Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem Asylrechtsstreit
Normenketten:
VwGO § 55a Abs. 2, § 55d S. 1, § 88, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3
AsylG § 71 Abs. 1, Abs. 5 S. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
GG Art. 6 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1
ERVV § 2 Abs. 1
Leitsätze:
1. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 ERVV müssen alle elektronischen Dokumente als PDF-Datei eingereicht werden. Unter den in § 2 Abs. 1 S. 2 ERVV genannten Voraussetzungen darf das Dokument zusätzlich als TIFF-Datei übermittelt werden. Die in § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 ERVV genannten Dateiformate stellen eine abschließende Aufzählung dar. Abweichungen hiervon, etwa die komprimierte Übermittlung elektronischer Dokumente im ZIP-Dateiformat, sind ausgeschlossen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beimisst oder die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gegenüberstellung der voneinander abweichenden Rechtssätze ist zur ordnungsgemäßen Erhebung einer Divergenzrüge unverzichtbar. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zulassungsantrag, rechtliches Gehör, Darlegungsanforderungen, Anforderungen an elektronisches Dokument, isolierter Folgeschutzantrag, Divergenz, Unionsrecht, grundsätzliche Bedeutung, mehrfach begründete Entscheidung, Entscheidungserheblichkeit
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 05.09.2023 – W 8 K 23.30092
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37979
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 5. September 2023 – W 8 K 23.30092 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) sind nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
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1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen
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Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dieses fundamentale Prozessgrundrecht ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, um einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 86, 133/145 f.; B.v. 25.9.2020 – 2 BvR 854/20 – NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26).
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Gemessen hieran geht die Rüge fehl, das Verwaltungsgericht habe gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es nicht zur Kenntnis genommen habe, dass der Kläger die Dateien zum Nachweis der Übermittlung des Schriftsatzes vom 16. September 2022 an das Bundesamt übersandt habe. Der Kläger habe dem Gericht die Exportdateien „in der Mitteilung vom 07.07.2023“ unter dem Titel “Nachricht_ 175438597_5114“ übermittelt. Dass dem Verwaltungsgericht versehentlich der Ausdruck einer anderen Datei vom 16. September 2022 übersandt worden sei, sei unerheblich.
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Damit wird ein Gehörsverstoß nicht hinreichend dargelegt. Das Gericht hat sich in dem angegriffenen Urteil vom 5. September 2023 mit der Frage des Zugangs des Schriftsatzes vom 16. September 2022 an das Bundesamt ausdrücklich befasst und die dem Gericht mit Schriftsatz des Klägers vom 19. Juli 2023 offenbar aus Anlass eines Telefonats mit dem Gericht (vgl. „im Nachgang zu dem Telefongespräch mit…“, Bl. 110) übersandte Eingangsbestätigung für den Nachweis des Zugangs beim Bundesamt nicht geeignet gehalten. Denn der vorgelegte Sendungsnachweis betreffe nur den Eilantrag mit dem dafür zuständigen Verwaltungsgericht Würzburg als Empfänger (vgl. UA S. 11 f.). Dass sich das Gericht in seinem Urteil nicht ausdrücklich damit auseinandergesetzt hat, ob es ausreichend sei, dass der Kläger dem Gericht bereits zuvor die Exportdateien vorgelegt habe, denen sich der Eingang des Schriftsatzes vom 16. September 2022 beim Bundesamt entnehmen lasse, begründet keinen Gehörsverstoß. Zwar ist es mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn ein Gericht einen ordnungsgemäß eingereichten Schriftsatz – oder eine Anlage hierzu – unberücksichtigt lässt (vgl. BVerfG, B.v. 16.2.2023 – 1 BvR 1881/21 – juris Leitsatz Nr. 1a und Rn. 13). Ausweislich der Prüfvermerke des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 2023 und 17. Juli 2023 hat der Kläger dem Gericht an diesen Tagen u.a. eine Datei mit den Namen „Nachricht 175438597_5114.ZIP“ übersandt, die wiederum mehrere Dateien, u.a. die Datei „175438597.export.html“ enthält. Diese vom Kläger (wohl) in Bezug genommenen Dateien sind jedoch nicht in der vorgeschriebenen Form bei Gericht eingereicht worden. Sie wurden erstmals im Zulassungsverfahren im PDF-Dateiformat übermittelt.
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Gemäß § 55d Satz 1 VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein (§ 55a Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Anforderungen an die Eignung ergeben sich gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO aus der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) vom 24. November 2017 (BGBl. I S. 3803), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I, S. 4607). Danach müssen alle elektronischen Dokumente als PDF-Datei eingereicht werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV). Unter den in § 2 Abs. 1 Satz 2 ERVV genannten Voraussetzungen darf das Dokument zusätzlich als TIFF-Datei übermittelt werden. Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 ERVV genannten Dateiformate stellen eine abschließende Aufzählung dar. Abweichungen hiervon, etwa die komprimierte Übermittlung elektronischer Dokumente im ZIP-Dateiformat, sind ausgeschlossen (Ulrich in Schoch/Schneider, 44. EL März 2023, VwGO, § 55a Rn. 52). Daran hat sich auch mit Inkrafttreten des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 5. Oktober 2021 nichts geändert. Mit der Änderung der ERVV zum 1. Januar 2022 sind zwar etliche ihrer „Muss-Bestimmungen“ entfallen. Als zwingende Dateiformatvorgabe ist jedoch verblieben, dass das elektronische Dokument im PDF-Dateiformat zu übermitteln ist (Müller in juris-PK-ERVV Band 3, 2. Aufl. 2022, VwGO § 55a Rn. 115, 121). Ob besondere Umstände (vgl. hierzu etwa BAG, B.v. 29.6.2023 – 3 AZB 3/23 – juris) zu einer anderen Beurteilung führen könnten, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn solche sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Im Übrigen ist der gerügte Verfahrensfehler auch nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat nämlich sein klageabweisendes Urteil insoweit auf mehrere, jeweils selbstständig tragende Gründe gestützt. Zum einen hat es die Klage schon deshalb abgewiesen, weil eine Rückkehr des Klägers nach Deutschland nicht absehbar sei, eine Abschiebung des Klägers damit derzeit nicht im Raum stehe, so dass grundsätzlich kein schutzwürdiges Interesse an einer Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bestehe. Folglich sei im vorliegenden Verfahren, das den Bescheid vom 27. Januar 2023 zum Gegenstand habe, nicht entscheidungserheblich, ob der klägerische Antrag dem Bundesamt noch vor der Abschiebung zugegangen sei (UA S. 11). Im Übrigen sei die Abschiebungsandrohung auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Februar 2023 (C-484/22) nicht als rechtswidrig anzusehen. Einer Ausreise des Klägers zum Zweck der Nachholung des Visumsverfahrens zum Familiennachzug hätten Gründe des Schutzes einer familiären Bindung des Klägers gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK nicht entgegengestanden (UA S. 12 f.). In einem solchen Fall der Mehrfachbegründung ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 6 ZB 17.31769; B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 3 m.w.N.). Daran fehlt es, weil sich die Zulassungsschrift allein gegen den ersten Begründungsstrang wendet (kein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung von Abschiebungsverboten nach Vollzug der Abschiebungsandrohung, s.u. unter 3.) und den zweiten Begründungsstrang (Beurteilung der Abschiebungsandrohung auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als rechtmäßig) nicht – den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend – mit Zulassungsgründen angreift.
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Soweit der Kläger weiter rügt, das Gericht habe nicht zur Kenntnis genommen, dass der Kläger einen Asylfolgeantrag gestellt habe und keine Mitteilung des Bundesamts nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG erfolgt sei, vermag er damit einen Gehörsverstoß nicht zu begründen. Das Gericht hat sich mit dem Vorbringen des Klägers, er habe mit Schriftsatz vom 12. September 2022, spätestens mit demjenigen vom 16. September 2022, einen Asylfolgeantrag beim Bundesamt gestellt, ausdrücklich befasst. Dass das Gericht dem nicht gefolgt ist, sondern lediglich von einem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens auf Feststellung des Bestehens von Abschiebungshindernissen (sog. isolierter Folgeschutzantrag, vgl. BayVGH, B.v. 20.9.2022 – 19 CE 22.2057 – Rn. 6) ausgegangen ist, stellt keinen Gehörsverstoß dar. Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beimisst oder die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.
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2. Auch für die behauptete Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) ist nichts dargelegt. Es wird nicht in der erforderlichen Weise (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 6 ZB 17.1011 – juris Rn. 27; B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 28 m.w.N.) ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechts- oder Tatsachensatz benannt, mit dem das Verwaltungsgericht von einem in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Divergenzgerichte in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll.
