Inhalt

VG München, Beschluss v. 19.10.2023 – M 10 S 23.51041
Titel:

Dublin-Verfahren (Zielstaat, Bulgarien), Abschiebungsanordnung, Gewalterfahrung durch bulgarische Polizei, Aufnahmebedingungen, Systemische Mängel (verneint)

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 Buchst. c
Schlagworte:
Dublin-Verfahren (Zielstaat, Bulgarien), Abschiebungsanordnung, Gewalterfahrung durch bulgarische Polizei, Aufnahmebedingungen, Systemische Mängel (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38407

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete Überstellung nach Bulgarien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
2
Der Antragsteller, nach eigenen Angaben ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am 6. September 2023 in das Bundesgebiet und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt durch behördliche Mitteilung vom 11. September 2023 schriftlich Kenntnis erlangt hat. Der förmliche Asylantrag datiert vom gleichen Tag.
3
Aufgrund der EURODAC-Ergebnismitteilung vom 7. September 2023, welche zwei Treffermeldungen der Kategorie 1 hinsichtlich Österreich und Bulgarien ergab („AT1[…]“ vom 3.9.2023 und „BG1[…]“ vom 7.6.2023), richtete die Antragsgegnerin am 8. September 2023 ein Wiederaufnahmegesuch an Bulgarien, welches von den dortigen Behörden am 13. September 2023 gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c VO (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) akzeptiert wurde.
4
Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrags am 20. September 2023 unter anderem angegeben, dass er in Bulgarien außerhalb des Camps von Polizisten geschlagen worden sei. Im Camp selbst sei alles unsauber gewesen. Es habe altes Brot und Haare im Essen gegeben. Die Behandlung im Camp sei grausam und unmenschlich gewesen.
5
Mit Bescheid vom 25. September 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab und verneinte das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich Bulgarien (Nrn. 1 und 2). Die Abschiebung nach Bulgarien wurde angeordnet (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 11 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
6
Der Antragsteller hat über seine Bevollmächtigte am 29. September 2023 Klage gegen den Bescheid vom 25. September 2023 erhoben. Des Weiteren beantragt er,
7
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 25. September 2023 anzuordnen.
8
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Rückführung nach Bulgarien im Dublin-Verfahren nach Aufnahmezusage gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO rechtswidrig sei. Die Mindeststandards der Aufnahmerichtlinie seien angesichts der katastrophalen Verhältnisse in den Aufnahmelagern nicht eingehalten. Die Unterbringung in den Aufnahmelagern sei nicht garantiert, sondern werde oftmals verweigert. Der Zugang zu einem garantierten Asylverfahren mit inhaltlicher Prüfung der Fluchtgründe entgegen Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO sei nicht gewährleistet. Nach gewährter Einsicht in die elektronische Behördenakte am 10. Oktober 2023 hat der Antragsteller sein Vorbringen mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 bekräftigt und vertieft sowie einen Kurzbericht eines ehrenamtlich Tätigen des J.-Flüchtlingsdienst Deutschland zur überstellungsrelevanten Lage in Bulgarien vorgelegt.
9
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2023,
10
den Antrag abzulehnen.
11
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 23.51040, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
13
Der zulässige Antrag nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
14
1. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
15
2. Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zu Lasten des Antragstellers aus. Nach summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung im streitgegenständlichen Bescheid als gering anzusehen. Die Abschiebungsanordnung erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, da die Asylanträge zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt worden sind.
16
a) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO ist Bulgarien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO zur Rückübernahme des Antragstellers verpflichtet. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wurden die Fristen für das Wiederaufnahmegesuch bzw. deren Beantwortung eingehalten (Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 1 bis Satz 3 Dublin III-VO).
17
b) Die Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylverfahrens des Antragstellers ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen.
18
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18 ff.; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41; grundlegend EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, „Abdullahi“ – NVwZ 2012, 417, Rn. 80 ff.). Dabei ist nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu berücksichtigen, dass der Begriff der systemischen Schwachstellen nicht notwendigerweise gesamtbezogen auf das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im Überstellungsstaat insgesamt zu verstehen ist, sondern auch Teilbereiche hiervon erfasst sein können, die mit individuellen Umständen des Asylbewerbers verknüpft sind (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 70 ff. = NVwZ 2017, 691 ff.). Demnach ist mittlerweile geklärt, dass auch die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK eine Überstellung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO unmöglich machen kann, selbst wenn diese Rechtsverletzung nicht die Konsequenz aus der Existenz systemischer Schwachstellen im zuständigen Mitgliedstaat ist (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 91). Erforderlich, aber auch ausreichend ist daher, wenn auf Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben dem Gericht Anhaltspunkte für Schwachstellen vorliegen, welche eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller betreffen. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist (auch) erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Bedürfnissen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen (BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C 297/17 „Ibrahim“ u.a. – juris Rn. 89 ff. und C-163/17, „Jawo“ – juris Rn. 91 ff.).
