Titel:
Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan - Zunahme des Verkehrslärms
Normenketten:
EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
BauGB § 1 Abs. 6 Nr. 9, § 13a, § 13b
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Steht dem nicht im Plangebiet liegenden Nachbarn der Rechtsschutz durch eine Nachbarklage offen, schließt dies bereits die Annahme einer unmittelbaren Beeinträchtigung iSd Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK durch einen Bebauungsplan unter Umständen aus. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Interesse, von planbedingtem Verkehrslärm verschont zu bleiben, ist nur dann ein abwägungserheblicher Belang, wenn das entsprechende Grundstück über die Bagatellgrenze hinaus betroffen wird. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Betroffenheit der Anlieger ist bei einer voraussichtlichen Zunahme des Verkehrs von bis zu 200 Fahrzeugbewegungen täglich in der Regel nur geringfügig und daher nicht mehr abwägungsrelevant. Besondere Umstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der in § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB normierte Belang der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ist kein Belang, der Drittschutz vermittelt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bebauungsplan, Antragsbefugnis (verneint), Zunahme des Verkehrslärms, Fehlende Umweltprüfung, mündliche Verhandlung, Bagatellgrenze, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, beschleunigtes Verfahren
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37960
Tenor
I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 15.000, – Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen den am 30. Juli 2020 als Satzung beschlossenen und am 5. August 2020 bekannt gemachten Bebauungsplan „A. …“ im Ortsteil G. … der Antragsgegnerin.
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. … der Gemarkung G. … Das Grundstück der Antragstellerin liegt außerhalb des Geltungsbereichs des angegriffenen Bebauungsplans.
3
Mit Schriftsatz vom 22. März 2021 hat die Antragstellerin einen Normenkontrollantrag gestellt und beantragt,
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Der Bebauungsplan „A. …“ im Ortsteil M. …, amtlich bekanntgemacht am 5. August 2020, ist unwirksam.
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Zur Begründung rügt sie formelle Mängel und Mängel in der Abwägung insbesondere im Hinblick auf die durch das Baugebiet ausgelöste Verkehrsbelastung. Zudem rügt sie, dass der verfahrensgegenständliche Bebauungsplan nicht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB hätte aufgestellt werden dürfen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Es fehle der Antragstellerin bereits die Antragsbefugnis, da sie nicht geltend machen könne, durch den zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Bebauungsplan in eigenen Rechten verletzt zu werden. Hinsichtlich der planbedingten Verkehrszunahme und der dadurch bedingten Zunahme der auf das Grundstück der Antragstellerin einwirkenden Lärmemissionen fehle die Antragsbefugnis, da die zu erwartende Verkehrszunahme die Bagatellgrenze nicht überschreite. Die Antragsgegnerin habe mit Schreiben vom 6. Juli 2021 die „Schalltechnische Untersuchung zum planbedingten Verkehrslärm infolge des Bebauungsplans „A. …“ im Ortsteil G. … der Gemeinde M. …“ der Firma I.. … vom 8. April 2021 vorgelegt, nach welcher die einschlägigen Grenzwerte am Wohnanwesen der Antragstellerin sowohl bei Annahme eines Dorfgebiets als auch bei Annahme eines Wohngebiets deutlich unterschritten werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte im hiesigen Verfahren sowie im Eilverfahren (Az. 2 NE 22.1390), und hierbei insbesondere auf den unanfechtbaren Beschluss vom 26. Juli 2022, sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Normenkontrollantrag ist bereits unzulässig.
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1. Der Senat kann nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, auch wenn der Antragsteller nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet hat (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 30.11.2017 – 6 BN 2.17 – NVwZ 2018, 340). Insbesondere liegt hier kein Verstoß gegen § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) vor, die innerstaatlich im Rang eines Bundesgesetzes gilt.
