Titel:
Ersatzfähige Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall bei Anmietung eines Werkstattersatzwagens
Normenketten:
BGB § 249
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Im Rahmen der Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten, deren Angemessenheit das Gericht hier nach "Schwacke" bewertet, kann eine Abweichung von der Schwacke-Liste gegebenenfalls veranlasst sein, wenn das vom Unfallgeschädigten entgeltlich in Anspruch genommene Ersatzfahrzeug nicht als Selbstfahrervermietfahrzeug zugelassen und versichert ist, sondern von dem Fahrzeugvermieter als Werkstattwagen gehalten wird (unter Hinweis auf LG Aschaffenburg BeckRS 2021, 41266). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Etwas anderes gilt aber dann, wenn unstreitig ist oder der Unfallgeschädigte nachweist, dass er von der Erforderlichkeit der ihm berechneten Mietwagenkosten ausgehen durfte; darf der Unfallgeschädigte nach den gegebenen Verhältnissen im Zeitpunkt der Anmietung davon ausgehen, dass eine reguläre, ordnungsgemäße und marktgerechte Vermietung eines entsprechend zugelassenen und versicherten Fahrzeugs an ihn erfolgt, sind die Schwacke-Sätze uneingeschränkt anzuwenden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. (Gesonderte) Kosten für Winterreifen stellen in diesem Zusammenhang bei einer Anmietung in den Wintermonaten grundsätzlich einen erforderlichen Wiederherstellungsaufwand iSv § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dar, wenn auf dem Mietwagenmarkt Mietfahrzeuge mit Winterbereifung nur gegen Zahlung eines Zuschlags für dieses Ausstattungsmerkmal angeboten werden (Anschluss an LG Aschaffenburg 11.5.2023 - 22 S 96/22; s. auch BGH BeckRS 2013, 7256 Rn. 25). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensersatz, Corona-Schutzmaßnahmen, Desinfektionskosten, Werkstattrisiko, Mietwagenkosten, Selbstfahrer-Mietfahrzeug, Werkstattersatzwagen, Winterreifen, Haftungsbefreiung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 38030
Tenor
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 559,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.09.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Hiernach hat die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf restlichen Schadensersatz aus dem Unfallereignis vom 30.10.2021 sowie auf die als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen in ausgeurteilter Höhe.
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Der Anspruch auf Zahlung ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr.1 VVG, § 1 PflVG sowie § 249 BGB.
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Die Klägerin ist ausweislich der mit Anlage K9 vorgelegten Freigabeerklärung im Hinblick auf die hier streitgegenständlichen Positionen aktivlegitimiert, so dass es auf den mit Schriftsatz vom 26.06.2023 gestellten Hilfsantrag nicht ankommt.
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Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Erstattung der restlichen Reparaturkosten, hier in Form der Desinfektionskosten, aus dem Grundsatz des Werkstattrisikos zu. Weiter hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der restlichen Mietwagenkosten.
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Die Haftung dem Grunde nach steht zwischen den Parteien nicht in Streit; es besteht lediglich Streit im Hinblick auf die Höhe der ausstehenden Reparaturkosten (Desinfektionskosten) in Höhe von 44,78 € sowie die restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 514,91 €.
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1. Die Höhe des Anspruchs richtet sich nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB.
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Danach kann der Geschädigte als erforderlichen Herstellungsaufwand die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ist jedoch zu berücksichtigen, dass den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten Grenzen gesetzt sind. Weist z.B. ein vorab eingeholtes Sachverständigengutachten Kosten als erforderlich aus, kann nicht erwartet werden, dass der Geschädigte, der regelmäßig Laie ist und sich überhaupt erst durch das erholte Gutachten Wissen über die erforderlichen Reparaturkosten verschafft, diese anzweifelt.
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2. Die Beklagte ist hiernach bereits nach den Grundsätzen des sog. Werkstattrisikos gemäß § 249 Abs. 2 S.1 BGB verpflichtet die durch Reparaturrechnung der Werkstatt belegten Instandsetzungskosten vollumfänglich, d.h. auch inklusive der hier streitigen Desinfektionskosten in Höhe von 44,78 € (brutto), zu übernehmen.
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a) Nach den Grundsätzen des sog. Werkstattrisikos hat der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung die Pflicht zur Zahlung der vollständigen Reparaturkosten. Der Geschädigte hat hier ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben (Anlage K1) und der Werkstatt den Auftrag erteilt, auf Basis dieses Gutachtens ihr Fahrzeug zu reparieren (Reparaturrechnung, Anlage K2). Die hier streitgegenständlichen Desinfektionskosten sind im Gutachten bereits ausgewiesen (Anlage K1, S. 7 f; Bl. 15 f d.A.). Dort sind die Materialkosten auf 7,50 € und die Desinfektionskosten auf 35,85 € jeweils netto beziffert. Die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten sind durch eine Rechnung belegt (Anlage K2, Bl. 33). In der Rechnung werden die Materialkosten auf 7,50 € und die Desinfektionskosten auf 30,13 € jeweils netto beziffert. Die ausgewiesenen Gesamtkosten (netto) bleiben damit sogar hinter der Schätzung im Sachverständigengutachten zurück.
