Titel:
Beachtung neuen Vorbringens bei Beschwerde gegen Streitwertfestsetzung
Normenkette:
GKG § 66 Abs. 3 S. 1, § 68 Abs. 1 S. 5
Leitsätze:
Im Streitwertbeschwerdeverfahren haben sowohl das Ausgangsgericht im Rahmen des Abhilfeverfahrens als auch das Beschwerdegericht neuen Vortrag zu bereits bei Klageerhebung vorliegenden Umständen für die Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen. (Rn. 17 – 19)
1. Wird die Klage zurückgenommen, ohne dass zuvor (aufgrund § 82 Abs. 1 S. 2 VwGO) ein Antrag gestellt worden ist, so muss sich der Kläger bei der Bestimmung des Streitwerts an der nach § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO von ihm zu leistenden Fixierung des Klagebegehrens festhalten lassen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Beschwerdeverfahren hat das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, in einem Abhilfeverfahren zu prüfen, ob es die Beschwerde für zulässig und begründet hält (§ 68 Abs. 1 S. 5 GKG iVm § 66 Abs. 3 S. 1 GKG); dabei hat es neues Vorbringen grundsätzlich zu berücksichtigen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Klagerücknahme, Aktenvorlage nach Einstellung des Verfahrens, Abhilfeverfahren, Streitwert, Beschwerde, neues Vorbringen, Einstellung des Verfahrens
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 26.04.2023 – M 31 K 23.393
Fundstellen:
BayVBl 2024, 244
DÖV 2024, 456
BeckRS 2023, 37964
LSK 2023, 37964
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. April 2023 wird der Streitwert für das Verfahren M 31 K 23.393 auf 24.415,62 € festgesetzt.
Gründe
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Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2023 erhob die Klägerin Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2022, durch den der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Überbrückungshilfe III Plus abgelehnt worden war. Eine Kopie des Ablehnungsbescheids war der Klage beigefügt.
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Das Verwaltungsgericht setzte den Streitwert vorläufig auf 5.000 € fest. Im Laufe des Klageverfahrens äußerten sich weder die Klägerin noch die Beklagte zum Streitgegenstand, die Klägerin stellte keinen Klageantrag, Verwaltungsakten legte die Beklagte nicht vor.
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Mit Schreiben vom 25. April 2023 nahm die Klägerin die Klage zurück. Das Verwaltungsgericht stellte daraufhin das Verfahren mit Beschluss vom 26. April 2023 ein und setzte den Streitwert auf 5.000 € fest.
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Nach Abschluss des Verfahrens legte die Beklagte am 21. Juni 2023 die Verwaltungsakten vor.
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Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023 haben die Bevollmächtigten der Beklagten Beschwerde gegen den Beschluss vom 26. April 2023 erhoben und beantragen,
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den Streitwertbeschluss abzuändern und den Streitwert auf 24.415,62 € festzusetzen.
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Zur Begründung bringen sie vor, dass die Voraussetzungen für die Festsetzung des Streitwerts nach § 52 Abs. 2 GKG nicht gegeben seien. Der Streitwert sei gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für die Klägerin zu bestimmen. Diese habe sich mit ihrer Klage gegen die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung einer Billigkeitsleistung in Höhe von 24.415, 62 € gewandt. Ihr entsprechendes wirtschaftliches Interesse könne anhand von ihr selbst im Verwaltungsverfahren getätigter Angaben, die in der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Akte enthalten seien, genau beziffert werden. Eine Beschränkung sei auch nicht darin zu sehen, dass die Klägerin bis zum Zeitpunkt der Antragsrücknahme keinen Antrag gestellt habe.
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Das Verwaltungsgericht half der Beschwerde nicht ab (Beschluss vom 23.10.2023) und legte die Beschwerde dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vor.
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Die Klägerin trat der Beschwerde entgegen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde, über die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheidet, ist begründet.
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Zwar hat der Einzelrichter am Verwaltungsgericht den Streitwert mit Beschluss vom 26. April 2023 ursprünglich gemäß § 52 Abs. 2 GKG zu Recht auf 5.000 € festgesetzt, weil die Voraussetzungen für die Festsetzung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 GKG nicht vorlagen (1.). Allerdings hätte er im Rahmen des Abhilfeverfahrens den ihm durch die Aktenvorlage der Beklagten bekannt gewordenen Sachverhalt berücksichtigen müssen (2.). Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist daher abzuändern (3.).
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1. Gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ist die Höhe der bezifferten Geldleistung für die Streitwertfestsetzung maßgebend, wenn ein Antrag im Sinne dieser Vorschrift vorliegt. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass die sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebende Bedeutung der Sache im Sinne des § 52 Abs. 1 GKG in diesen speziellen Fällen identisch ist mit der Höhe der bezifferten Geldleistung nach 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Aus diesem Grund dürfen, wenn die Voraussetzungen des § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG vorliegen, keine weiteren Überlegungen zur Bedeutung der Sache im Sinne des § 52 Abs. 1 GKG angestellt werden (BayVGH, B.v. 9.3.2022 – 22 C 21.3021 – juris Rn. 13 m.V.a. OVG NW, B.v. 9.4.2019 – 1 E 258.19 – juris Rn. 16 f.). § 52 Abs. 2 GKG darf nach seinem klaren Wortlaut schon im Verhältnis zu der spezielleren Regelung des § 52 Abs. 1 GKG nur herangezogen werden, soweit und solange eine individuelle Bestimmung des Streitwerts nach der Bedeutung der Sache wegen des Fehlens genügender Anhaltspunkte nicht möglich ist (BayVGH, B.v. 9.3.2022 – 22 C 21.3021 – juris Rn. 14 m.V.a. BVerwG, U.v. 28.7.1989 – 7 C 39.87 – juris Rn. 18 zu der Vorgängervorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 GKG a.F.; OVG NW, B.v. 9.4.2019 – 1 E 258.19 – juris Rn. 18; Toussaint in BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, Stand 1.10.2023, § 52 GKG Rn. 1). Auch § 52 Abs. 3 GKG ist im Verhältnis zu § 52 Abs. 2 GKG die speziellere Vorschrift (vgl. OVG NW, B.v. 9.4.2019 – 1 E 258.19 – juris Rn. 18 a.a.O.).
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Vorliegend lagen dem Verwaltungsgericht bis zum Streitwertbeschluss vom 26. April 2023 keine Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts vor. Die Klägerin hat Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 27. Dezember 2022 erhoben, aber keinen Klageantrag gestellt, aus dem sich die Höhe der im Verwaltungsverfahren beantragten Förderung hätte entnehmen lassen. Auch aus dem Beteiligtenvorbringen ergaben sich keine diesbezüglichen Informationen.
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Wird die Klage zurückgenommen, ohne dass die Klägerin zuvor (aufgrund § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO) einen Antrag gestellt hat, so muss sie sich bei der Bestimmung des Streitwerts an der nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO von ihr zu leistenden Fixierung des Klagebegehrens festhalten lassen. Denn maßgebend für die Wertberechnung ist nach § 40 GKG der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung, die den Rechtszug einleitet (OVG NW, B.v. 6.6.2023 – 4 E 436/23 – juris Rn. 8). Für die Anwendung von § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG folgt daraus, dass in einer solchen Konstellation bezüglich dessen Tatbestandsmerkmal „Antrag“ nach Sinn und Zweck der Norm auf das Klagebegehren nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzustellen ist (BayVGH, B.v. 24.8.2023 – 22 C 22.2555 – juris Rn. 15). § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigt insoweit keine Ausnahme von der grundsätzlichen Systematik der § 52 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 GKG, zumal auch im Verwaltungsprozess die Antragstellung zur Erlangung einer Sachentscheidung erforderlich ist (vgl. § 103 Abs. 3 VwGO) und § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO insoweit nur eine formale Erleichterung bei der Klageerhebung darstellt (vgl. BVerwG, B.v. 23.5.2013 – 9 B 46.12 – juris Rn. 4).
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Eine Fixierung des Klagebegehrens der Klägerin dahingehend, welche bezifferte Geldleistung im Streit stand, war dem Verwaltungsgericht aber nicht möglich. Die Klägerin hatte mit der Klageerhebung zwar den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid vom 27. Dezember 2022 beigefügt. Diesem Bescheid lässt sich aber nicht entnehmen, in welcher Höhe die Förderung beantragt bzw. abgelehnt wird. Die Antragsunterlagen der Klägerin lagen dem Ablehnungsbescheid nicht bei. Daher hat das Verwaltungsgericht den Streitwert vorläufig auf 5.000,00 € festgesetzt. Obwohl die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sich bereits am 31. Januar 2023 bestellten und die Übersendung der Verwaltungsakten ankündigten, erfolgte dies bis zur Rücknahme der Klage am 25. April 2023 nicht. Weitere Informationen, die erlaubt hätten, die Höhe der beantragten Förderung und damit den Streitwert zu bestimmen, legten die Beteiligten dem Verwaltungsgericht nicht vor. Sie widersprachen auch der Festsetzung des vorläufigen Streitwerts als Regelstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG nicht. Insofern unterscheidet sich diese Konstellation vom Sachverhalt, der dem Beschluss des Senats vom 24. August 2023 (22 C 22.2555) zugrunde lag. Dort hatte die Klägerin ihrer Klage ohne Klageantrag den Ablehnungsbescheid beigefügt, dem sich die abgelehnte Fördersumme entnehmen ließ. Daher hatte das Verwaltungsgericht in diesem Fall den vorläufigen Streitwert in der entsprechenden Höhe nach § 52 Abs. 3 GKG festgesetzt. Vor der Einstellung des Verfahrens hatte die Beklagte die Verwaltungsakten vorgelegt und auf die Klage erwidert.
