Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 23.08.2023 – 2 U 11/22
Titel:

Unvermeidbarer Verbotsirrtum des Fahrzeugherstellers bei Implementierung eines Thermofensters

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Zur Entlastung kann der Fahrzeughersteller darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung zuständigen Behörde bestätigt worden. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn er eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (hier bejaht für Thermofenster). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, Thermofenster, Verbotsirrtum, hypothetische Genehmigung
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 11.02.2022 – 44 O 329/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38242

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 11.02.2022, Az. 44 O 329/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bamberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.354,61 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 11.02.2022, Az. 44 O 329/21 ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgenchts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2
1. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 26.07.2023 Bezug genommen. Die Ausführungen der Klagepartei zu dem Hinweisbeschluss des Senats in der Gegenerklärung mit Schriftsatz vom 17.08.2023 die dieser zur Kenntnis genommen und erwogen hat, geben auch nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage und unter Berücksichtigung der Urteilsgründe insbesondere zu den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung.
3
1. Etwaige Ansprüche der Klagepartei sind jedenfalls wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums ausgeschlossen.
4
a) Der Senat kann zu Gunsten der Klagepartei unterstellen, dass das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2020, Rs. C-693/18 NJW 2021 1216), sowie diese Fragen dahinstehen lassen. Die nachfolgenden Ausführungen gelten unabhängig davon, ob Vorrichtungen eingesetzt wurden, die als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewerten sind.
5
b) Eine deliktische Ersatzpflicht tritt nur im Falle des Verschuldens ein, selbst wenn nach dem Inhalt des Schutzgesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich ist (vgl. § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB) Der Schadensersatzanspruch ergibt sich im vorliegenden Fall – trotz europarechtlicher Prägung oder Überlagerung vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022, Rs. C-100/21 (BeckRS 2022, 12232 Rn. 54) – allein aus dem nationalen Recht (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, NJW 2023 1111 (1116) Rn. 92), so dass für diesen nach deutschem Recht allein eine verschuldensabhängige Rechtsgrundlage in Betracht kommt. Für eine vom Verschulden des Fahrzeugherstellers unabhängige Schadensersatzhaftung ist hingegen auch bei unionsrechtskonformer Auslegung kein Raum (BGH Urteil vom 26.06 2023, VIa ZR 335/21, Rn. 36 f. (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen)).
6
c) Hinsichtlich des Verschuldens trifft grundsätzlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch muss derjenige der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung (BGH Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21 Rn. 59 m.w.N. (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen)).
7
d) Beim Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums scheidet Verschulden aus (Grüneberg-Sprau [82.] § 823 BGB Rn. 61). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verbotsirrtum unvermeidbar, wenn der Handelnde trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte. Im Zweifel trifft ihn eine Erkundigungspflicht, wobei Auskunftsperson und erteilte Auskunft verlässlich sein müssen, Geht es um die Frage nach dem Bestehen einer Erlaubnispflicht, nat er sich vorzugsweise an die zuständige Erlaubnisbehörde zu wenden. Auf deren Auskunft darf er sich grundsätzlich verlassen Hat sich der Handelnde zwar nicht hinreichend um kompetente Beratung bemüht, steht aber fest dass die – unterbliebene – Erkundigung seine Fehlvorstellung bestätigt hätte, so scheitert seine Haftung ebenfalls am Vorliegen eines unvermeidbaren Verboisirrtums (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2017 VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 (1005 f.) Rn. 16; Urteil vom 10.07.2018, VI ZR 263/17, NJW-RR 2018, 1250 (1253) Rn. 28, 32 s. bereits Hinweisbeschluss vom 30.06.2023, dort Seite 9 unter Ziffer II 2.) b.) cc.)).
8
e) Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken (BGH Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, Rn. 63 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen)).
9
Zu seiner Entlastung kann der Fahrzeughersteller neben weiteren Möglichkeiten darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung) Stent fest dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, Rn. 65 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) unter Hinweis auf BGH Urteil vom 27.06.2017, VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 (1005 f) Rn 16; s.a. BGH, Urteil vom 10.07.2018 VI ZR 263/17. NJW-RR 2018. 1250 (1253) Rn. 28, 32).
10
Hierzu muss der Fahrzeughersteller für jede verwendete Abschalteinrichtung konkret vortragen, dass die Behörde diese genehmigt hatte. Dem genügt der Fahrzeughersteller mit Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck dann wenn er eine hypothetische Genehmigung bezogen auf den konkreten Motor einer bestimmten Baureihe nachweist. Außerdem Kann neben anderen Indizien aus der konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden (BGH, Urteil vom 26.06.2023. VIa ZR 33521, Rn 66 f (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