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Ausweislich des Klägervortrags wurde hier auch nicht fiktiv abgerechnet, sondern nach erfolgter Reparatur. Soweit die Beklagte bestreitet, dass die Rechnung der Fa. Auto Centrum St. vom 24.11.2022 (Anlage K2) – im Zusammenhang mit Rechnungsstellung – bezahlt wurde, liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die in der Reparaturkostenrechnung ausgewiesenen und im vorab eingeholten Gutachten für erforderlich gehaltenen Arbeiten tatsächlich nicht bezahlt wurden. Der Vortrag erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein. Im Übrigen hat die Beklagte selbst den wesentlichen Teil der Reparaturkosten bereits erstattet. Warum daneben gerade die beanstandeten Positionen nicht bezahlt worden sein sollen, erschließt sich nicht. Daneben kann dies letztlich auch dahingestellt bleiben, da die Klägerin bereits nach Auftragserteilung gegenüber der Werkstatt zur Zahlung verpflichtet ist, so dass die Einstandspflicht der Beklagten nicht von der Zahlung abhängt.
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Ein Auswahl- und/oder Überwachungsverschulden der Klägerin ist nach den Umständen des Streitfalles weder ersichtlich noch dargetan, so dass die Klägerin auch kein Auswahl- und Überwachungsverschulden trifft.
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Der Kläger durfte die hier abgerechneten Desinfektionskosten hiernach für erforderlich halten. b)
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Die in der Rechnung vom 24.02.2022 ausgewiesenen Desinfektionskosten von 44,78 € (brutto) sind daneben zur Überzeugung des Gerichts auch von der Höhe ihrer Bezifferung nicht zu beanstanden.
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Ausweislich der o.g. Reparaturrechnung (Anlage K2, Bl. 33 f), und dem hierzu durch die Parteien gehaltenen Sachvortrag, setzt sich der o.g. noch offene Betrag aus COVID-19 Schutzmaßnahmen (3 AW = 30,13 €) und COVID-19 Schutzmaterial (7,50 €) plus MwSt. zusammen.
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Insofern sei auf den veröffentlichten Forschungsbericht des A. Zentrums für Technik (AZT), des Zentralverbands Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) sowie der Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung (IFL e. V.) hingewiesen. Hiernach ist grundsätzlich von Arbeitswerten von 3 AW und Verbrauchsmaterialien von 7,50 € für die Corona-Desinfektionskosten auszugehen.
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3. Daneben schuldet die Beklagte gemäß § 249 BGB auch die restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 514,91 €.
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a) Bei der Beurteilung der Höhe der erforderlichen Mietwagenkosten legt das Gericht als Schätzgrundlage – der ständigen Rechtsprechung im Landgerichtsbezirk Aschaffenburg folgend – den im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls geltenden Schwacke-Mietpreisspiegel, dort das arithmetische Mittel für das Postleitzahlengebiet am Ort der Anmietung, zugrunde. Die Verwendung des jeweils gültigen Schwacke-Mietpreisspiegels als Schätzgrundlage im Sinne von § 287 ZPO wird vom Bundesgerichtshof und auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung gebilligt bzw. für zulässig erachtet. Dem Gericht ist im Rahmen seiner Ermessensausübung im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung dabei durchaus bewusst, dass andere Gerichte teils auch andere Schätzgrundlagen heranziehen und die Schätzgrundlage sicherlich auch Schwächen aufweist, dennoch ist dem Schwacke-Mietpreisspiegel die generelle Eignung als Schätzgrundlage nicht abzusprechen, so dass von seiner Heranziehung im Rahmen von § 287 ZPO abgesehen werden müsste. b)
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Das Gericht kann anhand des weiteren Vortrags der Beklagten auch keine Anhaltspunkte erkennen, weshalb im hiesigen Einzelfall von den Tarifen des Schwacke-Mietpreisspiegels abgewichen werden sollte.
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Grundsätzlich kann nach Auffassung der hiesigen Berufungskammer eine Abweichung von der Schwacke-Liste ggf. veranlasst sein, wenn das vom Unfallgeschädigten entgeltlich in Anspruch genommene Ersatzfahrzeug nicht als Selbstfahrervermietfahrzeug zugelassen und versichert ist, sondern von dem Fahrzeugvermieter als Werkstattwagen gehalten wird. Dies weil die Kosten für die Vorhaltung von Werkstattersatzwagen deutlich geringer seien als die mit der Haltung von Selbstfahrervermietfahrzeugen verbundenen, weshalb bei der Schätzung der erforderlichen Kosten für die Anmietung von Werkstattersatzwagen nicht auf die Tarife der Schwacke-Liste abgestellt werden könne, die von einer ordnungsgemäßen Anmietung ausgehen. Wird zur Überbrückung der reparaturbedingten Ausfallzeit des unfallgeschädigten Wagens nur ein Werkstattersatzwagen zur Verfügung gestellt, so ist nach Ansicht der hiesigen Berufungskammer (s. Urteil vom 25.03.2021, Az.: 22 S 2/19) ein fünfzigprozentiger Abschlag von den Sätzen der Schwacke-Liste veranlasst.
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Etwas anderes gilt aber dann, wenn unstreitig ist oder der Unfallgeschädigte nachweist, dass er von der Erforderlichkeit der ihm berechneten Mietwagenkosten ausgehen durfte. Darf der Unfallgeschädigte somit nach den gegebenen Verhältnissen im Zeitpunkt der Anmietung davon ausgehen, dass eine reguläre, ordnungsgemäße und marktgerechte Vermietung eines entsprechend zugelassenen und versicherten Fahrzeugs an ihn erfolgt, sind die Schwacke-Sätze uneingeschränkt anzuwenden.
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Dass die Klägerin im vorliegenden Einzelfall hiervon ausging, davon ist das Gericht anhand des substantiierten Sachvortrages, spätestens mit Schriftsatz vom 04.09.2023 (Bl. 183 ff) und unabhängig von der Vorlage der Anlage K10, überzeugt. Denn für die Klägerin war anhand der objektiven Umstände der Vermietung, insbesondere aufgrund des Inhalts der schriftlichen Vereinbarung (Anlage K4), nicht erkennbar, dass ihr außerhalb eines regulären Vermietgeschäfts ein Wagen der Werkstatt zur Verfügung gestellt wird, der grundsätzlich nicht für eine gewerbsmäßige Vermietung bereitgehalten wird.
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c) Das Gericht hat auch keine Bedenken im Hinblick auf die Höhe der hier insgesamt (weiter) geltend gemachten Mietwagenkosten.
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Wie von der Klagepartei zutreffend ermittelt, liegt der in der Rechnung vom 24.11.2022 (Anlage K3, Bl. 35) geltend gemachte Betrag bereits unter dem nach dem Schwacke-Mietpreisspiegel berechneten Betrag. Die Klägerin hat ausweislich der Mietwagenrechnung / des Mietvertrags auch ein klassentieferes Fahrzeug angemietet.
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Mit der Berufungskammer (s. Urteil Landgericht Aschaffenburg vom 11.05.2023, Az.: 22 S 96/22) sieht das Gericht hier daneben auch die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Winterreifen als gegeben an, da diese bei einer Anmietung in den Wintermonaten grundsätzlich einen erforderlichen Wiederherstellungsaufwand im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB darstellen, wenn auf dem Mietwagenmarkt Mietfahrzeuge mit Winterbereifung nur gegen Zahlung eines Zuschlags für dieses Ausstattungsmerkmal angeboten werden. Das Fahrzeug ist hier zur Winterzeit (November 2021) angemietet worden. Winterreifen zählen gem. § 2 Abs. 3a StVO zu der für die Wintermonate erforderlichen Ausstattung eines Kraftfahrzeugs. Auch wenn der Autovermieter die Überlassung eines verkehrstauglichen Fahrzeugs schuldet, bedeutet dies nicht, dass er für die gem. § 2 Abs. 3a StVO erforderliche Ausstattung mit Winterreifen nicht eine gesonderte Vergütung verlangen kann (BGH, Urt. v. 15.03.2013 – VI ZR 245/11 – juris). Damit sind vorliegend Kosten für Winterreifen in Höhe von insg. 55,05 € erstattungsfähig.
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Gleichsam erachtet das Gericht auch die geltend gemachten Kosten in Höhe von 104,85 € zwecks Haftungsbefreiung für erstattungsfähig. Ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für einen Vollkaskoschutz ohne bzw. mit geringerer Selbstbeteiligung besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das Fahrzeug des Geschädigten in gleicher Weise versichert war, wenn der Geschädigte während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist (s o.g. Urteil des LG Aschaffenburg, m.w.N.). Bei Anmietung eines Ersatzwagens, den man nicht so gut kennt wie das eigene Fahrzeug, besteht zur Überzeugung des Gerichts immer ein Haftungsrisiko und dem Geschädigten ist dieses Risiko – auch nicht bis auf einen geringfügigen Selbstbehalt – zuzumuten.
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Der Geltendmachung der Kosten für die Anmietung des Navigationssystems, dessen Anmietung sich auch unmittelbar aus dem Mietvertrag vom 24.11.2021 (Anlage K3) ergibt, ist die Beklagte daneben schon nicht substantiiert entgegengetreten. So dass auch diese Kosten in Höhe von insg. 46,35 € erstattungsfähig sind.
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Der Klägerin steht daneben auch der geltend gemachte Zinsanspruch aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 BGB zu.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
30
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.