19
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dabei geklärt, dass der verwaltungsgerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) besonders dann verfassungsrechtliches Gewicht zukommt, wenn hinreichend substantiierte Behauptungen von Schutzsuchenden oder andere für das Verfahren relevante Erkenntnisse auf Umstände zielen, die, ihr Vorliegen unterstellt, für die Verwirklichung hochrangiger grundrechtlicher Gewährleistungen von ausschlaggebender Bedeutung sind. So kann im Einzelfall ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur umfassenden und hinreichend aktuellen Sachaufklärung und erschöpfenden Ausnutzung prozessualer Aufklärungsmöglichkeiten eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes begründen, wenn das Gericht eine im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt durchführbare Aufklärungsmaßnahme, die zudem eine Vielzahl von Fällen betrifft, unterlassen hat. Dies kann besonders dann der Fall sein, wenn nicht nur aussichtsreiche Aufklärungsmöglichkeiten seitens des Gerichts unterblieben sind, sondern dabei auch spezifische institutionalisierte Quellen, die den Gerichten gerade für die Aufklärung asylrechtlicher Sachverhalte aufbereitet und bereitgestellt werden, außer Acht gelassen werden (vgl. jüngst zum Ganzen: BVerfG, B.v. 2.8.2023 – 2 BvR 593/23 – juris Rn. 11).
20
Unter Umständen kann es deshalb ungeachtet des Prinzips der normativen Vergewisserung bzw. des gegenseitigen Vertrauens sowohl verfassungsrechtlich als auch europa- und konventionsrechtlich geboten sein, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor der Rückführung eines Asylsuchenden in einen anderen Staat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen. Soweit entsprechende Erkenntnisse und Zusicherungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht vorliegen und nicht eingeholt werden können, ist es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 16). Dies gilt jedenfalls in solchen Fällen, in denen die Auskunftslage im Eilverfahren nicht hinreichend eindeutig erscheint und eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren naheliegt (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14). Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Ablehnung des Antrags nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ungeachtet sich stellender komplexer Rechts- oder Tatsachenfragen im Hauptsacheverfahren die Rechtsweggarantie eines Antragstellers aus Art. 19 Abs. 4 GG in rechtlich unzulässiger Weise abschneiden kann (BVerfG, B.v. 20.11.2018 – 2 BvR 80/18 – juris Rn. 8, mit Verweis auf § 80 AsylG).
21
Gemessen an diesen rechtlichen Grundsätzen sieht das Gericht – auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben an die verwaltungsgerichtliche Sachaufklärungspflicht bei Dublin-Eilverfahren – keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Bestehen systemischer Mängel im bulgarischen Asylsystem oder in den dortigen Aufnahmebedingungen, aus denen die hinreichend konkrete Gefahr einer Verletzung der Rechte des Antragstellers aus Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK erwachsen könnte. Unter Berücksichtigung der in der Datenbank Asylfact eingestellten aktuellen Erkenntnismittel (vgl. zu dieser Pflicht: BVerfG, B.v. 2.8.2023 – 2 BvR 593/23 – juris Rn. 12 = ZAR 2023, 352, LS 5) teilt das Gericht die von der Bevollmächtigten vorgetragenen Einwände gegen eine Überstellung nach Bulgarien nicht und sieht auch keine offenen Erfolgsaussichten.