12
Nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet der Verwaltungsgerichtshof durch Urteil oder, wenn er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluss. Darüber, ob eine mündliche Verhandlung entbehrlich ist, entscheidet der Verwaltungsgerichtshof nach richterlichem Ermessen (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.1988 – 7 NB 3.88 – BVerwGE 81.139). Dieses Verfahrensermessen wird jedoch durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eingeschränkt. Danach hat jedermann einen Anspruch darauf, „dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat“. Unstreitig erstreckt sich dies nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 16.12.1999 – 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203) grundsätzlich auch auf die Entscheidung über die Gültigkeit eines Bebauungsplans nach § 47 Abs. 5 VwGO, da das Recht am Grundeigentum zu den „zivilrechtlichen“ Ansprüchen im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zählt. Ein Bebauungsplan stellt eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, die nur hingenommen werden muss, wenn sie auf einer rechtmäßigen Norm beruht. Aufgrund dieser eigentumsgestaltenden Wirkung des Bebauungsplans kann sich dieser in vergleichbarer Weise unmittelbar auf das Grundeigentum auswirken. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich ein im Plangebiet befindlicher Eigentümer gegen eine sein Grundstück betreffende Festsetzung wehren möchte (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1999 – 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203). Ob allerdings eine Betroffenheit eines Grundeigentümers außerhalb des Plangebiets im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine mündliche Verhandlung erfordert, lässt sich nicht in jedem Fall annehmen. Maßgeblich ist, ob die angegriffene planerische Festsetzung auf sein Grundeigentum unmittelbar einwirkt und welche konkreten Beeinträchtigungen beispielsweise erst in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren zu beurteilen sind (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2001 – 4 BN 41.01 – NVwZ 2002, 87). Steht dem nicht im Plangebiet liegenden Nachbarn der Rechtsschutz durch eine Nachbarklage offen, schließt dies bereits die Annahme einer unmittelbaren Beeinträchtigung im Sinn des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK durch den Bebauungsplan unter Umständen aus (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2001 – 4 BN 41.01 – NVwZ 2002, 87). Zudem liegt eine Ausnahmesituation, in der von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1999 – 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203; B.v. 26.2.2008 – 4 BN 51.07 – NVwZ 2008, 696; B.v. 30.11.2017 – 6 BN 2.17 – NVwZ 2018, 340) vor, wenn ein Normenkontrollantrag offensichtlich unzulässig ist.
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Die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sind hier gegeben. Der Senat geht zum einen von der offensichtlichen Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags aus (vgl. Ziffer 2), zum anderen liegt das Grundstück der Antragstellerin außerhalb des Plangebiets, weshalb auch aus diesem Grund eine mündliche Verhandlung nicht zwingend ist. Zudem haben die Beteiligten übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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2. Der Normenkontrollantrag ist mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin nach § 47 Abs. 2 VwGO unzulässig.
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Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch den Bebauungsplan oder dessen Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Als (Mit-)Eigentümer eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets des streitgegenständlichen Bebauungsplans kann sich der Antragsteller grundsätzlich auf eine mögliche Verletzung des bauplanungsrechtlichen Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB) berufen. Dieses hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung erheblich sind. Es verleiht damit Privaten ein subjektives Recht darauf, dass ihre Belange in der Abwägung ihrem Gewicht entsprechend „abgearbeitet“ werden. Der Antragsteller in einem Normenkontrollverfahren kann sich deshalb im Rahmen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch darauf berufen, dass seine abwägungsrelevanten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. Die Abwägungsbeachtlichkeit beschränkt sich dabei auf solche schutzwürdigen – planbedingten – Betroffenheiten, die erstens mehr als geringfügig, zweitens in ihrem Eintritt zumindest wahrscheinlich und drittens für die planende Stelle bei der Entscheidung über den Plan als abwägungsbeachtlich erkennbar sind (vgl. BVerwG, B.v. 14.9.2015 – 4 BN 4.15 – ZfBR 2016, 154; B.v. 30.11.2016 – 4 BN 16.16 – NVwZ 2017, 563; B.v. 21.12.2017 – 4 BN 12.17 – BauR 2018, 667; B.v. 12.12.2018 – 4 BN 22.18 – ZfBR 2019, 272; BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 15 NE 16.2226 – juris; U.v. 17.12.2018 – 15 N 16.2373 u.a. – juris; B.v. 8.5.2019 u.a. – 15 NE 19.551 – juris). Diese ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die betroffenen Interessen bei der planerischen Abwägung unbeachtet bleiben konnten, weil sie entweder objektiv geringwertig oder aber nicht schutzwürdig sind (vgl. BVerwG, B.v. 9.11.1979 – 4 N 1/78 u.a. – BVerwGE 59, 87; B.v. 8.6.2011 – 4 BN 42/10 – BauR 2011, 1641; BayVGH, U.v. 29.7.2014 – 2 N 14.1216 – n.v.). Berührt die Planungsabwägung erhebliche Belange des Antragstellers, dann besteht abstrakt die Möglichkeit, dass die Gemeinde diese Belange bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2004 – 4 CN 1.03 – NVwZ 2004,1120). Die bloße Bezeichnung eigener Belange und die Behauptung, es liege eine Rechtsverletzung vor, reichen für die Antragsbefugnis aber nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215). Vielmehr muss in derselben Weise wie bei der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) hinreichend substantiiert dargelegt werden, dass ein abwägungserheblicher Belang des Antragstellers bei der Abwägung möglicherweise fehlerhaft behandelt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 13.11.2006 – 4 BN 18.06 – NVwZ 2007, 229). Der Antragsteller muss substantiiert Tatsachen vortragen, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2011 – 4 CN 1.10 – BVerwGE 140, 41; B.v. 10.7.2012 – 4 BN 16.12 – juris Rn. 2; BayVGH, U.v. 25.10.2022 – 15 N 22.861 – juris; OVG NRW, U.v. 17.8.2000 – 2 D 25/18.NE – juris).
