Titel:
Teilweise erfolgreiche Klage gegen einen Erstattungsanspruch von Unterhaltsvorschussleistungen nach zeitweisem Getrenntleben mit in Afghanistan lebender Ehefrau
Normenketten:
UVG § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 5 Abs. 1
PStG § 34 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 132 Abs. 2, § 134 Abs. 2
Leitsatz:
Ein dauerhaftes Getrenntleben von Ehegatten iSv § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG kann auch dann angenommen werden, wenn es darauf beruht, dass der Ehegatte des Elternteils, bei dem das Kind lebt, sich im Ausland aufhält und aufgrund ausländerrechtlicher Hindernisse nicht ins Bundesgebiet einreisen kann. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erstattung von Unterhaltsvorschussleistungen, im Ausland geschlossene Ehe, Getrenntleben, Afghanistan, Revision und Berufung zugelassen
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Urteil vom 16.04.2024 – 12 BV 24.238
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 26.07.2024 – 5 B 11.24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38420
Tenor
I. Der Bescheid vom 19. November 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2022 wird aufgehoben, soweit er den Zeitraum 24. September 2018 bis 7. Januar 2021 betrifft. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den Erstattungsanspruch der Beklagten von Unterhaltsvorschussleistungen.
2
Mit Formblatt vom 28. Januar 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für sein Kind T., geboren am ... 2009, und gab an, von der Mutter getrennt zu leben. Die dem Antragsformular beiliegenden „Information zum Unterhaltsvorschussgesetz (UVG)“ enthalten u.a. folgenden Hinweis: „Ihr Kind hat keinen Anspruch, wenn (…) Sie verheiratet sind oder in einer eingetragenen (gleichgeschlechtlichen) Lebenspartnerschaft leben oder von Ihrem Ehegatten/Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben (auch wenn der Partner nicht der andere Elternteil des Kindes ist) (…)“.
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Mit Bescheid vom 28. September 2016 bewilligte die Beklagte für T. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Januar 2016 bis längstens 1. Mai 2021 in Höhe von 194,00 EUR monatlich. In den Gründen wurde u.a. darauf hingewiesen, dass der Kläger gemäß § 6 Abs. 4 UVG verpflichtet sei, sämtliche Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, insbesondere (…) wenn der Kläger heirate, mit dem anderen Elternteil zusammenziehe oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehe (…). Mit Änderungsbescheiden vom 28. Dezember 2016, 9. Januar 2018, 11. Juni 2019, 4. Dezember 2019 und 3. Dezember 2020 wurde der Betrag für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 auf 201,00 EUR bzw. ab dem 1. Januar 2018 auf 205,00 EUR bzw. ab dem 1. Juli 2019 auf 202,00 EUR bzw. ab dem 1. Januar 2020 auf 220,00 EUR bzw. ab dem 1. Januar 2021 auf 232,00 EUR erhöht bzw. gesenkt.
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Mit Schreiben vom 20. September 2017 wurde die Befristung des Bescheids vom 28. September 2016 aufgrund der Änderung der Rechtslage zur bisherigen Höchstbezugsdauer bzw. zur Vollendung des zwölften Lebensjahres aufgehoben.
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Die Ehe des Klägers mit der Kindsmutter wurde im Juni 2018 geschieden.
6
Bei den Behördenakten befindet sich eine Übersetzung einer afghanischen Heiratsurkunde, aus der sich als Datum einer Eheschließung des Klägers der 23. September 2018 ergibt.
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Die neue Ehefrau des Klägers reiste mit Visum vom 4. Januar 2021 zum Familiennachzug am 8. Januar 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und zog zum Kläger.
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Im Rahmen der jährlichen Überprüfung stellte die Beklagte im März 2021 fest, dass der Kläger verheiratet ist.
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Mit Schreiben vom 2. März 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz möglicherweise zu Unrecht gewährt worden seien, da er geheiratet habe und seine Ehefrau im Januar 2021 zu ihm gezogen sei. Die Leistung werde bis zur abschließenden Klärung eingestellt. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und um Vorlage der Heiratsurkunde gebeten.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19. November 2021, zugestellt am 30. November 2021, verpflichtete die Beklagte den Kläger, für den Zeitraum vom 24. September 2018 bis zum 31. März 2021 Schadenersatz in Höhe von 6.482,00 EUR zu leisten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ab der Eheschließung die Voraussetzungen des § 1 UVG nicht mehr vorgelegen hätten. Die Tatsache, dass sich die Ehefrau des Klägers lediglich aus aufenthaltsrechtlichen Gründen nicht im Bundesgebiet aufgehalten habe, führe nicht dazu, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen dennoch erfüllt seien.
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Mit Bescheid vom 3. Dezember 2021 wurde der Bewilligungsbescheid vom 28. September 2016 in der Fassung des Schreibens vom 20. September 2017 ab 1. April 2021 aufgehoben. In den Gründen wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung nicht mehr vorlägen, da der Kläger geheiratet habe.
