Inhalt

VG München, Urteil v. 18.12.2023 – M 26a K 20.31886
Titel:

Erfolgreiche Klage gegen Widerruf eines nationalen Abschiebungsverbots bei alleinerziehender Mutter aus Nigeria

Normenketten:
AsylG § 73 Abs. 6 S. 1, § 77 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Ob iSv § 73 Abs. 6 S. 1 AsylG eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage vorliegt, ist anhand eines Vergleichs der Tatsachenlage zum Zeitpunkt der Feststellungsentscheidung des Bundesamts oder - bei einer gerichtlichen Verpflichtung - des Verpflichtungsurteils mit der Tatsachenlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht bzw. der letzten tatrichterlichen Entscheidung zu beurteilen. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Eine Sachlageänderung ist anzunehmen, wenn neue Tatsachen in dem für den Widerruf gem. § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Beurteilungszeitraum die Würdigung eines Nicht-mehr-Vorliegens der Voraussetzungen des betreffenden nationalen Abschiebungsverbots rechtfertigen. Die Änderung der Sachlage darf nicht lediglich vorübergehender Natur sein, sondern muss die Feststellung rechtfertigen, dass die Faktoren, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. (Rn. 26) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage genügt zur Annahme einer Sachlageänderung iSv § 73 Abs. 6 S. 1 AsylG grundsätzlich nicht, da der bloße Zeitablauf für sich genommen keine Sachlageänderung bewirkt. (Rn. 26) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Ob die Beurteilung der abschiebungsrechtlichen Situation im Rahmen eines Verpflichtungsbegehrens auf erstmalige Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ebenso dazu führen würde, der von einem Widerruf Betroffenen als alleinerziehender Mutter ein Abschiebungsverbot zuzusprechen, ist unerheblich, wenn mit einer Anfechtungsklage die Aufhebung einer bestandkräftig zuerkannten Rechtsposition mit der Begründung, es liege keine erhebliche und dauerhafte Änderung der ursprünglichen Sachlage vor, abgewehrt werden soll. Solange keine entsprechende Sachlageänderung festgestellt wird, ist für eine Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes in einem zweiten Schritt kein Raum (VGH München BeckRS 2023, 22056). (Rn. 30) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Asylrecht Nigeria, Widerruf der Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Alleinstehende Frau mit einem Kind, Keine Änderung der der Gewährung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG zugrundeliegenden Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht, Erfolgreiche Klage, nigerianische Staatsangehörige, alleinerziehende Mutter, vulnerable Person, nationales Abschiebungsverbot, Widerruf, Sachlageänderung, Anfechtungsklage, maßgeblicher Zeitpunkt
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38427

Tenor

I. Die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Juni 2020, Gesch.-Z.: ..., und vom 16. Juni 2020, Gesch.-Z.: ..., werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten. 

Tatbestand

1
Die Kläger, ihren Angaben im Asylverfahren zufolge nigerianische Staatsangehörige, wenden sich mit ihrer Klage gegen den Widerruf der Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich Nigerias besteht.
2
Die Klägerin zu 1) reiste am … Juni 2015 ins Bundesgebiet ein und beantragte am … Juli 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Für ihren am … Juli 2015 in Deutschland geborenen Sohn, den Kläger zu 2), galt nach der Anzeige der Geburt durch das Landratsamt F. … am … September 2015 ebenfalls ein Asylantrag als gestellt. Am … August 2016 wurde die Klägerin zu 1) zu ihren Asylgründen angehört.
3
Mit Bescheiden vom 7. April 2017 (Gesch.-Z.: …) und vom 14. April 2017 (Gesch.-Z.: …) lehnte das Bundesamt die Anträge der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab und stellte fest, dass das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Nr. 4). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass aufgrund der individuellen Umstände der Antragsteller mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass sich die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) außergewöhnlich erhöhe. Die Klägerin zu 1) gehöre zur Gruppe der vulnerablen Personen. Sie verfüge in Nigeria über keinerlei familiäres Netzwerk mehr. Gerade für alleinstehende Frauen sei es schwierig, sich in Nigeria ein Leben am Rande des Existenzminimums aufzubauen. Sie wäre bei einer Rückkehr nicht in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und den Kläger zu 2) sicherzustellen und ihr Leben am Rande des Existenzminimums zu sichern. Aus diesem Grund würden die Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG erfüllen.
4
Am 17. April 2020 wurde seitens des Bundesamtes die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens (Widerruf/Rücknahme) geprüft. Die Voraussetzungen für die Einleitung eines Widerrufsverfahrens lägen vor, da sich seit 1. Juni 2017 der Lebensgefährte der Klägerin zu 1) und Vater des Klägers zu 2), ein nigerianischer Staatsangehöriger, ebenfalls in Deutschland befinde, dessen Asylantrag mit Bescheid vom 4. Dezember 2018 abgelehnt worden sei. Entsprechend seien die Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht mehr auf sich alleine gestellt, sondern könnten bei einer gemeinsamen Rückkehr nach Nigeria auf die Unterstützung des Lebensgefährten bzw. Vaters zurückgreifen.
5
Mit Schreiben vom 21. April 2020 wurden die Kläger zum beabsichtigten Widerruf des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG und zur beabsichtigten Feststellung, dass auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt, angehört.
6
Mit Schriftsätzen vom 4. und 12. Mai 2020 zeigte der Bevollmächtigte der Kläger deren Vertretung gegenüber dem Bundesamt an und führte aus, dass mit einer Rückkehr des Vaters des Klägers zu 2) nach Nigeria in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 4. Dezember 2018 sei Klage erhoben worden (M 13 K 19.30392). Es werde beantragt, das Widerrufsverfahren einzustellen.
7
Mit streitgegenständlichen Bescheiden vom 10. Juni 2020 (Gesch.-Z.: ….) und vom 16. Juni 2020 (Gesch.-Z.: ….) widerrief das Bundesamt das mit Bescheid vom 7. April 2017 (Gesch.-Z.: ….) und vom 14. April 2017 (Gesch.-Z.: ….) jeweils festgestellte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG und stellte fest, dass das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt. Die in der Person der Kläger liegenden Umstände hätten sich seit den Entscheidungen vom 7. und 14. April 2017 geändert. Die Kläger könnten nunmehr auf die Unterstützung und den Schutz durch den Lebensgefährten bzw. Vater verwiesen werden, so dass sie nicht mehr dem Personenkreis der besonders vulnerablen alleinstehenden Frauen mit Kindern ohne Familien- und Stammesbindung angehören würden.
8
Gegen diese am 19. Juni 2020 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheide erhoben die Kläger durch ihren Bevollmächtigten mit am 30. Juni 2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 29. Juni 2020 Klage mit dem Antrag,
9
die beiden Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Juni 2020, Az. … und vom 16. Juni 2020, Az. … aufzuheben.
10
Entgegen der Auffassung des Bundesamtes in den angefochtenen Bescheiden handele es sich bei den Klägern nach wie vor um besonders vulnerable Personen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass sich der Kindsvater inzwischen in Deutschland aufhalte. Des Weiteren habe sich seit der Flucht der Klägerin zu 1) aus Nigeria die Lage dort nicht soweit verbessert, dass die Klägerin zu 1) jetzt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Lebensunterhalt für sich und den Kläger zu 2) sichern könnte.
11
Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 übersandte die Beklagte die elektronischen Behördenakten des ersten Asylverfahrens und des Widerrufsverfahrens der Kläger, stellte jedoch keinen Antrag.
12
Mit Urteil vom 5. April 2023, M 1 K 19.30392, wurde die Klage des Vaters des Klägers zu 2) gegen dessen ablehnenden Bundesamtsbescheid vom 4. Dezember 2018 vollumfänglich abgewiesen. Zur Begründung wurde in Bezug auf die Abschiebungsandrohung nach Nigeria ausgeführt, dass gegen diese auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (B.v. 15.02.2023 – C-484/22 – juris) keine Bedenken bestünden, da keine nach Art. 6 Grundgesetz, Art. 7 Grundrechtecharta bzw. Art. 8 EMRK geschützte Familiengemeinschaft des Klägers mit dem gemeinsamen Sohn, vorliegend dem Kläger zu 2) (und der Kindsmutter, vorliegend der Klägerin zu 1) bestehe. Weder lebe der Kläger mit dem Sohn und der Mutter in einem gemeinsamen Haushalt, noch bestehe überhaupt ein intensiver Kontakt zueinander. Der Kläger wohne vielmehr seit knapp einem Jahr in einer Unterkunft in einer Entfernung von zweieinhalb Stunden zu seinem Sohn. Der Kläger habe überdies keinerlei Bemühungen unternommen, näher bei seinem Sohn zu leben. Vater und Sohn würden sich nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nur ein- bis zweimal im Monat sehen.
13
Mit Beschluss vom 30. Oktober 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
14
Mit Schriftsatz vom 10. November 2023 trug der Bevollmächtigte der Kläger zur Vorbereitung des Verhandlungstermins am 18. Dezember 2023 vor, dass die Kläger nicht mit dem Kindsvater zusammenleben würden. Die Klägerin zu 1) sei zusammen mit dem Kläger zu 2) im Mai 2022 nach P. … umgezogen. Die Klägerin zu 1) habe mit dem Kindsvater keinen Kontakt mehr. Im Sommer, während der Ferien, hab der Kläger zu 2) den Vater gesehen. Dieser zahle Unterhalt in wechselnder Höhe. Nach Kenntnis der Klägerin zu 1) arbeite der Kindsvater seit einigen Jahren und lebe nach wie vor im Landkreis F. … Der Unterzeichner vertrete auch den Kindsvater, allerdings habe dieser den Kontakt zum Unterzeichner abgebrochen und diesseits sei bisher noch unbekannt, ob er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten habe oder nicht. Es bestehe für die Kläger jedoch die Gefahr, dass vom Kindsvater keine Unterhaltszahlungen mehr erfolgen würden. Hier in Deutschland könne die Klägerin zu 1) ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit sichern. Abschiebungshindernisse bestünden im Hinblick auf die familiäre Situation betreffend die Kläger weiterhin.
15
In der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2023, an der von Seiten der Beklagten niemand teilgenommen hat, bestätigte die Klägerin zu 1) die schriftsätzlich von ihrem Bevollmächtigten vorgetragenen Angaben zur familiären Situation mit dem Vater des Klägers zu 2).
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakten des Bundesamtes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Die zulässige Klage ist begründet, da die Voraussetzungen des § 73 Abs. 6 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) für den Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG) nicht vorliegen.
18
1. Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2023 entscheiden, obwohl von Seiten der Beklagten niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Denn in dem Ladungsschreiben vom 3. November 2023 war darauf hingewiesen worden, dass bei Nichterscheinen eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
19
Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 30. Oktober 2023 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung über die Klage berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
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2. Die erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG erhoben worden.
21
Die Anfechtungsklage ist auch statthaft, da Rechtsschutz gegen den Widerruf oder die Rücknahme der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nach § 73 Abs. 6 AsylG die Anfechtungsklage vermittelt (BeckOK AuslR/Fleuß, 39. Ed. 1.10.2023, AsylG § 73 Rn. 244).
22
3. Die Klage ist begründet, da die Bescheide vom 10. und 16. Juni 2020 rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23
3.1. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist § 73 Abs. 6 Satz 1 AsylG i.d.F. des Gesetzes zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 21. Dezember 2022 (BGBl. 2022, 2817), da maßgeblich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG) ist.
24
Nach dieser Vorschrift ist die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
25
Dabei ist die Frage, ob eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage vorliegt, anhand eines Vergleiches der Tatsachenlage zum Zeitpunkt der Feststellungsentscheidung des Bundesamts oder – im Falle einer gerichtlichen Verpflichtung – des Verpflichtungsurteils mit der Tatsachenlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht bzw. der letzten tatrichterlichen Entscheidung zu beurteilen (BeckOK AuslR/Fleuß, 39. Ed. 1.10.2023, AsylG § 73 Rn. 245).
26
Eine entsprechende Änderung der Sachlage ist anzunehmen, wenn neue Tatsachen in dem für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Würdigung eines Nicht-mehr-Vorliegens der Voraussetzungen des betreffenden nationalen Abschiebungsverbotes rechtfertigen. Die Änderung der Sachlage darf nicht lediglich vorübergehender Natur sein, sondern muss die Feststellung rechtfertigen, dass die Faktoren, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage genügt insoweit grundsätzlich nicht, da der bloße Zeitablauf für sich genommen keine Sachlagenänderung bewirkt (BeckOK AuslR/Fleuß, 39. Ed. 1.10.2023, AsylG § 73 Rn. 230 m.w.N.).
27
Vorliegend ist die Beklagte in den streitgegenständlichen Widerrufsbescheiden davon ausgegangen, dass die Kläger mit dem Lebensgefährten der Klägerin zu 1) und Vater des Klägers zu 2) als Familie zusammenleben, und dieser daher als ausreisepflichtiger nigerianischer Staatsangehöriger im Rahmen einer hypothetischen Rückkehrprognose mit den Klägern nach Nigeria zurückkehren werde und für diese sorgen könne.
28
Nach dem Vortrag des Bevollmächtigten der Kläger im Klageverfahren und den Ausführungen der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2023 geht das Gericht jedoch davon aus, dass die Kläger vom Vater des Klägers zu 2) jedenfalls seit Mai 2022 getrennt leben und daher von einer gemeinsamen Rückkehr nach Nigeria nicht mehr ausgegangen werden kann. Dies wird auch durch die Ausführungen im Urteil vom 5. April 2023, M 1 K 19.30392, mit dem die Klage des Vaters des Klägers zu 2) gegen dessen ablehnenden Bundesamtsbescheid vom 4. Dezember 2018 vollumfänglich abgewiesen wurde, bestätigt.
29
Demzufolge haben sich die den Bescheiden vom 7. April 2017 und vom 14. April 2017 zugrundeliegenden Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht (Rückkehr der Kläger ohne den Vater des Klägers zu 2) nicht geändert, mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 73 Abs. 6 Satz 1 AsylG für den Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegen.
30
Ob die Beurteilung der abschiebungsrechtlichen Situation im Rahmen eines Verpflichtungsbegehrens auf erstmalige Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG ebenso dazu führen würde, den Klägern als alleinerziehende Mutter mit einem Kind ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuzusprechen, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, da mit der vorliegenden Anfechtungsklage die Aufhebung einer bestandskräftig zuerkannten Rechtsposition mit der Begründung, es liege keine erhebliche und dauerhafte Änderung der ursprünglichen Sachlage vor, abgewehrt werden soll. Solange keine erhebliche und dauerhafte Änderung der ursprünglichen Sachlage festgestellt wird, ist für eine Prüfung in einem zweiten Schritt, ob nationaler Abschiebungsschutz gegeben ist, kein Raum (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 16.08.2023 – 3 ZB 23.30036 – juris Rn. 12).
31
4. Da mit der Aufhebung der Widerrufsentscheidungen in den Nummern 1 der streitgegenständlichen Bescheide vom 10. und 16. Juni 2020 die in den Nummern 4 der Bescheide vom 7. und 12. April 2017 getroffene Feststellung, dass das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt, weiterbesteht und vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem nationalen Abschiebungsschutz auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG um einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris Rn. 17.), hat auch die in den Nummern 2 der streitgegenständlichen Bescheide vom 10. und 16. Juni 2020 getroffene Feststellung, dass das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt, keinen Bestand, so dass die streitgegenständlichen Bescheide vom 10. und 16. Juni 2020 insgesamt aufzuheben waren.
32
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
33
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).