 24.970,34 EUR; vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 3 CE 19.1896 – juris Rn. 32; B.v. 3.7.2019 – 3 CE 19.1118 – juris Rn. 26). Da auch über den Hilfsantrag entschieden wurde und dieser nicht denselben Gegenstand wie der Hauptantrag umfasst (§ 45 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GKG) ist eine Streitwerterhöhung vorzunehmen. Der Streitwert des Hilfsantrages, welcher der Höhe nach ebenfalls 24.970,34 EUR entspricht, ist dem Streitwert des Hauptantrages hinzuzurechnen.