Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen Tekturgenehmigung zur Nutzungsänderung eines Ladens in Gastronomie
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BayBO Art. 2 Abs. 4 Nr. 8, Art. 34, Art. 59, Art. 60
Leitsätze:
1. Aus der Wahl der falschen Verfahrensart selbst folgt jedoch noch keine Verletzung von Rechten Drittbetroffener; diese können insoweit lediglich beanspruchen, dass ihnen daraus keine Beeinträchtigung ihrer materiellen Rechtsposition erwächst. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Baugenehmigung muss hinreichend bestimmt sein, was erfordert, dass die im Bescheid getroffenen Regelungen für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sind; auch Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarantrag gegen Baugenehmigung, Bestimmtheit der Baugenehmigung, Rücksichtnahmegebot, Nachbarklage, Bauplanungsrecht, Bauordnungsrecht, Nutzungsänderung, Baugenehmigung, Bestimmtheit, vereinfachtes Genehmigungsverfahren, Gaststätte, Sonderbau, Betriebsbeschreibung, Öffnungszeiten, TA Lärm, Geräusche, Beurteilungspegel
Fundstelle:
BeckRS 2023, 3840
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über eine der Beigeladenen erteilte Tekturgenehmigung vom 11. März 2019 zur Nutzungsänderung eines Ladens in Gastronomie auf dem Grundstück FlNr. 123 Gem. …
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Am ... April 2019 haben die Kläger als Miteigentümer des Grundstücks FlNr. 128 Gem. … gegen diesen Bescheid Klage erhoben und beantragen,
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1. Der Beigeladene soll verpflichtet werden, den Kanal so herzustellen und die Bauschäden zu beseitigen, sodass ihr Kanal ohne Probleme abläuft.
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2. Die Umnutzung in ein Lokal soll untersagt werden. Die Emissionen sind erheblich und werden unsere Mieter belästigen.
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3. Die Beklagte soll dazu verpflichtet werden, die erteilte Baugenehmigung zu widerrufen.
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Mit dem selben Schreiben haben die Kläger zudem Eilrechtsschutz (M 1 SN 19.1557) gesucht. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 2. Juni 2019 im Hinblick auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt.
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Vom der weiteren Darstellung des Tatbestands wird abgesehen. Diesbezüglich wird Bezug genommen auf die Darstellung des Sachverhalts in der Entscheidung im Eilverfahren (Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 2. Juni 2019, M 1 SN 19.1557), die den Beteiligten bekannt ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie die beigezogene Akte im Verfahren M 1 SN 19.1548 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die trotz Ausbleiben der Kläger verhandelt und entschieden werden konnte, worauf diese bei der Ladung hingewiesen wurden, § 102 Abs. 2 VwGO, hat keinen Erfolg.
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Die Anträge der nicht anwaltlich vertretenen Kläger sind gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Aufhebung der streitgegenständlichen Tekturgenehmigung im Wege der Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO sowie die Verpflichtung der Beklagten auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber der Beigeladenen wegen Wiederherstellung des ursprünglichen Kanalzustands im Wege der Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO begehrt wird.
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1. Die Tekturgenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in nachbarschützenden Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22).
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1.1 Die laut Nr. I. des Bescheids vorgenommene Genehmigung des Bauvorhabens im vereinfachten Genehmigungsverfahren gem. Art. 59 BayBO führt nicht zu einer Verletzung der Kläger in nachbarschützenden Rechten.
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Bei der Gaststätte handelt es sich aufgrund der Anzahl von 64 Gastplätzen um einen Sonderbau im Sinne von Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 BayBO. Richtiges Baugenehmigungsverfahren ist bei einem Sonderbau das Verfahren nach Art. 60 BayBO und nicht das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO. Aus der Wahl der falschen Verfahrensart selbst folgt jedoch noch keine Verletzung von Rechten Drittbetroffener; diese können insoweit lediglich beanspruchen, dass ihnen daraus keine Beeinträchtigung ihrer materiellen Rechtsposition erwächst (BayVGH, B.v. 7.5.2002 – 26 CS 01.2795 – juris Rn. 8). Eine etwaige Genehmigungserteilung im vereinfachten Verfahren führt somit nicht zu einer Verletzung der Kläger in einem drittschützenden Recht. Die Frage, ob der Prüfungsmaßstab überhaupt beschränkt wurde, oder ob die Tenorierung unter Nummer I. lediglich versehentlich fehlerhaft erfolgte, wofür z.B. die Ausführungen in Nr. V.1. sowie die Gründe des Bescheids sprechen, kann daher offenbleiben. Zudem hat die Beklagte insoweit mit Bescheid vom 23. April 2019 für eine Korrektur und Klarstellung gesorgt.
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1.2 Die Baugenehmigung ist hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, was erfordert, dass die im Bescheid getroffenen Regelungen für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sind (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden können und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7). Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich dabei nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen konkretisiert wird.
