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AG München, Beschluss v. 04.08.2023 – 1542 IN 3383/18
Titel:

Keine Eintragung der Deliktseigenschaft einer Forderung in die Insolvenztabelle bei fehlendem Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners

Normenketten:
InsO § 20, § 174, § 175 Abs. 2, § 201, § 287 Abs. 1
ZPO § 850f Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Deliktseigenschaft einer Forderung kann bei fehlenden Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners nicht in die Insolvenztabelle eingetragen werden. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Hinweispflichtpflicht des Gerichts gem. § 175 Abs. 2 InsO besteht nur, soweit Forderungsanmeldungen mit Tatsachenvortrag gem. § 174 Abs. 2 InsO vorliegen, sofern der Schuldner eine natürliche Person ist und eine Restschuldbefreiung beantragt hat. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3. In Insolvenzverfahren, in denen der Schuldner keinen Antrag auf Erteilung einer Restschuldbefreiung gestellt hat, besteht keine Belehrungs- bzw. Hinweispflicht des Insolvenzgerichts in Bezug auf die Folgen des Vollstreckungsprivilegs gem. § 850f Abs. 2 ZPO für den Schuldner. In solchen Verfahren kann auch kein Forderungsattribut aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in die Insolvenztabelle eingetragen werden. (Rn. 3 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Insolvenzgläubiger ist für die begehrte Feststellung, dass der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, auf die allgemeine Feststellungsklage zu verweisen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eintragung eines Forderungsattributs in die Insolvenztabelle, Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, Eintragung der Deliktseigenschaft in die Insolvenztabelle, Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung, Begrenzung der Nachhaftung, Belehrungspflicht des Insolvenzgerichts bezüglich des Vollstreckungsprivilegs
Fundstellen:
JurBüro 2024, 157
LSK 2023, 38375
BeckRS 2023, 38375
FDInsR 2024, 938375

