Titel:
Kein Schadensersatz gegen den Motorenhersteller wegen der Verwendung eines Thermofensters
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten erst in der Berufungsinstanz kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich ist. Für die Frage eines Rechtsmissbrauchs kommt es nicht darauf an, ob der Parteiwechsel objektiv sachdienlich iSd § 533 ZPO wäre. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob die Belange der neuen Klagepartei dadurch verkümmert werden, dass sie erst in der Berufungsinstanz in den Rechtsstreit hineingezogen wird, an dem sie bisher nicht beteiligt war, und dadurch eine Tatsacheninstanz verliert. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle eines Emissionskontrollsystems, das nicht bereits im Ausgangspunkt danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber dem Motorhersteller nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Ein nicht mit dem Fahrzeughersteller identischer Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Typengenehmigung, Motorhersteller, Emissionskontrollsystem
Vorinstanz:
LG Deggendorf, Urteil vom 16.08.2022 – 22 O 171/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37994
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 16.08.2022, Az. 22 O 171/22, wird hinsichtlich der Berufungsbeklagten zu 2) als unzulässig verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Deggendorf sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren für die Zeit bis 30.10.2023 auf 23.336,67 € und für die anschließende Zeit auf 27.911,67 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen des behaupteten Einbaus unzulässiger Abschalteinrichtungen in ein Kraftfahrzeug.
2
Der Kläger erwarb am 28.04.2020 von der Autohaus K. GmbH in H. den streitgegenständlichen, von der jetzigen Beklagten zu 2) hergestellten Audi A6 Avant 2.0 TDI, FIN: …45, zu einem Preis von 30.500 € als Gebrauchtfahrzeug. Das Fahrzeug wurde am 31.03.2016 erstzugelassen. Es wies im Zeitpunkt des Kaufs durch den Kläger eine Laufleistung von 73.000 km auf. In dem Fahrzeug ist ein von der in erster Instanz allein verklagten Beklagten zu 1) hergestellter Dieselmotor des Typs EA 288 mit der Schadstoffklasse Euro 6 und 140 kw Leistung verbaut. Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs findet durch eine Kombination aus einerseits einer innermotorischen Abgasrückführung (AGR-Rate) und andererseits einer nachgelagerten Abgasreinigung durch SCR-Katalysator mit AdBlue-Einspritzung statt.
3
Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.
4
Der Kläger behauptete, die Beklagte zu 1) habe auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug, wie bereits zuvor bei den von ihr hergestellten Motoren der Baureihe EA 189, in sittenwidriger Weise getäuscht. Das Fahrzeug sei so programmiert, dass es den NEFZ-Prüfzyklus erkenne. Die Stickoxide würden in dem Prüfzyklus „anders und besser“ reduziert als im Normalbetrieb. Das Fahrzeuge habe eine Aufheizstrategie, die dazu führe, dass der SCR-Katalysator im Prüfzyklus früher zugeschaltet werde. Auch werde bei dem SCR-Katalysator im Prüfzyklus eine größere Menge AdBlue eingespritzt, während im Normalbetrieb die eingespritzte Menge deutlich zu gering sei. Der tatsächliche Verbrauch an AdBlue sei unplausibel zu niedrig. Sodann bleibe die Abgasrückführungsrate im Prüfstandsmodus hoch, während im Normalbetrieb nach Erreichen der für das wirksame Funktionieren des SCR-Katalysators erforderlichen Temperatur die Abgasrückführungsrate verringert werde. Das Fahrzeug befinde sich entweder im Normalbetrieb, oder im Prüfstandsmodus. Das KBA habe hiervon keine Kenntnis gehabt. Die Umschaltfunktion habe sodann entfernt werden müssen, die Beklagte zu 1) habe diese jedoch in veränderter Form mindestens bis zur Kalenderwoche 4/2018 beibehalten.
5
Der Kläger beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 24.856,83 € (Kaufpreis abzüglich der bereits als möglich berechenbaren Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand bei Klageeinreichung) abzüglich einer weiter zu berechnenden, vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz zzgl. Zinsen aus dem sich dadurch ergebenden Klageforderungsbetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …45.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.583,89 € freizustellen.
