Inhalt

VGH München, Urteil v. 07.12.2023 – 20 BV 23.90
Titel:

Aufwendungserstattung für soziale Sicherung als Annexanspruch

Normenketten:
IfSG § 56 Abs. 1, Abs. 1a, § 58 S. 1
VwGO § 121
Leitsatz:
Der Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die soziale Sicherung nach § 58 S. 1 IfSG knüpft als Annexanspruch an eine Entschädigungsberechtigung nach § 56 Abs. 1 oder Abs. 1a IfSG an, es muss also ein entsprechender Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung bestehen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufwendungserstattung für soziale Sicherung, Aufwendungserstattung, soziale Sicherung, Annex, Corona
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 19.12.2022 – B 7 K 22.638
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37963

Tenor

1. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Dezember 2022 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

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Gegenstand des Berufungsverfahrens ist lediglich der von der Klägerin geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch nach § 58 IfSG. Die Klägerin betrieb seit dem 1. April 2020 als Selbständige eine Zahnarztpraxis in Hof, nachdem sie zuvor einer nichtselbständigen Arbeit nachgegangen war. In Bezug auf ihre selbständige Tätigkeit hat sie eine „Betriebsschließungsversicherung“ bei der … Versicherung AG abgeschlossen
2
Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 3. April 2021 bis 18. April 2021 zunächst als Kontaktperson einer mit dem Coronavirus infizierten Person und sodann als positiv getestete Person ohne Symptome in behördlich angeordneter Absonderung. In dieser Zeit ruhte der Betrieb ihrer Zahnarztpraxis vollständig. Die … Versicherung AG zahlte der Klägerin am 16. April 2021 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter ausdrücklichem Rückforderungsvorbehalt einen Betrag von 6.820,57 EUR aus, was 50% des „Gesamtschadens“ entspreche. Es wurde darauf hingewiesen, dass in dem Umfang, in dem die Klägerin Leistungen nach dem IfSG erhalte, eine Leistung aus dem versicherten Baustein „Betriebsschließung“ entfalle. Um Übersendung des entsprechenden Bescheids wurde gebeten.
3
Mit am 18. Mai 2021 eingegangenem Schreiben des Steuerberaters der Klägerin und entsprechend ausgefülltem Formblattantrag ließ die Klägerin eine Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 5.530,64 EUR beantragen. Dabei wurde die Auffassung vertreten, dass für die Berechnung des Anspruchs auf das Betriebsergebnis des ersten Quartals 2021 abzustellen sei, da bei der Klägerin im Jahr 2020 sog. Anlaufverluste entstanden seien, so dass 2020 kein geeigneter Referenzzeitraum sei. Ein Antrag nach § 56 Abs. 4 Satz 1 und/oder Satz 2 IfSG wurde ausdrücklich nicht gestellt.
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Mit Bescheid vom 2. Juni 2022 lehnte die Regierung von Oberfranken den Antrag auf Verdienstausfallentschädigung ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, soweit die Klägerin nach anderen gesetzlichen oder vertraglichen Grundlagen einen Anspruch auf Ausgleich ihres ausgefallenen Entgelts habe, liege kein Verdienstausfall vor. Die Klägerin habe im geltend gemachten Zeitraum Leistungen von der … Versicherung AG erhalten. Der Vorrang der Versicherungsleistung gegenüber dem Entschädigungsanspruch folge aus dem subsidiären Charakter der Entschädigung nach §§ 56 ff. IfSG. Daher könne für diesen Zeitraum keine zusätzliche Entschädigung bzw. Erstattung des Verdienstausfalls nach § 56 Abs. 1 IfSG geltend gemacht werden.
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Hierauf ließ die Klägerin am 4. Juli 2022 durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 2. Juni 2022 erheben.
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Mit Gerichtsbescheid vom 19. Dezember 2022 wurde der Beklagte- unter entsprechender Aufhebung des Bescheids der Regierung von Oberfranken vom 2. Juni 2022 – verpflichtet, der Klägerin eine Aufwendungserstattung für soziale Sicherung in Höhe von 1.506,22 EUR zu gewähren, zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. September 2022 aus einem ersten Teilbetrag von 796,54 EUR, seit dem 11.November 2022 aus einem zweiten Teilbetrag von 615,54 EUR und seit dem 22. November 2022 aus einem dritten Teilbetrag von 94,14 EUR. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
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Die Klägerin habe einen Anspruch auf Gewährung einer Aufwendungserstattung für soziale Sicherung nach § 58 Satz 1 IfSG in Höhe von 1.506,22 EUR (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der dem Grunde nach ebenfalls gegebene Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 56 Abs. 1, 2 und 3 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne geltenden Fassung bemesse sich vorliegend mit null Euro, da die Klägerin im maßgeblichen Jahr 2020 kein positives Arbeitseinkommen, sondern einen „Verlust“ erzielt habe. Dem Anspruch nach § 58 Satz 1 IfSG stehe die von der Klägerin abgeschlossene „gebundene gewerbliche Sachversicherung“ mit dem Baustein einer Betriebsschließungsversicherung nicht entgegen. Vorliegend gehe es jedoch nicht darum, dass eine „Verpflichtung zu Versicherungsleistungen“ auf die Allgemeinheit abgewälzt würde, denn die hier in Rede stehende Versicherung sei ihrerseits so konzipiert, dass sie für den Fall, dass und soweit ein Anspruch auf staatliche Entschädigung u.a. nach dem Infektionsschutzgesetz bestehe, schon keine Einstandspflicht der Versicherung vorsehe. Soweit vorliegend die Einstandspflicht der Versicherung gegenüber dem Anspruch gegen den Staat subsidiär ausgestaltet sei, stoße die vertragliche Konstruktion der entsprechenden „Ausschlussklausel“ auch nicht auf durchgreifende rechtliche Bedenken, etwa mit der Folge, dass von einer Nichtigkeit auszugehen wäre (wird ausgeführt). In Bezug auf den geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen sei die Klage ebenfalls nur zum Teil begründet. Das Gericht lege den Antrag der Klägerin insoweit dahin aus, dass eine Verzinsung in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz begehrt werde. Zwar verweise die Klageschrift lediglich auf § 291 BGB, doch liege ersichtlich kein Fall einer Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB vor, so dass sich die Verzinsung nach § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB richte. Die Klägerin habe zwar dem Grunde nach ebenfalls einen Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 56 Abs. 1, 2 und 3 IfSG. Dieser bemesse sich jedoch mit null Euro, denn in dem hier maßgeblichen Kalenderjahr 2020, das dem Quarantänezeitraum im April 2021 vorausgegangen sei, habe die Klägerin kein positives Arbeitseinkommen im Sinne des § 56 Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 15 SGB IV erwirtschaftet, sondern negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 84.571,00 EUR, die selbst dann, wenn man positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit „anrechnen“ würde, noch im Negativen verblieben (- 70.918,00 EUR).
