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VG München, Gerichtsbescheid v. 04.09.2023 – M 11 K 21.32380
Titel:

Fehlerhafte Rücknahmefiktion

Normenkette:
AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. S. 1 Nr. 2, Abs. 4 (idF bis zum 31.12.2022)
Leitsatz:
Ist eine Belehrung über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens des Verfahrens nicht gegen Empfangsbestätigung erfolgt, ist die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG (idF bis zum 31.12.2022) in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen nicht eingetreten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl (Somalia);, nachgeborenes Kind;, Einstellung des Asylverfahrens aufgrund fingierter Antragsrücknahme gem. § 32 AsylG in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung wegen Untertauchens bzw. Nichterscheinens zum Anhörungstermin;, Änderung des Asylgesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2023;, „Verbrauch“ einer früheren ordnungsgemäßen Belehrung i.S.d. § 33 Abs. 4 AsylG;, keine„Empfangsbestätigung“ i.S.d. § 33 Abs. 4 AsylG bei formloser Übersendung eines Ladungsschreibens an den Bevollmächtigten des Antragstellers, Rücknahmefiktion, Belehrung, Entscheidungsalternativen, Nichtbetreiben, Empfangsbestätigung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38409

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. Oktober 2021 wird aufgehoben. 
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der am … Juli 2016 im Bundesgebiet geborene Kläger ist somalischer Staatsangehöriger und stellte, vertreten durch seine Eltern, am 2. November 2016 einen Asylantrag. Im Rahmen der Antragstellung bestätigten die Eltern des Klägers mit ihrer Unterschrift, die „WICHTIGE MITTEILUNG – Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise“ nebst Gesetzestext in den Sprachen Somali und Deutsch erhalten zu haben.
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In der Folge erließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) unter dem 2. März 2017 und dem 26. August 2019 gegenüber dem Kläger zwei sog. Drittstaatenbescheide (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), gegen welche der Kläger jeweils erfolgreich Rechtsmittel einlegte (Klage-/ Antragsverfahren M 11 K 17.34762 und M 11 S 17.34766 sowie M 3 K 19.51071). Ausweislich eines Aktenvermerks entschied das Bundesamt dem 29. Januar 2021, eine Entscheidung im nationalen Verfahren zu treffen.
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Die Eltern des Klägers wurden mit Schreiben des Bundesamts vom 19. März 2021 über den Klägerbevollmächtigten zu einem ersten Anhörungstermin am 26. April 2021 geladen. Dem Ladungsschreiben wurde das Formblatt „WICHTIGE MITTEILUNG – Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise“ (Stand 3.12.2020) nebst Gesetzesauszug sowie das Formblatt „wichtige Informationen zum Anhörungstermin für Asylbewerberinnen und Asylbewerber“ (Stand April 2017) beigefügt, wobei sich eine somalische Übersetzung offenbar nur auf das Formblatt vom April 2017 bezog. Das an den Bevollmächtigten des Klägers gerichtete Ladungsschreiben vom 19. März 2021 enthält folgenden Hinweis:
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„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. […].“
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Ein Versandvermerk/-nachweis ist in der Behördenakte nicht enthalten.
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Auf entsprechende Nachfrage des Bundesamts teilte die zuständige Ausländerbehörde dem Bundesamt am 31. März 2021 mit, dass sich der Kläger weiterhin unter der Adresse Am … 22 in … aufhalte.
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Mit Schreiben vom 15. April 2021 hob das Bundesamt den Termin vom 26. April 2021 auf.
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Die Eltern des Klägers wurden mit Schreiben des Bundesamts vom 1. September 2021 erneut über den Klägerbevollmächtigten zu einem Anhörungstermin am 15. September 2021 geladen, wobei das Schreiben den gleichen Hinweis wie das Ladungsschreiben vom 19. März 2021 enthielt. Diesem Ladungsschreiben war lediglich das Formblatt „wichtige Informationen zum Anhörungstermin für Asylbewerberinnen und Asylbewerber“ (Stand April 2017) auf Deutsch und Somali beigefügt. Ein Versandvermerk/-nachweis ist in der Behördenakte wiederum nicht enthalten.