6
Die Beklagte zu 1) beantragte,
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Die Beklagte zu 1) erwiderte, dass in dem betroffenen Motor, insoweit anders als in dem Vorgängermotor EA 189, keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.
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Der bloße Verbau einer Prüfstandserkennung sei nicht unzulässig.
9
Die Abgasrückführung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei in einem Temperaturbereich zwischen -24° C und 70° C zu 100% aktiv, eine Abrampung finde nicht statt. Bei Temperaturen unterhalb von -24° C und oberhalb von 70° C sei die Deaktivierung der Abgasrückführung zum Schutz des Motors erforderlich.
10
Das KBA habe ab Oktober 2015 Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 288 intensiv auf das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen untersucht und das Nichtvorhandensein mehrfach bestätigt.
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Mit Endurteil vom 16.08.2022, Az. 22 O 171/22 wies das Landgericht Deggendorf die Klage ab.
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Zur Begründung führt das Landgericht aus, der Kläger habe kein Verhalten der Beklagten zu 1) aufgezeigt, das nach den Maßstäben der Rechtsprechung als sittenwidrig anzusehen wäre. Von einer vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typengenehmigung könne nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typengenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. Für eine arglistige Täuschung des KBA bei der Untersuchung des streitgegenständlichen Motors habe der Kläger keine Anhaltspunkte substantiiert vorgetragen. Eine sittenwidrige Schädigung scheide zudem bereits wegen der Tatbestandswirkung der Typengenehmigung aus und der Klagepartei sei durch den Fahrzeugkauf auch kein Schaden im Sinne der §§ 826, 249 Abs. 1 BGB entstanden, der bereits in dem Abschluss des Kaufvertrages liege. Für das streitgegenständliche Fahrzeug bestehe keine Gefahr einer Betriebsuntersagung, die den Kaufvertrag unvernünftig erscheinen lassen könne. Hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB fehle eine Bereicherungsabsicht der Beklagten, hinsichtlich eines Anspruchs aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sei jedenfalls kein kausaler Vermögensschaden des Klägers ersichtlich. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird im Übrigen Bezug genommen.
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Mit seiner am 16.09.2022 eingelegten und am 17.10.2022 begründeten Berufung verfolgt der Kläger zunächst sein erstinstanzliches Klageziel unter Anpassung des Nutzungsersatzes auf den Kilometerstand vom 25.07.2022 und im Übrigen unverändert weiter.
14
Mit Schriftsatz vom 30.10.2023 erweiterte der Kläger das Verfahren sodann auf die Beklagte zu 2). Der Kläger führt hierzu aus, der Unterschied zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) bestehe nur darin, dass es sich bei der Beklagten zu 1) um die Motorherstellerin handelt, während es sich bei der Beklagten zu 2) um die Fahrzeugherstellerin handelt. Der Kläger nimmt zu dem behaupteten Anspruch gegen die Beklagte zu 2) ergänzend Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und benennt zum Beweis für die Tatsache, „dass die Beklagte zu 2) bzw. ihre Mitarbeiter sich darüber im Klaren waren, dass im Motor, den die Beklagte zu 1) hergestellt hat, unzulässige Abschaltvorrichtungen vorhanden sind“ „Zeugnis N.N.“ (Schriftsatz vom 30.10.2023, S. 2, Bl. 632 d.A.).
15
Die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) haben der Klageerweiterung jeweils nicht zugestimmt (Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 13.11.2023, Bl. 635 d.A.; Schriftsatz der Beklagten zu 2) vom 27.11.2023, dort S. 2, Bl. 656 d.A.).
I. 1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerschaft 23.336,67 € (Kaufpreis abzüglich der Nutzungsentschädigung mit Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz) abzüglich einer weiter zu berechnenden vom Gericht auf Basis einer Gesamtlaufleistung von zumindest 300.000 km zu schätzenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Zugrundelegung des Kilometerstandes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …45.
I.2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
I. .3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.583,89 € freizustellen sowie.
I.4. Hilfsweise für den Fall, dass der Senat eine Verurteilung der Beklagten zu 1) nach § 826 BGB verneint: Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, der Klägerpartei einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs Audi A6, FIN: …45 in Höhe von 4.575,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
II. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, der klagenden Partei 4.575,00 € zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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Die Beklagte zu 1) beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
18
Die Beklagte zu 2) beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen sowie vorsorglich Klageabweisung.
19
Die Beklagte zu 1) verteidigt das Urteil des Landgerichts. Der Kläger habe eine sittenwidrige Täuschung nicht substantiiert dargelegt. Fahrzeuge mit dem Motorentyp EA 288 seien Gegenstand einer intensiven Prüfung durch das KBA gewesen. Das KBA habe mehrfach bestätigt, dass das Vorhandensein einer Fahrkurve keine unzulässige Abschalteinrichtung begründe. Die Messungen des KBA hätten zudem gezeigt, dass das bei den Motoren des Typs EA 288 verwendete Abgasnachbehandlungssystem auch bei variierten Prüfbedingungen bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte einhalte. Die Beklagte verwende zur Einhaltung der Grenzwerte auch keine unterschiedliche Strategie zur Dosierung des AdBlue. Eine je nach Motortemperatur unterschiedliche Menge an AdBlue sei erforderlich, weil das SCR-System erst ab einer Temperatur von ca. 200° C seine volle Wirksamkeit entfalte. Die AdBlue-Dosierung sei im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht an das Erkennen des Prüfzyklus geknüpft. Die in Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 288, SCR-Katalysator und Produktionsstart vor der Kalenderwoche 47/2015 ursprünglich vorhandene Fahrkurvenerkennung und die daran geknüpfte konstant hohe AGR-Rate im Prüfstandmodus habe wenn, dann erst im letzten Teil des Fahrzyklus Bedeutung, da erst dann die Motortemperaturen ein Niveau erreiche, bei dem im Normalbetrieb die Abgasrückführungsrate verringert werde. Die Funktion habe daher keine über Messstreuungen hinausgehende Auswirkung gehabt. Bei Neufahrzeugen und Modellpflegen ab der Kalenderwoche 47/2015 und auch bei Feldfahrzeugen könne die Fahrkurve daher ersatzlos entfallen.
20
Mit einem weiteren Schriftsatz vom 16.11.2023 führt die Beklagte zu 1) sodann aus, es könne auch innerhalb des weiten Temperaturfensters von -24° C bis 70° C dazu kommen, dass durch in der Motorsteuerung vorgesehene Korrekturen der AGR-Rate die Außentemperatur mittelbar die AGR-Rate beeinflusse.
21
Die Beklagte zu 2) wendet sich gegen die Zulässigkeit der Parteierweiterung in zweiter Instanz. Sie stimme der Parteierweiterung nicht zu. Die Verweigerung ihrer Zustimmung sei nicht rechtsmissbräuchlich. Ihr werde durch die Parteierweiterung eine Tatsacheninstanz genommen. Da der gegen sie behauptete Anspruch geringer als 5.000 € sei, wäre eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts im Berufungsrechtszug für diesen Anspruch, der in erster Instanz beim Amtsgericht hätte erhoben werden müssen, nicht gegeben.
22
Der Senat hat am 13.12.2023 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2023, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
23
Soweit sich die Berufung gegen die Beklagte zu 2) richtet, war sie als unzulässig zu verwerfen.
24
Durch Schriftsatz vom 30.10.2023 erweitert der Kläger die bis zu diesem Zeitpunkt allein gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage auf die Beklagte zu 2) mit dem Begehren, die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 4.575,00 € nebst Zinsen zu zahlen. Damit verfolgt der Kläger gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch, der nach dem Wortlaut dieses Schriftsatzes und nach der ausdrücklichen Erklärung des Klägervertreters auf die entsprechende Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2023 (Protokoll S. 2 unten, Bl. 663 d.A.) nicht gesamtschuldnerisch geltend gemacht, sondern kumulativ und zusätzlich zu dem weiterhin gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Zahlungsanspruch verlangt wird.
