Inhalt

OLG München, Beschluss v. 24.10.2023 – 8 U 719/23 e
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch des Erwerbers eines Diesel-Fahrzeugs mit Thermofenster

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Nachdem die beklagte Fahrzeugherstellerin ihrer sekundären Darlegungslast nachkommend substantiiert zum konkret verbauten Thermofenster mit einem Temperaturbereich von + 24 bis + 70 Grad Celsius vorgetragen hat, wäre es an der Klagepartei gewesen, darzulegen, auf welche Anhaltspunkte sie die Annahme eines davon abweichenden Temperaturfensters stützt. Hat sie dies nicht getan, ist von dem von der Beklagten vorgebrachten sehr weiten Temperaturfenster auszugehen, welches nicht die Voraussetzungen einer Abschalteinrichtung erfüllt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, EG-Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Thermofenster, Temperaturbereich
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 11.09.2023 – 8 U 719/23 e
LG München II, Endurteil vom 20.01.2023 – 2 O 3062/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38209

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 20.01.2023, Aktenzeichen 2 O 3062/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 40.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal geltend.
2
Sie erwarb am 30.05.2018 einen neuen VW Tiguan für 42.900 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet.
3
Das Landgericht hat die Klage umfassend abgewiesen. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.
4
Weiter wird zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit vollumfänglich auf Ziffer I. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 11.09.2023 verwiesen.
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Die Klagepartei hat erstinstanzlich in der Hauptsache beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs an sie 42.900,00 € nebst Zinsen und abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 3.260,40 € zu zahlen.
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Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.
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Konkret hat sie beantragt:
Das Urteil des Landgerichts München II vom 20.01.2023, Az.: 2 O 3062/22, wird aufgehoben und die Beklagte nach Maßgabe der nachfolgenden Anträge verurteilt:
1) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 39.639,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges VW Tiguan Join 4 Motion 2.0 TDI SCR 140 kW, Fahrzeug-Ident.-Nr. …
2) Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
3) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.751,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Hilfsweise:
4) Das Urteil des Landgerichts München II, Az. 2 O 3062/22, verkündet am 20.01.2023 und zugestellt am 24.01.2023, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht München II zurückverwiesen.
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Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.
9
Mit Hinweisbeschluss vom 11.09.2023 wurde die Klagepartei darauf hingewiesen, dass und weshalb der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Es wurde ihr eine Frist zur Stellungnahme bis 29.09.2023 eingeräumt. Eine solche wurde auch am 29.09.2023 abgegeben.
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Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angegriffenen Urteils, die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 11.09.2023 sowie auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren verwiesen.
II.
11
Die Berufung der Klagepartei ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussweg als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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Der Senat halt das Urteil des Landgerichts zumindest im Ergebnis für offensichtlich zutreffend. Auf die Hinweise vom 11.09.2023, in denen der Senat im Einzelnen erläutert hat, weshalb er die Berufung bei Abstellen auf die zur „Dieselproblematik“ ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält, wird verwiesen,
13
Die Gegenerklärung der Klagepartei vom 29.09.2023 ergab keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
14
Die Klagepartei wendet sich insoweit lediglich gegen die Ausführungen im Hinweisbeschluss zur Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 I, § 27 I EG-FGV. Für eine deliktische Haftung der Beklagten ist auch bei Abstellen auf die dortigen Darlegungen kein Raum.
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1. Vorauszuschicken ist, dass die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht etwa eine Art. „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht Soweit in dem weiteren Schriftsatz vom 11.09.2023 im Berufungsverfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese deshalb gemäß §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 34 Aufl. 2013. § 530 Rn 4) Darauf hatte der Senat als nobille officium auch bereits in den Allgemeinen Verfahrenshinweisen (hier n. Bl. 16 d.A.) ausdrücklich aufmerksam gemacht.
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2. Die Ausführungen im Hinweisbeschluss zur Verneinung einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV besitzen nach wie vor Geltung.
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a) Es fehlt insoweit bereits, wie dargelegt an einem substantiierten Vortrag einer vorhandenen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
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In Betracht kommt hier allein das Thermofenster; für das Vorhandensein anderer Abschalteinrichtungen sind wie im Hinweisbeschluss ausführlich dargelegt, bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte vorhanden.