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Zum Termin am 15. September 2021 erschienen der Kläger und seine Eltern nicht.
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Mit Bescheid vom 12. Oktober 2021 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag des Klägers als zurückgenommen gelte und stellte das Asylverfahren ein. In den Gründen wurde ausgeführt, dass der Kläger nach Erkenntnissen des Bundesamts untergetaucht sei. Daher werde gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Es sei daher festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei (§ 32 AsylG). Eine Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten werde in dem Bescheid nicht getroffen. Es fehle hierfür das Rechtsschutzbedürfnis, nachdem sich der Ausländer derzeit nicht im Bundesgebiet befinde und eine Rückkehr in die Bundesrepublik nicht absehbar sei. Der Bescheid wurde der Klagepartei am 18. Oktober 2021 per Einschreiben zugestellt.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 2. November 2021 Klage erheben. Er beantragt,
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den Bescheid vom 12. Oktober 2021 aufzuheben,
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hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren des Klägers fortzuführen.
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Zur Klagebegründung wurde vorgetragen: In dem nach dem Urteil vom 31. August 2020 (M 3 K 19.51071) eingeleiteten neuen Verfahren seien die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 1. September 2021 zur Anhörung am 15. September 2021 geladen worden. Informationen darüber, ob die Eltern des Klägers den Termin wahrgenommen hätten, habe der Klägerbevollmächtigte nicht erhalten. Allerdings sei dem Klägerbevollmächtigten am 18. Oktober 2021 der Bescheid vom 12. Oktober 2021 zugestellt worden, wonach das Asylverfahren als zurückgenommen gelte mit der Begründung, dass der Kläger untergetaucht sei. Angaben dazu, was für die Annahme spreche, dass der Kläger untergetaucht sei, seien dem Bescheid nicht zu entnehmen. Die Einstellung des Asylverfahrens sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Nr. 2 AsylG lägen nicht vor. Es fehle bereits an einer ordnungsgemäßen Belehrung nebst Empfangsbestätigung gemäß § 33 Abs. 4 AsylG.
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Mit formblattmäßiger Erklärung vom 24. November 2021 beantragte das Bundesamt für die Beklagte,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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Mit Schreiben des Gerichts vom 24. August 2023 wurde die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands das wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.
I.
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Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
II.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylG erhoben.
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Gegen die auf § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG gestützte Einstellungsentscheidung des Bundesamts ist die Anfechtungsklage statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13 -juris). Die Möglichkeit des Wiederaufnahmeantrags nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG lässt das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht entfallen (ständ. Rspr., vgl. etwa VGH Mannheim, U.v. 23.1.2018 – A 9 S 350/17 – juris Rn. 20 m.w.N.; BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8; VG Bayreuth, GB v. 21.4.2023 – B 9 K 22.31171 – juris Rn. 15).
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Aufgrund des landesgesetzlichen Feiertags am Montag, den 1. November 2021 (Allerheiligen), endete die Klagefrist nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 188 Abs. 2 Alt. 1, 193 BGB vorliegend mit Ablauf des 2. Novembers 2021. Bei einem nicht bundeseinheitlichen Feiertag sind die Verhältnisse am Sitz des Gerichts maßgebend (vgl. Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 57, Rn. 8 m.w.N. zur Rspr.).
III.
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Die Klage ist auch begründet.
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Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. HS AsylG).