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Die Widerspruchsbehörde wies den am 27. Dezember 2021 eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. November 2021 mit Bescheid vom 15. März 2022, zugestellt am 16. März 2022, zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe den Sachverhalt der Eheschließung verschwiegen. Er sei bereits bei der Antragstellung als auch im Bewilligungsbescheid vom 28. September 2016 auf seine Mitteilungsverpflichtung nach § 6 Abs. 4 UVG hingewiesen worden. Durch die Heirat am 23. September 2018 hätten sich die Anspruchsvoraussetzungen geändert. Dabei sei es unerheblich, ob der Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschließung nicht nach Deutschland habe einreisen können. Der Kläger sei daher nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG zum Ersatz der zu Unrecht erhaltenen Leistung verpflichtet.
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Am 19. April 2022 erhob der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag:
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Der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2021 in Form des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2022 wird aufgehoben. Der Anspruch auf Schadensersatz gemäß Bescheid vom 19. November 2021 wird abgewiesen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ehefrau des Klägers habe erst am 8. Januar 2021 einreisen können. § 1 Abs. 1 UVG, wonach ein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen nur für Elternteile bestehe, die ledig, verwitwet, geschieden oder dauernd getrennt leben, passe vom Sinn des Gesetzes her nicht auf den vorliegenden Fall. Für den Kläger und seine Tochter habe sich durch die Wiederheirat keinerlei Vorteil ergeben. Das Finanzamt habe den Antrag auf Steuerklassenänderung wegen Eheschließung abgelehnt, da die Frau keinen Wohnsitz in Deutschland habe. § 1 Abs. 2 UVG sei entsprechend anzuwenden. Eine Ersatz- und Rückzahlungsverpflichtung gemäß § 5 UVG sei auch deshalb nicht gegeben, weil der Kläger es nicht vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen habe, die UVG-Stelle von seiner Wiederverheiratung zu unterrichten. Es sei für den Kläger nicht erkennbar gewesen, dass er auch ohne zeitnah umsetzbare Möglichkeit, im Inland zusammen zu leben, mitteilungspflichtig gewesen sei. Zudem wurde Prozesskostenhilfe beantragt.
16
Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2022 beantragte die Beklagte,
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Sie führte aus, es habe kein Getrenntleben i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG vorgelegen. Der Wortlaut des § 1 UVG verweise ausdrücklich auf § 1567 BGB. Demnach leben Ehegatten nur dann voneinander getrennt, wenn keine häusliche Gemeinschaft mehr bestehe und zumindest ein Ehegatte die häusliche Gemeinschaft nicht herstellen wolle, weil er sie ablehne. Der Kläger und seine Frau hätten nicht getrennt gelebt, weil es an einem Trennungswillen der Ehefrau gefehlt habe. Für eine Analogie zu § 1 Abs. 2 UVG fehle es schon an der planwidrigen Regelungslücke und die genannten Ausnahmetatbestände seien abschließend und eng auszulegen. Auf seine Verpflichtung, der Unterhaltstelle sämtliche Änderungen mitzuteilen, die für die Unterhaltsleistung von Bedeutung seien, sei der Kläger hingewiesen worden.
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Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2022 überreichte die Klägerbevollmächtigte die Steuerbescheide des Klägers für die Jahre 2018 und 2019 und wies darauf hin, dass dem Antrag des Klägers auf Zusammenveranlagung mit seiner in Afghanistan lebenden Frau nicht entsprochen worden sei, weil diese erst ab 2021 in Deutschland gemeldet gewesen sei. Steuerlich sei die Heirat also nicht beachtet worden. Nun solle der Kläger nach dem UVG so behandelt werden, als habe seine Frau mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Die Sachlage entspreche genau dem Fall des ungewollten Getrenntlebens nach § 1 Abs. 2 UVG. Außerdem sei der Kläger zwar auf seine Meldepflicht bzgl. einer Wiederverheiratung hingewiesen worden. Es sei jedoch schon für einen deutschsprachigen Leistungsempfänger kaum verständlich, dass das Zusammenleben mit einem neuen Ehegatten zu einem Wegfall der Leistungen für ein Kind, dem gegenüber der neue Ehegatte gar nicht unterhaltspflichtig sei, führe. Erst recht gelte dies, wenn der Leistungsempfänger die deutsche Sprache nicht beherrsche und aus ausländerrechtlichen Gründen lange Zeit nicht mit dem neuen Ehegatten zusammenleben könne.
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Mit Beschluss vom 13. Oktober 2022 lehnte das Gericht den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Dieser Beschluss wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Dezember 2022 (12 C 22.2410) aufgehoben, dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und die Klägerbevollmächtigte beigeordnet.
21
Die Beklagte verzichtete am 13. Dezember 2023, die Klägerseite am 14. Dezember 2023 auf mündliche Verhandlung.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
23
Über den Rechtsstreit konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
24
Die zulässige Klage ist zum größten Teil begründet. Der mit Bescheid vom 19. November 2021 geltend gemachte Erstattungsanspruch gegenüber dem Kläger ist, soweit er den Zeitraum zwischen 24. September 2018 und 7. Januar 2021 betrifft, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich des Zeitraums vom 8. Januar bis 31. März 2021 ist der Erstattungsanspruch hingegen begründet, so dass die Klage insoweit abzuweisen war.
25
Der Klageantrag war nach § 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen, dass mit ihm ausschließlich eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 19. November 2021 erhoben werden sollte. Die weitere Klageformulierung auf Abweisung des Schadenersatzanspruchs stellt sich sachgerecht hierzu ausschließlich als ergänzende Erläuterung dar. Denn die damit beantragte „Abweisung“ des Anspruchs der Beklagten auf Schadensersatz widerspricht bereits der Stellung der Prozessparteien im vorliegenden Verfahren.
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Die Beklagte stützt die geltend gemachte Ersatzpflicht im streitgegenständlichen Bescheid vom 19. November 2021 auf § 5 Abs. 1 UVG. § 5 Abs. 1 UVG normiert eine eigenständige Ersatzpflicht des Elternteils des Berechtigten (vgl. Conradis, UVG, 2. Aufl. 2013, § 5 Rn. 3). Nach § 5 Abs. 1 UVG hat, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben, der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, oder der gesetzliche Vertreter des Berechtigten den geleisteten Betrag insoweit zu ersetzen, als er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen hat oder gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren.
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Die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung für die Tochter T. waren im Zeitraum vom 24. September 2018 bis 7. Januar 2021 gegeben, so dass den Kläger keine Ersatzpflicht trifft.
28
Anspruchsvoraussetzung für die Zahlung von Unterhaltsvorschussleistungen ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG, dass der Anspruchsberechtigte – das Kind – im Geltungsbereich des UVG bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt.
29
Zwar hat der Kläger am 23. September 2021 rechtswirksam eine neue Ehe geschlossen. Er lebte jedoch von seiner neuen Ehefrau bis zum 7. Januar 2021 im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG getrennt.
30
1) Anhaltspunkte dafür, dass die Ehe des Klägers mit seiner neuen Ehefrau nicht wirksam geschlossen wurde, liegen nicht vor.
31
Eine im Ausland geschlossene Ehe wird im Inland grundsätzlich als wirksam angesehen, wenn sie nach dem Ortsrecht formal wirksam zustande gekommen ist und die jeweiligen Eheschließungsvoraussetzungen nach dem jeweiligen Heimatrecht der Verlobten vorlagen, Art. 11 und 13 Abs. 1 EGBGB. Sie bedarf keiner irgendwie gearteten förmlichen Anerkennung oder Registrierung im deutschen Rechtsbereich (vgl. Kriewald in: BeckOGK, BGB, Stand: 1.10.2021, § 1303 Rn. 53; DIJuF-Rechtsgutachten v. 30.12.2020, JAmt 2021, 453, 454).
32
Nach afghanischem Recht erfordert eine wirksame Ehe im Wesentlichen die freiwillige Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen durch die Ehegatten oder (rechtliche) Vertreter. Hierfür ist grundsätzlich gleichzeitige Anwesenheit erforderlich, doch die Ehe kann unter Beachtung bestimmter Regeln auch in Abwesenheit geschlossen werden. Die Ehegatten müssen ehefähig sein, insbesondere 18 Jahre alt oder mindestens 16 Jahre mit Einverständnis ihres rechtlichen Vertreters. Außerdem ist die Anwesenheit von zwei Zeugen erforderlich. Diese sollten mindestens 18 Jahre und geschäftsfähig sein. Außerdem bestehen Anforderungen an deren Religionszugehörigkeit. Permanente Ehehindernisse (Blutsverwandtschaft, Verwandtschaft, außerehelicher Geschlechtsverkehr, „Milchverwandtschaft“) dürfen nicht gegeben sein. Auch temporäre Ehehindernisse (besondere Anforderungen an das Verwandtschaftsverhältnis der Frauen bei Heirat einer weiteren Frau, beabsichtigte Wiederheirat nach dreimaliger Zurückweisung der Frau, beabsichtigte Heirat während der Wartezeit nach Tod, Annullierung, Trennung oder Scheidung von früherem Ehegatten, bestimmte Anforderungen an die Religionszugehörigkeit) dürfen nicht vorliegen (vgl. zu den materiellen Anforderungen insgesamt Tehrani/Yassari (Max Planck Institut), Manual on Family Law in Afghanistan, Juli 2012, S. 28 ff.).
33
In Afghanistan werden traditionelle, vor einem Geistlichen geschlossene Ehen als gültig angesehen und haben vor dem Gesetz und der Scharia volle Rechtswirkung. Diese Art der Eheschließung wird als Ehevertrag betrachtet und erfolgt durch die Ernennung eines Anwalts/Vertreters durch die Frau in allen Fällen und manchmal durch die Ernennung eines Anwalts/Vertreters des Mannes, manchmal auch direkt durch ihn. Wenn eine der Parteien nicht im Land ist, erfolgt dies über Skype-Anruf oder durch einen Anwalt/Vertreter. Eine solche Verabredung wird von zwei Zeugen bezeugt. Wird für offizielle Angelegenheiten eine Heiratsurkunde benötigt, wird das gleiche Verfahren erneut vor Gericht durchgeführt. Dieses Verfahren erfordert die Anwesenheit sowohl des Mannes als auch der Frau. Wenn einer von ihnen nicht anwesend ist oder sich im Ausland befindet, ist eine ordnungsgemäß legalisierte und beglaubigte Vollmacht erforderlich, um einen Anwalt/Vertreter zu bestellen, der die Vereinbarung ausführt und die Heiratsurkunde abwickelt (vgl. hierzu insgesamt Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Afghanistan – Rechtskraft Ehe, Wien, 21. Oktober 2020).
34
Auch unter Berücksichtigung der von dem Berufungsgericht geforderten Amtsermittlung insoweit (BayVGH, B.v. 23.12.2022 – 12 C 22.2410 – juris Rn. 27) liegen Anhaltspunkte dafür, dass die am 23. September 2021 geschlossene Ehe des Klägers in rechtlicher Sicht an formellen oder materiellen Fehlern leiden würde, nicht vor und wurden im Übrigen auch von keiner Seite geltend gemacht. Die Heiratsurkunde ist vom zuständigen Gericht ausgestellt, enthält alle notwendigen Angaben, insbesondere zu den Zeugen und der anwaltlichen Vertretung des Klägers (zumindest im Rahmen der gerichtlichen Registrierung der Ehe). Am Vorliegen der Wirksamkeit der übereinstimmenden Eheschließungserklärungen besteht kein Zweifel. Mangels jeglicher Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ehehindernisses ist die Amtsermittlungspflicht auch diesbezüglich nicht ausgelöst (vgl. Schübel-Pfister, in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 35 m.w.N.).
35
2) Die Beklagte hat die rechtsgültige Ehe auch zu Recht ohne Beurkundung gemäß § 34 Abs. 1 PStG als in Deutschland rechtsgültig behandelt.
36
Zwar gibt es in Deutschland beim Standesamt geführte Heiratseinträge, jedoch besteht keine gesetzliche Verpflichtung, Eheschließungen im Ausland in Form der sog. Nachbeurkundung eintragen zu lassen (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten 30.12.2000, JAmt 2021, 453, 454). Jede mit der Gültigkeit der ausländischen Ehe als Vorfrage für andere Rechtsverhältnisse befasste Stelle muss die Voraussetzungen der Anerkennung eigenständig prüfen (ebd.). Im Ausland geschlossene Ehen können vor inländischen Behörden und Gerichten durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen anerkannt werden. Nachweis wird u.a. durch eine Urkunde erbracht (Mörsdorf in Hau/Poseck, BeckOK BGB, 67. Edition Stand: 1.5.2023, Art. 13 EGBGB Rn. 88). Gründe, die Ehe im vorliegenden UVG-Verfahren nicht anzuerkennen sind daher weder ersichtlich, noch vorgetragen.
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Es erscheint auch nicht als unbillig, die Eheschließung als wirksam anzusehen.
38
Zwar hat das Berufungsgericht im Beschluss vom 23. Dezember 2022 die Frage aufgeworfen, ob der Behandlung des Klägers als seit dem 23. September 2018 verheiratet der Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) entgegensteht, weil das deutsche Recht positive Rechtsfolgen aus einer im Ausland geschlossenen Ehe an die Beurkundung der Eheschließung im Eheregister nach §§ 34, 54 PStG knüpft, sodass systemgerecht auch negative Rechtsfolgen – wie der Verlust von Unterhaltsvorschussleistungen infolge einer Wiederverheiratung – an eine entsprechende Beurkundung der Eheschließung im Eheregister zu knüpfen wären (BayVGH, B.v. 23.12.2022 – 12 C 22.2410 – juris Rn. 28). Dieser Überlegung kann das Gericht jedoch nicht folgen. Zwar mag die steuerrechtliche Behandlung des Klägers – wie die Bevollmächtigte vorträgt – als verheiratet abgelehnt worden sein, dem entgegen wurde die Eheschließung jedoch von der Ausländerbehörde als wirksam angesehen und der Ehefrau dementsprechend ein Visum zum Familiennachzug erteilt. Hierin zeigt sich, dass die Anerkennung der Eheschließung – wie oben ausgeführt – durch die einzelnen Behörden (ob rechtmäßig oder nicht) unterschiedlich erfolgte, nicht jedoch davon ausgegangen werden kann, dass eine positive Rechtsfolge zwingend an die Eintragung im Eheregister anknüpft. Vielmehr kommt der Eintragung ins Eheregister gemäß § 54 PStG zwar ein positiver, nicht jedoch ein abschießender Beweiswert zu. Ein Bedürfnis für eine einschränkende Auslegung – entgegen der gesetzlichen Regelung – aus Gründen der Systemgerechtigkeit sieht das Gericht daher nicht.
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3) Der Kläger als Elternteil, bei dem T. lebte, ist jedoch bis zum Zeitpunkt des Nachzugs seiner Ehefrau ins Bundesgebiet am 8. Januar 2021 als von dieser dauernd getrenntlebend im Sinne des § 1 Abs. 1 UVG anzusehen. Das Gericht folgt insoweit der neuersten Rechtsprechung des Berufungsgerichts (s.o.).
40
Der Gesetzgeber hat durch Art. 5 des 2. Familienförderungsgesetzes vom 16.8.2001 (BGBl. I, 2074) für das Getrenntleben eine Definition in § 1 Abs. 2 UVG aufgenommen. Demnach gilt als ein Elternteil, bei dem das Kind lebt, als dauernd getrennt lebend, wenn im Verhältnis zum Ehegatten oder Lebenspartner ein Getrenntleben i.S.v. § 1567 BGB vorliegt oder wenn sein Ehegatte oder Lebenspartner wegen Krankheit oder Behinderung oder auf Grund gerichtlicher Anordnung für voraussichtlich wenigstens sechs Monate in einer Anstalt untergebracht ist. Gemäß § 1567 BGB liegt ein Getrenntleben vor, wenn zwischen den Ehegatten keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt.
41
Die Literatur und der wohl überwiegende Teil der Rechtsprechung gehen davon aus, dass mit dieser Gesetzesänderung vor allem ausgeschlossen werden sollte, dass unfreiwilliges Getrenntleben, insbesondere bei Ehegatten, von denen ein Ehegatte als Ausländer nicht einreisen darf, zu einem Leistungsanspruch führen kann, wie es die Rechtsprechung vor der Gesetzesänderung überwiegend angenommen hatte (vgl. Koppenfels-Spies, in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Aufl. 2023, § 1 UVG Rn. 7; Schreier in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. Stand: 17.10.2023, § 1 UVG Rn. 47; Conradis, UVG, 2. Aufl. 2013 § 1 Rn. 9; Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 1 Rn. 54 m.w.N.; OVG NW, U.v. 3.8.2020 – 12 E 517/20 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 25.4.2002 – 12 B 01.2987 – juris Rn. 16 und U.v. 26.5.2003 – 12 B 03.43 – juris Rn. 20; NdsOVG, B.v. 11.11.2003 – 12 LA 400/03 – juris Rn. 8 ff. und B.v. 15.12.2022 – 14 PA 359/22 – juris Rn. 5 f.; VGH BW, U.v. 2.1.2006 – 7 S 468/03 – juris Rn. 36 ff. und vom 27.6.2005 – 7 S 1032/02 – juris Rn. 31 ff.). Dies könne der Gesetzesbegründung entnommen werden, in der es heißt: „In der Rechtsprechung wurde verschiedentlich die Auffassung vertreten, dass im Unterhaltsvorschussrecht ein anderer Begriff des dauernden Getrenntlebens als im Bürgerlichen Gesetzbuch gelte. Die Vorschrift stellt daher klar, dass die Definition des Bürgerlichen Gesetzbuches maßgebend und lediglich durch die in Absatz 2 ausdrücklich genannten Fallgestaltungen erweitert wird“ (vgl. BT-Drucks. 14/6160, S. 15). Ausländerrechtliche Hindernisse am Zusammenleben im Bundesgebiet würden nach dieser Ansicht auch keinen Ausnahmefall i.S.v. § 1 Abs. 2 UVG darstellen. Eine erweiternde Auslegung der Vorschrift oder deren analoge Anwendung auf Fälle ausländerrechtlicher Zuzugsbeschränkungen, in denen die Eheleute faktisch an einer Herstellung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft über einen längeren Zeitraum gehindert sind, komme angesichts des nach der Gesetzesänderung eindeutigen Wortlautes der Vorschrift und der oben dargelegten Gesetzesbegründung nicht in Betracht (vgl. BayVGH, U.v. 26.5.2003 – 12 B 03.43 – juris Rn. 20 ff.; VGH BW, U.v. 2.1.2006 – 7 S 468/03 – juris Rn. 42 f.; NdsOVG, B.v. 11.11.2003 – 12 LA 400/03 – juris Rn. 15 ff.; OVG NW, B.v. 23.1.2008 – 16 E 271/07 – juris Rn. 11).
42
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat jedoch nunmehr in seiner Entscheidung vom 23. Dezember 2022 (12 C 22.2410 – juris Rn. 29 ff.) seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben und festgestellt, dass ein dauerhaftes Getrenntleben von Ehegatten im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG auch dann angenommen werden könne, wenn es darauf beruht, dass der Ehegatte des Elternteils, bei dem das Kind lebt, sich im Ausland aufhält und aufgrund ausländerrechtlicher Hindernisse nicht ins Bundesgebiet einreisen könne.
43
Zur Begründung führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hierzu Folgendes aus:
44
„Sollte der Gesetzgeber mit der Einfügung von § 1 Abs. 2 UVG beabsichtigt haben, das „dauernde Getrenntleben“ der Ehegatten abgesehen von den ausdrücklich genannten Ausnahmen, ausschließlich auf Konstellationen nach § 1567 BGB zu beschränken, so erwiese sich diese Absicht jedenfalls mit dem gewählten Regelungskonzept der gesetzlichen Fiktion als nicht realisiert (vgl. hierzu auch die Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes in der ab 1.1.2022 geltenden Fassung, die die Regelung des § 1 Abs. 2 UVG sub.1.4.1 lediglich als „gesetzliche Vermutung“ begreifen). Denn anders als bei Formulierungen wie „dauerndes Getrenntleben liegt nur vor, wenn …“ oder „als dauernd getrenntlebend gilt nur, wer …“ ergibt sich aus dem aktuellen Normtext des § 1 Abs. 2 UVG gerade nicht, dass sich die Fiktion des dauernden Getrenntlebens im Sinne von § 1567 BGB für das Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG als abschließend erweisen soll. Sie lässt gesetzessystematisch vielmehr Raum auch für andere Arten des „dauernden Getrenntlebens“ von Ehegatten und erweist sich daher auch vor dem Hintergrund von Ziff. 1.4.1 d. UVG-Richtlinie zu § 1 Abs. 2 UVG i.V.m. § 1567 BGB als „tatbestandsoffene“, jederzeit widerlegbare „gesetzliche Vermutung“.
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Der Staat spricht nur im Gesetz selbst, nicht aber in den Äußerungen der an der Entstehung des Gesetzes Beteiligten (siehe hierzu grundlegend BVerfG, B.v. 17.05.1960 – 2 BvL 11/59 u.a. –, BVerfGE 11, 126 – juris, Rn. 16 m.w.N.). Die Gesetzesmaterialien, insbesondere die regelmäßig von der Ministerialbürokratie erstellten Gesetzesbegründungen, dürfen deshalb entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen. Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung eines Gesetzes stets nur insoweit berücksichtigt werden, als er im Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfGE 11, 126 – juris, Rn. 18 m.w.N.).
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An einem solchen, auf eine abschließende Regelungswirkung gerichteten, hinreichend bestimmten Ausdruck der in § 1 Abs. 2 UVG getroffenen gesetzlichen Anordnungen fehlt es im vorliegenden Fall. Der Wille des Gesetzgebers ist stets nur der im Gesetz selbst objektivierte Wille (BVerfGE 11, 126 – juris, Rn. 16 u. 20). Infolgedessen hätte sich der Gesetzgeber nicht lediglich in der Begründung des Gesetzes, sondern vielmehr im Gesetz selbst um eine abschließende Regelung bemühen müssen. Folgerichtig geht deshalb auch die UVG-Richtlinie in Ziff. 1.4.1 lediglich von einer im Lichte des Gesetzeszwecks jederzeit widerlegbaren und damit gerade nicht als abschließend zu betrachtenden gesetzlichen Vermutung in § 1 Abs. 2 UVG aus, die den Grundtatbestand des dauernden Getrenntlebens in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nur normativ beschreibt, nicht aber abschließend regelt. Die in § 1 Abs. 2 UVG getroffene Anordnung, „gilt als dauernd getrennt lebend“, besitzt damit lediglich den Charakter eines – nicht abschließenden – Regelbeispiels…
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Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes, gerade Alleinerziehende aufgrund ihrer Belastungssituation durch Leistung eines Unterhaltsvorschusses besonders zu privilegieren. Im Hinblick auf die Anspruchsschädlichkeit der Wiederverheiratung hat der Senat unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungs- und des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2020 – 12 ZB 18.1572 – juris, Rn. 11 ff.), dass der Leistungsausschluss bei Wiederheirat deshalb gerechtfertigt ist, weil sich in diesem Fall „zwar nicht die unterhaltsrechtliche, wohl aber die faktische Gesamtlage verbessere. Das Kind sei nunmehr in eine vollständige Familie eingebettet und nehme im Allgemeinen auch an deren sozialem Stand teil.“ (BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvL 13/00 –, BVerfGK 3, 22). Dass eine derartige Situation des Eingebettetseins in eine Familie und der Teilhabe an deren sozialem Stand im Falle des Klägers nach seiner Heirat vorgelegen hat, nimmt das Verwaltungsgericht selbst nicht an.
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Auch macht es aus der Sicht des anspruchsberechtigten Kindes im Lichte der Gewährleistungen des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Unterschied, ob der oder die Partner/in eines alleinerziehenden Elternteils die Herstellung der Lebensgemeinschaft dauerhaft ablehnt oder aufgrund aufenthaltsrechtlicher Umstände für längere Zeit gehindert ist, diese im Inland herzustellen. Dieser Umstand bildet im Hinblick auf den bereits dargelegten Schutzzweck des Unterhaltsvorschussgesetzes keinen Gesichtspunkt von so erheblichem Gewicht, dass er eine auch nur mittelbare personale Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Auch deshalb kann § 1 Abs. 2 UVG i.V.m. § 1567 BGB – soll eine gleichheits- und damit zugleich auch verfassungswidrige Rechtsanwendung vermieden werden – nicht in dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Sinne ausgelegt und angewandt werden. Art. 3 Abs. 1 GG kommt im Falle eines (gleichheitswidrigen) Ausschlusses von einer Begünstigung selbst dann zum Tragen, wenn (anders als im vorliegenden Fall) ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung nicht besteht (vgl. insoweit Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 3 Rn. 14, 21, 26 u. 28 a.E. jeweils m.w.N.).