19
Der Kläger hat aber bereits kein als Abschalteinrichtung zu qualifizierendes Thermofenster schlüssig vorgetragen. Nachdem die Beklagte Ihrer sekundären Darlegungslast nachkommend substantiiert zum konkret verbauten Thermofenster mit einem Temperaturbereich von + 24 bis + 70 Grad Celsius vorgetragen hat, wäre es an der Klagepartei gewesen, darzulegen, auf welche Anhaltspunkte sie die Annahme eines davon abweichenden Temperaturfensters stützt. Dies hat sie aber auch in der Gegenerklärung nicht getan. Die Behauptung eines Temperaturfensters von + 20 bis + 30 Grad Celsius erfolgte damit ersichtlich ins Blaue hinein. Das von der Beklagten vorgebrachte sehr weite Temperaturfenster erfüllt aber nicht die Voraussetzungen einer Abschalteinrichtung. Es wird insoweit auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss verwiesen. Im übrigen geht es dabei auch nicht um einen von der Beklagten darzulegenden Ausnahmetatbestand, sondern um die Erfüllung des Grundtatbestandes einer Abschalteinrichtung.
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b) Die Beklagte kann sich auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum stützen. Insoweit wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss verwiesen. Ausweislich der Applikationsrichtlinie handelte die Beklagte nach Aufkommen des Dieselskandals hinsichtlich des Motors EA 288 in Abstimmung mit dem KBA als Zulassungsbehörde. Eine ausreichende Prüfung der Rechtslage ist dadurch bereits Impliziert. Hinsichtlich einer hypothetischen Genehmigung wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss Bezug genommen. Insbesondere hat die Beklagte entsprechende Auskünfte des KBA gerade auch für den hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyp vorgelegt (vgl. etwa Anlage BE 122). Da insoweit auf eine hypothetische Genehmigung der Zulassungsbehörde abgestellt wird, gehen die Ausführungen zum qualifizierten Rechtsrat und zu eigenen Eiwagungen bzw. einem rechtlichen Grenzbereich fehl.
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c) Zudem ist ein Schaden – der aus den dargelegten Gründen ohnehin nicht beansprucht werden kann – weiterhin nicht ersichtlich.
22
Bezüglich der Höhe der Schätzung wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner Schätzung eines Differenzschadens vom 5 % des Kaufpreises.
23
Bei Berücksichtigung des Vortrags in der Gegenerklärung ist vorliegend von einem Wertverzehr auszugehen.
24
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist primär Sache des gemäß § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (BGH Urt. v. 20.7.2021 – VI ZR 533/20 BeckRS 2021, 24668 Rn. 31). Auch die anzurechnenden Vorteile sind nach § 287 ZPO zu bemessen (BGH Urt. v. 24.1.2022 – VIa ZR 100/21, BeckRS 2022, 3567 Rn. 24), d.h. die Nutzungsvorteile bei Abstellen auf die gefahrenen Kilometer und der Restwert. Sofern mangels greifbarer Anhaltspunkte eine Grundlage nicht zu gewinnen ist und das richterliche Ermessen vollends in der Luft hängen würde, wenn also eine Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO nicht möglich ist, bleibt es bei der Regel, dass den Kläger die Beweislast für die klagebegründenden Tatsachen trifft und deren Nichterweislichkeit ihm schadet (vgl. BGH, Urteil vom 06.12.2012 – VII ZR 84/10, NJW 2012, 2267; BGH, Urteil vom 16.12.1963 – III ZR 47/63; BGH, Urteil vom 11.03.2004 – VII ZR 939/02, BauR 2004, 1290, Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl., Rdn. 4 zu § 287 ZPO OLG Naumburg Urt. v. 28.10.2022 – 7 U 47/22, BeckRS 2022, 36548 Rn. 66, beck-online).
25
Aus dem Hinweisbeschluss des Gerichts ergeben sich die für eine Schadensfeststellung und Schätzung nach § 287 ZPO noch von der Klagepartei benötigten Parameter (insbesondere der benötigte aktuelle Kilometerstand) Hierauf teilt die Klagepartei nunmehr in der Gegenerklärung einen km-Stand bei Erwerb von 30.833 km mit, obwohl es sich vorliegend laut Tatbestand des landgerichtlichen Urteils unstreitig um einen Neuwagen handelt Der aktuelle km-Stand (d.h. am 29.09.23) wird – beweislos – mit 32.510 km angegeben, was dem laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.12.22 an diesem Tage festgestellten km-Stand entspricht und erwartbar von Beklagtenseite bestritten wird; dass das Fahrzeug stillgelegt wurde, ist aber nicht vorgetragen. Da die Klagepartei auf den Hinweisbeschluss daher lediglich mit ersichtlich unzutreffenden bzw. zumindest nicht nachvollziehbaren Angaben reagiert hat, ist mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen als Schätzgrundlage bei der Schätzung des Schadens einschließlich der zu berücksichtigenden Vorteile gemäß § 287 ZPO von einem Wertverzehr auszugehen.
III.
26
Einer Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO steht weder eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits entgegen, noch erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
27
Die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung sind vorliegend höchstrichterlich geklärt. Hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 hat der Bundesgerichtshof diese durch zahlreiche Entscheidungen weiter konkretisiert. Ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten vorliegen, hängt dabei von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21 –, Rn. 13, juris).
28
Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist zudem weder vorgetragen noch vor diesem Hintergrund ersichtlich.
IV.
29
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde entsprechend dem erteilten Hinweis gemäß §§ 47, 48 GKG in ausgesprochener Höhe festgesetzt.