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Die Baugenehmigung vom 11. März 2019 ist hinreichend bestimmt. Die Baugenehmigung trifft zwar selbst keine Aussage zu den Öffnungszeiten der Gaststätte; diese können jedoch der Betriebsbeschreibung entnommen werden, die als Teil der Bauvorlagen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 Nr. 3, § 9 Satz 1 BauVorlV) am 7. Juni 2018 bei der Beklagten eingereicht wurde. Die Betriebsbeschreibung ist auch trotz des fehlenden Genehmigungsvermerks im konkreten Fall für die Auslegung der Baugenehmigung maßgebend, weil nach den Behördenakten kein Zweifel daran besteht, dass sie Bestandteil der Baugenehmigung werden sollte. Dafür spricht, dass es sich bei der Betriebsbeschreibung um die einzige zum zweiten Änderungsantrag eingereichte Betriebsbeschreibung handelt und ihre Zugehörigkeit zu dem Bauvorhaben dadurch dokumentiert wurde, dass die Beklagte dort – wie auf den ausgefüllten Bauantragsformularen (vgl. Seite 188 und 193 der Behördenakte – BA) – das Aktenzeichen des Bauantrags 199/18 vermerkt hat (vgl. Seite 174 BA). Es besteht daher kein Zweifel, dass die Baugenehmigung nach Maßgabe dieser den Bauantrag konkretisierenden Bauvorlage erteilt werden sollte und erteilt worden ist. Letzteres bestätigt auch der Wortlaut in Nr. I. der Baugenehmigung, in dem es dort heißt, das Bauvorhaben werde nach Maßgabe des Bauantrags vom 9. Mai 2018 Nummer …-S genehmigt. Der fehlende Genehmigungsvermerk führt somit nicht zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung.
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1.3 Die Baugenehmigung verstößt auch nicht gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO.
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Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einen angemessenen Interessenausgleich im Nachbarschaftsverhältnis zu gewährleisten. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich dabei an der Frage auszurichten, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger Rücksicht braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – NVwZ 2005, 328, juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 4; B.v. 1.12.2008 – 15 CS 08.2546 – juris Rn. 12; VG Augsburg, U.v. 17.7.2013 – Au 4 K 13.229 – juris Rn. 87). Treffen verschiedenartige Nutzungen aufeinander und treten hierbei Immissionskonflikte auf, so ist für die Beurteilung der Zumutbarkeit auf die Begriffsbestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes zurückzugreifen, in denen das Rücksichtnahmegebot ebenso eine spezielle gesetzliche Ausprägung erfahren hat wie in § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB oder in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Der Zumutbarkeitsbegriff im Bauplanungsrecht deckt sich insoweit mit dem des Immissionsschutzrechts in § 3 Abs. 1 BImSchG, wonach Immissionen dann unzumutbar sind, wenn sie nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Was einem Nachbarn im konkreten Einzelfall an Immissionen durch Geräusche zugemutet werden kann, bemisst sich dabei nach der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesimmissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm) vom 26. August 1998 (GMBl Nr. 26/1998 S. 503) (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris Rn. 15). 29).
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In Auflage Nummer IV.6. der Baugenehmigung ist festgelegt, dass der Beurteilungspegel der Geräusche, die von allen Emittenten der Gaststätte ausgehen, die gegenüber der TA-Lärm um 10 dB(A) reduzierten Immissionsrichtwerte von tagsüber 50 dB(A) und nachts 35 dB(A) nicht überschreiten darf. Die Baugenehmigung ordnet somit niedrigere als in Nummer 6.1. Satz 1 Buchst. d) TA-Lärm für ein Mischgebiet vorgesehene Immissionsrichtwerte an. Es ist grundsätzlich auch zulässig, den Lärmschutz durch zielorientierte Festlegungen zu regeln und dem Emittenten lediglich aufzugeben, die näher bestimmten Immissionsrichtwerte beim Betrieb der Anlage einzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 26; U.v. 16.10.2013 – 15 ZB 12.1808 – juris Rn. 15). In einem solchen Fall muss jedoch gewährleistet sein, dass die Immissionsrichtwerte im regelmäßigen Betrieb eingehalten werden können (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 26; B.v. 15.11.2001 – 14 AS 11.2328 – juris Rn. 31). Vorliegend ist nicht ersichtlich, weshalb die Werte nicht eingehalten werden können. Die Kläger haben im Hinblick auf die Emissionen nur pauschal vorgetragen, dass diese erheblich seien und ihre Mieter belästigten. Angaben dazu, welche Emissionen damit gemeint sind und weshalb diese unzumutbar sein sollen, wurden nicht gemacht. Ebensowenig haben sie dargelegt, weshalb die Gaststätte auf dem Grundstück FlNr. 123 zu einer stärkeren Belastung führen soll als die auf demselben Grundstück wie die Mieter gelegene Gaststätte. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf die Geräuschimmissionen zulasten der Kläger ist daher nicht gegeben.
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1.4 Schließlich ergibt sich weder aus der erteilten Abweichung von den Anforderungen des Art. 34 BayBO noch aus dem Verzicht auf die Prüfung der Standsicherheit oder hinsichtlich der Genehmigung gemäß § 10 Abs. 3 EWS eine Verletzung der klägerischen Rechte. Es handelt sich hierbei schon nicht um nachbarschützende Vorschriften. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb die Abweichung von Art. 34 BayBO den Klägern gegenüber hinsichtlich der im Rahmen der Abweichungsentscheidung zu würdigenden nachbarlichen Belange, Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO, rücksichtslos sein sollte. Auf die Ausführungen im Beschluss vom 2. Juni 2019 im Verfahren M 1 SN 19.1557 (s. dort Rnrn. 47ff.) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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2. Die Verpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO ist unzulässig; es mangelt bereits am Rechtsschutzbedürfnis, denn die Kläger haben schon keinen entsprechenden Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten bei der Beklagten gestellt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, den Klägern die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht aufzuerlegen, weil diese keinen Sachantrag gestellt hat und sich somit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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4. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 704 ff. ZPO.