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Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2023 legte die Landesanwaltschaft Bayern für den Freistaat Bayern gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Dezember 2022 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ein und stellte folgenden Antrag:
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Der Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Dezember 2022 wird aufgehoben, soweit damit der Beklagte verpflichtet wird, der Klägerin eine Aufwendungserstattung für soziale Sicherung in Höhe von 1.506,22 € zuzüglich Zinsen zu gewähren. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
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Die Klägerin habe nicht nur der Höhe nach, sondern entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch dem Grunde nach keinen Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 56 Abs. 1, 2 und 3 IfSG und sei damit nicht „Entschädigungsberechtigte i. S. d. § 56 Abs. 1 und 1a“ i. S. d. § 58 Satz 1 IfSG. Die Betriebsschließungsversicherung der Klägerin sei so konzipiert, dass sie für den Fall, dass ein Anspruch auf staatliche Entschädigung u.a. nach dem Infektionsschutzgesetz bestehe, schon keine Einstandspflicht der Versicherung vorsehe. Ob Ansprüche gegen den Staat nach §§ 56 ff. IfSG bestünden, hänge zuvörderst von deren gesetzlichen Voraussetzungen ab. Die vertraglichen Bestimmungen eines Versicherungsvertrags könnten diese nicht unmittelbar zuungunsten des Staates beeinflussen. Zu diesem Ergebnis und damit zu einem grundsätzlich unzulässigen Vertrag zulasten Dritter würde die Überlegung des Verwaltungsgerichts Bayreuth indes führen. Der vom Beklagten vertretenen Nachrangigkeit des Entschädigungsanspruchs nach § 56 Abs. 1 IfSG, die sich aus seinem Charakter als Billigkeitsregelung ergebe, stehe auch nicht entgegen, dass die von der Klägerin abgeschlossene Betriebsschließungsversicherung keine Pflichtversicherung sei. Die Konzeption des Gesetzes gehe von einem „Verdienstausfall“ aus, der nicht eintrete, wenn ein gesetzlicher oder eben auch vertraglicher Anspruch auf einen Betrag bestehe, der den Verdienst ersetze. Es entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass § 56 IfSG eine punktuelle Anspruchsgrundlage sei, der das planmäßige Bestreben des Gesetzgebers zugrunde liege, die Entschädigungstatbestände auf wenige Fälle zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen.
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Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Nach dem Willen des Gesetzgebers scheide ein Anspruch nur dann aus, wenn der Abgesonderte Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung hat, die der Kompensation des Verdienstausfalls und der geleisteten Aufwendungen zur sozialen Sicherung dienten. Bestehe ein solcher Kompensationsanspruch nicht, lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 IfSG vor. Dies bedeute, dass im Einzelfall ein Anspruch nach dem IfSG wegen einer anderen Kompensationsgrundlage für den Verdienstausfall ausscheiden könne, obwohl im Übrigen die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch erfüllt seien. Die Tatbestandsvoraussetzungen lägen dann aber vor, wenn gerade kein anderer vertraglicher Anspruch bestehe. Im vorliegenden Fall bedeute dies, dass ein Anspruch nur ausscheiden könne, wenn eine gesetzliche oder vertragliche Kompensation bestehe. Eine solche bestehe jedoch nicht, da die verbundene gewerbliche Sachversicherung mit der … Versicherung AG nicht eingreife. Es bestehe kein Versicherungsschutz. Es stehe nach dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichtes fest, dass die Klägerin einen Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG habe. Sämtliche Anspruchsvoraussetzungen seien vom Verwaltungsgericht ausdrücklich bejaht worden. Die Klägerin sei damit Entschädigungsberechtigte im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG. Das Verwaltungsgericht habe den bestehenden Anspruch in seiner Höhe mit einem Betrag von null Euro bemessen. Dem Gerichtsbescheid könne nicht entnommen werden, dass die Klägerin keinen Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG habe. Der Anspruch nach § 58 IfSG stehe dem Entschädigungsberechtigten nach § 56 Abs. 1 IfSG zu. Nach dem Wortlaut und Sinn und Zweck der Norm seien