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2.1. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist eine Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht gegeben. Wie mit Beschluss vom 26. Juli 2022 (Az. 2 NE 22.1390) vom erkennenden Senat ausgeführt, musste die Antragsgegnerin die von der Antragstellerin angeführten Belange der befürchteten Lärmzunahme durch die planbedingte Erhöhung des motorisierten Verkehrs in ihrer Abwägung nicht berücksichtigen.
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Lärmschutzbelange betroffener Plannachbarn müssen grundsätzlich dann als für die Planung bedeutsame öffentliche und private Belange (Abwägungsmaterial) ermittelt und bewertet (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen werden (§ 1 Abs. 7 BauGB), wenn die Lärmbelastung – z.B. aufgrund der zu prognostizierenden zusätzlichen Verkehrsbelastung – infolge des Bebauungsplans ansteigt (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2013 – 4 BN 39.12 – BayVBl 2013, 545; BayVGH, U.v. 24.11.2017 – 15 N 16.2158 – BayVBl 2018, 814). Das Interesse, von planbedingtem Verkehrslärm verschont zu bleiben, ist allerdings nur dann ein abwägungserheblicher Belang, wenn das entsprechende Grundstück über die Bagatellgrenze hinaus betroffen wird. Die Abwägungsrelevanz ist m.a.W. dann zu verneinen, wenn das Interesse, vor einer Verkehrslärmzunahme bewahrt zu bleiben, mit so geringem Gewicht zu Buche schlägt, dass es als planungsrechtlich vernachlässigenswerte Größe außer Betracht bleiben kann (vgl. BVerwG, B.v. 8.6.2004 – 4 BN 19.04 – BauR 2005, 829; B.v. 11.8.2015 – 4 BN 12.15 – BRS 83 Nr. 49; BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 15 N 15.1485 – BayVBl 2019, 307). Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht anhand fester Maßstäbe beurteilen. Die Frage ist jeweils unter Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BVerwG, B.v. 24.8.2017 – 4 BN 35.17 – BRS 85 Nr. 193; BayVGH, B.v. 3.3.2017 – 15 NE 16.2315 – NVwZ-RR 2017, 558; U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris). Ein Unterschreiten der abwägungsirrelevanten Bagatellgrenze hat die Rechtsprechung vor allem in Fällen einer durch das Hinzukommen von nur wenigen Wohnhäusern verursachten Verkehrslärmbelastung angenommen. So hat das Bundesverwaltungsgericht den durch einen Bebauungsplan ermöglichten zusätzlichen Verkehr von 20 bis 30 Einzel- oder Doppelwohnhäusern, der teilweise am Grundstück des dortigen Antragstellers vorbeigeführt wurde, für so geringfügig gehalten, dass es die Antragsbefugnis verneint hat (vgl. BVerwG, U.v. 21.10.1999 – 4 CN 1.98 – NVwZ 2000, 807; ähnlich BayVGH, B.v. 19.8.2016 – 9 NE 16.1512 – juris; VGH BW, U.v. 21.4.2015 – 3 S 748/13 – NuR 2015, 647; OVG SA, B.v. 8.1.2015 – 2 R 94/14 – UPR 2015, 232). Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (vgl. HessVGH, U.v. 29.06.2016 – 4 C 1440/14.N – ZfBR 2016, 803 sowie die weiteren Nachweise bei HessVGH, U.v. 17.8.2017 – 4 C 2760/16.N – ZfBR 2018, 77) geht davon aus, dass die Betroffenheit der Anlieger bei einer voraussichtlichen Zunahme des Verkehrs von bis zu 200 Fahrzeugbewegungen in der Regel täglich nur geringfügig und daher nicht mehr abwägungsrelevant ist. Dabei hat er unter Zugrundelegung eines Erfahrungswerts von 1,5 Fahrzeugen pro Wohneinheit mit jeweils 2,5 Fahrzeugbewegungen insgesamt 3,75 tägliche Fahrzeugbewegungen pro Wohneinheit angesetzt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist dieser Rechtsprechung – unter dem Vorbehalt der Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls sowie unter einem Zuschlag von zwei Fahrten pro Wohneinheit am Tag für Besucher-, Versorgungs- und Dienstleistungsverkehr – grundsätzlich gefolgt (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 15 N 15.1485 – BayVBl 2018, 307 sowie im Anschluss BVerwG, B.v. 24.8.2017 – 4 BN 35.17 – BRS 85 Nr. 193; vgl. im Nachgang hierauf Bezug nehmend: BayVGH, B.v. 6.8.2019 – 15 NE 19.635 – juris; B.v. 6.8.2019 – 15 NE 19.636 – juris; B.v. 28.11.2019 – 1 NE 19.1502 – juris; Hess-VGH, U.v. 17.8.2017 – 4 C 2760/16.N – ZfBR 2018, 77; OVG Rh-Pf, U.v. 18.4.2018 – 1 C 11559/16 – juris; OVG NRW, U.v. 5.12.2017 – 10 D 97/15.NE – NuR 2018, 138; U.v. 26.6.2018 – 10 D 51/16.NE – juris).
