Titel:
Kein Schadensersatz wegen Verwendung eines Thermofensters infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums des Fahrzeugherstellers
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsatz:
Der Fahrzeughersteller kann den Nachweis der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht nur mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, welche die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren maßgebenden Einzelheiten umfasst, sondern auch durch den Nachweis, seine Rechtsauffassung wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht nämlich fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, Thermofenster, unvermeidbarer Verbotsirrtum, unzulässige Abschalteinrichtung, hypothetische Genehmigung
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 29.07.2022 – 17 O 10487/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38212
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 29.07.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30.09.2022, Az. 17 O 10487/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.991,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger nimmt die Beklagte in einem sog. Diesel-Verfahren als Fahrzeug- und Motorherstellerin eines mit einem Dieselmotor vom Typ EA288 ausgestatteten Fahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger kaufte am 28.05.2014 gemäß Rechnung vom 11.08.2014 (Anlage K1) von einer Fahrzeughändlerin einen von der Beklagten hergestellten ... Golf Sportsvan als Neufahrzeug zu einem Bruttokaufpreis von 26.329,13 € mit einem Kilometerstand von 0 km und einer Motorleistung von 81 kW, der mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 1.6 Liter-Turbodieselmotor vom Typ EA288 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug verfügt über eine temperaturgesteuerte Abgasrüchführung (sog. Thermofenster) und einen NOx-Speicherkatalysator (NSK) zur Abgasnachbehandlung. In der Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs ist eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt. Das Fahrzeug wies am 17.06.2022 (Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) einen Kilometerstand von 38.037 km und am 01.08.2023 einen Kilometerstand von 42.922 km auf.
3
Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagte mit der Klage auf Zahlung von 23.169,63 € – entsprechend der Höhe des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung – Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie auf Feststellung ihres Annahmeverzugs in Anspruch genommen. Die Beklagte ist der Klage insbesondere mit dem Einwand entgegengetreten, der streitgegenständliche Motor enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung, wie sie aus der Dieselthematik im Zusammenhang mit dem Dieselmotor EA189 bekannt sei. Unter Anpassung der Nutzungsentschadigung an die zwischenzeitlich gefahrene Strecke hat der Kläger erstinstanzlich zuletzt Zahlung von 22.991,00 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten verlangt.
4
Mit durch Beschluss vom 30.09.2022 berichtigten Endurteil vom 29.07.2022, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen Eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB sei nicht nachgewiesen. Der klägerische Vortrag enthalte keine hinreichend greifbaren Anhaltspunkte für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch Organmitglieder der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheitere am fehlenden Schutzgesetzcharakter der europäischen Normen.
5
Gegen das Urteil wendet sich der Kläger im Wege der Berufung, mit der er seine erstinstanzlich zuletzt gestellten Klageanträge vollumfänglich weiterverfolgt mit der Begründung, dass geringe Anforderungen an die Substantiiertheit des klägerischen Sachvortrags gelten würden. Das Landgericht hätte insbesondere zu dem Schluss kommen müssen, dass mit der Fahrkurvenerkennung und dem Thermofenster unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen. Es sei insoweit auch zwischen den Parteien unstreitig, dass es sich um den gleichen Erkennungsmechanismus wie bei der Umschaltlogik des Dieselmotors EA189 handele. Anstelle der Umschaltlogik sei hieran jedoch eine auf den Prüfstand bezogene Strategie der Abgasnachbehandlung gestützt. Bei angemessener Würdigung des klägerischen Sachvortrags hätte das Landgericht den klägerischen Anspruch aus § 826 BGB zusprechen müssen. Das Verhalten der Beklagten sei insbesondere auch sittenwidrig.
6
Hilfsweise für den Fall, dass die Beklagte nicht aus §§ 826, 31 BGB haftet, macht der Kläger in Anlehnung an das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 im Hinblick auf die darin bestätigte Unzulässigkeit des Thermofensters einen Differenzschaden in Höhe von 15 % des Kaufpreises geltend und verlangt daneben Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden im Zusammenhang mit einer Stilllegung des Fahrzeugs wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen.
7
Der Kläger und Berufungskläger beantragt
unter Abänderung des angefochtenen Urteils:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 22.991,00 € sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs ... Golf Sportsvan mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ….
- 2.2.2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs ... Golf Sportsvan mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
hilfsweise,
das Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht bejaht, wird klägerseits beantragt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 3.949,37 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche zukünftigen Schäden, die aufgrund einer Stilllegung des Fahrzeugs ... Golf Sportsvan mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen entstehen, und sämtliche zukünftigen Aufwendungen, die aufgrund notwendiger Maßnahmen zur Verhinderung einer Stilllegung dieses Fahrzeugs wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen entstehen, zu ersetzen.
8
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
9
Die Beklagte verteidigt das klageabweisende Ersturteil. Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV sei jedenfalls aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums der Beklagten ausgeschlossen. Die verbaute Fahrkurvenerkennung hätte das Kraftfahrt-Bundesamt auch im Jahr 2015 bei entsprechender Erkundigung für zulässig erachtet, weil die Fahrkurvenerkennung nach dem Ergebnis der an dem Dieselmotor EA288 durchgeführten umfangreichen Untersuchungen keine grenzwertkausalen Emissionsauswirkungen habe. Ebenso wäre die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Thermofensters bestätigt worden, über das die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt im Jahr 2016 informiert habe, ohne dass es in der Folgezeit zu Beanstandungen gekommen wäre.
10
Mit Hinweisen vom 08.05.2023 und 13.09.2023 hat der Senatsvorsitzende auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO hingewiesen.
11
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 29.07.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30.09.2022 Az 17 O 10487/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
12
Zur Begründung wird auf den Hinweis des Vorsitzenden vom 13.09.2023 Bezug genommen, an dem der Senat nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage festhalt.
13
Die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 12.10.2023 geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
14
1. Mit den Gründen, die einer Haftung der Beklagten aus §§ 826,31 BGB entgegenstehen, setzt sich die Stellungnahme des Klägers schon nicht auseinander.
15
2. Der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens in Höhe von 3.949,37 € aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1. § 27 Abs. 1 EG-FGV steht dem Kläger nicht zu, da es an einem schulahaften Handeln der Beklagten fehlt. Auf die entsprechenden Ausführungen im Hinweis vom 13.09.2023 (dort S. 8 ff.) wird Bezug genommen.
16
a) Auf die Frage, ob die Beklagte bei Entwicklung der Abschalteinrichtung oder bei Inverkehrbringen des Motors von deren Zulässigkeit ausgegangen ist, kommt es nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht an Weil das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1. § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn, 61). Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ist damit der Zeitpunkt des Vertragsschlusses des Klägers (vgl. BGH a.a.O. Rn. 62).
17
b) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Fahrzeughersteller den Nachweis der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht nur mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen kann, welche die verwendete unzulässige Abschalteinnchtung in allen ihren maßgebenden Einzelheiten umfasst, sondern auch durch den Nachweis, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH a.a.O. Rn. 64 f.). Vorliegend steht wie ausgeführt zur Überzeugung des Senats fest, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Rechtsauffassung der Beklagten, wonach in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien, auf entsprechende Nachfrage der Beklagten bestätigt hätte. Damit ist der Nachweis der Unvermeidbarkeit ihres Verbotsirrtums im Wege der hypothetischen Genehmigung erbracht, ohne dass es einer weiteren Darlegung seitens der Beklagten zur Offenlegung des Thermofensters und seiner konkreten Bedatung im Typgenehmigungsverfahren bedarf.
18
3. Da die Beklagte hiernach unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Schadensersatz gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, ist auch seinem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag im Hinblick auf eine etwaige Stilllegung des Fahrzeugs nicht zu entsprechen.
19
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
20
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
21
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO festzusetzen.