dies eine Person, für die die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 IfSG erfüllt seien. Ausweislich der Begründung des Verwaltungsgerichts sei dies bei der Klägerin der Fall. Dass der nach § 56 IfSG bestehende Anspruch in seiner Höhe mit null Euro bemessen worden sei, habe keine Auswirkungen auf die Berechtigung nach § 58 S. 1 IfSG. Es werde allein gefordert, dass eine Entschädigungsberechtigung bestehe. Eine konkrete Auszahlung einer Entschädigung fordere der Wortlaut gerade nicht. Wäre dies der Wille des Gesetzgebers gewesen, hätte er eine Formulierung wie in § 57 Abs. 1 IfSG gewählt. Diese Auslegung entspreche auch dem Sinn und Zweck der Entschädigungsbestimmungen der §§ 56 ff. IfSG, der sich gerade in vorliegender Situation zeige. Selbstständigen, die wegen der Besonderheiten der Betriebseröffnung in ihrem ersten Betriebsjahr noch keinen Gewinn erwirtschafteten und ihre Beiträge zur sozialen Sicherheit leisteten, würde andernfalls eine Entschädigung vollständig abgeschnitten werden. Der betroffenen Person würden ihre Aufwendungen, die sie unstreitig für die Absicherung der sozialen Systeme und damit gesamtgesellschaftlich getätigt hätte, nicht ersetzt. Die Begründung hierfür wäre allein, dass der Selbstständige keinen Gewinn erzielte. Einkünfte, die er für den Ausgleich der sozialen Aufwendungen benötige, habe er wegen der Absonderung jedoch gerade nicht erzielen können. Die dem Wohle der Allgemeinheit dienenden Absonderungsvorschriften des IfSG hätten dies verhindert. Die Aufwendungen, die er losgelöst von einem Verlust im Vorjahr beglichen hätte, würden ihm zusätzlich auferlegt. Er würde dadurch unverhältnismäßig belastet. Dies sollten die Bestimmungen der §§ 56 ff. IfSG jedoch gerade verhindern und denjenigen entschädigen, der für das Gemeinwohl eine besondere Einschränkung akzeptiere. Durch eine andere Auslegung würde der Betroffene faktisch nochmals dafür „bestraft“, dass er im gesamtgesellschaftlichen Interesse seiner Beschäftigung nicht nachgehe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wird geändert, weil die von der Klägerin erhobene Klage, soweit sie noch Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, unbegründet ist. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Aufwendungsersatz (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da sie nicht Entschädigungsberechtigte im Sinne des § 56 Absatz 1 und 1a IfSG ist. Dies steht angesichts des rechtskräftigen klageabweisenden Teiles des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2022 fest. Denn der Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die soziale Sicherung nach § 58 Satz 1 IfSG knüpft als Annexanspruch an eine Entschädigungsberechtigung nach § 56 Abs. 1 oder Abs. 1a IfSG an; es muss also ein entsprechender Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung bestehen (Kießling, IfSG, 3. Auflage 2022 § 58 Rn. 2; Kruse in BeckOK InfSchR § 58 IfSG Rn. 2, 5; Erdmann in: Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Auflage 2022 § 58 Rn. 2). Nicht ausreichend dagegen ist, dass die Klägerin lediglich zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne der § 56 Abs. 1 oder Abs. 1a IfSG gehört.
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1. Rechtsgrundlage für die begehrte Aufwandserstattung ist § 58 Satz 1 IfSG. Danach haben Entschädigungsberechtigte im Sinne des § 56 Absatz 1 und 1a IfSG, die der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Rentensowie der sozialen Pflegeversicherung nicht unterliegen, gegenüber dem nach § 66 Absatz 1 Satz 1 IfSG zur Zahlung verpflichteten Land einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen für soziale Sicherung in angemessenem Umfang.
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a) Das Verwaltungsgericht hat in seinem klageabweisenden Gerichtsbescheid zur Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG ausgeführt, dass die Klägerin zwar dem Grunde nach entschädigungsberechtigt sei. Weil ihr Einkommen nach dem Einkommenssteuerbescheid aus dem Jahre 2020 jedoch null Euro betragen habe (§ 56 Abs. 3 IfSG), sei ihr Anspruch entsprechend § 56 Abs. 3 IfSG der Höhe nach ebenso mit null Euro zu bemessen. Eine solche Differenzierung ist prozessrechtlich zweifelhaft und nimmt auch nicht an der Rechtskraft des klageabweisenden Teiles des Gerichtsbescheides teil.
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Bei Klagen, die auf Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (§ 42 Abs. 1 VwGO) gerichtet sind, kann nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur durch ein auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes Verpflichtungsurteil zugunsten des Klägers in der Sache entschieden werden (vgl. BVerwG, U. v. 8.7.1994 – 8 C 4.93 – NVwZ 1996, 175). Rechtskräftige Urteile binden nur insoweit, als über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch, der durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge sowie durch den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist (BVerwG, U. v. 10. 5. 1994 – 9 C 501.93 – BVerwGE 96, 24 25.; B. v. 14. 11. 2007 – 8 B 81.07 – juris, jeweils m. w. N.). Die gerichtliche Entscheidung ist demgemäß die im Entscheidungssatz des Urteils sich verkörpernde Rechtsfolge als Ergebnis der Subsumtion des Sachverhalts unter das Gesetz (BVerwG, U. v. 10. 5. 1994, a. a. O., S. 26; BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 20. 5. 1954 – GSZ 6/53 – BGHZ 13, 265 279.), also der konkrete Rechtsschluss vom Klagegrund auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der begehrten Rechtsfolge anhand des die Entscheidung unmittelbar tragenden Rechtssatzes. Auf diesen unmittelbaren Gegenstand des Urteils ist die Rechtskraft beschränkt. § 121 VwGO verhindert damit, dass eine derartige gerichtliche Entscheidung in einem weiteren Verfahren zwischen denselben Beteiligten einer erneuten Sachprüfung zugeführt werden kann. Hingegen erstreckt sich die Rechtskraft nicht auf die einzelnen Urteilselemente, also nicht auf die tatsächlichen Feststellungen, die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale und sonstige Vorfragen oder Schlussfolgerungen, auch wenn diese für die Entscheidung tragend gewesen sind (BVerwG, U. v. 10.5.1994, a. a. O., S. 26; BGH, B. v. 20.5.1954, a. a. O.) Den Entscheidungsinhalt legt grundsätzlich nur die Entscheidungsformel (§ 117 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) fest, andere Entscheidungselemente, insbesondere die Begründung können und müssen zwar unter Umständen zu deren Ermittlung herangezogen werden. Die Entscheidung einer Vorfrage nimmt an der Rechtskraft nicht teil, sofern sie nicht Gegenstand einer besonderen Zwischenfeststellung ist. Eine derartige Berechtigtenfeststellung bindet die Verfahrensbeteiligten auch in weiteren Verfahren. Voraussetzung ist aber stets, dass eine Teilentscheidung i. S. einer abschichtenden Teilregelung getroffen wurde, die – wenn sie unangefochten blieb – der Rechtskraft fähig ist (vgl. BVerwG, U. v. 31.8.2011 – 8 C 15.10 – BVerwGE 140, 290, m.w.N.). Eine solche Zwischenfeststellung ist dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts jedoch nicht zu entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat laut Ziffer I des Tenors ausdrücklich nur eine Aufwendungserstattung für soziale Sicherung positiv verbeschieden, im Übrigen jedoch die Klage abgewiesen. Zu einer entsprechenden Zwischenfeststellung wäre das Verwaltungsgericht im Rahmen der Verpflichtungsklage auch nicht berechtigt gewesen, denn ein Zwischenurteil (§ 111 VwGO) ist im Rahmen der Verpflichtungsklage nicht zulässig (BVerwG, U. v. 31.8.2011 – 8 C 15.10 – a.a.O.). Hier besteht allenfalls die Möglichkeit eines im Wege einer Verpflichtungsklage verfolgten Anspruches auf Erlass eines auf den Grund der begehrten Leistung beschränkten Verwaltungsakts, was jedoch vorliegend nicht Streitgegenstand ist.
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Dementsprechend erschöpft sich die Rechtskraft des klageabweisenden Gerichtsbescheids in der Feststellung, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG besitzt. Insoweit steht zwischen den Beteiligten aufgrund der klageabweisenden Entscheidung gerade nicht fest, dass die Klägerin einen Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG „dem Grunde nach“ hat, sondern lediglich, dass die Klägerin keinen Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG besitzt. Eine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit dieser Entscheidung, an der durchaus berechtigte Zweifel bestehen, ist dem Senat aufgrund der Rechtskraft jedoch verwehrt.