49
Die Situation des Klägers war während der Abwesenheit der Ehefrau keine andere als die eines Alleinerziehenden, bei dem der andere Elternteil keinen Unterhalt leistet. Sie unterscheidet sich daher auch in keiner Weise von der Lage eines Alleinerziehenden, dessen Ehegatte wegen Krankheit oder Behinderung oder aufgrund gerichtlicher Anordnung für voraussichtlich wenigstens 6 Monate in einer Anstalt untergebracht ist. Dass die räumliche Trennung des Klägers und seiner (neuen) Ehefrau über einen Zeitraum von mehr als 2 ¼ Jahren hinweg das Kriterium eines „dauernden“ Getrenntlebens im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG erfüllt, bedarf vor dem Hintergrund der in § 1 Abs. 2 2. Alt. UVG zugrunde gelegten Zeitspanne von 6 Monaten keiner weiteren Erörterung. Mithin haben bis zur Einreise der Ehefrau des Klägers ins Bundesgebiet die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 UVG für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss für das Kind T. weiterhin vorgelegen, sodass insoweit die Geltendmachung einer Ersatzforderung nach § 5 Abs. 1 UVG bereits alleine deshalb ausscheidet.“
50
Das Gericht schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an und folgt der aus der Literatur erhobenen Kritik an dieser Argumentation nicht.
51
Soweit diese damit argumentiert, dass es in der vorliegenden Konstellation nicht darauf ankomme, ob § 1 Abs. 2 UVG abschließend sei, da der Fall des Getrenntlebens aufgrund ausländerrechtlicher Hindernisse von § 1 Abs. 2 UVG i.V.m. § 1567 BGB erfasst sei, eben in der Weise, dass § 1567 BGB mangels Trennungswillens nicht erfüllt sei (so Schreier, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. Stand: 17.10.2023, § 1 UVG Rn. 47.2), verkennt dieser Ansatz, dass § 1567 BGB den Fall des Getrenntlebens aufgrund ausländerrechtlicher Hindernisse gar nicht im Blick hat, sondern sich nur auf die Fälle der gescheiterten Ehe bezieht. Gerade die Fälle der ausländerrechtlichen Hindernisse am Zusammenleben sind somit vom Gesetzestext des § 1567 BGB nicht erfasst, können nach der zustimmungswürdigen Argumentation des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aber unter den nicht abschließenden Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 2 UVG gefasst werden.
52
Die weitere Kritik, dass der gesetzgeberische Wille dahin, dass die Definition des § 1567 BGB maßgebend sei und nur durch die in § 1 Abs. 2 UVG genannten Fallgestaltungen erweitert werden solle, sehr wohl im Gesetz hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden habe, da auch die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung erlaubt und neben der Wortlautauslegung anzuwenden seien (vgl. ebd.; Engel-Boland, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 70. Edition Stand: 1.9.2023, § 1 UVG Rn. 20a), ist ebenfalls abzulehnen. Zwar sind nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung tatsächlich alle Auslegungsarten erlaubt und ergänzen sich diese gegenseitig, allerdings verweist der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu Recht darauf, dass der Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung des Gesetzes nur insoweit berücksichtigt werden könne, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden habe, was vorliegend nicht der Fall ist (a.a.O. – juris Rn. 32).
53
Das Argument, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der ständigen Rechtsprechung, die das dauernde Getrenntleben aufgrund ausländerrechtlicher Hindernisse nicht unter § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG fasst, keine Korrektur des Gesetzes durchgeführt habe (vgl. Schlegel/Voelzke, a.a.O.) kann letztlich bereits mangels Substantiierung nicht überzeugen.
54
Das vorliegende Getrenntleben aufgrund ausländerrechtlicher Hindernisse ist nach alledem als dauerndes Getrenntleben i.S.v. § 1 Abs. 2 UVG anzusehen.
55
Da somit die Voraussetzungen für die Leistung des Unterhaltsvorschusses im streitgegenständlichen Zeitraum vom 24. September 2018 bis 7. Januar 2021 vorlagen, besteht keine Erstattungspflicht und war der Klage insoweit stattzugeben.
56
Bezüglich des restlichen Zeitraums, d.h. vom 8. Januar 2021 bis 31. März 2021, ist die Klage jedoch abzuweisen, da der Kläger mit seiner neuen Ehefrau zusammenlebte und die übrigen Voraussetzungen für eine Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG erfüllt sind.
57
Der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, hat den geleisteten Betrag nach § 5 Abs. 1 UVG insoweit zu ersetzen als er (1.) die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen hat oder (2.) gewusst oder in Folge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt hat.
58
Der Kläger hat die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt, dass er nach der Eheschließung am 23. September 2018 und nach der Einreise der Ehefrau am 8. Januar 2021 eine Anzeige nach § 6 UVG unterlassen hat. Gemäß § 6 Abs. 4 UVG war er verpflichtet, der zuständigen Stelle die Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Der Kläger hatte anlässlich der Antragstellung und der regelmäßigen Abfragen Erklärungen zu seinem Familienstand angegeben. Der Familienstand ist auch nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG für die Leistung erheblich. Der Berechtigte ist unabhängig von regelmäßigen Abfragen von sich aus gehalten, entsprechende Mitteilungen zu mach (Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 12). Auch wenn ein Verschuldensgrad für die Anzeige nach § 6 UVG hier nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass wenigstens Fahrlässigkeit notwendig ist (SächsOVG, B.v. 3.9.2018 – 5 A 305/16 – Rn. 14; Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 12), die gemäß § 276 BGB vorliegt, wenn die übliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde. Dabei kann einerseits nicht verlangt werden, dass Einzelheiten der gesetzlichen Grundlagen bekannt sein müssen, zum anderen wird man aber verlangen können, dass die Verpflichtungen, die sich aus einem ausgehändigten Merkblatt ergeben, eingehalten werden (Conradis, UVG, 2. Aufl. 2013, § 5 Rn. 5). Wenn eine entsprechende Aufklärung stattgefunden hat, liegt in aller Regel wenigstens Fahrlässigkeit vor, wenn insoweit fehlerhafte Angaben gemacht oder Anzeigen unterlassen worden sind (Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 22).
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Der Kläger hat in Bezug auf den Zeitraum 8. Januar 2021 bis 31. März 2021 die übliche Sorgfalt außer Acht gelassen. Er wurde bei der Antragstellung darauf hingewiesen, dass kein Anspruch besteht, wenn er verheiratet ist oder in einer Lebenspartnerschaft lebt oder von seinem Ehegatten/Lebenspartner nicht dauernd getrennt lebt, auch wenn der Partner nicht der andere Elternteil des Kindes ist. Im Bewilligungsbescheid vom 28. September 2016 wurde der Kläger ausdrücklich darüber belehrt, dass er gemäß § 6 Abs. 4 UVG verpflichtet sei, sämtliche Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, insbesondere (…) wenn der Kläger heirate oder mit dem anderen Elternteil zusammenziehe, eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehe (…). Diesen Hinweis konnte der Kläger auch nicht nur dahin verstehen, dass er mitteilen müsse, wenn er seine frühere Ehefrau nach einer Scheidung erneut heirate oder mit ihr zusammenziehe (vgl. BayVGH, B.v. 23.12.2022 – 12 C 22.2310 – juris Rn. 44). Der Hinweis richtet sich klar auf alle Fälle der Heirat und nicht nur auf den Fall der Heirat des anderen Elternteils. Außerdem richtet sich die Belehrung ausdrücklich auf „sämtliche Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind“ und damit auch auf den Familienstand. Auf die Pflicht zur Mitteilung einer Heirat wurde der Kläger nochmals in den Überprüfungsfragebögen hingewiesen.
60
Dem Kläger war es zwar nicht zuzumuten, die oben dargestellte Rechtslage zur Frage, ob bei ausländerrechtlichen Einreisehindernissen ein Getrenntleben i.S.d. UVG vorliegt, zu kennen. Ihm konnte aber abverlangt werden, vor dem Hintergrund der dargestellten Hinweise zu erkennen, dass eine Heirat dann, wenn auch ein Zusammenleben mit dem neuen Ehegatten stattfindet, relevant und damit mitteilungspflichtig ist. Eine solche Mitteilung hat der Kläger zumindest fahrlässig unterlassen.
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Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, dass der Kläger nicht in der Lage war, die Mitteilungspflicht an die Beklagte über seine Eheschließung und das Zusammenleben mit seiner neuen Frau zu verstehen. Insbesondere möglicherweise bestehende sprachliche Schwierigkeiten können ihn nicht von seiner Sorgfaltsobliegenheit entbinden, sich bei der Unterhaltsvorschussstelle zu erkundigen, ob die Änderung dieser Umstände Folgen für die Unterhaltsvorschussleistung hat.
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Die Beklagte hat demnach den Kläger insoweit rechtmäßig zur Erstattung der Leistungen vom 8. Januar bis 31. März 2021 in Höhe von 643,61 EUR verpflichtet.
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Der Klage war somit im Ergebnis überwiegend stattzugeben und der Bescheid vom 19. November 2021 aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da der Kläger nur zu einem geringen Teil unterlegen ist
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Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 188 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.
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Die Berufung war aufgrund grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Denn das Gericht folgt vorliegend der geänderten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, zur Frage, ob ein dauerndes Getrenntleben i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UVG vorliegt, solange der Ehegatte des Elternteils aufgrund ausländerrechtlicher Hindernisse nicht einreisen darf. Dies ist durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bisher noch nicht in einem Hauptsacheverfahren entschieden worden.
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Zudem war alternativ auf Grund der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Sprungrevision zuzulassen.