Titel:
Erfolgloser vorläufiger Rechtsschutz: Unterlassung von (weiteren) staatsanwaltlichen Presseauskünften
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1
BayPrG Art. 4 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Bei der Erfüllung des landesrechtlich geregelten Informationsanspruchs der Presse durch die Staatsanwaltschaft handelt es sich um eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende schlicht verwaltende Tätigkeit und die Staatsanwaltschaft wird nicht auf dem Gebiet der Strafrechtspflege tätig, wenn sie bezüglich eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegenüber der Presse berichtet. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gem § 40 Abs. 1 VwGO ist deshalb eröffnet. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der allgemein anerkannte und aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB iVm Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete öffentlich-rechtliche Anspruch gerichtet auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im presserechtlichen Kontext bedeutet dies, dass die das Anordnungsbegehren stützenden Ausführungen kumulativ die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Presseauskunft im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 S. 2 BayPrG iVm Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG als auch eine konkrete Wiederholungsgefahr vergleichbarer zukünftiger Presseauskünfte durch die Staatsanwaltschaft tragen müssen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Presserechtliche Auskunft der Staatsanwaltschaft, Hellip * an die Hellip-Zeitung während laufenden Strafverfahrens, Pressehoheit, Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, Verfahrensfairness, Wiederholungsgefahr (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38397
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Weg des vorläufigen Rechtsschutzes die Unterlassung von (weiteren) staatsanwaltlichen Presseauskünften zu einem ihn betreffenden Strafverfahren.
2
Der Antragsteller ist Präsident eines Landgerichts und wird ausweislich verschiedener Medienberichte bei der Staatsanwaltschaft ... als Beschuldigter eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens geführt. Die Information über das gegen den Antragsteller gerichtete Strafverfahren wurde am 25. Juli 2023 von der Staatsanwaltschaft ... gegenüber der …-Zeitung bestätigt. Am 31. Juli 2023 wurde die Strafakte dem Amtsgericht … übermittelt.
3
Mit vorgerichtlichem Schreiben vom 28. Juli 2023 forderte der Bevollmächtigte des Antragstellers Oberstaatsanwältin L. auf, bis 14:00 Uhr diesen Tags eine Unterlassungsverpflichtung mit dem Inhalt, dass sich die Staatsanwaltschaft ... bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens nicht weiter öffentlich äußere, abzugeben. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
4
Mit Schriftsatz vom gleichen Tag hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München beantragt,
Dem Antragsgegner wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache untersagt, über den Antragsteller gegenüber den Medien folgende Auskünfte zu geben:
„Es ist zutreffend, dass die Staatsanwaltschaft ... gegen den Präsidenten des Landgerichts … wegen des Verdachts einer sexuellen Belästigung ermittelt hat. Nach den Ermittlungen besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte im September 2021 in den Räumen des Landgerichts … am Ende eines informellen Zusammentreffens eine im Gericht beschäftigte Angestellte umarmte und überraschend auf den Mund geküsst hat.“
5
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Antragsgegner nicht ansatzweise an die Maßstäbe für ein rechtmäßiges Informationshandeln der Justizbehörden gehalten habe. Die zugunsten des Antragstellers geltende Unschuldsvermutung sei durch das pflichtwidrige Verhalten der Staatsanwaltschaft ... in jeder Hinsicht zerstört worden. Die gesellschaftliche Vorverurteilung sei nicht mehr rückgängig zu machen, unabhängig davon, wie das Strafverfahren ausgehe. Da Medienäußerungen der Staatsanwaltschaft nach ständiger Rechtsprechung eine privilegierte Quelle darstellten, könnten die Medien hierauf sanktionslos zurückgreifen (u.a. unter Verweis auf BVerfG, B.v. 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05 – juris Rn. 35). Durch die streitbefangene Äußerung der Oberstaatsanwältin L. seien dem Antragsteller damit alle Möglichkeiten des (zivilgerichtlichen) presserechtlichen Eilrechtsschutzes aus § 1004, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG konterkariert worden.