25
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Parteierweiterung in der Berufungsinstanz erfolgen kann, ist umstritten. Während Teile der Literatur eine Parteierweiterung in der Berufungsinstanz mit dem Argument als stets unstatthaft ablehnen, dass bis zu der Parteierweiterung zwischen dem Kläger und der neuen Beklagten kein Prozessrechtsverhältnis und infolgedessen auch kein mit der Berufung angreifbares Urteil erster Instanz besteht (so namentlich Hüßtege in Thomas/Putzo, 44. Aufl. vor § 50 Rn. 26) kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Ausdehnung des Rechtsstreits auf einen weiteren Beklagten erst in der Berufungsinstanz ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich ist (BGH, Urteil vom 18.03.1997, XI ZR 34/96, juris Rz. 24 sowie – für den Parteiwechsel – BGH, Urteil vom 08.07.2022, V ZR 202/21, juris Rz. 27). Bereits nach diesen Grundsätzen erweist sich die von der Klagepartei angestrebte Parteierweiterung als unzulässig.
26
Beide Beklagten haben die Zustimmung zur Parteierweiterung verweigert. Dies geschah von Seiten der Beklagten zu 2) auch nicht rechtsmissbräuchlich. Für die Frage eines Rechtsmissbrauchs kommt es nicht darauf an, ob der Parteiwechsel objektiv sachdienlich im Sinne des § 533 ZPO wäre; vielmehr ist darauf abzustellen, ob die Belange der neuen Klagepartei dadurch verkümmert werden, dass sie erst in der Berufungsinstanz in den Rechtsstreit hineingezogen wird, an dem sie bisher nicht beteiligt war, und dadurch eine Tatsacheninstanz verliert (vgl. BGH, Urteil vom 13.7.1956 – VI ZR 32/55, Rz. 7). Hiernach kommt die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Verweigerung der Zustimmung insbesondere in zwei Fallgestaltungen in Betracht, einmal wenn der neue Beklagte schon bisher, etwa weil von Anfang an streitig war, welche Partei verklagt war, oder weil er bisher als Nebenintervenient beteiligt war, eine enge Beziehung zum Rechtsstreit hatte, und zum anderen, wenn keine Einwendungen oder Einreden des neuen Beklagten denkbar sind, die nicht auch der bisherige Beklagte hätte geltend machen können (vgl. BGH, Urteil vom 26.2.1987 – VII ZR 58/86, Rz. 12; MünchKomm-ZPO /Becker-Eberhard, 6. Aufl., § 263 Rz. 80; Beck-OK-ZPO / Bacher, 50. Ed., § 263 Rz. 6 m.w.Nachw.). Beide Konstellationen liegen nicht vor. Weder war die Beklagte zu 2) bisher als Nebenintervenientin am Rechtsstreit beteiligt noch sind keine neuen Einwendungen der Beklagten zu 2) denkbar. Die subjektive Seite der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen (§§ 826, 823 Abs. 2 BGB) ist für jede Partei getrennt nach dem Vorstellungsbild der jeweils haftungsrechtlich verantwortlichen Organe (§ 31 BGB) der jeweiligen Gesellschaft zu beurteilen. Bisher hatte die Beklagte zu 1) keinen Anlass, zum Vorstellungsbild der Organe der Beklagten zu 2) vorzutragen. Bereits deshalb ist ein berechtigtes Interesse der Beklagten zu 2) an der Verweigerung ihrer Zustimmung anzuerkennen.
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Vorliegend kommt hinzu, dass eine isoliert gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage wegen des geringeren Wertes des gegen die Beklagte zu 2) geltend gemachten Anspruchs vor dem Amtsgericht und damit in einem abweichenden Instanzenzug zu erheben gewesen wäre. Sodann und schließlich streitet hier auch § 533 Nr. 2 ZPO gegen die Zulässigkeit der Parteierweiterung, denn der Kläger begehrt nach seinen ausdrücklichen Erklärungen von der Beklagten zu 2) einen weiteren Schadensersatz neben und kumulativ zu dem von der Beklagten zu 1) verlangten Schadensersatz. Die Voraussetzungen dieses weiteren Ersatzanspruchs hätte der Kläger daher, wie oben bereits ausgeführt, neu vorzutragen – was hinsichtlich der subjektiven Tatbestandsmerkmale im Schriftsatz vom 30.10.2023 mit allerdings unbehilflichem, da unbenannten Beweisantritt durch Zeugenbeweis, nur ansatzweise erfolgt. Der nach dem Klageantrag eigenständige Ersatzanspruch gegen die Beklagte zu 2) kann somit entgegen § 533 Nr. 2 ZPO gerade nicht (vollständig) auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (vgl. dazu Zöller/Greger, § 263 Rn. 19).
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Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage war daher als unzulässig abzuweisen.
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Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Berufung ist zulässig aber unbegründet. Das Landgericht hat die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat hinsichtlich des großen Schadensersatzes die Voraussetzungen eines Anspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB nicht dargelegt und auch andere Anspruchsgrundlagen sind insoweit nicht ersichtlich. Hinsichtlich eines Anspruchs auf Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist die Beklagte zu 1), die Herstellerin des Motors aber nicht Herstellerin des Fahrzeugs und auch nicht Inhaberin der EG-Typengenehmigung ist, nicht passivlegitimiert, sodass es auf die Frage, ob insoweit die weiteren Voraussetzungen dieses Anspruchs dargelegt wurden, nicht ankommt. Im Einzelnen:
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Vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte zu 1), die Herstellerin des Motors des Fahrzeugs, aber nicht Verkäuferin des Fahrzeugs ist, kommen nicht in Betracht. Anhaltspunkte für ein zwischen den Parteien bestehendes vorvertragliches Schuldverhältnis sieht der Senat nicht.
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Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1) aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) hat das Landgericht zu Recht verneint. Denn es fehlt bereits an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten zu 1) gegenüber der Klagepartei.
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1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15, BGH Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 14). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es maßgeblich darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 17).
33
Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Motorherstellers, der nicht zugleich Hersteller des Fahrzeugs ist vor, wenn der Motorhersteller auf der Grundlage einer für sein Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung den Motor im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer unmittelbar auf die arglistige Täuschung des Typengenehmigungsbehörde abzielenden und eigens zu diesem Zweck entwickelten Steuerungssoftware ausstattet und diesen Motor in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von dem Fahrzeughersteller in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 20). Eine unmittelbar auf die arglistige Täuschung des KBA als Typengenehmigungsbehörde abzielende Steuerungssoftware ist gegeben, wenn die zu diesem Zweck entwickelte Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die Software dadurch dem KBA wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die festgelegten Grenzwerte einhalten (s. BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 17 zur entsprechenden Haftung des Fahrzeugherstellers).
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Dabei kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht mehr sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Verhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen (BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 5/20, juris Rz. 30 ff.).
35
Im Falle eines Emissionskontrollsystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht bereits im Ausgangspunkt danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 18), ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten Motorherstellerin nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 28). Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
36
2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Kläger nicht vorsätzlich und sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB geschädigt.
37
a) Soweit die Klagepartei eine der Umschaltlogik im Motor EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung behauptet, enthält ihr Vortrag keine greifbaren Anhaltspunkte hierzu und vermag eine Beweisaufnahme daher nicht zu rechtfertigen.
38
aa) Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde oder Einblicks in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 26 f.). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH a.a.O. Rz. 28; BGH, Urteil vom 16.9.2021, VII ZR 190/20, juris Rz. 23).
39
bb) Nach diesen Anforderungen verfehlen die Behauptungen der Klagepartei zu einer der Umschaltlogik des EA 189 vergleichbaren Motorsteuerung die Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag. Denn sie bieten angesichts der Tatsache, dass das KBA bei den dargestellten mehrfachen Überprüfungen keine Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gefunden hat, keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vergleichbar unzulässigen Abschalteinrichtung.
40
Der Vortrag, die gesetzlichen Abgaswerte würden im Realbetrieb anders als auf dem Prüfstand nicht eingehalten, ist kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer dem EA 189 vergleichbaren Umschaltlogik, da angesichts der unterschiedlichen Bedingungen im Prüfstands- bzw. Realbetrieb ein unterschiedliches Abgasverhalten auch unabhängig von einer Umschaltlogik zu erwarten war (BGH, Urteil vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, juris Rz. 23 a.E.; Hinweisbeschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 30; vgl. auch Beschluss vom 25.11.2021, III ZR 202/220, juris Rz. 17; Urteil vom 26.4.2022, VI ZR 435/20, juris Rz. 15).
