Titel:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Abschiebungsbescheid durch die Bundespolizei nach unerlaubter Einreise, Aufenthaltsgestattung, Laufendes Dublin-Verfahren (Zielstaat, Österreich), Kein Dublin-Bescheid zum Zeitpunkt des Antragseingangs, Zwischenzeitlicher Erlass einer Abschiebungsanordnung durch das Bundesamt, Rechtsschutzbedürfnis (verneint)
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 5
AsylG § 55 Abs. 1 S. 1
RL 2013/32/EU Art. 9 Abs. 1
VO (EU) 604/2013 Art. 28
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Abschiebungsbescheid durch die Bundespolizei nach unerlaubter Einreise, Aufenthaltsgestattung, Laufendes Dublin-Verfahren (Zielstaat, Österreich), Kein Dublin-Bescheid zum Zeitpunkt des Antragseingangs, Zwischenzeitlicher Erlass einer Abschiebungsanordnung durch das Bundesamt, Rechtsschutzbedürfnis (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38394
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Weg des vorläufigen Rechtsschutzes die Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen sowie die Ausstellung einer Aufenthaltsgestattung.
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Der Antragsteller, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am 21. August 2023 in das Bundesgebiet ein und wurde zunächst von der Bundespolizei aufgegriffen, die mit Bescheid vom 22. August 2023 die Abschiebung des Antragstellers nach Österreich verfügte. Zudem wurde mit Bescheid der Bundespolizei vom gleichen Tag ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, dessen Dauer auf zwei Jahre befristet wurde. Zuvor hatte er im Rahmen der Vernehmung durch die Bundespolizei am gleichen Tag angegeben, in Deutschland Asyl beantragen zu wollen. Ausweislich des Protokolls über die Vernehmung wurde von der Polizei vermerkt, dass nach den Angaben des Antragstellers zum Grund seiner Ausreise aus seinem Herkunftsland nicht von einem Asylgesuch auszugehen sei.
3
Mit E-Mail vom 23. August 2023 informierte die Bundespolizei das Bundesamt von dem oben genannten Vorgang und bat um die Einleitung eines Dublin-Verfahrens bezüglich Österreich. Das Bundesamt richtete daraufhin am 24. August 2023 ein Wiederaufnahmegesuch an Österreich, welches auf einen EURODAC-Treffer der Kategorie 1 vom 16. August 2023 („AT1[…]“) gestützt wurde. Dem Wiederaufnahmegesuch stimmten die österreichischen Behörden mit Schreiben vom 7. September 2023 zu.
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Der Antragsteller hat am 7. September 2023 über seine Bevollmächtigte schriftsätzlich beim Verwaltungsgericht München beantragt,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers in sein Heimatland oder einen anderen EU-Mitgliedstaat bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Asylverfahren des Antragstellers zu unterlassen und der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers bis zur rechtskräftigten Entscheidung über das Asylverfahren des Antragstellers nicht durchgeführt werden darf und ihm eine Aufenthaltsgestattung auszustellen ist.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch schon deshalb bestehe, weil der Antragsteller nicht rechtskräftig und vollziehbar ausreisepflichtig sei. Der Antragsteller habe am 24. August 2023 einen Asylantrag gestellt. Deshalb sei ihm zur Durchführung des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgestattung auszustellen. Ein Anordnungsgrund liege vor, weil der Antragsteller derzeit in Abschiebungshaft sitze und jederzeit mit einer Abschiebung zu rechnen sei.
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Die Antragsgegnerin hat sich mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2023 zum Verfahren geäußert, ohne einen Antrag zu stellen. Sie verweist auf den zwischenzeitlich ergangenen Bescheid vom 22. September 2023, mit dem gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG der Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Antragstellers nach Österreich angeordnet worden sei. Der Antrag nach § 123 VwGO sei daher mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig geworden.
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Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das Gericht den Antrag des Antragstellers nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung vom 22. September 2023 abgelehnt (M 10 S 23.51052).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 23.51051 und M 10 S 23.51052, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.
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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aus mehrfachen Gründen unzulässig.
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Nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG ist vorläufiger Rechtsschutz im Dublin-Verfahren grundsätzlich nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beantragen. Insofern ist seit längerem auch grundsätzlich geklärt, dass im Hauptsacheverfahren gegen eine Abschiebungsanordnung im Dublin-Verfahren ausschließlich die Anfechtungsklage statthaft ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 13). Für ein Verpflichtungsbegehren gleicher welcher Art besteht daher regelmäßig – von bestimmten Sonderkonstellationen abgesehen – kein Raum (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
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Eine derartige Sonderkonstellation liegt auch im Hinblick auf die Bescheide der Bundespolizei vom 22. August 2023 nicht vor. Soweit es dem Antragsteller mit seinem Eilrechtsschutzbegehren primär darum ging, vor Entscheidung des Bundesamts über seinen Asylantrag eine Abschiebung nach Österreich zu verhindern, hätte er im Weg des vorläufigen Rechtsschutzes direkt gegen die Bescheide der Bundespolizei vom 22. August 2023 vorgehen müssen. Letztendlich richten sich auch sämtliche Einwände (insbesondere, dass dem Antragsteller keine Anlaufbescheinigung und Aufenthaltsgestattung erteilt worden sei) indirekt gegen die Sachbehandlung durch die Bundespolizei, die damals (in sachlich wohl nicht mehr vertretbarer Weise) das Vorliegen eines Asylgesuchs verneint hat. Da den Bescheiden der Bundespolizei vom 22. August 2023 aufgrund der nachträglichen Übermittlung des Asylgesuchs an das Bundesamt am 23. August 2023 die rechtliche Grundlage entzogen war (vgl. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 RL 2013/32/EU, Art. 7 Abs. 2, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), wäre es dem Antragsteller freigestanden, ausdrücklich gegen diese Bescheide vorzugehen, um das (aus seiner Sicht) bestehende Risiko einer vorzeitigen Abschiebung nach Österreich entgegen der Vorgabe aus Art. 9 Abs. 1 Satz 1 RL 2013/32/EU auszuschließen.
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Vor diesem Grund war das Eilrechtsschutzbegehren – welches im Passivrubrum zudem ausdrücklich gegen das Bundesamt für ... und nicht die Bundespolizei gerichtet ist – gemäß § 123 Abs. 5 VwGO von Anfang an unstatthaft und damit unzulässig. Dass das Bundesamt zum damaligen Zeitpunkt entgegen der Vorgabe aus Art. 9 Abs. 1 Satz 1 RL 2013/32/EU vorzeitig die Überstellung des Antragstellers nach Österreich betreiben würde, hat der Antragsteller nicht dargelegt und ist auch nicht ansatzweise ersichtlich gewesen.
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Soweit das Anordnungsbegehren schließlich noch auf die Erteilung einer Aufenthaltsgestattung gerichtet ist, bleibt auch dies erfolglos. Denn eine Aufenthaltsgestattung erlischt gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG mit der Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung, die mit dem ablehnenden Beschluss vom gleichen Tag im Verfahren M 10 S 23.51052 vorliegt. Mithin zielt die materiell-rechtliche Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit auf ein für den Antragsteller nicht mehr erreichbares Rechtsschutzziel, sodass ihm nunmehr auch das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).