6
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 31. Juli 2023,
7
den Antrag als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
8
Neben tatsächlichen und weiteren rechtlichen Einwänden (u.a. gegen die Eröffnung des Rechtswegs zu den Verwaltungsgerichten), auf die Bezug genommen wird, wird insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller kein berechtigtes Interesse an der Anordnung der Untersagung gleichlautender Auskünfte (mehr) habe. Die Pressehoheit, also die generelle Berechtigung, Auskünfte zu einem Verfahren zu erteilen, sei seit dem 31. Juli 2023 auf das Amtsgericht … übergegangen. Schon allein deshalb seien keine weiteren Mitteilungen der Staatsanwaltschaft ... zu diesem Verfahren mehr zu erwarten.
9
Mit ergänzendem Schriftsatz vom gleichen Tag hat der Antragsgegner ausgeführt, dass die sog. Pressehoheit grundsätzlich der Akte folge. Zu Inhalt und weiterem Gang des Verfahrens bis zur etwaigen Rechtskraft eines Urteils oder Strafbefehls werde sich die Pressestelle der Staatsanwaltschaft daher nicht mehr äußern.
10
Mit Schriftsatz vom 1. August 2023, auf den Bezug genommen wird, hat der Antragsteller zur Antragserwiderung des Antragsgegners Stellung genommen und seinen Vortrag bekräftigt. Insbesondere sei nicht auszuschließen, dass die Staatsanwaltschaft ... je nach Verlauf des Verfahrens auch in Zukunft Pressemitteilungen über den Antragsteller veröffentlichen werde.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
12
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist vorliegend der Rechtsweg gem. § 40 Abs. 1 VwGO zu den Verwaltungsgerichten eröffnet. Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung ist geklärt, dass es sich bei der Erfüllung des landesrechtlich geregelten Informationsanspruchs der Presse durch die Staatsanwaltschaft um eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende schlicht verwaltende Tätigkeit handelt und die Staatsanwaltschaft nicht auf dem Gebiet der Strafrechtspflege tätig wird, wenn sie bezüglich eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegenüber der Presse berichtet (vgl. statt vieler: BayVGH, B.v. 27.3.2014 – 7 CE 14.253 – juris Rn. 23 m.w.N.; VG München, B.v. 28.2.2018 – M 10 E 18.741 – juris Rn. 18). Die vom Antragsgegner zitierte Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte gibt keinen Anlass, von dieser Bewertung abzurücken. Die Auffassung der Verwaltungsgerichte, dass der Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 EGGVG nicht eröffnet sei, ist im Übrigen in der Literatur in Auseinandersetzung mit der gegenläufigen Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte gerade auch auf Zustimmung gestoßen (vgl. Burkhardt in Löffler, Presserecht, 7. Aufl. 2023, § 4 LPG Rn. 192 m.w.N.; Söder in BeckOK Informations- und Medienrecht, Stand 1.5.2023, Art. 4 BayPrG Rn. 28).
13
1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegen nicht vor.
14
a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Dabei hat ein Antragsteller sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
15
b) Der Antragsteller hat einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der allgemein anerkannte und aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete öffentlich-rechtliche Anspruch gerichtet auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht (BVerwG, B.v. 11.11.2010 – 7 B 54.10 – juris Rn. 14). Im presserechtlichen Kontext bedeutet dies, dass die das Anordnungsbegehren stützenden Ausführungen kumulativ die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Presseauskunft im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG als auch eine konkrete Wiederholungsgefahr vergleichbarer zukünftiger Presseauskünfte durch die Staatsanwaltschaft tragen müssen (vgl. VG München, B.v. 26.4.2021 – M 10 E 21.868 – juris Rn. 26 ff.; s. auch VG Berlin, B.v. 11.10.2019 – 1 L 58.19 – juris Rn. 17 ff.).