Tenor

Das durch die Gläubigerin Tabelle lfd. Nr. 21 (X) zur Eintragung in das Tabellenblatt lfd Nr. 21 der Insolvenztabelle angemeldete Forderungsattribut der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Am 25.03.2021 hat die Gläubigerin Tabelle lfd. Nr. 21 (X) nachträglich beim Insolvenzverwalter eine Insolvenzforderung angemeldet. Hierbei wurde auch ein Forderungsattribut aus einer vorsätzlichen begangenen unerlaubten Handlung in Höhe eines Teilbetrags von 3.206,99 € angemeldet, das der Gläubigerin ein Vollstreckungsprivileg gem. § 850 f Abs. 2 ZPO einräumen soll. Auch auf gerichtlichen Hinweis, dass der Schuldner keinen Antrag auf Restschuldbefreiung gem. § 287 Abs. 1 InsO gestellt hat, hält die Krankenkasse mit Schreiben vom 25.07.2023 unter Hinweis auf Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 04.09.2019 Az.: VII ZB 91/17, Beschluss vom 11.03.2020, Az.: VII ZB 38/19 und Beschluss vom 16.07.2020 Az.: IX ZB 14/19) an Ihrem Antrag auf Eintragung des Forderungsattributs fest.
2
Es wird hier der Auffassung des AG Aurich (NZI 2016, 143), des AG Köln (NZI 2020, 899) und des AG Norderstedt (NZI 2020, 32) gefolgt wonach eine Deliktseigenschaft einer Forderung bei fehlenden Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners nicht in die Insolvenztabelle eingetragen werden kann.
3
Im gegenständlichen Verfahren hat der Schuldner trotz Belehrung gem. § 20 InsO (Bl. 8/10 d.A.) keinen Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung gestellt. Eine Feststellung im Eröffnungsbeschluss vom 19.07.2019, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangen kann, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, ist nicht erfolgt. Der Schuldner kann demnach eine Begrenzung der Nachhaftung gem. § 201 InsO, wie dies bei Erteilung einer Restschuldbefreiung möglich wäre, im hier vorliegenden Verfahren nicht erreichen. Eine Hinweispflicht des Gerichts gem. § 175 Abs. 2 InsO besteht nur dann, soweit Forderungsanmeldungen mit Tatsachenvortrag gem. § 174 Abs. 2 InsO vorliegen, sofern der Schuldner eine natürliche Person ist und eine Restschuldbefreiung beantragt hat (BeckOK InsO, 15. Edition, Rn. 20 zu § 175 InsO). Der Gesetzgeber hielt diese Hinweispflicht wegen dem möglichen Ausschluss einer Forderung von der Restschuldbefreiung für erforderlich (Braun Insolvenzordnung 7. Auflage Rn 26 zu § 175 InsO). Eine ausdrückliche Hinweispflicht des Gerichts in Verfahren ohne eigenen Antrag des Schuldners auf Erteilung einer Restschuldbefreiung auf außerinsolvenzliche Folgen des Vollstreckungsprivilegs gem. § 850 f Abs. 2 ZPO ist jedenfalls dem Wortlaut des § 175 Abs. 2 InsO, der auf § 302 InsO verweist nicht zu entnehmen. Auch die Funktion der §§ 174 ff. InsO zielt nach hiesiger Auffassung, darauf ab den Schuldner lediglich, bei einem gestellten Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung über die Ausnahme von Forderungen mit festgestellten Forderungsattributen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, aus rückständigen gesetzlichen Unterhalt den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat oder aus Steuerverhältnissen im Zusammenhang mit einer Steuerstraftat, von der Restschuldbefreiung gem. § 302 Abs. 1 InsO zu informieren (hierzu auch Ahrens NZI 2016, 121 und AG Köln a.a.O.).
4
Auch der Hinweis der Gläubigerin auf die oben angeführte BGH Rechtsprechung führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Entscheidungen des BGH vom 04.09.2019 Az.: VII ZB 91/17 und vom 11.03.2020 Az.: VII ZB 38/19 betreffen Sachverhalte in denen das Amtsgericht als – Vollstreckungsgericht-, die Vorlage eines Tabellenauszugs aus der Insolvenztabelle mit eingetragenen Attribut aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung für den Nachweis des Vollstreckungsprivilegs des § 850 f Abs. 2 ZPO und den Erlass von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen unter Herabsetzung der Pfändungsfreigrenzen als nicht ausreichend angesehen haben. Der BGH hat hier entschieden, dass die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle mit eingetragenen Forderungsattribut aus einer Deliktseigenschaft zum Nachweis des Vollstreckungsprivilegs gem. § 850 f Abs. 2 ZPO ausreichend ist, sofern kein Bestreiten des Schuldners vorliegt. Die Entscheidungen enthalten dagegen keine Aussage ob in Insolvenzverfahren in denen kein Antrag des Schuldners auf Erteilung einer Restschuldbefreiung gestellt wurde, eine Belehrungs- bzw. Hinweispflicht des Insolvenzgerichts sich auch auf das Vollstreckungsprivileg des § 850 f Abs. 2 ZPO erstrecken soll/muss. Ohne eine gesetzlich normierte Belehrungs- bzw. Hinweispflicht des Insolvenzgerichts auch in Bezug auf die Folgen des tiefgreifende Vollstreckungsprivilegs gem. § 850 f Abs. 2 ZPO für den Schuldner, kann aus Gründen der Rechtssicherheit in Verfahren ohne Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung auch kein Forderungsattribut aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in die Insolvenztabelle eingetragen werden.
5
Auch in der angeführten Entscheidung des BGH vom 16.07.2020 Az.: IX ZB 14/19 zur Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde geht der BGH, entgegen der Auffassung der Krankenkasse nicht darauf ein ob in Verfahren in denen überhaupt kein Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt wurde, überhaupt ein Vollstreckungsprivileg gem. § 850 f Abs. 2 ZPO in die Insolvenztabelle eingetragen werden kann.
6
Die Antragstellerin ist hinsichtlich der begehrten Feststellung Ihres Anspruchs aus Anlass einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung auf die Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage zu verweisen.