11
f) Nach diesen – in der Rechtsprechung des BGH nun weiter gefestigten – Grundsätzen hatte sich die Beklagte zwar grundsätzlich beim KBA als zuständiger Typgenehmigungsbehörde über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung erkundigen müssen sofern sie im Zweifel über deren rechtliche Zulässigkeit war. Dies ist nicht geschehen. Hätte die Beklagte jedoch eine entsprechende Anfrage gestellt, hätte sie nach der Überzeugung des Senats die Antwort erhalten, dass das im Fahrzeug eingesetzte und von der Klagepartei beanstandete „Thermofenster“ nicht als unzulässige Abschalteinnchtung einzustufen ist und gegen die Verwendung dieser Funktion keine rechtlichen Bedenken bestehen.
12
Dabei verkennt der Senat nicht, dass allein die Tatsache, dass es sich hinsichtlich des Thermofensters um einer bereits vor 2010 allgemeinen Industriestandard handelt, nicht dazu führt dass sich die Beklagte allein unter Berufung darauf oder damit entlasten kann, jedes Kraftfahrzeug mit einem Dieselmotor und einer Abgasrückführung verfüge über ein Thermofenster (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Via ZR 335/21. Rn. 70 (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen)
13
Die Beklagte hat dargelegt und zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass sie auf eine entsprechende Anfrage die Antwort erhalten hätte dass samtliche etwaigen und hier streitgegenständilichen Abschalteinrichtungen, d.h. auch eine erstinstanzlich klägerseits vorgetragene Prüfstands-Zykluserkennung nicht als unzulässig zu qualifizieren seien, Aus dem Umstand, dass das in Deutschland für den Vollzug der VO (EG) 715/2007 zuständige Kraftfahrtbundesamt (KBA) ausweislich einer Vielzahl durch die Beklagtenpartei vorgelegter amtlicher Auskünfte die Auffassung vertritt, dass sowohl die Zykluserkennung als auch ein Thermofenster in der in Motoren der Baureihe EA 288 implementierten Form mit Art 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 vereinbar sei ist zu schließen, dass die Behörde eine entsprechende Auskunft auch bereits bei Erteilung der Typgenehmigung erteilt hätte, wenn eine solche seinerzeit durch den Fahrzeughersteller eingeholt worden wäre. Weil sich der Erkundigende grundsätzlich auf die Fachkompetenz einer Fachbehörde verlassen darf, ist ihm ein „besseres“ Wissen als das der Genehmigungsbehörde nicht abzuverlangen (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2017 VI ZR 424/16, NJW-RR 2017, 1004 (1005 f.) Rn. 16; Urteil vom 10.07.2018 VI ZR 263/17. NJW-RR 2018, 1250 (1253) Rn. 28, 32; s.a. OLG Bamberg. 3 U 240/22 Beschluss vom 24.01.2023, BeckRS 2023, 1380 Rn. 34; s.a. Hinweisbeschluss vom 26.07.2023, dort Seite 4 f.).
14
g) Es handelt sich insoweit um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum Hierauf kann sich die Beklagte angesichts der vorgenannten Umstände im vorliegenden Fall zu Recht berufen.
15
2. Soweit die Klagepartei mit ihrer Berufung nunmehr hilfsweise die Zahlung von Schadensersatz in Form des sog. Differenzschadens in Höhe von 15 % des Kaufpreises verfolgt, fehlt es zudem an einem ersatzfähigen Schaden.
16
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil v 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Tz 44. 80) berechnet sich der Anspruch auf den Differenzschaden wie folgt;
17
Auf den zu ermittelnden Minderwert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Erwerbs hat sich der Käufer den Restwert des Fahrzeugs und die gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen, soweit sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen.
18
Vorliegend hat die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug am 25.10.2016 zu einem Kaufpreis von 19.700,00 Euro bei einem Kilometerstand von 10 494 km erworben. Sie behauptet eine merkantile Wertminderung im Erwerbszeitpunkt von 15 %, mithin einen Differenzschaden von 2.955.00 Euro.
19
Am 23.01.2022 betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 86.912 km, was einer jährlichen Fahrleistung von 14 555 Km entspricht Hieraus ergibt sich ein anzusetzender Nutzungsersatz von 6.286,00 Euro (auf Grundlage der linearen Methode und unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern bei mindestens gefahrenen 75.963 km). Den Restwert zu diesem Zeitpunkt (23.01.2022) schätzt der Senat auf Grundlage der allgemeinen Lebenserfahrung sowie öffentlich zugänglicher Quellen auf mindestens 15.000,00 Euro. Dieser übersteigt zusammen mit dem anzurechnenden Nutzungsersatz den behaupteten tatsächlichen Wert bei Vertragsschluss von 16.745,00 Euro so deutlich so dass ein ersatzfähiger Schaden in keinem Fall verbleiben kann und auch bereits bei Klageerhebung nicht bestanden hat. Soweit das Fahrzeug nach dem 23.01.2022 weiter im Rahmen der bisherigen jährlichen Fahrleistung genutzt worden sein sollte, würde der verhältnismäßig geringere Weiterverkaufswert durch die dann entsprechend höher anzurechnende Nutzungsentschädigung kompensiert werden.
20
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
21
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
22
4. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
23
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 2-5 ZPO i.V.m. §§ 40, 43 Abs. 1, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG bestimmt.