Titel:
Verteilung von Freistellungskontingenten unter Personalräten
Normenkette:
BayPVG Art. 46 Abs. 3
Leitsätze:
1. Art. 46 Abs. 3 BayPVG kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass nur die nach Abzug der Vorstandsmitglieder verbleibenden Freistellungskontingente nach dem Höchstzahlverfahren zwischen den Listen zu verteilen wären. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Personalrat steht bei der Auswahl, welches Personalratsmitglied freigestellt wird, ein Ermessen zu, welches nur unter besonderen Umständen auf Null reduziert ist. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es bedarf schwerwiegender und durch Tatsachen nachweisbarer Mängel des Bewerbers, um ihn als einzigen bereiten Listenangehörigen einer Minderheitenliste nicht für die Freistellung als Personalratsmitglied auszuwählen. Zwischen mehreren Bewerbern einer Liste ist der Personalrat hingegen in seiner Auswahl frei. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(Landes) Personalvertretungsrecht, Freistellung von Personalräten, Verteilung der Freistellungskontingente unter den Personalräten
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38425
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass die bisherigen Beschlussfassungen des Bet. zu 1) über die Verteilung der Freistellungskontingente rechtswidrig sind und der Liste des Antragstellers „Für Alle“ zwei Freistellungskontingente zustehen.
II. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt als Mitglied des Beteiligten zu 1) die Gewährung einer 100%igen Freistellung für seine Tätigkeit im Personalrat.
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Bei der letzten Wahl des Personalrats beim Klinikum ... entfielen auf die Liste „Gemeinsam“ 15.827 Stimmen, auf die Liste „Für Alle“ 14.246 Stimmen, so dass sich der Personalrat neben dem Vertreter der Beamten aus 12 Personalratsmitglieder der Liste „Gemeinsam“ und 9 Mitgliedern der Liste „Für Alle“ zusammensetzt. Die dem Personalrat – unter allen Verfahrensbeteiligten unstrittig – zustehenden Freistellungen im Umfang von 6 Kontingenten hat dieser im Wege mehrerer einzelner Beschlussfassungen verteilt. Dabei haben – zum Zeitpunkt der Anhörung am 5. Dezember 2023 – der Personalratsvorsitzende und gleichzeitig Vertreter der Beamten Herr F. … sowie die Vorstandsmitglieder für die Gruppe der Arbeitnehmer Herr F. … sowie Frau H. … eine Freistellung von je 1,0 und Frau Dr. H. … von 0,4 erhalten. Herr F. … und Frau H. … gehören der Liste „Gemeinsam“ an, Frau Dr. H. … der Liste „Für Alle“. Darüber hinaus erhielten von der Liste „Gemeinsam“ Frau R. … eine Freistellung von 0,75 und Herr K. … von 0,7. Von der Liste „Für Alle“ erhielten Frau M. … eine Freistellung von 0,25 und Herr M. … von 0,4. Die zwischenzeitliche Freistellung von Frau S. … von 0,5 ist durch Renteneintritt entfallen. Ein Antrag des Antragstellers vom 13. Oktober 2021 auf Freistellung im Umfang von 1,0 war abgelehnt worden.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller und hat durch seinen Bevollmächtigten am 17. Februar 2022 Antrag zum Verwaltungsgericht München gestellt, den er mit Schriftsätzen vom gleichen Tag, vom 18. Mai 2022 und 29. November 2023 sowie in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2023 begründet. Als Mitglied der Minderheitenliste „Für Alle“ sei ihm eine Freistellung von 100% der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit zu gewähren. Die bisherige Beschlussfassung verstoße gegen die Grundsätze des Minderheitenschutzes. Insoweit sei der Beteiligte zu 1) aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null unmittelbar vom Gericht zu verpflichten. Die Verteilung der Freistellungskontingente sei gesetzlich in Art. 46 Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPVG) klar geregelt und die Dispositionsfreiheit des Personalrats dadurch eingeschränkt, werde aber vom Beteiligten zu 1) nicht beachtet.
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Nach Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2023 beantragt der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten zuletzt:
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1. Es wird festgestellt, dass die Verteilung der Freistellungskontingente im Personalrat des Klinikums ... entgegen den gesetzlichen Vorgaben des Art. 46 Abs. 3 BayPVG verteilt wurden und damit unwirksam sind.
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2. Es wird festgestellt, dass der Liste 2 des Antragstellers „Für Alle“ zwei volle Freistellungskontingente zustehen.
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3. Der Beteiligte zu 2) wird verpflichtet, die Freistellung des Antragstellers in Höhe von 100% der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit gemäß Art. 46 Abs. 3 BayPVG bei der Beteiligten zu 3) zu beantragen.