41
Soweit die Klagepartei als Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung auf anderweitige Messungen der DUH Bezug nimmt, dringt sie damit ebenfalls nicht durch. Das KBA hat ausweislich des Berichts zur Untersuchungskommission Diesel (Anlage B 1) Messungen bezüglich des Motors EA 288 gerade nicht nur im NEFZ, sondern auch mit einer Reihe anderer Fahrzyklen auch außerhalb des Prüfstandes vorgenommen (Anl. B 1, S. 15 ff.). Hierbei hat das KBA bezüglich des Motors EA 288 nur solche Abweichungen von den Messungen im NEFZ festgestellt, die aufgrund der abweichenden Rahmenbedingungen zu erwarten waren, aber nicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen schließen lassen (Anl. B 1, S. 12, S. 18, S. 60). Im Unterschied dazu wurden bei vergleichbaren Messungen bezogen auf den Motor EA 189 Abweichungen festgestellt, die nur durch eine Abschalteinrichtung zu erklären waren (Anl. B 1 S. 12, S. 114). Sodann hat das KBA auch eine Straßenmessung so durchgeführt, wie es der späteren RDE-Vorschrift, basierend auf dem RDE-Vorschlag der Europäischen Kommission entspricht (a.a.O. S. 17 unten). Abweichende Messungen der DUH im „realen Fahrbetrieb“ unter anderweitigen – unklaren – Parametern sind mithin nicht aussagekräftig und stellen kein Indiz für eine Manipulationssoftware dar.
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b) Auch die Verwendung eines SCR-Katalysators in Verbindung mit einer Fahrkurvenerkennung rechtfertigt nicht die Annahme eines besonders verwerflichen Verhaltens der Beklagten. Nach dem Vortrag der Klagepartei soll die Fahrkurvenerkennung bewirken, dass im Prüfstand anders als im Realbetrieb zum einen die Abgasrückführungsrate erhöht und zum anderen vermehrt AdBlue eingespritzt werde. Die Beklagte hat bestritten, dass im Prüfstandsmodus eine abweichende Einspritzung von AdBlue erfolge und zur Abgasrückführungsrate ausgeführt, dass Unterschiede allenfalls am Ende des Prüfzyklus auftreten könnten und sich dann im Bereich von Messstreuungen bewegten.
43
Ob der Vortrag der Klagepartei zutrifft und ob es sich dabei tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handelt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lässt sich – anders als bei der Umschaltlogik der EA189-Motoren – nicht schon aus der Verwendung der behaupteten und – unterstellt unzulässigen – Fahrkurvenerkennung ein arglistiges Verhalten der Beklagten ableiten. Eine Fahrkurvenerkennung / Zykluserkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve relevante Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 48). Daran fehlt es.
44
Es fehlen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz der Fahrkurvenerkennung für die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen durch den streitgegenständlichen Motor im Prüfstand relevant war. Das KBA hat u.a. mit Auskunft vom 25.01.2021 gegenüber dem Oberlandesgericht München (Anlage B 28) bestätigt, dass auch bei Deaktivierung der Funktion der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte im Prüfverfahren nicht überschritten werden.
45
Die EA-288-Motoren wurden vom KBA insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission Volkswagen vom Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe des freiwilligen Software-Updates (im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel) und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Dabei war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach Ansicht des KBA unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des Motors EA 189 sensibilisiert. Zudem hatte die V. AG das KBA mit Schreiben vom 29.12.015 (Anl. B 5) von der Fahrkurvenerkennung im Motor EA 288 unterrichtet. Dennoch kam das KBA bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorläge und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung eingehalten würden.