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Ein Asylantrag gilt nach § 33 Abs. 1 AsylG in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung (AsylG a.F.) als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Dies wird u.a. dann vermutet, wenn er untergetaucht ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG a.F. = n.F.) oder wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG a.F. = n.F.). Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG (a.F. = n.F.) ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen der Belehrung, tritt die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG a.F. nicht ein (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – juris Rn. 30). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
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1. Festzustellen ist zunächst, dass sich nach Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte für das im Bescheid angenommene Untertauchen des Klägers bzw. seiner Eltern i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ergeben. Die Anschrift des Klägers wurde im Rahmen der Erfassung des Asylantrags am 2. November 2016 korrekt aufgenommen und hat sich seitdem nicht geändert. Auf entsprechende Nachfrage des Bundesamts wurde die Adresse zudem noch am 31. März 2021 seitens der zuständigen Ausländerbehörde bestätigt. Warum das Bundesamt ausweislich eines Vermerks vom 29. März 2021 – trotz des erkannt fehlenden Eintrags eines Fortzugs nach unbekannt/ Fortzug in Ausland – davon ausging, dass für den Kläger keine Adresse eingetragen sei, lässt sich anhand der Behördenakte nicht nachvollziehen. Möglicherweise handelte es sich um einen Fehler bei der Datenübertragung nachdem im August 2019 die ursprünglich fehlerhaft aufgenommenen Personaldaten des Klägers (falscher Vorname) von Seiten des Bundesamts berichtigt worden waren.
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2. Dahinstehen kann, ob ein Auswechseln der Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Bescheids möglich wäre, da mangels entsprechender Belehrung gegen Empfangsbestätigung i.S.d. § 33 Abs. 4 AsylG auch die Voraussetzungen des vorliegend einzig in Betracht kommenden § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG (Nichterscheinen zur Anhörung) nicht vorliegen.
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2.1 Der Umstand, dass eine Belehrung nach Maßgabe der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Rechtslage erfolgte – mithin nicht über die seitdem geltenden Entscheidungsalternativen des Bundesamts informiert wurde – führt dabei nicht per se dazu, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. HS AsylG) allein deshalb bereits von einer inhaltlich unzureichenden Belehrung auszugehen wäre (so aber: VG Bayreuth, GB v. 21.4.2023 – B 9 K 22.31171 – juris Rn. 20). Zwar wurde in dem zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Gesetz keine Übergangsfrist normiert, sodass der Entscheidung des Gerichts die aktuell geltende Rechtslage zugrunde zu legen ist – mit der inhaltlich kaum nachvollziehbaren Folge, dass die Belehrung nunmehr quasi rückwirkend Anforderungen genügen muss, die unter Zugrundelegung der bisher geltenden Rechtslage seitens des BVerwG (U.v. 15.4.2019 – 1 C 46.18 – juris Rn. 31) als rechtsfehlerhaft moniert wurden. Es ist jedoch zu differenzieren: Lagen die Voraussetzungen des § 33 AsylG a.F. bis zum Ablauf des 31. Dezember 2022 tatsächlich vor, ist die gesetzliche Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG (a.F.) eingetreten und der – deklaratorische – Einstellungsbescheid des Bundesamts auf Grundlage des § 32 AsylG a.F. rechtmäßig erfolgt (so bereits: VG Berlin, B.v. 20.2.2023 – VG 5 L 83/23 A – juris; ebenso: Heusch in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2023, AsylG § 33, Rn. 2.1). Lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33 AslG a.F. hingegen nicht vor, ist auch die gesetzliche Rücknahmefiktion nicht eingetreten, sodass der Bescheid an der aktuell geltenden Rechtslage zu messen ist.
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2.2 Dies zugrunde gelegt, hat das Bundesamt den Kläger vorliegend nicht in Übereinstimmung mit § 33 Abs. 4 AsylG gegen Empfangsbestätigung über die Folgen des Nichtbetreibens des Asylverfahrens belehrt.