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2. Im Beschwerdeverfahren hat zunächst das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, in einem Abhilfeverfahren zu prüfen, ob es die Beschwerde für zulässig und begründet hält (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 1 GKG). Dabei hat es neues Vorbringen grundsätzlich zu berücksichtigen (Laube in BeckOK Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, Stand 1.10.2023, § 68 GKG Rn. 131; Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, § 68 GKG Rn. 27). Unberücksichtigt bleiben lediglich streitwerterhöhende oder streitwertmindernde Umstände eines unveränderten Streitgegenstands, die erst nach der den Rechtszug einleitenden Antragstellung eintreten (BayVGH, B.v. 14.10.2016 – 22 C 16.1849 – juris Rn. 7 m.w.N.). Hier lagen aber die streitwertbegründenden Tatsachen (die beantragte, aber abgelehnte Fördersumme), die eine Bezifferung des Klagebegehrens ermöglicht hätten, schon bei Einreichung der Klage vor, sie waren lediglich dem Verwaltungsgericht nicht bekannt.
18
Derartiger neuer Sachvortrag ist im Abhilfeverfahren auch dann zu berücksichtigen, wenn – wie hier – eine bestandskräftige Kostenentscheidung für die Hauptsache vorliegt, weil Kostenscheidung und Streitwertfestsetzung zwei voneinander unabhängige Verfahren sind. Eine Berücksichtigung bisher nicht bekannter Tatsachen durch das Gericht, das die Abhilfeentscheidung zu treffen hat, ist auch deshalb geboten, weil es innerhalb der Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG den Streitwertbeschluss von Amts wegen ändern könnte, wenn sich die Festsetzung des Streitwerts im Nachhinein als unzutreffend herausstellte.
19
Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seines Nichtabhilfebeschlusses vom 23. Oktober 2023 nicht berücksichtigt, dass durch die nach Ergehen des Streitwertbeschlusses vom 26. April 2023 am 21. Juni 2023 erfolgte Aktenvorlage bisher nicht bekannte Tatsachen bekannt geworden sind, die eine Bestimmung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG erst ermöglichten. In den Verwaltungsakten war der Förderantrag der Klägerin enthalten, der mit dem Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2022 abgelehnt worden war und aus dem sich die beantragte Fördersumme ergab. Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren auf eben diese Verwaltungsakten berufen. Das Verwaltungsgericht hätte daher der Beschwerde der Klägerin abhelfen und den Streitwert, wie im Beschwerdeverfahren beantragt, festsetzen müssen, weil die Beschwerde zulässig und begründet war.
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3. Kommt das Beschwerdegericht nach Ergehen des Nichtabhilfebeschlusses und der Vorlage der Beschwerde durch das Verwaltungsgericht an das Beschwerdegericht seinerseits zum Ergebnis, dass die Beschwerde zulässig und begründet ist, weil sich die im Streitwertbeschluss getroffene Streitwertfestsetzung aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen, die auch das Beschwerdegericht zu berücksichtigen hat (OVG NW, B.v. 6.6.2023 – 4 E 436/23 – juris Rn. 8 f. m.w.N.), als unzutreffend erweist, ändert es den Beschluss des Verwaltungsgerichts ab. Bei einer unzureichenden Abhilfeentscheidung hebt das Beschwerdegericht den Nichtabhilfebeschluss auf und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurück (Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 68 GKG Rn. 106). Vorliegend ist der Streitwertbeschluss wie von den Bevollmächtigten der Beklagten beantragt abzuändern und auf 24.416,92 € festzusetzen.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist nach § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG gebührenfrei. Kosten werden gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht erstattet. Demnach erübrigt sich die Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG; § 152 Abs. 1 VwGO).