46
Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wurde, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typengenehmigung nicht zu tragen. Daher kommt es nicht darauf an, ob gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug die Fahrkurvenerkennung überhaupt je enthalten war oder noch enthalten ist. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es insgesamt nicht. Damit kommt es ferner nicht darauf an, ob gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug die Fahrkurvenerkennung überhaupt je enthalten war oder noch enthalten ist. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es nicht.
47
c) Das unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend ebenfalls nicht.
48
Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug ist unstreitig abhängig von der Umgebungstemperatur. Unklar sind allerdings die genauen Temperaturdaten, zu denen eine Verminderung oder Abschaltung erfolgen soll. Die Klagepartei lässt sich dazu nicht näher aus. Die Beklagte zu 1) behauptet diesbezüglich zuletzt, dass zwar die Abgasrückführung im Temperaturbereich zwischen -24°C und + 70 °C ohne Abrampung vollständig aktiv sei; dass es allerdings auch in diesem Temperaturbereich zu mittelbar durch die Umgebungstemperatur beeinflussten Änderungen der Abgas-Rückführungsrate kommen könne (Schriftsatz vom 16.11.2023, Bl. 637 ff. d.A.).
49
Der Einsatz einer derart temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rz. 13.; Urteil vom 16.9.2021 – VI ZR 190/20, Rz. 16). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021 – VI ZR 889/20, Rz. 28).
50
Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war hoch umstritten. Der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 ging von der Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte (BGH v. 16.9.2021 a.a.O. Rz. 30). Soweit die Klagepartei dies behauptet, ist der erkennbar ins Blaue hinein gemachte Vortrag prozessual unbeachtlich. Dem oben zitierten Vortrag der Klagepartei kann gerade nicht entnommen werden, das Thermofenster sei speziell auf die Prüfbedingungen des NEFZ abgestimmt worden. Denn im Rahmen des NEFZ sind senatsbekannt in den Standardprüfzyklen Temperaturen von 20°C bis 30°C vorgegeben. Von einer Abschalteinrichtung, die exakt auf die Prüfbedingungen im NEFZ abgestimmt ist, kann damit schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers keine Rede sein (vgl. auch schon BGH vom 9.3.2021, a.a.O. Rz. 20, 24).
51
Zwar könnten sich unter Umständen aus einer etwaigen Verschleierung im Typengenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführung (auch) temperaturabhängig ist, Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung einzusetzen, und mithin für die Täuschungsabsicht ergeben (BGH vom 9.3.2021, a.a.O. Rz. 24). Indes lässt sich aus dem Klägervortrag hier keine derartige Verschleierung ableiten, der ein solcher Indizcharakter zukäme. Eine unterbliebene Offenlegung des Thermofensters oder dessen genauer Wirkungsweise gegenüber dem KBA reichen insofern nicht aus (BGH, Hinweisbeschluss vom 15.9.2021 – VII ZR 2/21, Rz. 15; Urteil vom 16.9.2021, a.a.O. Rz. 26; Urteil vom 24..2022 – III ZR 270/20, Rz. 22; Urteil vom 18.9.2023 – VIa ZR 1508/22, Rz. 22).
52
Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, a.a.O. Rz. 32; Beschluss vom 15.9.2021, a.a.O. Rz. 23).
53
d) Die Behauptungen der Klagepartei zu weiteren Abschalteinrichtungen im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalten keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB und vermögen daher eine Beweisaufnahme hierzu nicht zu rechtfertigen.
54
aa) Der Vorwurf der Klagepartei, die Beklagte habe mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems (OBD) getäuscht, rechtfertigt nicht die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB. Die Annahme, dass das OBD selbst eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, wäre angesichts der Tatsache, dass Aufgabe eines Diagnosesystems nur die Anzeige von (Fehl-)Funktionen ist, fernliegend. Selbst wenn die konkrete Ausgestaltung des OBD gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen würde, ergäbe sich aus diesem Befund allein nicht der Vorwurf verwerflichen Verhaltens gegenüber der Klagepartei. Eine – unterstellte – Manipulation des OBD-Systems stellt auch kein Indiz für die Verschleierung einer im Bewusstsein der Unzulässigkeit installierte unzulässigen Abschalteinrichtung dar. Denn wenn die Beklagte eine in Rede stehende Programmierung des Abgassystems für zulässig hielt, hat sie naturgemäß dafür Sorge getragen, dass beim korrekten Arbeiten des Systems nach dieser Programmierung keine Fehlermeldung erscheint.
