Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 19.10.2023 – AN 17 K 23.647
Titel:

Ablehnung des Beiladungsbewerbers auf Beiladung im Verfahren auf Erteilung einer Baugenehmigung

Normenkette:
VwGO § 65, § 87a Abs. 1, Abs. 3
Leitsatz:
Bei Verpflichtungsklagen kann das Gericht lediglich eine Verpflichtung zum Handeln aussprechen, aber die Handlung nicht selbst vornehmen, sodass eine unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung nicht eintreten kann. Eine Beiladung kommt deshalb bei Verpflichtungsklagen grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung, wenn der Drittbetroffene Adressat des eingeklagten Verwaltungsaktes werden soll, etwa im Fall der Klage eines Nachbarn auf rechtsaufsichtliches Einschreiten in Bezug auf den Bauherrn bzw. Störer. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grundsätzlich keine notwendige und einfache Beiladung eines baurechtlichen Nachbarn zum Verpflichtungsprozess des Bauherrn auf Baugenehmigung. Ausnahme einer zu Lasten des Nachbarn im Raum stehende Abweichungsentscheidung liegt nicht vor., Beiladung, Verpflichtungsklage, Beiladungsbewerber
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38065

Tenor

Der Antrag des Beiladungsbewerbers auf Beiladung zum Verfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Beiladungsbewerber ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. .412/106 der Gemarkung … (…). Dieses liegt östlich des Vorhabengrundstücks FlNr. 412/103 (…), von diesem getrennt durch einen Grundstückstreifen aus dem Grundstück FlNr. 412/105, das einem Dritten gehört.
2
Der Beiladungsbewerber beantragte mit Schriftsatz vom 17. Juli 2023 seine Beiladung zum seit 30. März 2023 anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren AN 17 K 23.647. Mit dieser Klage begehrt der Kläger als Bauherr im Wege der Verpflichtungsklage (Versagungsgegenklage) die Erteilung einer Baugenehmigung für ein bereits errichtetes Mehrfamilienhaus auf seinem Grundstück, was die Beklagte mit Bescheid vom 9. März 2023 abgelehnt hatte.
3
Der Beiladungsbewerber trägt vor, unmittelbarer Nachbar des Bauvorhabens zu sein. Er habe die Beklagte darauf aufmerksam gemacht, dass der Kläger abweichend von der ursprünglichen Baugenehmigung und unter Verletzung von Abstandsflächen sein Grundstück bebaut habe. Er habe deshalb ein Interesse an der Feststellung, dass das Bauvorhaben nicht genehmigungsfähig sei.
4
Die hierzu angehörte Klägerseite sprach sich mit Schriftsatz vom 1. August 2023 gegen die Beiladung aus. Eine solche sei nicht erforderlich und auch nicht zweckmäßig und sachgerecht. Der Nachbar könne seine rechtlichen Interessen losgelöst vom laufenden Klageverfahren verfolgen. Die Beklagte sei aufgrund seines Hinweises tätig geworden, eine weitere Einbindung in das Verfahren sei nicht erforderlich. Der Beiladungsbewerber sei auch nicht unmittelbarer Grundstücksnachbar.
5
Die Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz vom 8. August 2023 dahingehend, dass der Beiladungsbewerber nicht unmittelbarer Nachbar sei, da ein privater Weg (FlNr. 412/105) zwischen seinem Grundstück und dem Vorhabengrundstück liege. Die Abstandsflächen seien vom Vorhaben eingehalten bzw. durch Abstandsflächenübernahme (Grundstück FlNr. 412/102) gesichert.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vom Gericht um Verfahren beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
7
Über die Beiladung entscheidet im vorbereitenden Verfahren die Berichterstatterin, § 87a Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 VwGO. Das gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift sowohl für die Vornahme als auch für die Ablehnung der Beiladung (ebenso BeckOK VwGO/Fertig, § 87a Rn. 14., a. A. wohl VG Ansbach, B.v. 23.3.2018 – AN 9 S 18.00335).
8
Der Beiladungsantrag wird abgelehnt. Es liegen weder die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO vor, noch hält die Kammer die einfache Beiladung des Beiladungsbewerbers nach § 65 Abs. 1 VwGO für sachgerecht und zweckmäßig.
9
Eine Beiladung eines Dritten zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig vorzunehmen, wenn ein Dritter an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die Entscheidung aus Rechtsgründen auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies ist bei Anfechtungsklagen der Fall, wenn eine Entscheidung auch gegenüber einem Dritten unmittelbar rechtsgestaltend wirkt, etwa im Fall der Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung durch den Nachbarn im Hinblick auf den Bauherrn. Bei Verpflichtungsklagen ist zu berücksichtigen, dass diese, weil das Gericht lediglich eine Verpflichtung zum Handeln aussprechen kann, aber die Handlung nicht selbst vornehmen kann (hier: die Baugenehmigung nicht selbst erteilt), eine unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung nicht eintreten kann. Eine Beiladung kommt deshalb bei Verpflichtungsklagen grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung, wenn der Drittbetroffene Adressat des eingeklagten Verwaltungsaktes werden soll, etwa im Fall der Klage eines Nachbarn auf rechtsaufsichtliches Einschreiten in Bezug auf den Bauherrn bzw. Störer (Schoch/Schneider/Bier/Steinbeiß-Winkelmann, VwGO, § 65 Rn. 27).
10
Für die hier vorliegende Konstellation besteht die Notwendigkeit der Beiladung bereits im Verpflichtungsprozess aber regelmäßig nicht, da der Beiladungsbewerber – falls die Verpflichtungsklage des Bauherrn erfolgreich sein sollte – gegen die dann zu erteilende Baugenehmigung noch mit einer (Dritt-)Anfechtungsklage vorgehen kann (BeckOK, VwGO/Kintz, § 65 Rn. 32, Schoch, a.a.O); das Verpflichtungsurteil entfaltet gegenüber einem nicht beteiligten Nachbarn nämlich keine Rechtskraft, vgl. auch § 121 VwGO.
11
Aus Gründen des rechtlichen Gehörs und der Prozessökonomie kann in bestimmten Fällen zwar eine Ausnahme zu machen sein (Kopp/Schenke, 25. Aufl. 2019, § 65 Rn. 18) und eine Beiladung des Drittbetroffenen gleich am Verpflichtungsprozess sinnvoll sein. Hierzu müsste der Nachbarn aber konkret, individuell und herausgehoben betroffen sein. Dass potentiell nachbarschützende Belange wie das Gebots der Rücksichtnahme, der Gebietserhaltungsanspruch oder Abstandsflächenrecht zum Prüfungsumfang im Baugenehmigungsverfahren gehören und eine Betroffenheit des Nachbarn durch das Vorhaben nicht ausgeschlossen werden kann, was regelmäßig der Fall ist, genügt hierfür noch nicht. Würde dies ausreichen, wären regelmäßig sämtliche Nachbarn, im Fall eines inmitten stehenden Gebietserhaltungsanspruchs sogar alle Gebietsangehörigen, am Verfahren zu beteiligen. Dies wäre nicht prozessökonomisch, würde die Gerichte schon im Hinblick auf den Ermittlungsaufwand überfordern und den Prozess damit auch unangemessen in die Länge ziehen (Kopp/Schenke, a.a.O. Rn. 18, 18a). Auch ohne formale Beiladung der Nachbarn hat sich das Gericht zudem von Amts wegen mit nachbarschützenden Belangen auseinanderzusetzen.
12
Eine Beiladung eines Nachbarn am Verpflichtungsprozess wäre aber dann (mindestens) sinnvoll, wenn eine Befreiungs- oder Abweichungsentscheidung zu seinen Lasten im Raum steht (Kopp/Schenke, Rn. 18, der allerdings offenlässt, ob in diesem Fall eine einfache oder eine notwendige Beiladung vorzunehmen ist). In diesem Fall kommt dem Nachbar eine adressatenähnliche Stellung zu. Eine solche Entscheidung kommt hier jedoch nicht in Betracht, auch nicht in Bezug auf die von Beiladungsbewerber gerügten Abstandsflächen. Eine Abweichungsentscheidung würde zum einen zunächst einen entsprechenden Abweichungsantrag des Bauherrn voraussetzen, der hier schon nicht gestellt ist. Eine Abstandsflächenverletzung bzw. die Notwendigkeit einer Abweichungsentscheidung von den gesetzlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO ist hier auch nicht erkennbar. Die Abstandsflächen zum Beiladungsbewerber sind vielmehr deutlich eingehalten. Zu diesem Ergebnis ist die Beklagte gekommen, dies weist der vom Kläger eingereichte Abstandsflächenplan nach und dies ergibt auch klar eine summarische Prüfung des Gerichts. Bei dem vom Beiladungsbewerber geltenden gemachten Abstandsflächenverstoß handelt es sich vielmehr um eine reine Behauptung ins Blaue hinein. Die Baugenehmigung wurde von der Beklagten aus anderen, nämlich rein objektiven Gründen versagt.
13
Da nachbarschützende Belange im Klageverfahren gerade nicht zentral inmitten stehen, erscheint eine Beiladung des Beiladungsbewerbers weder notwendig, noch zweckmäßig und sachgerecht. Dass der Beiladungsbewerber die Beklagte über die Errichtung des klagegegenständlichen Vorhabens informiert hat und das Baugenehmigungsverfahrens insoweit in Gang gebracht hat, begründet seine Beiladung ebenfalls nicht. Ein rechtliches Interesse am Verfahrensausgang besteht dadurch nicht.