Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.09.2023 – 20 U 4329/21 e
Titel:

Kein Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums des Fahrzeugherstellers

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Fahrzeughersteller kann den Nachweis der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht nur mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, welche die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren maßgebenden Einzelheiten umfasst, sondern auch durch den Nachweis, seine Rechtsauffassung wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht nämlich fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtumes aufgrund hypothetischer Genehmigung kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsauffassung des Kraftfahrtbundesamtes betreffend das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zutreffend war bzw. ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, Thermofenster, unvermeidbarer Verbotsirrtum, unzulässige Abschalteinrichtung, hypothetische Genehmigung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 22.08.2023 – 20 U 4329/21 e
LG Landshut, Endurteil vom 10.06.2021 – 82 O 551/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38237

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.06.2021, Aktenzeichen 82 O 551/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.206,49 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.06.2021, Aktenzeichen 82 O 551/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 22.8.2023 verwiesen.
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Die mit Schriftsatz vom 6.9.2023 abgegebene Gegenerklärung gebietet trotz der darin erklärten Umstellung des Berufungszieles auf Ersatz des Differenzschadens keine abweichende Beurteilung der Erfolgsaussichten der Berufung.
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1. Darauf, dass das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund von Thermofenster und Fahrkurve nach dem Klägervortrag nicht dem genehmigten Fahrzeugtyp entsprochen haben mag, kommt es nicht an. Auch kann weiterhin als wahr unterstellt werden, dass die Beklagte dem KBA gegenüber im Typgenehmigungsverfahren nicht in dem notwendigen Maß über die Verwendung des konkreten Thermofensters informiert hat. Auch hierauf kommt es nicht an. Wären sämtliche Einrichtungen bereits im Typgenehmigungsverfahren offengelegt worden, so wurde allein deshalb eine Haftung der Beklagten entfallen. Entscheidend ist, wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, dass sich die Beklagte auch bei nicht erfolgter Offenlegung im Typgenehmigungsverfahren nach der BGH-Rechtsprechung (VIa ZR 335/21, aber auch schon vor dem sogenannten „Dieselskandal“ in anderem Zusammenhang: BGH, Urteil vom 27.6.2017 – VI ZR 424/16, NJW-RR 2017 1004, beck-online) auf eine hypothetische Genehmigung durch das KBA berufen kann, welche die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums begründet. Dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen, ergibt sich aus den zahlreichen von der Beklagten, zuletzt mit Schriftsatz vom 29.8.2023 als Anlage BE 73 und BE 145 vorgelegten Auskünften, denen zufolge die Behörde nach umfassender Untersuchung dieses Motortyps das Vorliegen einer unzulässigen Abschaltelnnchtung verneint hat. Angesichts dessen ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die Beklagte bei rechtzeitiger Offenlegung sowohl des Therrnofensters als auch der Fahrkurvenerkennung gleichwohl die Typgenehmigung erhalten hätte.
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2. Soweit mit der Gegenerklärung, vgl. insb. S. 31, nun vertieft vorgetragen wird, das KBA habe bei Fahrzeugen wie dem streitgegenständlichen nur im Hinblick auf freiwillige Softwareupdates von einem Rückruf abgesehen, weil das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinnchtung durchaus im Raum gestanden habe, überzeugt dies nicht. Eine solche Entscheidung des KBA lässt sich insbesondere nicht den Ausführungen auf S. 536 des Berichts des Untersuchungsausschusses des Bundestages vom 22.6.2017, Anlage BB 1, entnehmen Diese haben keinen konkreten Bezug zum Motor des Typs EA 288. Auch der nachfolgende Verweis auf S. 565 des Berichts verfangt nicht, da er „die noch nicht auf dem Markt befindlichen Euro-6-Fahrzeuge“ betrifft Soweit die Gegenerklärung (S. 36 f) weiter auf S. 430 des vorbezeichneten Berichts verweist, folgt daraus nichts anderes. Zwar heißt es dort, dass „Zweifel an der Zulässigkeit der Abschalteinrichtung aus Motorschutzgründen nicht weiter bestehen würden, wenn der Hersteller, wie beabsichtigt, die Maßnahmen ergreift und das KBA sich von der Wirksamkeit überzeugt.“ Dies betrifft aber nach Überzeugung des Senates wiederum nicht Fahrzeuge mit dem hier streitgegenständlichen Motor vom Typ EA 288. Denn auf S. 431 heißt es weiter: „Demnach sollen nachträglich vorgenommene Umrüstmaßnahmen jene Zweifel an der Zulässigkeit der Emissionsstrategie entfallen lassen können, die im Rahmen der Felduntersuchung des KBA bei der Untersuchungskommission aufgetreten sind. Dementsprechend bezieht sich diese Formulierung in der Anlage BB1 auch nur auf Fahrzeuge der Gruppe II, wie sich aus S 430 a.E. ergibt Zu dieser gehört das streitgegenständliche Fahrzeug nicht, vgl. S. 410 des Berichtes des Untersuchungsausschusses. Für dieses kann nicht nur den zahlreichen vorgelegten gegenläufigen Auskünfte des KBA, mit denen das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint wurde, sondern auch S. 65 f des Untersuchungsberichts vom April 2016. Anlage B 01 konkret entnommen werden, dass es die Prüfkritenen erfüllt, also offenbar keine Zweitel bei der Felduntersuchung durch das KBA erweckt hat.
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Soweit der Kläger nun auf S. 36 der Gegenerklärung vorträgt, die Untersuchungskommission habe keine endgültige Entscheidung über die Zu- bzw. Unzulässigkeit der bei Fahrzeugen der Gruppe II gefundenen Abschalteinrichtungen getroffen, kann dies der Berufung ebenfalls offenkundig nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen kommt es im Rahmen der Prüfung einer hypothetischen Genehmigung nicht auf die Bewertung der Zulässigkeit verbauter Einrichtungen durch die Untersuchungskommission des Bundestages an sondern auf die Einordnung durch das KBA. Diese Behörde hat aber nach umfassender Untersuchung dieses Motortyps das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint. Zum anderen ergibt sich aus dem vorzitierten Bencht des Untersuchungsausschusses, dort S. 410, wie vorstehend ausgeführt, dass Fahrzeuge mit Motor vom Typ EA 288 wie das streitgegenständliche ohnehin nicht zu der Gruppe II gehören, sondern der Gruppe I zugeordnet wurden, mithin entweder ein unauffälliges Emissionsverhalten aufweisen oder solche sind, bei denen die Hersteller Auffälligkeiten nach Ansicht der Kommission plausibel und akzeptabel darstellen konnten.
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3. Für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtumes aufgrund hypothetischer Genehmigung kommt es nicht darauf an, ob die Rechtsauffassung des KBA betreffend das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zutreffend war bzw. ist.
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4. Entsprechendes gilt für die Fahrkurvenerkennung. Hier hat die Beklagte zuletzt durch Vorlage der Auskunft des KBA vom 10.5.2022 belegt, dass die Behörde bei Offenlegung der Fahrkurvenerkennung die Typgenehmigung nicht verweigert hätte. Etwas anderes wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Fahrkurvenerkennung grenzwertkausal gewesen wäre. Dem war nicht so. Auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss wird Bezug genommen. Ob diese rechtliche Einschätzung durch das KBA zutreffend war/ist, spielt für die Frage einer hypothetischen Genehmigung keine Rolle.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.