22
Soweit es um den generellen Zugang zu einer Unterkunft geht, sieht das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass dies Dublin-Rückkehrenden pauschal verwehrt würde. Nach der Ankunft am Flughafen in Sofia und nach Abschluss der Registrierung werden Rückkehrende in der Registrierungs- und Aufnahmeeinrichtung in Sofia untergebracht, was in der Regel einige Stunden dauert (vgl. European Union Agency for Asylum [EUAA] v. 20.4.2023, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Bulgaria, Rn. 1.1). Soweit der Antragsteller dem unter Vorlage des Kurzberichts des J.-Flüchtlingsdienst entgegensetzt, dass am 7. September 2023 ein anderer Dublin-Rückkehrer vom Direktor des Lagers in Sofia rausgeworfen worden und versucht worden sei, ihn zu schlagen, lässt sich dies anhand der Erkenntnismittellage zwar validieren (vgl. AIDA, Country Report Bulgaria, Update 2022 S. 72 f.). Gleichwohl lassen sich daraus nur begrenzt Rückschlüsse hinsichtlich der Frage des Bestehens eines systemischen Mangels ziehen. So lässt sich aus der Erkenntnismittellage entnehmen, dass derartige Zurückweisungen in der Praxis vor allem dann vorkommen, wenn ein Asylantrag in der zwischenzeitigen Abwesenheit des Betroffenen abgelehnt und das Verfahren nicht lediglich eingestellt wurde (vgl. AIDA, Country Report Bulgaria, Update 2022 S. 72 f.). Diese Deutung würde sich damit decken, dass Bulgarien bei Folgeantragstellern erklärtermaßen von der Möglichkeit nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. c RL 2013/33/EU (Aufnahme-RL) Gebrauch macht und diese von der Grundversorgung (Essen, Unterkunft, soziale Unterstützung) ausschließt (vgl. EUAA, a.a.O., Rn. 1.4). Sofern also eine Rückübernahmeverpflichtung Bulgariens nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO bestanden hat, mag die Prognose durchaus realistisch sein, dass kein Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung wird realisiert werden können. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, da die bulgarischen Behörden ihre Rückübernahmeverpflichtung ausdrücklich in Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO und nicht in Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO sehen. Im Übrigen besteht gegen eine Zurückweisung durch den Direktor der Aufnahmeeinrichtung die Möglichkeit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, wobei auch Prozesskostenhilfe beantragt werden kann (vgl. AIDA, a.a.O., S. 73).
23
Ebenso keinen systemischen Mangel legt der Antragsteller mit seinem Vortrag dar, dass die Aufnahmebedingungen in Bulgarien allgemein sehr schlecht seien. Auch wenn dies wohl teilweise zutrifft (vgl. AIDA, a.a.O., S. 76), wird damit jedenfalls nicht dargelegt, dass der Antragsteller nach einer Rückkehr nach Bulgarien bzw. nach Zugang zur Aufnahmeeinrichtung in Sofia seine elementaren menschlichen Bedürfnisse („Brot, Bett, Seife“) nicht mehr wird befriedigen können. Im Übrigen geht aus der Erkenntnismittellage jedenfalls nicht hervor, dass die Aufnahmebedingungen der Aufnahmeeinrichtung in Sofia so schlecht wären, dass das nach Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere tangiert wäre (vgl. im Ergebnis auch OVG NW, B.v. 25.5.2023 – 11 A 1257/22.A – juris Rn. 74).
24
Ein systemischer Mangel wird schließlich auch nicht mit dem Vortrag des Antragstellers zu der von ihm erfahrenen Gewalt durch bulgarische Polizeibeamte dargelegt. Hierbei handelt es sich um kriminelles Unrecht, hinsichtlich dessen es dem Antragsteller grundsätzlich zuzumuten ist, sich mit rechtstaatlichen Mitteln zur Wehr zu setzen. Derartige Schilderungen sind in der Rechtsprechung und in der Erkenntnismittellage hinsichtlich des Mitgliedstaats Bulgarien bereits bekannt (vgl. SFH v. 13.9.2022, Polizeigewalt in Bulgarien und Kroatien: Konsequenzen für Dublin-Überstellungen, S, 6 und 12). Allerdings geht das Gericht (wie auch in den Entscheidungen anderer Gerichte) davon aus, dass derartige Täter in ihrer Amtseigenschaft gleichermaßen wie in (den allermeisten) anderen EU-Mitgliedstaaten in der Praxis mit strafrechtlichen Sanktionen und einem Disziplinarverfahren zu rechnen haben. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass etwa die zuständige Staatsanwaltschaft bzw. die zuständige Disziplinarbehörde bei einem Bekanntwerden der Vorwürfe generell untätig bliebe (vgl. VG Augsburg, B.v. 10.10.2022 – Au 8 S 22.50251 – juris Rn. 20; VG Aachen, U.v. 15.4.2021 – 8 K 2760/18.A – juris Rn. 244). Von einem insoweit bestehenden systemischen Problem oder gar einem etablierten System der Straflosigkeit für Amtsträger bei Straftaten bestehen nach alledem in Bulgarien keine Anhaltspunkte.
