Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 19.12.2023 – RO 8 S 23.1694
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogenkonsums (Medizinalcannabis) - einstweiliger Rechtsschutz

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1, § 73 Abs. 2, Anl. 4 Nr. 9.2.1, Nr. 9.4, Nr. 9.6
BayVwVfG Art. 3 Abs. 3, Art. 46
Leitsätze:
Bei nicht ordnungsgemäßer Verschreibung und Einnahme von Medizinalcannabis ist die Leistungsfähigkeit unerheblich. (Rn. 7 und 54 – 66)
1. Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinalcannabis nicht wegen regelmäßigen Cannabiskonsums zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, ferner, dass das Medizinalcannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. VGH München BeckRS 2021, 7392 Rn. 19 mwN). (Rn. 54 und 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dass eine Konzentration ab 150 ng/ml THC-COOH im Blutserum nur bei regelmäßigem Cannabiskonsum zu erreichen ist, stellt eine gesicherte, auf rechtsmedizinischen Untersuchungen beruhende Erkenntnis dar, der die ständige Rechtsprechung und Fachliteratur gefolgt sind (vgl.VGH München BeckRS 2022, 9296 Rn. 10 und BeckRS 2019, 8661 Rn. 13 jeweils mwN). (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Unterfallen unter das Medizinalcannabisprivileg ist schon dann nicht anzunehmen, wenn die einer Verschreibung zugrunde liegende ärztliche Verordnung insbesondere im Hinblick auf Gebrauch und Dosierung nicht eindeutig ist, die Cannabiseinnahme nicht ausreichend vom verschreibenden Arzt überwacht wird und nicht zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung erfolgt. (Rn. 60 und 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Cannabis, Medikamentenprivileg, Fahrerlaubnisentzug, Zuständigkeitsübertragung, örtliche Unzuständigkeit, zwingende Fahrerlaubnisentziehung, Dauerbehandlung mit Medizinalcannabis, Konzentration ab 150 ng/ml THC-COOH, eindeutige Verordnung, ärztliche Überwachung, missbräuchliche Einnahme
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 21.03.2024 – 11 CS 24.70
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38080

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis durch das Landratsamt S* … (LRA).
2
Die 1981 geborene Antragstellerin war zuletzt Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
3
Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 07.12.2018 wurde die Antragstellerin wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Marihuana) sowie vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln (Marihuana) im Jahr 2017 an ihren Sohn zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Es wurden ausweislich des Strafbefehls bei der Antragstellerin 2 Crusher, 2 Bongs und eine Feinwaage jeweils mit Marihuanaanhaftungen gefunden.
4
Am 07.03.2018 fuhr die Antragstellerin einen Pkw unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln. Ausweislich des Polizeiberichts vom 26.03.2018 seien im Verlauf der durchgeführten Kontrolle drogentypische Auffälligkeiten festgestellt worden. Diese hätten sich insbesondere durch stark verkleinerte Pupillen sowie auffällige Mundtrockenheit und glasige Augen geäußert. Ferner habe sie eine zitternde und schwitzende Körperreaktion sowie ängstliche panische Gemütszustände gezeigt. Ausweislich des bei der Blutentnahme angefertigten ärztlichen Berichtes sei kein äußerlicher Anschein des Einflusses von Drogen bemerkbar gewesen. Bei der entnommenen Blutprobe wurden folgende Blutwerte ermittelt: 1,7 μg/l THC, negativ bzgl. 11-Hydroxy-THC, 10 μg/l THC-Carbonsäure. Ausweislich der Beurteilung der Blutprobenuntersuchung vom 16.03.2018 bestünde kein Zweifel daran, dass die Antragstellerin zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss berauschender Mittel gestanden habe.
5
Mit Schreiben vom 12.06.2018 forderte das Landratsamt A* … die Antragstellerin auf, zur Abklärung des Trennungsvermögens von Betäubungsmittelkonsum und Fahren ein medizinisch-psychologisches Gutachten nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV beizubringen.
6
Mit Schreiben vom 14.05.2019 forderte das Landratsamt A* … die Antragstellerin auf, zur Abklärung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auf Grundlage von § 11 Abs. 2 FeV, § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 3 Abs. 2 FeV und 9.6.2 der Anlage 4 FeV, ein ärztliches Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung / eines Arztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation über ihre Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu folgender Fragestellung vorzulegen:
„1. Liegt bei der zu begutachtenden Person eine Krankheit vor, die nach Nummer 3 der Anlage 4 zur FEV die Fahreignung infrage stellt?
2. Ist die zu begutachtende Person in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklasse B) vollständig gerecht zu werden?
3. Liegt eine ausreichende Compliance (u.a. Krankheitseinsichtigkeit, kein Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen inklusive Alkohol, regelmäßige überwachte Medikamenten- bzw. Cannabiseinnahme [Hinweise auf – ggf. selbstinduzierte -Unter- oder Überdosierung]) vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?
4. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges (je Fahrerlaubnisklassengruppe) weiterhin gerecht zu werden? Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z. B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
5. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisklassengruppe) Nachuntersuchung i. S. einer erneuten [Nach-]Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichen Abstand?
6. Liegt – vor dem Hintergrund einer Dauerbehandlung mit Cannabis (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FEV) – die erforderliche Leistungsfähigkeit (Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit) zum sicheren Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen vor?
7. Ist andernfalls eine Kompensation zu prüfen oder wird die Möglichkeit einer Kompensation (z.B. wegen Kumulation von Mängeln) ausgeschlossen?
8. Ist unter Berücksichtigung besonderer Umstände (Z. B. Grenzwertige Prozentränge, gesundheitliche Risikofaktoren) eine fachlich einzelfallbegründete Nachuntersuchung der Leistungsfähigkeit notwendig? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand?
(Hinweis: die psycho-physische Leistungstestung und deren Bewertung ist als psychologischer Befund zu erheben und im Rahmen der Erstellung des ärztlichen Gutachten beizuziehen.)“
7
Es wurde am 15.08.2019 ein ärztliches Gutachten vom selben Tag einer Begutachtungsstelle für Fahreignung der IBBK GmbH über die Fahreignung der Antragstellerin übersandt. Die von der Antragsgegnerin gestellten Fragen beantwortete die Gutachtenstelle wie folgt:
„1. Bei der zu begutachtenden Person liegt keine Krankheit vor, die nach Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung infrage stellt. Die geschilderte Schmerzsymptomatik ist wechselnd und es liegt eine jahrzehntelange Adaptation vor. Eine körperliche Bewegungseinschränkung ist dadurch nicht gegeben.
2. Die zu begutachtende Person ist in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Fahrerlaubnisklasse B) vollständig gerecht zu werden.
3. Die Compliance ist ausreichend, andere psychoaktive Substanzen werden nicht eingesetzt. Alkohol wird seit 10 Jahren nicht mehr konsumiert. Die Dosierung erfolgt in dem ärztlich vorgegebenen Rahmen.
4. Angesichts der durch die Selbstfinanzierung bestehenden monatlichen Kosten von derzeit 450 EUR bei unklarer Kostenübernahmesituation durch die Krankenkasse wäre gegenüber der Führerscheinstelle regelmäßig nachzuweisen, dass das für Medizinalcannabis ausgestellte Privatrezept auch tatsächlich eingelöst wird. Dieses Procedere sollte beibehalten werden, solange die Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht erfolgt ist.
5. Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.
6. Vor dem Hintergrund einer Dauerbehandlung mit Cannabis (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV) – liegt die erforderliche Leistungsfähigkeit (Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit) zum sicheren Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen vor. Dies konnte anhand der durchgeführten Leistungstests bestätigt werden.
7. Entfällt.
8. Entfällt.“
8
Mit Schreiben vom 29.08.2019 wies das Landratsamt A* … entsprechend den Ausführungen des Gutachtens auf die Notwendigkeit des regelmäßigen Nachweises der Einlösung der ausgestellten Privatrezepte hin. Es wurde im Einverständnis mit der Antragstellerin die Auflage festgesetzt, dass diese die regelmäßige Einlösung der Rezepte nachweist, bis die Kosten für Medizinalcannabis von der Krankenkasse übernommen werden.
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Mit Schreiben vom 19.09.2019 teilte die Antragstellerin dem Landratsamt A* … mit, dass ein Rezept meist für 10 Tage gelte – also 1 g pro Tag.
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Mit Schreiben vom 19.11.2019 teilte das Landratsamt A* … mit, dass in vierteljährlichen Abständen die Nachweise hinsichtlich der Einlösung der Rezepte zu erbringen seien.
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Die Antragstellerin reichte daraufhin eingelöste Medizinal-Cannabis Rezepte ein.
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Hinsichtlich der Darreichungsform führen die vorgelegten Rezepte „zur Inhalation, nach ärztlicher Vorschrift“ aus. Als für die Verordnung zugrunde gelegte Diagnose wird in den Rezepten „Fibromyalgie, chron. Schmerzsyndrom“ angegeben. Ein ärztlicher Verordnungsplan hinsichtlich der spezifischen Konsumhinweise ist aus den Akten nicht ersichtlich.
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Aus dem Rezept vom 12.08.2020 (Behördenakte Seite 160), eingelöst am 14.08.2020, geht Folgendes hervor: „30g med. unverarb. Cannabisblüten, zur Inhalation, nach ärztlicher Vorschrift. Sorten: 15g Tilray strong indica, 15g Tilray 21 S: Tagesdosis 1g/tgl. DG: Fibromylagie, CSS“.
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Aus dem Rezept vom 21.09.2020 (Behördenakte Seite 158), eingelöst am 21.09.2020, geht folgendes hervor: „30g med. unverarb. Cannabisblüten, zur Inhalation, nach ärztlicher Vorschrift. Sorten: 15g Tilray 21, 10g Pedanios 22/1, Bakerstreeet 5g S: Tagesdosis 1g/tgl. DG: Fibromylagie, CSS“.
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Aus dem Rezept vom 29.10.2020 (Behördenakte Seite 161), eingelöst am 30.10.2020, geht folgendes hervor: „30g med. unverarb. Cannabisblüten, zur Inhalation, nach ärztlicher Vorschrift. Sorten: 15g Bakerstreet, 15g Pedanios 18/1 S: Tagesdosis 1g/tgl. DG: Fibromylagie, CSS“.
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Die vorgelegten Rezepte vom 17.07.2021 (Behördenakte Seite 184) und vom 27.08.2021 (Behördenakte Seiten 186,188) enthalten keine Dosierungsanordnung, insbesondere nicht einmal eine Tageshöchstdosis.
17
Aus dem Rezept vom 29.10.2020 (Behördenakte Seite 188), geht folgendes hervor: „20g med. unverarb. Cannabisblüten, zur Inhalation, nach ärztlicher Vorschrift, Sorte: Canna medical sativa classic, S: 0,37 D: Fibromyalgie, CSS; “
18
Für den gesamten Zeitraum vom 11.03.2022 bis zum 16.02.2023 wurden nach teils mehrfacher Aufforderung folgende, eingelöste Rezepte vorgelegt:
Zwei Rezepte vom 10.06.2022, eingelöst am 13.06.2022 (Behördenakte Seite 219,220) mit Folgendem Inhalt: „30g med. unverarb. Cannabisblüten […], zur Inhalation,[…] 2g/Tag[…]“
Rezept vom 25.08.2022, eingelöst am 09.09.2022 (Behördenakte Seite 224) mit Folgendem Inhalt „60g med. unverarb. Cannabisblüten […], zur Inhalation,[…] 2g/Tag[…]“
Rezept vom 08.12.2022, eingelöst am 13.12.2022 (Behördenakte Seite 230) mit Folgendem Inhalt „60g med. unverarb. Cannabisblüten […], zur Inhalation,[…] 2g/Tag[…]“
Zwei Rezepte vom 11.01.2023, eingelöst am 13.01.2023 (Behördenakte Seite 228) mit Folgendem Inhalt „30g med. unverarb. Cannabisblüten […], zur Inhalation,[…] 2g/Tag[…]“
Mit Schreiben vom 19.11.2020 wurde die Antragstellerin aufgrund des Erreichens von 4 Punkten wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen vom Landratsamt A* … ermahnt.
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Mit Schreiben vom 02.09.2021 wurde die Antragstellerin aufgrund des Erreichens von 6 Punkten wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen vom Landratsamt A* … verwarnt.
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Laut der polizeilichen Ereignismeldung vom 29.09.2021 ist die Antragstellerin am 29.09.2021 gegen 19.00 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen worden. Die Antragstellerin gab an, kürzlich Cannabis konsumiert zu haben. Sie erklärte Cannabispatient zu sein und legte entsprechende Rezepte vor. Die Antragstellerin gab an, Cannabis mittels „Vaporizor“ einzunehmen. Ausfallerscheinungen wurden nicht festgestellt. Ausweislich der Akte wurden die 4 vorgelegten Cannabisrezepte am 23.09.2021 und 25.09.2021 eingelöst. Bei den vier Rezepten handelte es sich um die Verschreibung und Abgabe vier unterschiedlicher Sorten.
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Ausweislich des polizeilichen Tatblattes vom 28.07.2022 wurde aufgrund eines anonymen Hinweises am Wohnort der Antragstellerin nach entsprechendem richterlichen Beschluss durchsucht. Im Haus der Antragstellerin befanden sich neben dieser und ihrem Lebensgefährten auch ihre Kleinkinder. Während der Durchsuchung wurden folgende Gegenstände sichergestellt.
„121,2 Gramm getrocknete Marihuana-Blattmasse (Netto), in Eimer; 1,28 Gramm Haschisch (Netto), 2 x Brocken; 0,45 Gramm Marihuana-Tabakgemisch (Netto) lose; 2 x Grinder mit Cannabis-Rückständen“
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Im Dachgeschoss wurden in einem Raum Abluftschläuche, ein Radialventilator und ein Aktivkohlefilter einer vermeintlichen Aufzuchtanlage gefunden und es roch nach Marihuana-Rückständen. Es wurde vermutet, dass die sichergestellte Blattmasse aus der „letzten Ernte“ stamme. Hinsichtlich des aufgefundenen Cannabis wurde in Absprache mit der Staatsanwaltschaft ein Wirkstoffgutachten angefordert, welches jedoch nicht vorliegt. Im Zimmer des Sohnes der Antragstellerin (* …*) wurde Haschisch und ein Grinder aufgefunden.
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Ausweislich der Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom 27.02.2023 an das LRA A* …, wurde das Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin wegen Handels mit oder Herstellens von oder Abgabe bzw. Besitz von nicht geringen Mengen BtM nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
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Nach der polizeilichen Mitteilung vom 31.03.2023 fuhr die Antragstellerin am 18.02.2023 um 19.30 Uhr unter Cannabiseinwirkung mit einem Kraftfahrzeug. Sie gab an, zuletzt am 18.02.2023 gegen 17.30 Uhr zwei Joints in ihrer Wohnung eingenommen zu haben. Bei der entnommenen Blutprobe wurden folgende Blutwerte ermittelt: 104 μg/l THC, 27 μg/l 11-Hydroxy-THC, 422 μg/l THC-Carbonsäure. Das forensisch-toxikologische Gutachten vom 23.02.2023 führt aus, dass der Nachweis von THC und seinen Metaboliten einen kürzlich erfolgten Cannabis-Abusus beweist. Die Antragstellerin habe nachweislich zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von Cannabis-Produkten gestanden, sodass eine Fahrt unter Einfluss von berauschenden Mitteln im Sinne des § 24a StVG anzunehmen sei.
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Ausweislich des bei der angeordneten Blutentnahme gefertigten ärztlichen Berichts, sind keine äußeren Hinweise auf Drogeneinfluss festgestellt worden.
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Ausweislich der Polizeiberichte vom 28.11.2022 und 28.06.2023 ist die Antragstellerin in S* … (Landkreis A* …*) tatsächlich wohnhaft und war dort bis zum 11.09.2022 auch mit einziger Wohnung gemeldet. Nach Auskunft des Behördeninformationssystems vom 14.06.2023 ist sie seit 11.09.2022 mit einziger Wohnung in W* … M* … (Landkreis S* …*) gemeldet. Aus dem Polizeibericht vom 28.06.2023 geht hervor, dass die Ummeldung erfolgt ist, um einen Schul- und Kindergartenplatz in W* … für ihre Kinder zu bekommen. Tatsächlich war die Antragstellerin ausweislich des Polizeiberichts vom 28.06.2023 nie in W* … M* … wohnhaft. Nach einem nicht erfolgreichen Zustellungsversuch des Anhörungsschreibens an die Meldeadresse der Antragstellerin, wurde die Antragstellerin mit Schreiben vom 05.07.2023, der Antragstellerin am 06.07.2023 mittels PZU an ihre tatsächliche Wohnung in S* … und nicht an ihre Meldeadresse in W* … M* … zugestellt, zum beabsichtigten Fahrerlaubnisentzug angehört.
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Mit Schreiben vom 05.07.2023 erteilte das LRA A* … gegenüber dem LRA S* … die Zustimmung gemäß § 73 Abs. 2 FeV zur Zuständigkeitsübertragung.
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Mit Schreiben vom 21.07.2023 zeigte der Bevollmächtigte der Antragstellerin seine Bevollmächtigung an.
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Mit Schreiben vom 21.08.2023 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Stellung nehmen. Dem Antragsgegner sei die ärztliche Cannabisverordnung der Antragstellerin seit Jahren bekannt. Der behördlichen Aufforderung zur Rezeptvorlage sei die Antragstellerin nachgekommen. Insbesondere ergebe sich aus dem medizinischen Gutachten der IBBK-GmbH vom 15.08.2019, dass die Schmerzsymptomatik der Antragstellerin unter der bestehenden Medikation keine nachteiligen Auswirkungen auf die Teilnahme am Straßenverkehr habe, eine körperliche Bewegungseinschränkung nicht vorläge. Aus dem Gutachten gehe hervor, dass die Antragstellerin überhaupt erst durch den Einsatz von Cannabismedizin in der Lage sei, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Sie dürfe mutmaßlich nicht am Straßenverkehr teilnehmen, wenn sie nichts gegen ihre Schmerzsymptomatik auf der Grundlage von medizinischem Cannabis unternehme.
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Die der Antragstellerin zur Last gelegten Verkehrsverstöße würden auch von nicht unter Cannabiseinfluss fahrenden Verkehrsteilnehmern begangen werden. Es werde darauf hingewiesen, dass die von der Staatsanwaltschaft … erhobenen Vorwürfe nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden seien, was einen kleinen Freispruch darstelle.
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Die erforderlichen Ermittlungen bezüglich der Antragstellerin seien noch nicht abgeschlossen, sodass ein Fahrerlaubnisentzug rechtswidrig wäre.
32
Mit Bescheid vom 04.09.2023, dem Bevollmächtigten der Antragstellerin gegen Empfangsbekenntnis zugestellt am 12.09.2023, wurde der Antragstellerin durch den Antragsgegner die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen (Ziffer 1). Die Antragstellerin wurde verpflichtet, ihren Führerschein innerhalb von 5 Werktagen ab Zustellung des Bescheids abzugeben (Ziffer 2). In Ziffer 3 wurde die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffern 1 und 2 des Bescheids angeordnet. Für den Fall, dass die Verpflichtung aus Ziffer 2 nicht innerhalb von 5 Werktagen ab Zugang des Bescheids erfüllt wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Ziffer 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragstellerin nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, §§ 46 Abs. 1 Satz 1, 11 Abs. 7 FeV die Fahrerlaubnis entzogen werden könne. Bei der Antragstellerin lägen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigten, dass sie zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Grundsätzlich schließe regelmäßiger Cannabiskonsum die Fahreignung nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV aus. Sofern eine Dauerbehandlung mit medizinischem Cannabis nicht zum Verlust der Fahreignung führen solle, setze dies Voraus, dass das Medikament nach ärztlicher Verordnung zuverlässig eingenommen werde. Bereits vor der Verordnung von Medizinal-Cannabis sei gegen die Antragstellerin wegen illegalem Marihuana-Anbau ermittelt worden. Bei der 2022 durchgeführten Durchsuchung seien nun erneut erhebliche Mengen von Marihuana bzw. Haschisch sowie Gegenstände zum Cannabisanbau aufgefunden worden. Das vor Ort aufgefundene Marihuana-Tabakgemisch sowie die aufgefundenen Grinder seien Hinweise auf Eigenkonsum. Dies sei durch die Aussage der Antragstellerin untermauert, dass sie am 18.02.2023 um 17:30 Uhr zwei Joints konsumiert habe. Zur Konsumation von Joints werde aus Fachkreisen abgeraten. Ferner sei die bei der Antragstellerin am 18.02.2023 nachgewiesene Wirkstoffkonzentration im Blut um ein Vielfaches höher, als dies im Durchschnitt bei nichtbestimmungsgemäßer Einnahme von medizinischem Cannabis anzunehmen wäre. Diese erhebliche Wirkstoffüberschreitung belege den Wegfall des Medikamentenprivilegs. Es sei von einem regelmäßigen Konsum auszugehen. Das sichere Führen von Fahrzeugen und die gefahrlose Verkehrsteilnahme seien nicht mehr gewährleistet und die Antragstellerin habe sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Ferner seien auch erhebliche Mengen nichtmedizinischen Cannabis bei der Antragstellerin aufgefunden worden. An der Beibringung eines Gutachtens sei nicht festzuhalten, da die Nichteignung zur Überzeugung des Antragsgegners (§ 11 Abs. 7 FeV) feststehe.
33
Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
34
Der Führerschein der Antragstellerin wurde am 18.09.2023 beim Antragsgegner abgegeben.
35
Mit am 15.09.2023 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten hat die Antragstellerin Klage erhoben und einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Zur Begründung wird im Wesentlichen der Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Ferner wird ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid überwiegend auf Spekulationen, haltlosen Annahmen und einem unvollständig ermittelten Sachverhalt basiere und daher rechtswidrig sei. Die Antragstellerin habe ihren Führerschein seit 2009 und seitdem sei es zu keinen Unfällen oder besonders auffälligen Eintragungen im Fahreignungsregister gekommen. Die Aberkennung des Arzneimittelprivilegs sei einem medizinischen Gutachten vorbehalten und könne nicht von der Verwaltungsbehörde vorgenommen werden. Die angewandten FeV-Vorschriften seien vorliegend unanwendbar, da die Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen verpflichtet sei, Cannabis zu konsumieren. Auch sei die Verabreichungsform als Joint oder Inhalation bzw. Verdampfung für den zu erreichenden Zweck egal. Die Darreichungsform als Joint sei zwar schädlicher als das Verdampfen, habe jedoch keine Auswirkung auf die Fahreignung.
36
Die erforderlichen Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Ferner verstoße der Fahrerlaubnisentzug gegen den Grundsatz des mildesten Mittels. Vor dem Fahrerlaubnisentzug hätte ein neues medizinisches Gutachten eingeholt werden müssen oder eine MPU sei durchzuführen gewesen. Die bei der Blutentnahme am 18.02.2023 festgestellte erhebliche Wirkstoffüberschreitung sei auf die sehr zierliche Person (158 cm, 50 Kilo) der Antragstellerin zurückzuführen. Durch die Wirkstoffüberschreitung falle das Medikamentenprivileg nicht weg.
37
Die Antragstellerin beantragt,
nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamtes S* … vom 04.09.2023, Geschäftszeichen: … wiederherzustellen und den Antragsgegner zu verpflichten, den bereits abgelieferten Führerschein zu den Händen des Unterzeichners wieder herauszugeben (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO), die Hinzuziehung des Unterzeichners für notwendig zu erklären.
38
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
39
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids vom 04.09.2023 verwiesen. Der Entscheidung sei zugrunde gelegen, dass der Antragstellerin seit 2019 medizinisches Cannabis verordnet würde, bei einer Wohnungsdurchsuchung im Jahr 2022 erhebliche Mengen Marihuana bzw. Haschisch sowie Gegenstände zum Cannabisanbau aufgefunden worden seien und die Antragstellerin am 18.02.2023 unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt habe und die dabei festgestellte Wirkstoffkonzentration nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eine missbräuchliche bzw. verordnungswidrige Cannabiseinnahme belege. Danach falle das Arzneimittelprivileg weg und es sei von einem fahreignungsausschließenden, regelmäßigen Cannabis-Konsummuster auszugehen. Ein Gutachten habe aufgrund der feststehenden Nichteignung nicht in Betracht gezogen werden können. Ferner sei die Aussage, dass die Statur der Antragstellerin die hohe Wirkstoffkonzentration erkläre, weder nachvollziehbar noch wissenschaftlich belegt. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin wiederholt illegales Cannabis in erheblichen Mengen bevorratet habe. Auch sei die Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges ausreichend gewesen, es handele sich um eine ausreichende, „gruppentypisierte“ Begründung, die die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt habe.
40
Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
41
Der Antrag hat keinen Erfolg. Der Antrag ist teilweise unzulässig. Soweit er zulässig ist, ist er unbegründet.
42
1. Soweit der Antrag darauf gerichtet ist, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des Bescheides vom 04.09.2023 anzuordnen, ist er bereits unzulässig, da der Führerschein beim LRA am 18.09.2023 abgegeben wurde. Durch die Erfüllung der Verpflichtung hat sich die Androhung des Zwangsgeldes bereits vor Antragstellung erledigt. Nachdem auch sonst nicht ersichtlich ist, dass das LRA insoweit weiterhin Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen möchte, ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht mehr ersichtlich.
43
Im Übrigen ist der Antrag zulässig. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, soweit dies durch Bundesgesetz oder Landesgesetz vorgeschrieben ist, oder soweit die sofortige Vollziehung durch die den Verwaltungsakt erlassende Behörde besonders angeordnet wird. Hinsichtlich der Ziffer 1 und 2 des Bescheids hat die erlassende Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer 3). Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO kann das Gericht bei einem bereits vollzogenen Verwaltungsakt die Aufhebung der Vollziehung anordnen. In diesem Sinne ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auszulegen.
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2. Der Antrag bleibt auch in der Sache, soweit er zulässig ist, ohne Erfolg.
45
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung der Antragstellerin auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
46
a. An der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs bestehen keine Zweifel. Insbesondere hat das LRA die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet.
47
Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen, in denen die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug anordnet, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Die Begründung darf nicht lediglich formelhaft sein, sondern muss die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen darlegen, die die Annahme eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses tragen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Für bestimmte Arten behördlicher Anordnungen ist nämlich das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch (vgl. z. B. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 46, 55). § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde daher in solchen Fällen nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt.
48
Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch das Fahrerlaubnisrecht gehört (vgl. BayVGH, B. v. 8.9.2015 – CS 15.1634 – juris Rn. 6).
49
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 04.09.2023 wird diesen Anforderungen gerecht. Insbesondere hat das LRA die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 begründet, indem sie konkret auf das Interesse der Antragstellerin und die Gefahren, die durch nichtgeeignete Fahrzeugführer ausgehen können, eingegangen ist und dargelegt wurde, dass die Abgabe des Führerscheines notwendig sei, um einem Missbrauch bei Polizeikontrollen vorzubeugen.
50
b. Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
51
aa. Im vorliegenden Fall ergibt sich bei summarischer Prüfung, dass die Klage gegen die Ziffer 1 des Bescheids vom 04.09.2023 aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
52
Die Meldeadresse der Antragstellerin liegt im Landkreis S* …, somit im originären Zuständigkeitsbereich (§ 73 Abs. 2 Satz 1 FeV) des tätig gewordenen LRA S* … Es liegen zwar Anhaltspunkte vor, dass die tatsächliche Wohnung – auf diese kommt es ausschließlich an (vgl. Geiger in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 73 FeV Rn. 3) – der Antragstellerin zu jedem Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens im Zuständigkeitsbereich des Landratsamtes A* … lag und liegt, jedoch würde dies – unterstellt es träfe zu, keinen Anspruch der Antragstellerin auf Aufhebung der Fahrerlaubnisentziehung begründen.
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Unterstellt, die Antragstellerin habe während des Verwaltungsverfahrens zu keinem Zeitpunkt an ihrer Meldeadresse im Landkreis S* … gewohnt – was sie zu keinem Zeitpunkt vorgetragen hat und diese Vermutung lediglich im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen geäußert wurde – wäre die Entziehung der Fahrerlaubnis formell rechtswidrig, da die örtlich unzuständige Behörde tätig geworden ist. Eine Zustimmung des LRA A* … hinsichtlich des Tätigwerdens des LRA S* … nach § 73 Abs. 2 FeV i.V.m. Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG wäre in diesem Fall nicht möglich, da das LRA S* … nicht bisher zuständig war, sondern zu keinem Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens zuständig gewesen ist. Dies würde jedoch gemäß Art. 46 BayVwVfG keinen Anspruch der Antragstellerin auf Aufhebung der Fahrerlaubnisentziehung begründen, da es insoweit an einer Rechtsverletzung der Antragstellerin fehlen würde (BVerwG, U. v. 17.02.1981 – 7 C 55.79 – beck online Rn. 26), weil offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat und die Entziehung der Fahrerlaubnis im Übrigen materiell rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die örtliche Unzuständigkeit des LRA hätte nicht die Nichtigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts (Art. 44 Abs. 3 Nr. 1 BayVwVfG) zur Folge. Damit wäre die Entziehung der Fahrerlaubnis bei örtlicher Unzuständigkeit „lediglich“ rechtswidrig, sodass Art. 46 BayVwVfG zur Anwendung käme (BayVGH, B. v. 22.11.2010 – 11 CS 10.2372 – beck online Rn. 10); VG Augsburg, B. v. 15.05.2013 – Au 7 S 13.590 – beck online Rn. 17 BVerwG, U. v. 17.02.1981 – 7 C 55.79 – beck online Rn. 26). Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein wegen der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der erlassenden Behörde beansprucht werden, wenn keine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre. So liegt der Fall hier, weil bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen ist (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV).
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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaberin als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel u.a. nach der Anlage 4 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist nicht fahrgeeignet, wer regelmäßig, d.h. täglich oder nahezu täglich Cannabis konsumiert. Ein Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde in diesem Fall nicht zu. Die bestimmungsgemäße Einnahme von ärztlich verordnetem Medizinalcannabis unterfällt grundsätzlich nicht der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, da es sich um einen Fall der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln handelt (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV). Eine missbräuchliche Einnahme, d.h. regelmäßiger übermäßiger Gebrauch, der z. B. bei einer Einnahme des Medikaments in zu hoher Dosis oder entgegen der ärztlichen Verschreibung angenommen werden kann, beurteilt sich hingegen nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV und schließt die Fahreignung aus (BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 11 ZB 20.1138 – juris, Rn. 12). Wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass zwar eine ordnungsgemäße Verordnung, jedoch eine solche missbräuchliche Einnahme vorliegt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens (§ 11 Abs. 2 Satz 3 FeV) zu dieser Frage an (vgl. VG Augsburg, B. v. 21.12.2021 – 7 S 21.2297, BeckRS 2021, 51203 Rn. 27 f.). Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinalcannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, ferner, dass das Medizinalcannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – juris, Rn. 22, m.w.N.; VG Augsburg, B. v. 21.12.2021 – 7 S 21.2297 – BeckRS 2021, 51203 Rn. 33; BayVGH, B. v. 30.3.2021 – 11 ZB 20.1138 – BeckRS 2021, 7392).
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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze, bestehen keine Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage.
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Von einem regelmäßigen Cannabiskonsum der Antragstellerin ist auszugehen. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren die Antragstellerin selbst vorbringen lässt, dass sie regelmäßig Cannabis konsumieren muss, um überhaupt am Straßenverkehr teilnehmen zu können und zu dürfen.
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Zum anderen ergibt sich dies daraus, dass die in ihrer am 18.02.2023 entnommenenen Blutprobe festgestellten Werte von THC-Carbonsäure (THC-Metabolit THC-COOH) von 422 μg/l die Konzentration von 150 ng/ml THC-COOH im Blutserum erheblich übertroffen haben (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2022 – 11 CS 21.3010 – juris Rn. 10 m.W.N.). Dass eine derartige Konzentration nur bei regelmäßigem Cannabiskonsum zu erreichen ist, stellt eine gesicherte, auf rechtsmedizinischen Untersuchungen beruhende Erkenntnis dar (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2019 – 11 CS 18.2605 – juris Rn. 13 m.w.N.; Dal-drup/Käferstein/Köhler/Maier/Musshoff, Blutalkohol 2000, S. 39/43 f.; Möller in Hettenbach/Kalus/Möller/Pießkalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. Aufl. 2016, § 3 Rn. 127 ff., 230 ff. jeweils unter Hinweis auf einzelne Studien; Zwerger, Berührungspunkte von Toxikologie und Rechtsprechung: Blutwerte nach Cannabiskonsum und Fahreignung, XV. Symposium der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie, 18. – 21.4.2007, Tagungsband S. 61/65 unter Hinweis auf gutachtliche Stellungnahmen des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München an das Staatsministerium des Innern vom 23.8.2005 und 25.10.2005; vgl. auch Kriterium D 4.1 N Nr. 8 der Beurteilungskriterien, Urteilsbildung in der Fahreignung, 4. Aufl. 2022, S. 176, wonach bereits eine THC-COOH-Konzentration von mehr als 100 ng/ml nicht mehr mit der Annahme gelegentlichen Cannabiskonsums in Einklang zu bringen ist), der die ständige Rechtsprechung und Fachliteratur gefolgt sind (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2022 und B.v. 24.4.2019 jeweils a.a.O.; SächsOVG, B.v.14.7.2021 – 6 B 257/21 – juris Rn. 5; OVG LSA, B.v. 9.6.2021 – 3 M 118/21 – ZfSch 2021, 538 Rn. 5; OVG SH, B.v. 14.2.2020 – 5 MB 2/20 – juris Rn. 6; OVG Berlin-Bbg., B.v. 27.8.2018 – OVG 4 S 34.18 – juris Rn. 5 m.w.N.; HessVGH, B.v. 15.9.2016 – 2 B 2335/16 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 11.2.2015 – 16 B 50/15 – juris Rn. 8; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 10. Aufl. 2022, Vor § 29 ff. Rn. 471; Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, § 3 StVG Rn. 52 ff.; Zwerger, ZfS 2007, 551/552). Konzentrationen von 100 bis 150 ng/ml liegen oberhalb der Werte, die nach Rauchversuchen im Blut bzw. Serumproben festgestellt worden sind (vgl. Daldrup/Käferstein/Köhler/Maier/Musshoff, a.a.O. S. 43 m.w.N.). Ob die Antragstellerin weiterhin konsumiert, ist, da der maßgebliche Entscheidungszeitpunkt der Erlass des streitgegenständlichen Bescheides und damit der 04.09.2023 ist, nicht erheblich.
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Ferner ist darauf hinzuweisen, dass selbst wenn die Statur und das Gewicht der Antragstellerin Auswirkungen auf die gemessene THC-COOH Konzentration haben sollte – was weder nachvollziehbar ist noch wissenschaftliche Belege für diese Behauptung ersichtlich sind – die bei der Antragstellerin gemessene Konzentration an THC-COOH den Grenzwert – ab der von einem regelmäßigen Cannabiskonsum auszugehen ist – um ein Mehrfaches übersteigt, sodass auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes von einem regelmäßigen Cannabiskonsum auszugehen ist.
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Grundsätzlich ist aufgrund des festgestellten regelmäßigen Cannabiskonsums die Fahreignung nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ausgeschlossen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn wie ausgeführt, die bestimmungsgemäße Einnahme von ärztlich verordnetem Medizinalcannabis vorliegt, da es sich dann um einen Fall der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln handelt (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV).
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Ein Unterfallen unter das Medizinalcannabisprivileg ist nur dann anzunehmen, wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinalcannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen und die Medikamenteneinnahme ärztlich überwacht wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass die Betroffene in Situationen, in denen ihre Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. VGH Mannheim, B. v. 16.1.2023 – 13 S 330/22 – BeckRS 2023, 296 Rn. 6 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Die einer Verschreibung zugrunde liegende ärztliche Verordnung muss insbesondere im Hinblick auf Gebrauch und Dosierung eindeutig sein. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und dem Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln vom 20. Januar 1998 (Betäubungsmittelverschreibungsverordnung – BtMVV, zuletzt geändert durch Art. 2 V v. 2.7.2018) ist z.B. auf das Betäubungsmittelrezept die Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesangabe oder im Falle, dass den Patienten eine schriftliche Gebrauchsanweisung übergeben wurde, ein Hinweis auf diese schriftliche Gebrauchsanweisung erforderlich. Auch aus der Ausarbeitung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern und der Bundesapothekerkammer vom 2. März 2017 „Verordnung von Arzneimitteln mit Cannabisblüten, -extrakt und Cannabinoiden – Information für verschreibende Ärzte/innen“ (abrufbar im Internet unter https://www.kbv.de) geht hervor, dass bei der Verordnung von Medizinalcannabis die Gebrauchsanweisung eindeutig sein muss und unklare Verordnungen nicht beliefert werden dürfen. Aus der Verordnung muss sich dabei auch die Anzahl der an einem Tag einzunehmenden Einzelgaben ergeben (vgl. zum Ganzen wiederrum BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – juris Rn. 30). Weiterhin ist notwendig, dass die Cannabiseinnahme ausreichend vom verschreibenden Arzt ärztlich überwacht wird. Derjenige Arzt, der die Rezepte für das Medizinalcannabis ausstellt, muss Kenntnis davon haben, ob das Medizinalcannabis verordnungsgemäß, insbesondere nach der entsprechenden Dosierungsanleitung eingenommen wird, um beurteilen zu können, ob nach dessen (bestimmungsgemäßen) Verbrauch ein neues Rezept ausgestellt werden kann (vgl. VGH Mannheim, B. v. 16.1.2023 – 13 S 330/22 – BeckRS 2023, 296 Rn. 11).
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Ausweislich der vorgelegten Rezepte ist weder eine Einzel(höchst) dosis, die für das Ausmaß und die Dauer der Beeinträchtigung der Fahreignung durch die berauschende Wirkung von Cannabis offensichtlich entscheidende Bedeutung hat, noch die Anzahl der Einzeldosen pro Tag festgelegt worden. Nach den der Behördenakte zu entnehmenden Rezepten ist stets lediglich eine – teils von Rezept zu Rezept stark variierende – Tageshöchstdosis teils sehr unterschiedlicher Cannabissorten erkennbar. Im Falle, dass dem Patienten eine schriftliche Gebrauchsanweisung übergeben wurde, ist ein Hinweis auf diese schriftliche Gebrauchsanweisung erforderlich. Auf den vorgelegten Rezepten findet sich der Hinweis „nach ärztl. Vorschrift“, der auf eine schriftliche Gebrauchsanweisung hindeutet. Eine schriftliche Gebrauchsanweisung wurde jedoch weder vorgelegt, noch ist das tatsächliche Bestehen aus den Akten ersichtlich. Aus dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 21.03.2019 (Behördenakte Seite 81) ist lediglich die Tagesdosierung (0,5 – 1,0 Gramm) der Sorte Bedrocan ersichtlich. Im Übrigen weisen die Rezepte teilweise andere verordnete Sorten und auch deutlich höhere Tagesdosen von bis zu 2g pro Tag aus. Eine eindeutige ärztliche Verordnung im Hinblick auf Gebrauch und Dosierung liegt mithin nicht vor, sodass eine Privilegierung bereits aus diesem Grund ausscheidet.
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Ferner wurden auch keine Belege für eine regelmäßige ärztliche Überwachung der Medikamenteneinnahme vorgelegt. Insbesondere sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, weshalb die verschriebenen Cannabissorten, die verschriebene Menge sowie die Tagesdosen so stark variieren, wie es aus den der Behördenakte entnehmbaren, vorgelegten Cannabisrezepten der Fall ist. Die Verordnung erscheint beinahe willkürlich, ohne auch nur den geringsten Hinweis darauf, dass ärztlicherseits ausgeschlossen werden kann, dass die Fahreignung durch die Einnahme der jeweiligen Substanz insbesondere aufgrund des unterschiedlichen Wirkstoffgehaltes der jeweiligen Blüten noch gegeben ist. Insbesondere stimmen weder die aus den vorgelegten Rezepten verordneten Mengen mit den Angaben der Antragstellerin – meist 10g alle 10 Tage – (Behördenakte Seite 114) überein noch die Tagesdosierungen und Cannabissorten mit dem Ärztlichen Attest vom 21.03.2019.
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Darüber hinaus ist auch keine zuverlässige Einnahme nach der ärztlichen Verordnung gegeben. Nach der genannten Ausarbeitung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern und der Bundesapothekerkammer vom 2. März 2017 können Cannabisblüten zur Inhalation verordnet werden. Eine Verordnung zum Rauchen ist danach nicht möglich (vgl. auch Hoch/Friemel/Schneider, Cannabis – Potenzial und Risiko – Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, S. 29 [abrufbar im Internet unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Drogen_und_Sucht/Berichte/Hoch_et_al_Cannabis_Potential_u_Risiko_SS.pdf]. Damit entfällt auch aus diesem Grund die Privilegierung der bestimmungsgemäßen Einnahme eines psychoaktiv wirkenden Arzneimittels (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – juris Rn. 29), da die Antragstellerin ausweislich ihrer eigenen Angabe im Rahmen der Verkehrskontrolle am 18.02.2023 am selben Tag zwei Joints geraucht hatte.
64
Die Gesamtumstände untermauern die nicht zuverlässige Einnahme nach der ärztlichen Verordnung. 2018 wurde die Antragstellerin rechtskräftig wegen unerlaubten Besitzes von Cannabis sowie vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Cannabis im Jahr 2017 an ihren Sohn verurteilt. Es wurden ausweislich des Strafbefehls vom 19.06.2018 bei der Antragstellerin 2 Crusher, 2 Bongs und eine Feinwaage jeweils mit Marihuanaanhaftungen gefunden.
65
Im gleichen Jahr fuhr die Antragstellerin unter Cannabiseinfluss einen Pkw. Auch die im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung bei der Antragstellerin im Jahr 2022 aufgefundenen Substanzen und Gegenstände untermauern die Annahme einer missbräuchlichen Cannabiskonsumentin, die neben dem Konsum des medizinischen Cannabis auch illegales Cannabis konsumiert. Ausweislich des Polizeiberichts der Polizeiinspektion … vom 28.11.2022 wurden in den Wohnräumen der Antragstellerin 121,2 Gramm getrocknete Marihuana-Blattmasse gefunden. Es kann sich hierbei nicht um medizinisches Cannabis gehandelt haben, da ausweislich der in der Behördenakte befindlichen Rezepte die Verschreibung von Cannabisblüten erfolgte.
66
Ferner wurden im Zeitraum vom 11.03.2022 bis zum 16.02.2023 nur noch sporadisch, teils nach mehrfacher Aufforderung, Cannabisrezepte vorgelegt, obwohl keine Gründe für eine nur noch sporadisch erforderliche Verschreibung vorgetragen wurden bzw. sonst ersichtlich sind. Indes ist auch dies ein Grund zur Annahme einer illegalen Ersatzbeschaffung, insbesondere um die hohen Kosten durch Medizinalcannabis zu vermeiden. Ausweislich der Angaben der Antragstellerin im Rahmen des Gutachtens der IBBK vom 15.08.2019 ist die Antragstellerin nicht berufstätig. Ebenfalls kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass gerade regelmäßig die eingelösten Rezepte vorzulegen seien, da aufgrund der hohen finanziellen Belastung der Antragstellerin durch das Medizinalcannabis eine hohe Missbrauchsgefahr bestehe.
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bb. Nach summarischer Prüfung wird auch die Klage gegen Ziffer 2 des Bescheides vom 5. Dezember 2022 – Anordnung der Ablieferung des Führerscheins – keinen Erfolg haben, da der Bescheid auch in dieser Hinsicht voraussichtlich rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung ist in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV zu finden. Ist die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig, ist auch die darauf aufbauende Anordnung, den zugehörenden Führerschein abzuliefern, nicht zu beanstanden. Denn nach § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG erlischt mit der Entziehung die Fahrerlaubnis. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG ist nach der Entziehung der Fahrerlaubnis der Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern.
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Nach allem war daher der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. dem Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit.