Titel:
Grundstücksbegriff im Erschließungsbeitragsrecht
Normenketten:
BauGB § 131 Abs. 1 S. 1
GBO § 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1
Leitsatz:
Die Annahme eines einzigen, mehrere Flurstücke umfassenden Buchgrundstücks ist ausgeschlossen, wenn sie im Bestandsverzeichnis unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 GBO zusammen mit einem weiteren Flurstück für denselben Eigentümer auf einem gemeinsamen Grundbuchblatt geführt werden und in Spalte 1 jeweils mit einer eigenen laufenden Nummer (1 bis 3) eingetragen sind. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Eckgrundstücksermäßigung, Formeller Grundstücksbegriff (Buchgrundstück), Verzeichnis der Grundstücke, Besonderes Grundbuchblatt/gemeinschaftliches Grundbuchblatt, Eintragung unter einer besonderen Nummer, Erschließungsbeitrag, Grundstücksbegriff, formeller Buchgrundstücksbegriff, Grundbuchblatt
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 22.09.2022 – W 3 K 21.554
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37977
Tenor
I.Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. September 2022 – W 3 K 21.554 – abgeändert. Der Kostenspaltungsbescheid des Beklagten vom 25. März 2021 wird insoweit aufgehoben, als ein höherer Erschließungsteilbeitrag als 25.012,96 € festgesetzt wird.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Mit Bescheid vom 25. März 2021 hatte der beklagte Markt den Kläger als Eigentümer des Grundstücks mit der FlNr. 3...1/9 im Wege der Kostenspaltung zu einem Erschließungs(teil)beitrag für die Teileinrichtungen Freilegung der Grundfläche, die Herstellung der Fahrbahn, Mischflächen, Beleuchtung und Entwässerungseinrichtungen für die Erschließungsanlage „Am T.“ in Höhe von 28.247,88 EUR herangezogen. Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 22. September 2022 diesen Kostenspaltungsbescheid aufgehoben, soweit er einen höheren Erschließungsbeitrag als 27.154,15 € festsetzt, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dabei hat das Verwaltungsgericht die beiden aneinander grenzenden Flurstücke 3...5/9 und 3...5/10 – anders als der Beklagte – bei der Beitragsberechnung als ein einziges (außerdem noch das Flurstück 3399/4 umfassendes) Buchgrundstück desselben Eigentümers angesehen und deshalb bei der Aufwandsverteilung zum Nachteil der anderen erschlossenen Grundstücke mit einer Eckermäßigung nach § 7 Satz 1 EBS für die gesamte Fläche der beiden Flurstücke berücksichtigt.
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Der Senat hat auf Antrag des Klägers die Berufung gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 24. August 2023 – 6 ZB 23.353 – zugelassen, soweit die Klage hinsichtlich eines sich aus der Zusammenfassung der Flurstücke 3...5/9 und 3...5/10 ergebenden Beitragsteils von 2.141,19 € abgewiesen worden ist.
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Im zugelassenen Umfang hat der Kläger Berufung eingelegt. Er beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. September 2022 abzuändern und den Bescheid des Beklagten insoweit aufzuheben, als für das klägerische Grundstück ein höherer Erschließungsbeitrag als 25.012,96 € festgesetzt und ein Zahlungsbefehl in selber Höhe ausgesprochen wurde.
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Er macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts seien die Flurstücke 3...5/9 und 3...5/10 bei der Beitragsberechnung als zwei eigenständige Grundstücke im bürgerlich-rechtlichen Sinn (Buchgrundstücke) zu betrachten und nicht als eine Einheit mit der Folge, dass nur das Grundstück FlNr. 3...5/10 eine Eckgrundstücksermäßigung erfahren dürfe. Die Beitragsbelastung des Klägers würde sich damit auf 25.012,96 € reduzieren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angegriffene Urteil.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat die beiden, an die abzurechnende Anbaustraße Am T. grenzenden Flurstücke 3...5/9 und 3...5/10 zu Unrecht als ein einziges (außerdem noch das Flurstück 3399/4 umfassendes) Buchgrundstück angesehen und deshalb bei der Aufwandsverteilung zum Nachteil der anderen erschlossenen Grundstücke mit einer Eckermäßigung für die gesamte Fläche berücksichtigt (1.). Bei richtiger – getrennter – Betrachtung ergibt sich für das klägerische Grundstück ein Beitrag von 25.012,96 € statt, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, von 27.154,15 € (2.). Das angegriffene Urteil ist entsprechend abzuändern.
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1. Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der ermittelte beitragsfähige Herstellungsaufwand für eine Erschließungsanlage auf „die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke“ zu verteilen.
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Dabei ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit grundsätzlich vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff im Sinn des Grundbuchrechts – sog. formeller Grundstücksbegriff – auszugehen (ständige Rechtsprechung, etwa BayVGH, U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – juris Rn. 17; B.v. 20.10.2022 – 6 CS 22.104 – juris Rn. 29 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 22.4.1994 – 8 C 18.92 – juris Rn. 21; U.v. 16.9.1998 – 8 C 8.97 – juris Rn. 22). Ein Buchgrundstück ist ein vermessener Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis des Grundbuchs auf einem besonderen Grundbuchblatt oder auf einem gemeinschaftlichen Grundbuchblatt unter einer besonderen Nummer eingetragen ist (vgl. BVerwG, U.v. 2.7.1982 – 8 C 28, 30, 33/81; SächsOVG, U.v. 12.7.2007 – 5 B 566/05 – juris Rn. 20).
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Nach dem formellen Buchgrundstücksbegriff handelt es sich bei den Flurstücken 3...5/9 und 3...5/10 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts um zwei – eigenständige – Buchgrundstücke. Dem steht nicht entgegen, dass sie für denselben Eigentümer auf einem Grundbuchblatt eingetragen sind.
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a) Zwar erhält gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 GBO jedes Grundstück ein (eigenes) Grundbuchblatt. Unter Durchbrechung dieses Grundsatzes kann jedoch nach § 4 Abs. 1 GBO über mehrere Grundstücke desselben Eigentümers, deren Grundbücher von demselben Grundbuchamt geführt werden, ein gemeinschaftliches Grundbuchblatt geführt werden (sog. Zusammenschreibung), wenn hiervon eine Verwirrung des Grundbuches nicht zu besorgen ist. Diese Vorschrift bezweckt – insbesondere in Gegenden mit zersplittertem Grundbesitz – das Verfahren des Grundbuchamts zu vereinfachen und dem Eigentümer die Verfügungen über seinen Grundbesitz und dessen Verwaltung zu erleichtern. Liegen die sachlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 GBO vor, dann kann das Grundbuchamt nach pflichtgemäßem Ermessen die Zusammenschreibung der Grundstücke auf einem Grundstückblatt veranlassen. Die Zusammenschreibung selbst stellt dabei allerdings nur eine grundbuchtechnische Maßnahme dar, der allein formelle Bedeutung zukommt. Die unter jeweils eigener Nummer gemeinschaftlich gebuchten Grundstücke bleiben rechtlich selbständig, der Eigentümer kann über jedes gesondert verfügen. (vgl. OLG Köln, B.v. 11.1.2019 – I-2 Wx 417/18, 2 Wx 417/18 – Rn. 6; Demharter, Grundbuchordnung, 32. Aufl., § 4 Rn. 11).
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b) Vor diesem Hintergrund handelt es sich ausweislich des bei den Akten befindlichen Grundbuchauszugs bei den beiden Flurstücken 3...5/9 und 3...5/10 um zwei selbstständige Buchgrundstücke. Denn sie werden im Bestandsverzeichnis unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 GBO zusammen mit dem weiteren Flurstück 3399/4 für denselben Eigentümer auf einem gemeinsamen Grundbuchblatt geführt und sind in Spalte 1 jeweils mit einer eigenen laufenden Nummer (1 bis 3) eingetragen; dementsprechend wird etwa bei den Eintragungen in der zweiten oder dritten Abteilung auf die jeweilige laufende Nummer der betroffenen Grundstücke Bezug genommen. Das schließt die Annahme eines einzigen, mehrere Flurstücke umfassenden Buchgrundstücks aus.
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2. Bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands dürfen die beiden Anliegergrundstücke daher nicht zusammengefasst werden. Sie sind vielmehr nach dem im Erschließungsbeitragsrecht maßgeblichen formellen Grundstücksbegriff getrennt zu betrachten. Demnach kommt – wie der Beklagte ursprünglich angenommen hatte – nur dem an eine weitere Anbaustraße angrenzenden Grundstück FlNr. 3...5/10 eine Eckermäßigung nach § 7 Satz 1 EBS zu (437 m2 Grundstücksfläche x 1,3 Nutzungsfaktor x 2/3 Eckermäßigung = 378,73 m2 beitragspflichtige Grundstücksfläche), während das Grundstück FlNr. 3...5/10 ohne die Ermäßigung zu veranschlagen ist (464 m2 x 1,3 = 603,20 m2). Damit erhöht sich gegenüber der Berechnung des Verwaltungsgerichts für beide Flurstücke (<437 m2 + 464 m2> x 1,3 x 2/3 = 780,87 m2) die gesamte beitragspflichtige Fläche der erschlossenen Grundstücke auf 2.549,93 m² mit der Folge, dass der Beitragssatz – bei einem umlagefähigen Aufwand vom 175.643,13 € – auf 68,881549 € pro m2 sinken und sich für das klägerische Grundstück ein Beitrag von 25.012,96 € statt 27.154,15 € errechnet.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.