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Ein anderes Ergebnis hätte auch prozessual widersinnige Folgen: Ansonsten wäre der Beklagte aufgrund einer Klageabweisung trotz „dem Grunde nach“ festgestelltem Anspruch formell insoweit nicht beschwert, mit der Folge, dass er nicht befugt wäre, hiergegen Rechtsmittel zu erheben (vgl. Blanke in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, vor §§ 124 ff Rn. 61 m.w.N.), auch wenn er materiell durch eine entsprechende Feststellung des „Anspruches dem Grunde nach“ jedoch durchaus – etwa im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit für den Annexanspruch aus § 58 IfSG – beschwert wäre.
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b) Voraussetzung des Anspruches nach § 58 Satz 1 IfSG ist jedoch darüber hinaus ohnehin, dass ein entsprechender Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung in Geld besteht. Nicht ausreichend dagegen ist, dass die Anspruchsstellerin lediglich zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne der § 56 Abs. 1 oder Abs. 1a IfSG gehört.
22
Der Wortlaut des § 56 Satz 1 IfSG ist dabei nicht ganz eindeutig. Anders als § 57 Satz 1 IfSG, welcher das Fortbestehen der Sozialversicherung und das Tragen der Beiträge durch das entschädigungspflichtige Land regelt, setzt § 58 Satz 1 IfSG nicht voraus, dass es sich um Personen handelt, „denen eine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 zu gewähren ist“, sondern verlangt, dass es sich um „Entschädigungsberechtigte im Sinne des § 56 Absatz 1 und 1a“ handelt. Dies kann zum einen so verstanden werden, dass damit lediglich die Zugehörigkeit zum anspruchsberechtigten Personenkreis gemeint ist, also als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern (§ 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG) oder als Person, die nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert wird oder sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlassenen Rechtsverordnung absondert. Zum anderen kann damit aber auch gemeint sein, dass es sich um eine Person handeln muss, die ein Recht bzw. einen Anspruch auf Entschädigung besitzt. Für die letztgenannte Auslegung spricht § 58 Satz 2 IfSG, wonach sich in den Fällen, in denen Entschädigungsberechtigte Netto-Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen aus einer Tätigkeit beziehen, die als Ersatz der verbotenen Tätigkeit ausgeübt wird, der Anspruch nach Satz 1 in dem Verhältnis dieses Einkommens zur ungekürzten Entschädigung mindert. Diese Anrechnungsregelung liefe leer, wenn der Verdienstausfall in Höhe von null Euro festgesetzt werden könnte und der Betreffende während der Absonderung eine Ersatztätigkeit ausübt. Auch verdeutlicht die Aufwendungsersatzregelung des § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG (Betriebskosten des Selbständigen), dass grundsätzlich „neben der Entschädigung“ Ersatz geleistet wird.
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Auch Sinn und Zweck der Regelung des § 58 Satz 1 IfSG sprechen für dieses Ergebnis, denn § 58 IfSG ist eine auf die Entschädigungsnorm des § 56 IfSG aufbauende Annexregelung. Eine dem § 58 IfSG entsprechende Regelung war zwar schon in § 49c BSeuchG enthalten, der aber erst die Entschädigungsregelung des § 49 BSeuchG ergänzend durch das Zweite Gesetz zur Änderung des BSeuchG v. 25.8.1971 (BGBl. I 1401) nachträglich eingefügt wurde und versicherungsrechtliche Nachteile vermeiden sollte, solange eine Entschädigung nach § 49 Abs. 1 BSeuchG zu gewähren war (BT-Drs. VI/2176, 2 zu §§ 49a-49c). Dass eine Entschädigung gewährt wird, sollte wohl Grundvoraussetzung für die Aufwendungsersatzansprüche sein.
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Damit scheitert ein Anspruch der Klägerin nach § 58 Satz 1 IfSG bereits daran, dass sie nicht entschädigungsberechtigt nach § 56 Abs. 1 IfSG ist.
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2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.