55
bb) Das Argument, die Motoren EA 189 und EA 288 seien parallel entwickelt worden, trägt nicht. Daraus lässt sich keineswegs ein Indiz ableiten, dass die Motoren über die gleiche Abschalteinrichtung verfügten. Zudem hat das KBA den Motor wie ausgeführt mehrfach untersucht. Dabei erfolgten die ersten Untersuchungen gerade vor dem Hintergrund der 2015 aufgedeckten unzulässigen Umschaltlogik im Rahmen des EA 189. Dennoch hat das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung entdeckt. Einen verpflichtenden Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp gibt es unstreitig nicht.
56
e) Der Senat vermag auch in der Gesamtschau der vorstehend erörterten Umstände kein den Vorwurf der Sittenwidrigkeit tragendes besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei zu erkennen.
57
Das Begehren der Klagepartei kann auch nicht auf andere Anspruchsgrundlagen gestützt werden.
58
1. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheidet mangels vorsätzlichen Handelns (vgl. oben) aus. Im übrigen würde es an einer Stoffgleichheit zwischen dem von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteil und einem Schaden der Klagepartei fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20, Rz. 19 ff.).
59
2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte zu 1) auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Der Hilfsantrag – über den jedenfalls deshalb zu entscheiden ist, weil der Senat einen Anspruch aus § 826 BGB verneint, sodass dahinstehen kann, ob es in dieser Konstellation überhaupt eines Hilfsantrags bedarfs – ist unbegründet. Der Anspruch scheitert daran, dass die Beklagte zu 1) nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs und damit auch nicht Verantwortliche für die Typengenehmigung ist.
60
a) Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich (Urteile vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann.
61
b) Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft jedoch den Fahrzeughersteller, nicht den Motorhersteller. Der BGH (Urteil vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21, juris Rz. 28 ff.) hat die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.3.2023 – C-100/21, Rz. 78 ff., 91) auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typengenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV knüpft daher an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt (BGH, Urteil vom 10.7.2023, VIa ZR 1119/22, juris Rz. 20).
62
c) Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten zu 1) als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an einer durch den Fahrzeughersteller (= Beklagte zu 2) begangenen deliktischen Schädigung kommt vorliegend nicht in Betracht. Zwar kann Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 8.2.2018, IX ZR 103/17, juris Rz. 66). Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht (BGH, Urteil vom 10.7.2023, VIa ZR 1119/22, juris Rz. 21). Vorliegend trägt die Klagepartei zu einem vorsätzlichen Handeln der für die Fahrzeugherstellerin (= Beklagte zu 2) nach § 31 BGB verantwortlichen Personen nicht substantiiert vor. Obwohl der Senat durch Verfügung der Senatsvorsitzenden vom 1.8.2023 unter Ziffer 1.2 auf diesen Gesichtspunkt ausdrücklich hingewiesen hatte, beschränkt sich der Vortrag des Klägers hierzu auf die Angabe im Schriftsatz vom 30.10.2023 (Bl. 631 d.A.) wonach zum Beweis der Tatsache, dass die Beklagte zu 2) bzw. ihre Mitarbeiter sich darüber im Klaren waren, dass im Motor, den die Beklagte zu 1) hergestellt hat, unzulässige Abschaltvorrichtungen vorhanden sind, „Zeugnis N.N.“ angeboten wird. Damit fehlt es an substantiiertem Vortrag zu einer vorsätzlichen Haupttat, zu der Beihilfe hätte geleistet werden können.
63
Nach alledem kommt ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV schon dem Grunde nach nicht in Betracht.
64
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
65
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Zu würdigen waren die Umstände des Einzelfalles.
66
Für den Streitwert war ab Rechtshängigkeit der gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Klage deren Wert hinzuzurechnen, denn der Kläger hat trotz entsprechender Anregung des Senats ausdrücklich erklärt, die Ansprüche nicht gesamtschuldnerisch zu verfolgen.