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Gemessen daran ist hier von einem Unterschreiten der abwägungsrelevanten Bagatellgrenze und damit von der fehlenden Antragsbefugnis der Antragstellerin auszugehen. Denn ausgehend davon, dass nach der Rechtsprechung die Bagatellgrenze für die Zunahme an Fahrzeugbewegungen in einem Wohngebiet bei 200 liegt, wäre eine Erhöhung um 600 Fahrzeugbewegungen in einem Dorfgebiet – um ein solches handelt es sich hier nach Ansicht des Senates – noch als abwägungsirrelevant einzustufen, soweit man mit der schalltechnischen Untersuchung vom 8. April 2021 davon ausgeht, dass drei Fahrzeugbewegungen an Stelle von einer Fahrzeugbewegung eine Erhöhung der Schallpegel um knapp 5 dB(A) bewirkt. Selbst bei Zugrundelegung einer maximalen Zahl von 92 Wohneinheiten im verfahrensgegenständlichen Wohngebiet, wodurch von 529 Fahrzeugbewegungen täglich auszugehen ist (zur Berechnung siehe nächster Absatz), wäre diese Schwelle mit den berechneten 529 Fahrzeugbewegungen deutlich unterschritten. Auf die entsprechenden Ausführungen im Beschluss vom 26. Juli 2022 (BA Rn.19) wird Bezug genommen.
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Auch die von der Antragsgegnerin vorgelegte und von der Antragstellerin nicht substantiiert infrage gestellte schalltechnische Untersuchung vom 8. April 2021 bestätigt, dass trotz der prognostizierten Zunahme der Verkehrsbewegungen durch das Baugebiet die zulässigen Immissionsgrenzwerte am Grundstück der Antragstellerin immer noch deutlich unterschritten werden. Es kommt zu dem Ergebnis, dass bei 69 neu hinzukommenden Wohneinheiten der Emissionsgrenzwert für ein Dorfgebiet (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 16. BImSchV) zur Tagzeit beim Anwesen der Antragstellerin um 13,9 dB(A) sowie zur Nachtzeit um 14,8 dB(A) unterschritten wird. Auch bei Annahme, dass das Grundstück der Antragstellerin in einem allgemeinen Wohngebiet (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 16. BImSchV) liegt, beträgt die Unterschreitung nach den Berechnungen der Sachverständigen immer noch 8,9 dB(A) zur Tagzeit sowie 9,8 dB(A) zur Nachtzeit. Selbst bei Zugrundelegung einer maximalen Zahl von 92 Wohneinheiten im verfahrensgegenständlichen Baugebiet, wodurch von 529 Fahrzeugbewegungen täglich auszugehen ist (92 x 3,75 + 92 x 2), kommt die schalltechnische Untersuchung dazu, dass die Beurteilungspegel mit 1,1 dB(A) höher anzusetzen sind, also mit 51,2 dB(A) zur Tagzeit sowie 40,3 dB(A) zur Nachtzeit. Die Unterschreitung der Emissionsgrenzwerte betrüge dann zur Tagzeit 12,8 dB(A) im Dorfgebiet bzw. 7,8 dB(A) im Wohngebiet und zur Nachtzeit 13,7 dB(A) im Dorfgebiet bzw. 8,7 dB(A) im Wohngebiet.