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Der Beteiligte zu 1) hat beantragt,
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und mit Schriftsatz vom 5. April 2022 sowie in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2023 Stellung genommen. Der Antragsteller könne sich nicht auf Minderheitenschutz und die diesbezüglich ergangene Rechtsprechung berufen. Schließlich sei die Liste „Für Alle“ berücksichtigt worden. Somit bleibe es bei der grundsätzlich freien Ermessensentscheidung des Gremiums, welche (weiteren) Mitglieder es in welchem Umfang freigestellt haben möchte, ohne dass eine Ermessensreduktion auf Null vorläge.
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Der Beteiligte zu 2) hat keinen Antrag gestellt, aber mit Schriftsatz vom 7. April 2022 sowie in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2023 zur Sache vorgetragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere mit der Niederschrift über die Anhörung am 5. Dezember 2023 Bezug genommen.
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Das antragstellerische Begehren ist zulässig (1.) und weitgehend begründet. Der Beteiligte zu 1) hat bei seinen bisherigen Beschlussfassungen über die Verteilung der Freistellungskontingente die gesetzlichen Vorgaben des Art. 46 Abs. 3 BayPVG missachtet, da der Liste des Antragstellers „Für Alle“ zwei Freistellungskontingente zustehen (2.). Dies war entsprechend des Antrags des Antragstellers festzustellen. Der Verpflichtungsantrag hingegen ist unbegründet (3.)
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1. Die Anträge des Antragstellers sind zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller als Mitglied des Beteiligten zu 1) antragsbefugt (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2013 – 17 P 12.1378 – beck-online Rn. 12 m.w.N.; Altvater u.a., BPersVG, 11. Auflage 2023, § 52 Rn. 20). Dies bezieht sich auch darauf, für sich selbst eine Freistellung in Anspruch nehmen zu wollen und nicht nur, wie in der Anhörung am 5. Dezember 2023 seitens des Beteiligten zu 1) ausgeführt, allenfalls für eine Liste eine Freistellung beantragen zu können.
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2. Der Beteiligte zu 1) hat bei seiner Beschlussfassung über die Verteilung der Freistellungskontingente, insbesondere bezüglich der Ablehnung des antragstellerischen Begehrens, die gesetzlichen Vorgaben nach Art. 46 Abs. 3 BayPVG missachtet.
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Der dem Personalrat bei der Verteilung der ihm zustehenden Freistellungskontingente bestehende Spielraum ist durch die gesetzlichen Vorgaben in Art. 46 Abs. 3 BayPVG eingeschränkt. Schließlich sind nach Art. 46 Abs. 3 Satz 3 BayPVG die im Personalrat vertretenen Wahlvorschlagslisten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass bei der Verteilung der Kontingente im Bereich der jeweiligen Gruppe das Wahlergebnis nach dem D´Hondtschen Verfahren zu berücksichtigen ist (vgl. hierzu näher und mit ausführlichen Rechenbeispielen: Ballerstedt, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, Art. 46 Rn. 100 ff.; Altvater u.a., BPersVG, 11. Auflage 2023, § 53 Rn. 8 ff.).
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Nach Berücksichtigung des Beamtenvertreters, der gleichzeitig Personalratsvorsitzender ist, sind auf die Arbeitnehmervertreter im Personalrat noch fünf Freistellungen zu verteilen, die sich unter Anwendung von D´Hondt unter den beiden Listen mit drei Freistellungen für die Liste „Gemeinsam“ und zwei Freistellungen für die Liste „Für Alle“ verteilen. Hiervon, so ausdrücklich Art. 46 Abs. 3 Satz 4 BayPVG, sind die bereits freigestellten Vorstandsmitglieder abzurechnen. Unter Abzug der Freistellungen von Herrn F. … und Frau H. … aus der Liste „Gemeinsam“ verbliebe damit dieser Liste noch eine 1,0 Freistellung, während hingegen mit den Anteilen von Frau R. … und Herrn K. … 1,45 – und damit 0,45 zu viel – verteilt wurden. Nach Abzug des Anteils von Frau Dr. H. … mit 0,4 verblieben der Liste „Für Alle“ an sich 1,6 Freistellungen, von denen derzeit auf Frau M. … 0,25 und Herrn M. … 0,4 verteilt und somit 0,95 ungenutzt sind.
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Die Vorgabe in Art. 46 Abs. 3 BayPVG lässt keinen Raum für eine Auslegung derart, dass nur die nach Abzug der Vorstandsmitglieder verbleibenden Kontingente nach D´Hondt zwischen den Listen zu verteilen wären. Dies würde im Übrigen in einer Mehrzahl der Fälle zu einem erheblichen Vorteil der stimmenstärksten Liste führen (vgl. hierzu auch VGH Mannheim, B.v. 24.4.2001 – PL 15 S 1419/00 – beck-online Rn. 18).
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Die bisherigen Beschlussfassungen des Beteiligten zu 1) sind daher fehlerhaft, als die Liste „Gemeinsam“ trotz Begehrens auf Seite der Liste „Für Alle“ mehr Freistellungen zugeteilt erhielt, als ihr nach der D´Hondtschen Verteilung zustehen, und dem Beteiligten zu 1) die rechtlichen Vorgaben für die Verteilungen nicht bewusst waren.
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3. Das antragstellerische Verpflichtungsbegehren ist hingegen unbegründet. Dem Beteiligten zu 1) steht bei der Auswahl nach Art. 46 Abs. 3 BayPVG ein Spielraum zu, den das Gericht vorliegend nicht durch eine Verpflichtung des Beteiligten zu 1), beim Beteiligten zu 2) die vollständige Freistellung des Antragstellers zu beantragen, zu beschränken vermag.
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Eine Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge, dass der Personalrat zur Beschlussfassung über die begehrte Freistellung verpflichtet wird, kann (nur) dann angenommen werden, wenn aus Gründen des Minderheitenschutzes ansonsten das einzige (hierzu bereite) Listenmitglied und damit die Liste nicht berücksichtigt würde (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2013 – 17 P 12.1378 – beck-online; BVerwG, B.v. 22.12.1994 – 6 P 12.93 – beck-online).
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Wie ausführlich zwischen den Beteiligten schriftsätzlich erörtert, ist die Liste, der der Antragsteller angehört, bei der Auswahl an sich berücksichtigt und geht unter Verstoß gegen den Minderheitenschutz nicht gänzlich leer aus. Die zitierte Rechtsprechung ist somit nicht ohne weiteres übertragbar.
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Insbesondere ist aber in der Anhörung am 5. Dezember 2023 deutlich geworden, dass dem Personalratsvorsitzenden und damit wohl auch weiteren Personalratsmitgliedern die Vorgaben des Art. 46 Abs. 3 BayPVG nicht hinreichend bewusst waren. Damit steht zur Überzeugung des Gerichts nicht fest, wie der Personalrat seine Auswahl über die Freistellungskontingente bei einer erneuten Beschlussfassung treffen wird. Mit Blick auf die Vielzahl der Veränderungen in den letzten Jahren ist zudem nicht ausgeschlossen, dass und welche Personalratsmitglieder sich mit welchen Anteilen zur Auswahl stellen.
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Dem Antrag zu 3. kann im Übrigen auch deshalb nicht im Verpflichtungswege Rechnung getragen werden, als nach der aktuellen Beschlussfassung von der Liste des Antragstellers von 2,0 Freistellungskontingenten bereits 1,05 verteilt sind und damit ein volles Kontingent für den Antragsteller nicht mehr verfügbar ist. Auch insoweit wird der Personalrat somit bei einer erneuten Beschlussfassung auszuwählen haben, wie er die Kontingente verteilt.
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Keiner näheren Betrachtung durch das Gericht bedarf daher – und ist hierzu auch nicht hinreichend vorgetragen –, ob der Beteiligte zu 1) die Auswahl des Antragstellers bei den Freistellungen im Hinblick auf etwaige Zweifel an seiner Eignung ablehnen darf. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 22. April 2013 unter Az. 17 P 12.1378 in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 22. Dezember 1994, Az. 6 P 12.93, durchaus sachliche Kriterien in diesem Zusammenhang benannt, aber herausgestellt, dass es schwerwiegender und durch Tatsachen nachweisbarer Mängel bedarf, um den einzigen bereiten Listenangehörigen einer Minderheitenliste nicht auszuwählen. Es spricht durchaus Einiges dafür, dies auch auf die Fälle zu übertragen, in denen ein Personalrat trotz Bewerber ein Kontingent ungenutzt lassen möchte, weil der Bewerber für nicht geeignet erachtet wird (vgl. auch Altvater u.a., BPersVG, 11. Auflage 2023, § 52 Rn. 20). Zwischen mehreren Bewerbern einer Liste ist der Personalrat hingegen in seiner Auswahl frei.
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Der Beteiligte zu 1) hat daher über die Verteilung der Freistellungskontingente, zumindest soweit sie nicht die Vorstandsmitglieder betreffen, unter Beachtung der Vorgaben des Art. 46 Abs. 3 BayPVG und Abänderung der bisherigen Beschlüsse neu zu entscheiden.
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Einer Kostenentscheidung bedarf es im personalvertretungsrechtlichen Verfahren nicht. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.