Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.11.2023 – M 11 K 23.4569
Titel:

Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache, Nachbarklage, vorprozessuales Verschulden, unterbliebene Nachbarbeteiligung, fehlerhafte Tenorierung eines Bescheids als „Aufstockungsvorhaben“, obwohl nach der genehmigten Eingabeplanung keine solches genehmigt wurde

Normenketten:
VwGO § 161 Abs. 2
VwGO § 155 Abs. 4
BayBO Art. 66 Abs. 1 S. 1
Schlagworte:
Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache, Nachbarklage, vorprozessuales Verschulden, unterbliebene Nachbarbeteiligung, fehlerhafte Tenorierung eines Bescheids als „Aufstockungsvorhaben“, obwohl nach der genehmigten Eingabeplanung keine solches genehmigt wurde
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38411

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin erhob am 18. September 2023 durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen eine dem Beigeladenen mit Bescheid vom 3. August 2023 erteilte Baugenehmigung für ein Bauvorhaben betreffend die Doppelhaushälfte auf der Fl.Nr. … der Gemarkung … Ausweislich des Tenors des Bescheids (Ziff. I) wurde die Genehmigung „zur Aufstockung“ der bestehenden Doppelhaushälfte entsprechend der genehmigten Bauvorlagen erteilt. Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen vorgetragen, die Klage sei zulässig und auch begründet, da sich die genehmigte Aufstockung des Doppelhauses gegenüber der Klägerin als rücksichtslos erweise.
2
Mit Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 8. November 2023 wurde die Klage für erledigt erklärt. Hierzu wurde vorgetragen, dass die Tochter der Klägerin erst am 26. September 2023 von dem Beigeladenen darüber informiert worden sei, dass die bauaufsichtlich genehmigte und angefochtene Aufstockung seiner Doppelhaushälfte nicht mehr zur Ausführung komme und stattdessen nach entsprechender Intervention der hiesigen Bauaufsichtsbehörde lediglich der Einbau von 2 Dachgauben in die bestehende Doppelhaushälfte geplant sei. Diese nachträgliche Umplanung sei von der unteren Bauaufsichtsbehörde mit beigefügten E-Mails vom 10. und 18. Oktober 2023 bestätigt worden. Die beantragte Aufhebung der Baugenehmigung sei somit nicht mehr weiterzuverfolgen, da der diesbezügliche Rechtsanspruch der Klägerin nachträglich entfallen sei. Der Beklagte stimmte der Erledigung am 16. November 2023 ohne weitere inhaltliche Äußerung zu. Der Beigeladene hat sich im Verfahren inhaltlich nicht geäußert und auch keine Anträge gestellt.
3
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im zugehörigen Eilverfahren M 11 SN 23.4570 Bezug genommen.
II.
4
1. Da die Klägerin und der Beklagte den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen. Eine Zustimmung des Beigeladenen bedarf es demgegenüber nicht (vgl. Eyermann, VwGO, § 66, Rn. 5).
5
2. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Wesentliches Element der Kostenentscheidung ist dabei eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Zeitpunkt seiner Erledigung, wobei nach dem Willen des Gesetzgebers allein im Hinblick auf die zu treffende Kostenentscheidung weder schwierige Rechtsfragen zu klären, noch der Sachverhalt weiter aufzuklären ist (vgl. BVerwG, B.v. 17.10.2012 – 2 C 11/12 – juris).
6
Billigem Ermessen entspricht es im vorliegenden Fall, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.
7
2.1 Zwar liegen dem Gericht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keine Behördenakten vor, anhand der von Klägerseite im Rahmen der Klageerhebung vorgelegten Unterlagen ist jedoch anzunehmen, dass die Klage aufgrund des Versands der Nachbarausfertigung des Bescheids an eine veraltete Meldeadresse der Klägerin wohl nicht verfristet und daher zulässig war. Die Klage war allerdings von Anfang an unbegründet, da sich die Klägerin allein gegen eine vermeintlich genehmigte Aufstockung der Doppelhaushälfte des Beigeladenen wendet, obwohl ein solches Vorhaben – ausweislich der von Klägerseite in Zusammenhang mit der Erledigterklärung vorgelegten Unterlagen (vgl. E-Mail der unteren Bauaufsichtsbehörde, Anlage K 9) – nicht Inhalt des angefochtenen Bescheids vom 3. August 2023 war. Anders als von der Klagepartei im Rahmen der Erledigterklärung behauptet, stellt sich der Sachverhalt vielmehr so dar, dass bereits die Bauaufsichtsbehörde Bedenken gegen die ursprünglich beantragte Aufstockung der Doppelhaushälfte äußerte, woraufhin der Beigeladene seine Planung abänderte. Allein die geänderte Planung (ohne Aufstockung) war demnach Inhalt der angefochtenen Baugenehmigung vom 3. August 2023 – mag auch die Tenorierung des Bescheids für sich genommen objektiv fehlerhaft sein (dazu sogleich). Allein durch eine Falschbezeichnung des genehmigten Vorhabens wird die Klägerin indes nicht in ihren subjektiven Nachbarrechten verletzt. Dass der tatsächliche Genehmigungsinhalt in der Gesamtschau des Bescheids mit den genehmigten Bauvorlagen für die Klagepartei nicht erkennbar gewesen wäre, ist weder ersichtlich noch vorgetragen, sodass sich auch unter dem Aspekt einer nachbarrechtsrelevanten Unbestimmtheit des Bescheids nichts anderes ergibt.
8
2.2 Im Rahmen der Billigkeit ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass das Missverständnis der Klägerin maßgeblich auf der objektiv fehlerhaften Tenorierung des Bescheids beruhte. Der Umstand, dass ausweislich der vorgelegten Mitteilung des Bauherrn (Anlage K7) keine Nachbarbeteiligung erfolgte, wirkt sich demgegenüber nicht entscheidungserheblich aus, weshalb eine anteilige Kostentragung (auch) des Beigeladenen in der vorliegenden Konstellation nicht gerechtfertigt erscheint.
9
Klarzustellen bleibt zunächst, dass es sich bei der Vorlagepflicht nach Art. 66 BayBO nicht um bloße Formalien handelt, sondern um eine zuvorderst dem Bauherrn obliegende Voraussetzung dafür, dass Nachbarn ihre Rechte und schutzwürdigen öffentlich-rechtlichen Interessen angemessen wahrnehmen können. Die Vorlagepflicht ist gesetzlich zwingend und soll es den Nachbarn gerade ermöglichen, von einem Vorhaben so Kenntnis zu nehmen, dass sie dessen Auswirkungen auf ihr Grundstück erkennen und beurteilen können sowie ggf. dazu Stellung nehmen oder etwaig für erforderlich gehaltene rechtliche Schritte einleiten können (vgl. zum Ganzen: Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 66, Rn. 112, 118 und 123). Auch wenn sich allein aus der formell fehlerhaften Nachbarbeteiligung eine materielle Fehlerhaftigkeit des Bescheids nicht ableiten lässt (ständige Rspr., vgl. etwa BayVGH, B.v. 12.7.2010 – 14 CS 10.327), kann daraus ein vorprozessuales Verschulden des Bauherrn abzuleiten sein, welches eine Kostenbeteiligung der im Verfahren beigeladenen Bauherrenseite zu rechtfertigen vermag (vgl. dazu §§ 155 Abs. 4, 154 Abs. 3 VwGO).
10
Letztlich kausal für die Klageerhebung ist vorliegend allerdings (allein) der Tenorierungsfehler des Beklagten geworden, weil durch die Nachbarausfertigung des Bescheids (ohne Übersendung der genehmigten Bauvorlagen) objektiv der Eindruck der Genehmigung eines Aufstockungsvorhabens erweckt wurde. Denn angesichts der vorgenommenen Tenorierung des Bescheids erschiene im Rahmen der zu treffenden Billigkeitsentscheidung eine Nachbarklage zur Fristwahrung und Ausräumung etwaiger Missverständnisse selbst dann nachvollziehbar, wenn zuvor eine Nachbarbeteiligung erfolgt wäre. Ein Nachbar, dem eine Planung betreffend den Einbau zweier Gauben und ggf. kleinerer Anbauten vorgelegt wurde, muss nicht ohne Weiteres annehmen, dass die ihm vorgelegte Eingabeplanung inhaltlich deckungsgleich ist mit dem Inhalt einer bauaufsichtlichen Genehmigung, welche „zur Aufstockung“ des betreffenden Gebäudes erteilt wird.
11
Schließlich entspricht es der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
12
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.