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Im Rahmen der Zulässigkeit ist daher unter Würdigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalles in keinem Fall von einem Überschreiten der abwägungsirrelevanten Bagatellgrenze auszugehen.
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2.2. Auch der Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe bei Aufstellung des Bebauungsplanes die Frage, wie das Plangebiet in einer den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Erschließung genügenden Weise erschlossen werden kann, unzutreffend in die Abwägung eingestellt, vermag die Antragsbefugnis der Antragstellerin nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht zu begründen. Der in § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB normierte Belang der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ist kein Belang, der Drittschutz vermittelt. Drittschutz vermitteln solche Vorschriften des örtlichen Baurechts, die – gegebenenfalls auch nur partiell – auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen oder deren Ausgleich untereinander dienen. Nicht jede Norm des materiellen öffentlichen Baurechts hat eine solche Zielrichtung. Vielmehr gibt es zahlreiche Normen des materiellen öffentlichen (Landes- und) Bundesbaurechts, die ausschließlich der Durchsetzung von Interessen der Allgemeinheit und gerade nicht dem Schutz individueller Interessen dienen (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1984 – 4 C 8.84 – juris Rn. 11). Deswegen bedarf es jeweils der Klärung, ob eine baurechtliche Vorschrift ausschließlich objektivrechtlichen Charakter hat oder ob sie (auch) dem Schutz individueller Interessen dient, ob sie also Rücksichtnahme auf Interessen Dritter gebietet. Dabei kommt es darauf an, dass sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 12), wobei die Auslegung einer Norm auch dazu führen kann, dass diese nur bei qualifizierten Verstößen, die zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen, als drittschützend angesehen werden kann (so bei §§ 34, 35 Abs. 2 BauGB und § 15 Abs. 1 BauNVO, vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 35). Diese Voraussetzungen liegen bei der von der Antragstellerin genannten Vorschrift nicht vor. Nach Auslegung der Regelung nach ihrem Wortlaut, aber auch nach deren Sinn und Zweck dient der in § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB aufgeführte Belang der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ausschließlich dem öffentlichen Interesse und ist nicht – zumindest auch – dem Schutz von Individualinteressen derart zu dienen bestimmt, dass die Träger der Individualinteressen die Einhaltung des Rechtssatzes sollen verlangen können. Aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der genannten Norm lässt sich kein Personenkreis entnehmen, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet.
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2.3. Soweit die Antragstellerin schließlich rügt, die Antragsgegnerin habe fehlerhaft das beschleunigte Verfahrens gem. § 13b Satz 1 BauGB i.V.m. § 13a Abs. 2 Nr. 1, § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB statt des gebotenen Regelverfahrens gewählt, obwohl das Bundesverwaltungsgericht entschieden habe, dass die Vorschrift des § 13b BauGB wegen einer Kollision mit dem Unionsrecht – hier der RL 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L197 S. 30) = SUP-Richtlinie – bei der Aufstellung des Bebauungsplanes (vgl. BVerwG, U.v. 18.7.203 – 4 CN 3/22 – juris = NVwZ 2023,1652-1654) nicht angewendet werden darf, sodass ein beachtlicher Verfahrensfehler vorliege, der zur Unwirksamkeit des Bebauungsplanes führe, kann sie hieraus keine Antragsbefugnis ableiten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 20.12.2011 – 9 A 30/10 – juris Rn. 20) kann sich ein Einzelner nicht auf den Verfahrensfehler einer rechtswidrig unterbliebenen Umweltverträglichkeitsprüfung unabhängig von der Betroffenheit in eigenen Rechten berufen. Entsprechend kann die Rüge, eine Umweltverträglichkeitsprüfung hätte gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 BauGB durchgeführt werden müssen, eine Antragsbefugnis nur unter der Voraussetzung begründen, dass sich der behauptete Verstoß auf eine materiell-rechtliche Position der Antragstellerin ausgewirkt haben könnte (vgl. OVG NRW, B.v. 30.1.2018 – 8 B 1060/17 – juris Rn. 15). Dies ist hier nicht der Fall. Weder hat die Antragstellerin eine subjektive Rechtsverletzung durch die fehlende Umweltprüfung dargelegt, noch ist es ersichtlich, in welchen materiell-rechtlichen Positionen sie durch ein Unterlassen der Umweltverträglichkeitsprüfung verletzt worden sein könnte.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 8 GKG und orientiert sich an Ziffer 9.8.1. der Festsetzungen des Streitwertkataloges (abgedruckt als Anlage in Eyermann, VwGO, 22. Aufl. 2022).