16
Gemessen an diesen Voraussetzungen hat der Antragsteller einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB gegenüber der Staatsanwaltschaft ... nicht im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO glaubhaft gemacht. Es fehlt an der hinreichend substantiierten Darlegung einer konkreten Wiederholungsgefahr. Die das Anordnungsbegehren stützenden Ausführungen erstrecken sich in der Sache weitgehend auf Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Presseauskunft der Staatsanwaltschaft ... gegenüber der …-Zeitung. Mit dem Gegeneinwand der Staatsanwaltschaft …, dass nach Nr. 3.5 der Richtlinien für die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse (Presserichtlinien – PresseRL, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 26.5.2014, Az. 1271 – X – 1/2014) die Pressehoheit aktuell beim Amtsgericht … liege und daher von ihr keine weiteren Äußerungen zum Inhalt und zum Verfahrensgang mehr erfolgen würden, setzt sich der Antragsteller nicht hinreichend auseinander. Allein die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft ... gegenüber dem Antragsteller vorgerichtlich keine Unterlassungserklärung abgegeben hat und ihr Vorgehen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als rechtmäßig verteidigt hat, begründet als solche noch keine konkrete Wiederholungsgefahr (vgl. VG München, M 10 E 21.868 – juris Rn. 26 m.w.N.; VG Berlin, B.v. 11.10.2019 – 1 L 58.19 – juris Rn. 17 ff.; NdsOVG, B.v. 25.7.2014 – 13 ME 97/14 – juris Rn. 9). Wollte man dem Antragsgegner eines Unterlassungsanspruchs nämlich die Berufung auf die Richtigkeit seines Vorgehens anrechnen, so nähme man ihm in nicht vertretbarer Weise ein zulässiges Verteidigungsmittel (vgl. NdsOVG, B.v. 25.7.2014 – 13 ME 97/14 – juris Rn. 12). Das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr ist insoweit nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BayVGH, B.v. 22.7.2015 – 5 C 15.803 – juris Rn. 13). Gerade auch vor dem Hintergrund der vom Antragsteller vorgelegten E-Mail des Pressesprechers des Amtsgerichts …, dass bis zu einem möglichen Erlass eines Strafbefehls und dessen Zustellung keine Presseanfragen mehr beantwortet würden, erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Staatsanwaltschaft ... über die derzeit beim Amtsgericht … liegende Pressehoheit hinwegsetzen würde und auf etwaige weitere Presseanfragen inhaltlich eingehen würde. Die Ausführung, es sei nicht auszuschließen, dass die Staatsanwaltschaft ... je nach Verlauf des Verfahrens auch in Zukunft Pressemitteilungen über den Antragsteller veröffentlichen werde, verfehlt vor diesem Hintergrund die Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer konkreten Wiederholungsgefahr. Nicht zuletzt wird mit dieser Ausführung auch übersehen, dass selbst bei einer etwaigen Äußerung der Staatsanwaltschaft in einem späteren Verfahrensstadium oder gar nach Abschluss des Verfahrens (vgl. Nr. 3.5 PresseRL) diese in materieller Hinsicht nicht notwendigerweise mit einer „Wiederholung“ der konkret streitbefangenen Art der Presseauskunft gleichgesetzt werden kann, zumal dann möglicherweise die im Rahmen des Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG zu berücksichtigenden Abwägungsgesichtspunkte anders beurteilt werden müssten als im vorliegenden Verfahrensstadium (vgl. auch BayVGH, B.v. 29.6.2023 – 7 CE 23.820 – juris Rn. 25).
17
Da der Antragsteller keine konkrete Wiederholungsgefahr glaubhaft gemacht hat, kann nach alledem dahinstehen, ob die streitbefangene Presseauskunft der Staatsanwaltschaft ... an die …-Zeitung vor dem Hintergrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bzw. der nach Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannten Unschuldsvermutung sowie dem Gewicht des konkreten Tatvorwurfs vorliegend hätte unterbleiben müssen (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG).
18
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergeht gem. § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013. Da mit der Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden ist, wird der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben.