Inhalt

VG München, Urteil v. 18.07.2023 – M 13 K 22.5935
Titel:

Entbindung vom Feuerwehrdienst, keine fehlende charakterliche oder psychische Eignung

Normenkette:
BayFwG Art. 6 Abs. 4 S. 1
Schlagworte:
Entbindung vom Feuerwehrdienst, keine fehlende charakterliche oder psychische Eignung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38413

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. 
II. Die Entbindung des Klägers vom Feuerwehrdienst wird aufgehoben.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen seine Entbindung vom Feuerwehrdienst.
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Der Kläger ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt … Nach einem Personalgespräch am 19. September 2022 wurde der Kläger zunächst bis März 2023 vom Feuerwehrdienst und von den Aktivitäten des Feuerwehrvereins freigestellt. Er dürfe nicht an Einsätzen und Übungen teilnehmen, ebenso wenig dürfe er an Vereinsaktivitäten teilnehmen oder das Feuerwehrhaus betreten. Im Raum standen die unterschiedlichsten Vorwürfe, etwa Mobbing- und Stalking-Vorwürfe, Eigenmächtigkeiten, zum Teil nur angedeutet, Mißverständnisse und dergleichen. Im zeitlichen Verlauf waren vom Kläger angehende psychosomatische Beschwerden geäußert worden, die auf diverse soziale Konflikte zurückzuführen seien. Auf eine Darstellung der gegenseitigen Vorwürfe soll an dieser Stelle verzichtet werden. Das Gericht nimmt hierbei Bezug auf die Schriftsätze im laufenden Verfahren. Auch eine zwischenzeitlich erfolgte Suspendierung des Vaters des Klägers, der an leitender Position innerhalb der Freiwilligen Feuerwehr … engagiert war, wurde aktenkundig.
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Mit Schreiben vom 10. März 2023 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass eine Überprüfung der Eignung zum Feuerwehrdienst sowohl unter dem Gesichtspunkt etwaiger gesundheitlicher Einschränkungen als auch im Hinblick auf eine notwendige Zuverlässigkeit notwendig sei. In gesundheitlicher Sicht bestünden Bedenken, ob der Kläger im Hinblick auf seine psychosomatischen Beschwerden feuerwehrdiensttauglich sei. Erst nach Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens sowie der Widerrufs- und Unterlassungserklärungen werde man über die Eignung und damit über die Wiederzulassung zum Feuerwehrdienst entscheiden.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24. November 2022 wandte sich der Kläger gegen die Freistellung vom Feuerwehrdienst und beantragte zuletzt,
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Die Freistellung des Klägers vom Feuerwehrdienst für die Freiwillige Feuerwehr … für den Zeitraum ab 19. September 2022 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger im Rahmen des Feuerwehrdienstes für die Freiwillige Feuerwehr … weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragte
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Klageabweisung.
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Über die Streitsache wurde am 18. Juli 2023 mündlich verhandelt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Eine eigene Behördenakte der Freiwilligen Feuerwehr … existiert hierzu nicht. Weiterhin wird Bezug genommen auf den Inhalt eines nach Antragsrücknahme eingestellten Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, Az. M 13 E 23.1926.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, und im zuletzt aufrechterhaltenen Umfang auch begründet. Die Freistellung des Klägers vom Feuerwehrdienst für die Freiwillige Feuerwehr … erweist sich als rechtswidrig und beeinträchtigt den Kläger in eigenen Rechten.
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Die mit Schriftsatz vom 24. November 2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 25. November 2022, erhobene Klage gegen die mündlich verfügte Entbindung des Klägers vom Feuerwehrdienst (hierzu Protokoll eines Personalgesprächs vom 19. September 2022) ist in Ermangelung einer Rechtsmittelbelehrung und Erhebung innerhalb eines Jahres fristgerecht erhoben worden, § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
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Auf der materiellen Ebene ist im vorliegenden Verfahren nach Auslegung der zugrundeliegenden Schriftsätze und nach ausdrücklicher Übereinkunft der Parteien, vgl. Sitzungsniederschrift vom 18. Juli 2023, die Frage im Streit, ob der Kläger nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Feuerwehrgesetz (BayFwG) vom Feuerwehrdienst zu entbinden ist, weil er die Eignung für den Feuerwehrdienst ganz oder teilweise verloren hat.
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Insofern ist die Klage begründet, da sich die Entbindung vom Feuerwehrdienst in diesem Sinne als rechtswidrig erweist und den Kläger in eigenen Rechten verletzt.
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Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG stellt auf den nachträglichen Verlust der Eignung für den Feuerwehrdienst ab und knüpft damit – gleichsam als actus contrarius – an den für die Aufnahme in den Feuerwehrdienst maßgeblichen Eignungsbegriff im Sinn des Art. 6 Abs. 2 und 3 BayFwG an. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayFwG können „alle geeigneten Personen“ Feuerwehrdienst leisten. Bei der Entscheidung über die Aufnahme hat der Feuerwehrkommandant gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayFwG die Eignung des Bewerbers zu berücksichtigen, zu deren Nachweis er nach Art. 6 Abs. 3 Satz 3 BayFwG ein ärztliches Gutachten verlangen kann. Bei dem Kriterium der Eignung handelt es sich, um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Forster/Pemler/Remmele, Bayerisches Feuerwehrgesetz, Stand 43. Ergänzungslieferung 2018, Art. 6 Rn. 21). Er umfasst, wie § 8 AVBayFwG zeigt, verschiedene Aspekte in der Gestalt der körperlichen, geistig-seelischen und charakterlichen Eignung, zu der auch die in § 8 Satz 1 AVBayFwG gesondert erwähnte Zuverlässigkeit für den Feuerwehrdienst gehört (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2011 – 4 ZB 11.726 – juris Rn. 10; Schulz, PdK, Art. 6 BayFwG Nr. 3.1.3.). Die Unzuverlässigkeit kann sich aus verschiedenen (vor- bzw. außerdienstlichen) Umständen und Verfehlungen ergeben (vgl. Forster/Pemler/Remmele a.a.O. Rn. 23), die nach Schwere, Häufigkeit und Bedeutung in ihrer Gesamtschau eine solche Schwelle erreichen, dass sie die Nicht-Aufnahme des Bewerbers in den Feuerwehrdienst bzw. spiegelbildlich dazu seine zwingende Entbindung vom Ehrenamt rechtfertigen. Bei einer bereits in den Feuerwehrdienst aufgenommenen Person kann auch ein im Dienst gezeigtes (Fehl-) Verhalten die Eignung nachträglich in Frage stellen. Reichen die entsprechenden Anhaltspunkte nicht aus, um den Betreffenden als von vornherein ungeeignet erscheinen zu lassen, so scheidet jedenfalls eine Entbindung nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG aus (hierzu BayVGH, B.v. 13.09.2018, 4 ZB 17.1387, Rn. 12).
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Der unbestimmte Rechtsbegriff der Eignung für den Feuerwehrdienst ist in § 8 Satz 1 AVBayFwG dahingehend umschrieben, dass in die FFW nur körperlich und geistig geeignete Bewerber mit der für den Feuerwehrdienst erforderlichen Zuverlässigkeit aufgenommen werden dürfen. Unzuverlässig ist derjenige, dessen Verhalten zu Zweifeln Anlass gibt, dass sich seine Kameraden auch in zugespitzten Gefahrensituationen auf ihn verlassen können (Forster/Pemler/Remmele a.a.O., Art. 6 Rn 23; VG Ansbach, B. v. 18. November 2010 – AN 5 K 09.02431 – juris Rn 20; hierzu VG München, U.v. 13.08.2014, M 7 K 12.5982).
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Daran gemessen hat der Kläger die Eignung für den Feuerwehrdienst weder ganz noch teilweise verloren.
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Das Gericht kann nach Inaugenscheinnahme des im Verfahren vorgelegten Schriftwechsels, der neben Schriftsätzen im Wesentlichen aus ausgedruckter Whats-app-Kommunikation besteht, sowie aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung, in welcher sich das Gericht vom Kläger persönlich einen Eindruck verschaffen konnte, keinen Grund erkennen, weswegen der Kläger für den Feuerwehrdienst ganz oder teilweise ungeeignet sein sollte. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus zwingend, dass die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayFwG nicht gegeben sind. Anhaltspunkte für eine fehlende körperliche Eignung sind nicht erkennbar und wurden auch nicht vorgetragen. Die Beklagtenseite war darüber hinaus nicht in der Lage darzutun, weshalb der Kläger aus geistig-seelischen Gründen, etwa einer geistigen Behinderung oder etwa einer neurologischen oder insbesondere psychiatrischen Erkrankung, ganz oder teilweise nicht in der Lage sein sollte, den Feuerwehrdienst zu verrichten. Es liegen dem Gericht keinerlei medizinische Unterlagen vor, die diese Befürchtung auch nur im Ansatz tragen könnten. Anhaltspunkte für eine charakterliche Nichteignung sind ebenfalls nicht erkennbar. So hat sich der Kläger in der Vergangenheit nicht ersichtlich eines schweren Fehlverhaltens schuldig gemacht. Der Kläger leidet nicht an einer Suchterkrankung, ist nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen in seinem Leben bislang nicht straffällig geworden, und es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, weswegen der Kläger etwa erpressbar sein könnte. Im Gerichtsverfahren zu Tage getretene Missstimmigkeiten zwischen den Parteien bewegen sich aus Sicht des Gerichts vielmehr auf einer persönlichen Ebene, die eher den unterschiedlichen aufeinandertreffenden Charaktereigenschaften der beteiligten Personen bei einer spezifischen Gruppendynamik geschuldet sind. Sie sind mit dem rechtsdogmatischen Begriff der Eignung im Sinne des Feuerwehrrechts schwer bis nicht zu erfassen und werfen vielmehr die Frage auf, ob das zwischenmenschliche Klima noch einmal soweit wiederhergestellt werden kann, dass sich beide Parteien eine Zukunft des Klägers bei der Freiwilligen Feuerwehr … vorstellen können. Dies entzieht sich jedoch einer juristischen Bewertung. Dass eine Reihe von Führungskräften, wie dies der Zeuge D* … ausgeführt hat, starke Bedenken geäußert haben, mit dem Kläger weiterhin Einsätze zu fahren, reicht für sich allein nicht für eine Annahme fehlender Eignung des Klägers aus. Auch kann es dem Kläger nicht negativ angerechnet werden, dass er sich gegen seine Entbindung vom Feuerwehrdienst gerichtlich zur Wehr gesetzt hat; dies ist sein gutes Recht als Staatsbürger. Konkrete Punkte, weswegen dem Kläger die Eignung für den Feuerwehrdienst fehlen sollte, hat auch Zeuge D* … nicht dargelegt. Vielmehr lassen seine Äußerungen den Schluss zu, und dies hat er auch so festgestellt, dass die einstweilige Suspendierung des Klägers auch dazu dienen sollte, „dass sich allseits die Gemüter wieder beruhigen“. Darüber hinaus hat Zeuge D* … auch aufgezeigt, dass verlorengegangenes Vertrauen grundsätzlich auch wieder aufgebaut werden könne.
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Das Gericht hat den Kläger als engagierten und intelligenten jungen Mann kennengelernt, der sich durch gesellschaftliches Engagement in die Gemeinschaft einbringen möchte. Dies kann in einer Zeit, in der die Feuerwehren mit massiven Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben, wie das Gericht aus einer Vielzahl anhängiger Verfahren weiß, nicht hoch genug geschätzt werden. Die Beklagtenseite konnte dem Gericht nicht plausibel darlegen, weswegen der Kläger keine Feuerwehreinsätze fahren können sollte. Bei bestehenden Meinungsverschiedenheiten und charakterlichen Inkompatibilitäten wird es vielmehr Aufgabe der hierfür besonders ausgebildeten und geeigneten Führungskräfte innerhalb der Freiwilligen Feuerwehr … sein, den Kläger, der erst am Beginn seines Erwachsenlebens steht, hierbei einzubinden und zu unterstützen. Im Gegensatz zur Beklagten zweifelt das Gericht nicht daran, dass aus dem Kläger ein wertvolles Mitglied bei den Freiwilligen Feuerwehren oder auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens werden kann. Eine Basis für die Entbindung des Klägers vom Feuerwehrdienst wegen fehlender Eignung kann das Gericht jedenfalls nicht erkennen.
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Soweit die Klage im Hauptantrag zurückgenommen wurde, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
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Die Kostentragungspflicht der Parteien ergibt sich aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 ff. ZPO.