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(1) Soweit die Eltern des Klägers am 2. November 2016 mit ihrer Unterschrift bestätigten, die „WICHTIGE MITTEILUNG – Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise“ nebst Gesetzestext in den Sprachen Somali und Deutsch erhalten zu haben, wurden die Eltern des Klägers ursprünglich ordnungsgemäß belehrt. Offenbleiben kann, ob die ursprüngliche Belehrung schon allein aufgrund des weiteren Verfahrens als zwischenzeitlich „verbraucht“ anzusehen wäre, nachdem sich das Bundesamt erst nach wiederholten Drittstaatenbescheiden zu einem Eintritt in das nationale Verfahren entschied. Denn vorliegend hat das Bundesamt selbst eine erneute Belehrung des Klägers bzw. seiner Eltern im Rahmen der Terminladung zur Anhörung vorgenommen, sodass die ursprünglich ordnungsgemäße Belehrung dadurch relativiert bzw. überholt wurde (vgl. Heusch, a.a.O., Rn. 7 a.E; VG Karlsruhe U.v. 17.11.2016 – A 9 K 5380/16 – BeckRS 2016, 55735).
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(2) Ob die späteren, an den Bevollmächtigten des Klägers gerichteten Ladungsschreiben inhaltlich als ausreichende Belehrung angesehen werden können (vgl. zum Meinungsstand bei anwaltlicher Vertretung etwa Heusch, a.a.O., Rn. 7), braucht vorliegend nicht entschieden zu werden; dabei spricht einiges dafür, dass lediglich die Belehrung des letzten Ladungsschreibens vom 1. September 2021 maßgeblich sein dürfte, da die vorangegangene Belehrung (inkl. Formblätter) insoweit überholt sein dürfte.
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Denn jedenfalls fehlt es an der gemäß § 33 Abs. 4 AsylG (a.F. = n.F.) erforderlichen Empfangsbestätigung. Zwar verlangt § 34 Abs. 4 AsylG kein Empfangsbekenntnis, sodass insbesondere auch eine Postzustellungsurkunde, in der eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Zustellung nach § 3 VwZVG dokumentiert wird, als ausreichend anzusehen ist (vgl. ausführlich und überzeugend: VG Berlin, U.v. 2.2.2021 – VG 3 K 349/20.A – BeckRS 2021, 3092). Die teils vertretene Auffassung, wonach eine Empfangsbestätigung i.S.d. § 33 Abs. 4 AsylG auch in der Bestätigung des tatsächlichen Erhalts im Rahmen einer späteren Klageerhebung genügen soll (vgl. VG Gießen, U.v. 12.6.2020 – 6 K 8852/17.GI.A – BeckRS 2020, 19451, wobei dort zumindest Fax-Sendeberichte des Ladungsschreibens in der Behördenakte enthalten waren), erscheint dagegen als zu weitgehend. Durch ein solch weites Begriffsverständnis würde das vom Gesetzeswortlaut des § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich und kumulativ geforderte Formerfordernis letztlich unterlaufen. Gerade auch vor dem Hintergrund der weitreichenden Wirkung einer nach früherer Rechtslage kraft Gesetzes geltenden Rücknahmefiktion muss zudem unabhängig von einer späteren Klageerhebung und etwaigen Sachverhaltsschilderungen der Klagebegründung feststellbar sein, ob und wann die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33 Abs. 4 AsylG vorliegen und die gesetzliche Rücknahmefiktion somit eingetreten ist.
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(3) Eine ausreichende Belehrung gegen Empfangsbestätigung im Sinne des § 34 Abs. 4 AsylG liegt damit nicht vor, sodass die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 AsylG (a.F.) in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen nicht eingetreten und das Asylverfahren damit nicht rechtmäßig vor Ablauf des 31. Dezember 2022 gemäß § 32 Satz 1 AsylG (a.F.) eingestellt worden ist. In der Folge ist der Bescheid des Bundesamts an der seit dem 1. Januar 2023 geltenden Rechtslage zu messen (s.o.). Neben der fehlenden Empfangsbestätigung fehlt es im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt damit auch an einer inhaltlich ausreichenden Belehrung über die Entscheidungsmöglichkeiten des Bundesamts nach § 33 Abs. 1 AsylG (n.F.).
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IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.