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Der Kläger beruft sich auf eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach entsprechend der Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs im Hinblick auf die Entscheidung vom 15. Februar 2023 (C-484/22) eine umfassende Beurteilung der Situation des oder der Minderjährigen vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung zu erfolgen habe. Abgesehen davon, dass weder die vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidungen („in den Verfahren zum Aktenzeichen 10 B 23.30595 und 12 B 23.30596“ – gemeint sein könnten die Prozesskostenhilfe-Beschlüsse vom 10.10.2023), noch der als Anlage zum Zulassungsantrag übersandte Zulassungsbeschluss des Bayerischen Veraltungsgerichtshofs vom 11. Juli 2022 (10 ZB 22.30674) diese Aussage so enthalten, benennt er nicht – wie erforderlich – einen ebenso abstrakten und zudem entscheidungserheblichen Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses in seiner Entscheidung dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof widersprochen hätte. Die Gegenüberstellung der voneinander abweichenden Rechtssätze ist aber zur ordnungsgemäßen Erhebung der Divergenzrüge unverzichtbar (BVerwG, B.v. 14.8.2013 – 8 B 36.13 – juris Rn. 7).
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Stattdessen rügt der Kläger, dass „nach dieser Rechtsansicht des Bayerischen VGH“ die Abschiebungsandrohung aufzuheben sei, da eine Überprüfung des Kindeswohls vor deren Erlass nicht erfolgt sei. Mit diesem Vortrag zeigt der Zulassungsantrag keine Abweichung von Rechtssätzen, sondern allenfalls die fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung von Rechtssätzen auf, die im Übrigen nicht den vom Kläger genannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, sondern derjenigen des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Februar 2023 – mithin eines nicht divergenzfähigen Gerichts im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG – entnommen sind. Auf Rechtsanwendungsfehler kann aber die Zulassung der Berufung wegen Divergenz nicht gestützt werden (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.2018 – 4 BN 23.17 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.
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Um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und schließlich darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 22.6.2017 – 6 ZB 17.30679 – Rn. 3; B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.).
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Der Kläger wirft folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam auf:
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1. Kann eine Abschiebungsandrohung nach Durchführung der Abschiebung noch weiter angefochten werden oder ist sie durch die Abschiebung verbraucht und damit unanfechtbar, wenn der Antrag auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung vor Durchführung der Abschiebung gestellt wurde?
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2. Ist die Frage der Rechtsmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Fall der Stellung eines Wiederaufnahmeverfahrens zu Feststellung von Abschiebungsverboten Streitgegenstand des Wiederaufgreifensantrags?
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3. Ist die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Fall der Stellung eines Asylfolgeantrags Streitgegenstand des Folgeantrags?“
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Der Kläger hat schon die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Fragen nicht dargelegt. Wie oben bereits ausgeführt, hat das Gericht sein klageabweisendes Urteil auf mehrere, jeweils selbstständig tragende Gründe gestützt. In einem solchen Fall der Mehrfachbegründung ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist. Daran fehlt es hier. Den zweiten Begründungsstrang (Beurteilung der Abschiebungsandrohung auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als rechtmäßig) hat der Kläger nicht substantiiert angegriffen.
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Im Übrigen sind die unter 2. und 3. gestellten Fragen nach dem Streitgegenstand eines Wiederaufgreifens- bzw. Asylfolgeantrags auch deshalb nicht geeignet, eine generelle („grundsätzliche“) Klärung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG herbeizuführen oder zu befördern, weil sie sich nur einzelfallbezogen beantworten lassen. Denn der Streitgegenstand eines auf Antrag eingeleiteten Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahrens lässt sich nicht abstrakt festlegen, sondern ist abhängig vom konkreten Begehren des Antragstellers, das – sofern es sich nicht bereits aus der Formulierung des Antrags ergibt – durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB, ggf. unter Rückgriff auf die Interessenlage des Antragstellers, zu ermitteln ist (vgl. § 88 VwGO für das Gerichtsverfahren). Soweit der Kläger geltend macht, sein Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten lasse bei verständiger Würdigung aus der maßgeblichen Sicht der Behörde erkennen, dass er eine möglichst umfassende Prüfung aller ihm günstigen Umstände – wie der Aufenthaltstitel seiner Kinder – habe erreichen wollen, er mithin das Wiederaufgreifen des Verfahrens auch hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Nr. 5 des Bescheids vom 22. März 2019 begehrt habe, worauf er einen Anspruch habe, bringt er der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils vor, die allerdings keinen Zulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
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Hinsichtlich der dritten Frage (Streitgegenstand eines Asylfolgeantrags) unterstellt der Kläger zudem einen Sachverhalt – die Stellung eines Asylfolgeantrags im Sinn des § 71 Abs. 1 AsylG – von dem das Gericht gerade nicht ausgegangen ist. Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Kläger weder mit Schriftsatz vom 12. September 2022 noch demjenigen vom 16. September 2022 beim Bundesamt einen (wirksamen) Asylfolgeantrag gestellt, sondern lediglich das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung des Bestehens von Abschiebungshindernissen beantragt (UA S. 10).
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung nach § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).