25
Soweit die Bevollmächtigte noch anführt, dass dem Antragsteller kein Zugang zu einem Asylverfahren mit inhaltlicher Prüfung der Fluchtgründe entgegen Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 2 gewährt würde, findet diese Behauptung in der Erkenntnismittellage keine Stütze. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass das Verfahren nach Einstellung wiedereröffnet werden kann und in der Regel keine Entscheidung in der Sache in Abwesenheit ergeht (AIDA, a.a.O., S. 45). Hierfür spricht wie bereits ausgeführt auch, dass die bulgarischen Behörden in ihrem Antwortschreiben an die Antragsgegnerin konkret auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO rekurriert haben.
26
Nach alledem sieht das Gericht damit trotz zweifellos bestehender Missstände insbesondere in den Aufnahmebedingungen die mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens einhergehende Regelvermutung (noch) nicht als widerlegt an. Diese Bewertung entspricht auch der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, die, soweit ersichtlich, aus der sich ergebenden allgemeinen überstellungsrelevanten Lage nur in Fällen vulnerabler Personen (teilweise) die hinreichend wahrscheinliche Gefahr einer Verletzung von Art. 4 GRCh/Art. 3 EMRK angenommen hat (vgl. OVG NW, B.v. 25.5.2023 – 11 A 1257/22.A – juris Rn. 35 ff.; OVG NW, B.v. 16.12.2022 – 11 A 1397/21.A – juris Rn. 55 ff.; VGH Baden-Württemberg, U.v. 24.2.2022 – A 4 S 162/22 – juris Rn. 32; B.v. 22.10.2019 – A 4 S 2476/19 – juris Rn. 16 ff.; HessVGH, U.v. 26.10.2021 – 8 A 1852/20.A – juris Rn. 35 m.w.N.; OVG Hamburg, B.v. 30.4.2021 – 6 Bf 42/21 – juris; VG München, B.v. 13.7.2023 – M 10 S 23.50667 – juris Rn. 19 ff.; VG Augsburg, U.v. 16.11.2022 – Au 8 K 22.50223 – juris Rn. 20 ff.; VG München, B.v. 2.6.2022 – M 10 S 22.50254 – juris Rn. 22; VG Düsseldorf, B.v. 31.1.2022 – 12 L 2724/21.A – juris Rn. 40 ff.; VG Würzburg, B.v. 27.10.2021 – W 1 S 21.50279 – juris Rn. 19 ff.; a.A. VG Saarland, U.v. 21.8.2023 – 3 K 1247/23 – juris; VG Köln, B.v. 31.1.2023 – 5 L 65.23.A – juris Rn. 26 ff.; VG Ansbach, B.v. 31.10.2022 – AN 14 S 22.50126 – juris Rn. 24 ff.; VG Freiburg, U.v. 19.9.2022 – A 14 K 900/22 – juris Rn. 26 ff.). Diese Bewertung teilt das Gericht auch im Hinblick auf die Zeit nach einer etwaigen Zuerkennung internationalen Schutzes an den Antragsteller, zumal er in dieser Hinsicht im gerichtlichen Verfahren nichts substantiiert vorgetragen hat (vgl. VG Bremen, U.v. 18.8.2023 – 2 K 147/23 – juris Rn. 51 m.w.N.; a.A. VG Ansbach, B.v. 31.10.2022 – AN 14 S 22.50126 – juris Rn. 36 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch BayVGH, B.v. 22.6.2023 – 24 ZB 23.30028 – juris [Ablehnung eines Berufszulassungsantrags des Bundesamts gegen Urteil des VG Ansbach wegen mangelnder Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung]).
27
3. Individuelle in der Person des Antragstellers wurzelnde Umstände, welche die Antragsgegnerin zwingend zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO hätten veranlassen müssen (vgl. näher dazu BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50124 – juris Rn. 22 ff.), sind vom Antragsteller nicht geltend gemacht worden und liegen nach Aktenlage auch nicht vor.
28
4. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig, da die Abschiebung nach Bulgarien nach den obigen Ausführungen rechtlich zulässig und auch im Übrigen tatsächlich möglich ist; es liegen weder inlands- noch zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vor (vgl. dazu zur Prüfungskonzentration des Bundesamts: BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244). Die Befristung des angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 11 Monate begegnet nach summarischer Prüfung ebenso keinen ernsthaften rechtlichen Bedenken (§ 114 Satz 1 VwGO).
29
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
30
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
… …