Titel:
zum Grundsatz der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung
Normenkette:
GVG § 169 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Verstöße, die auf einem bloßen Versehen Dritter oder des nichtrichterlichen Personals des Gerichts beruhen und dem Gericht nicht bekannt waren, begründen keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verstoß gegen Öffentlichkeitsgrundsatz (verneint)., Öffentlichkeitsgrundsatz, Sicherheitspersonal, Verweigerung des Zutritts
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 10.10.2023 – RO 15 K 23.30777
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37969
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. Oktober 2023 – RO 15 K 23.30777 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Es kann offenbleiben, ob der Zulassungsantrag überhaupt zulässig ist, da die Begründung entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht beim Verwaltungsgericht, sondern beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht worden ist (streitig, für unzulässig: Seeger in Kluth/Heusch BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2023, § 78 AsylG Rn. 12; für zulässig: Redeker in Decker/Bader/Kothe BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.10.2023, § 78 AsylG Rn. 44 m.w.N.; BayVGH, B.v. 2.1.2018 – 11 ZB 17.31693 – juris Rn. 2).
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat jedenfalls keinen Erfolg, denn keiner der in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Berufungszulassungsgründe ist hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
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1. Soweit der Kläger geltend macht, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils handelt es sich dabei nicht um einen Zulassungsgrund i.S.d. § 78 Abs. 3 AsylG.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers in Form der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Eine fehlende Öffentlichkeit des Verfahrens ist dann gegeben, wenn Verstöße gegen § 55 i.V.m. §§ 169, 171a bis 175 GVG vorliegen, die dem Gericht zuzurechnen sind, insbesondere auf mangelnde Sorgfalt des Gerichts zurückzuführen sind, nicht dagegen bei Verstößen, die auf einem bloßen Versehen Dritter oder des nichtrichterlichen Personals des Gerichts beruhen und dem Gericht nicht bekannt waren (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO 29. Aufl. 2023, § 138 Rn. 24 m.w.N.; BVerwG, B.v. 18.1.1984 – 9 CB 444.81 – BeckRS 1984, 31265222). Der Rechtsbehelfsführer hat dabei Angaben dazu zu machen, weshalb das Gericht den Verstoß zu vertreten haben soll (vgl. BGH, B.v. 17.2.2023 – 5 StR 392/21 – juris). Solche Angaben lassen sich dem Vortrag des Klägers schon nicht entnehmen.
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Grundsätzlich ist nicht zu beanstanden, dass aus Sicherheitsgründen nur Personen Einlass in das Gerichtsgebäude gewährt wird, die sich entweder ausweisen oder eine Ladung vorzeigen können (C. Schreiber in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2022, § 169 GVG Rn. 27; BGH, U.v. 6.10.1976 – 3 StR 291/76 – juris Rn. 6 ff.; BGH, B.v. 27.4.2010 – 3 StR 32/10 (juris); Schmidt/Schiemann in Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 169 GVG Rn. 7). Es stellt daher keinen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz dar, dass dem Klägervertreter erst nach dem Vorzeigen der Ladung ohne weiteres Zugang zum Gebäude gewährt worden ist. Dass der Ehefrau und Mitarbeiterin des Klägervertreters der Zutritt zum Gerichtsgebäude verweigert worden wäre, obwohl diese sich ausgewiesen hat, trägt der Klägervertreter nicht vor.
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Auch dass der Sicherheitsbeamte bei der Personenkontrolle dem Klägervertreter nach dessen Angaben mitgeteilt hat, er dürfe den Sitzungssaal noch nicht betreten, da dort noch eine andere Verhandlung stattfinde, führt nicht dazu, dass gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz hinsichtlich der mündlichen Verhandlung im klägerischen Verfahren verstoßen worden wäre. Zwar bedeutet der Grundsatz der Öffentlichkeit, dass jede Person jederzeit das Recht hat, eine öffentliche Gerichtsverhandlung zu betreten, dieser passiv beizuwohnen und sie auch wieder zu verlassen, soweit nicht sitzungspolizeiliche Gründe eine ausnahmsweise, möglichst kurzzeitige Beschränkung des Zutritts auf Sitzungspausen gebieten (vgl. Lückemann in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 169 GVG Rn. 2; BGH, B.v. 30.3.2004 – 4 StR 42/04 – juris Rn. 4). Allerdings ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich der Sicherheitsbeamte auch im Verfahren des Klägers so verhalten hat oder der erkennende Einzelrichter beim Verwaltungsgericht von einer derartigen Auskunftspraxis des Sicherheitspersonals Kenntnis hatte. Möglicherweise handelte es sich auch um ein Missverständnis und der Sicherheitsbeamte wollte nur zu verstehen geben, dass in dem Sitzungssaal noch eine andere mündliche Verhandlung stattfinde und der Kläger mit seinem Vertreter deshalb noch nicht am Tisch für die Klagepartei Platz nehmen könne. Dass der Sicherheitsbeamte gegenüber dem mit einer Ladung ausgestatteten Klägervertreter davon ausging, dieser wolle im Rahmen des Öffentlichkeitsgrundsatzes an einer anderen mündlichen Verhandlung teilnehmen, ihn aber daran hindern wollte, erscheint eher fernliegend. Jedenfalls ist nichts dazu vorgetragen, dass es sich um einen Fehler des Gerichts und nicht nur um ein Versehen des nichtrichterlichen Personals oder einer Fremdfirma handelte. Wenn die Ehefrau des Klägervertreters aufgrund der Situation so eingeschüchtert gewesen sein sollte, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht mehr teilnehmen wollte, stellt dies jedenfalls keinen dem Gericht zurechenbaren Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz dar, sondern beruht auf ihrer freien Entscheidung.
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3. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO zuzulassen. Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), sowie ihre rechtzeitigen und möglicherweise erheblichen Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können (BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 -juris Rn. 44 m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht den von ihm entgegengenommenen Vortrag der Beteiligten in seine Erwägungen einbezogen hat. Nur wenn besondere Umstände den eindeutigen Schluss zulassen, dass es die Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2023 – 2 BvR 924/21 – juris Rn. 31 f. m.w.N.). Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Betreffenden äußern konnten, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht ihren subjektiven Erwartungen entsprechen oder von ihnen für unrichtig gehalten werden (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 25.5.2017 – 5 B 75.15 D – juris Rn. 11 m.w.N.).
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Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht zahlreiche Erkenntnismittel entsprechend der mit der Terminsladung übersandten Erkenntnismittelliste in das Verfahren eingeführt und für seine Entscheidung herangezogen. Darüber hinaus hat es auch den Schriftsatz des Klägervertreters vom 29. August 2023 im Tatbestand erwähnt und sowohl auf den Schriftsatz als auch auf die beigefügten Anlagen Bezug genommen. Es ist daher davon auszugehen, dass es diese Dokumente zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Dass es aus den einzelnen Erkenntnismitteln andere Schlussfolgerungen zieht als der Kläger oder einzelne Erkenntnismittel, die der Kläger benannt hat, z.B. schon ältere Erkenntnisse aus den Jahren 2016 bis 2018, nicht entsprechend den Vorstellungen des Klägers berücksichtigt, stellt keinen Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar, sondern ist Ergebnis der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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5. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).