Titel:
keine Aussetzung der Abschiebung aufgrund einer Bewährungsduldungsvereinbarung
Normenketten:
AufenthG § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 5, § 58 Abs. 2 S. 2, § 60a Abs. 2, Abs. 5 S. 3
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 2, Art. 43 Abs. 2
SGB VI § 43 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Eine Bewährungsduldung kann auch unter der auflösenden Bedingung erteilt werden, dass die für einen erfolgreichen Abschluss der Resozialisierung erforderlichen Lebensverhältnisse, insbesondere die Sicherung des Lebensunterhaltes des Ausländers durch legale Erwerbstätigkeit, unabhängig von öffentlichen Leistungen oder privater Unterstützung durch Dritte, gegeben sind. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist eine Suizidgefahr nicht völlig auszuschließen, muss die Ausländerbehörde die Abschiebung so gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann; insbesondere müssen die aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgenden Gefährdungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung beachtet und die durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung notwendigen präventiven Vorkehrungen getroffen werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Aussetzung der Abschiebung, Bestandskräftige Ausweisung, Bewährungsduldungsvereinbarung, Auflösende Bedingung, Erwerbsminderung, Psychische Erkrankung, Verwurzelung, auflösende Bedingung, inlandsbezogenes Abschiebungsverbot, Suizidgefahr, faktischer Inländer
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 05.09.2023 – AN 11 E 23.1119
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37958
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter, seine Abschiebung im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO auszusetzen.
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1. Der Antragsteller (ein türkischer Staatsangehöriger, am 13.4.1973 im Bundesgebiet geboren, der seit 1991 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, die 2012 in eine Niederlassungserlaubnis umgewandelt wurde, der im Bundesgebiet wiederholt straffällig wurde <letzte Verurteilung nach Aktenlage am 6.10.2015 durch das Landgericht N. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten wegen Betrugs in 64 Fällen und versuchter räuberischer Erpressung mit gefährlicher Körperverletzung sowie – unter Einbeziehung einer vorherigen Verurteilung – zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten wegen Betrugs in 17 Fällen> und der sich ab 28.11.2014 in Untersuchungshaft, in direktem Anschluss ab Eintritt der Rechtskraft des letzten Strafurteils im Strafvollzug sowie nach Entlassung bis zum 2.3.2021 in der Therapieeinrichtung M.-Klinik befand) wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juli 2019 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, wobei das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von fünf Jahren ab Verlassen des Bundesgebiets befristet und die Abschiebung des Antragstellers aus der Haft heraus insbesondere in die Türkei angeordnet wurde sowie dem Antragsteller für den Fall, dass seine Abschiebung während der Haft nicht möglich sein und er das Bundesgebiet nicht innerhalb einer Frist von sieben Tagen verlassen sollte, die Abschiebung insbesondere in die Türkei angedroht wurde.
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Mit Datum (ebenfalls) vom 8. Juli 2019, am 24. Oktober 2019 mit der Unterschrift des Antragstellers bei dem Antragsgegner eingegangen, wurde zwischen dem Antragsgegner und dem Antragsteller eine Vereinbarung folgenden Inhalts geschlossen:
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„I. Herr X akzeptiert den Bescheid vom 08.07.2019 (Az. 561811) und verzichtet auf sämtliche Rechtsmittel. Der Bescheid wird damit bestandskräftig; Herr X ist vollziehbar zur Ausreise verpflichtet, die ihm erteilte Niederlassungserlaubnis erlischt kraft Gesetzes gem. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG.
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II. Auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht des Herrn X wird aber behördlicherseits verzichtet und ihm in den nächsten 5 Jahren (ausländerrechtliche Bewährungszeit) gerechnet ab dem Zeitpunkt der Haftentlassung bzw. ab der Aussetzung zur Bewährung, auf Antrag Bewährungsduldungen (nachfolgend Duldungen genannt) durch die zuständige Ausländerbehörde, die in der Regel jeweils eine Gültigkeit von 6 Monaten haben, erteilt, soweit die nachfolgend genannten Voraussetzungen erfüllt sind:
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2. Herr X geht ab dem Zeitpunkt der Haftentlassung bzw. ab der Aussetzung zur Bewährung einer Erwerbstätigkeit nach. Dabei muss es sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handeln, die es ihm ermöglicht, seinen Lebensunterhalt einschließlich der Wohnungskosten ohne das Recht auf Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu bestreiten. Auf § 2 Abs. 3 AufenthG wird Bezug genommen; die Absetzbeträge des § 11 b SGB II sind zu berücksichtigen. Beschäftigungen, die durch den Arbeitgeber der Minijobzentrale zu melden sind, reichen alleine nicht aus. Nicht ausreichend ist auch das Bestreiten des Lebensunterhaltes durch Unterstützungsleistungen privater Dritter. Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit von einer Dauer von maximal 6 Monaten bleiben außer Betracht. Entsprechende Nachweise zur Beschäftigungssituation werden zur jeweiligen Verlängerung der Duldung unaufgefordert vorgelegt. Im Falle der Arbeitslosigkeit hat er sich unverzüglich beim zuständigen Jobcenter oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden.
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Die Duldungen werden mit folgenden Nebenbestimmungen erteilt:
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- Die Vereinbarung vom 08.07.2019 ist Bestandteil der Duldung.
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- Uneingeschränkte Erlaubnis einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit. […]
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- Die Duldung erlischt gemäß der VII. der Vereinbarung vom 08.07.2019.
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VII. Die Vereinbarung und auch die Duldung erlöschen automatisch, wenn die unter der Ziffer II. genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt oder die Fristen der Ziffer IV. verschuldet und trotz vergeblicher Mahnung um 7 Tage überschritten sind. In diesem Fall sichert Herr X zu, das Bundesgebiet innerhalb von 14 Tagen zu verlassen. Sollte er dann nicht freiwillig ausgereist sein, ohne der Ausländerbehörde triftige Gründe benennen zu können, wird die Abschiebung entsprechend des Bescheides vom 07.08.2019 vollzogen werden; die Kosten hat Herr X zu tragen. Wird die Abschiebung vollzogen oder reist Herr X in Erfüllung seiner Ausreisepflicht aus, können keine Ansprüche mehr aus der Vereinbarung bzw. auf Erfüllung der Vereinbarung geltend macht werden.“
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Auf der Grundlage dieser Vereinbarung wurde der Antragsteller seit dem 1. Juli 2020 geduldet (letzte Verlängerung der Duldung am 25.11.2022 mit Gültigkeit bis 30.5.2023). Am 19. Mai 2023 teilte ihm die Regierung von M. – Zentrale Ausländerbehörde Bayern, ZAB – mit, dass die Bewährungsduldungsvereinbarung als nicht mehr erfüllt betrachtet werde, da das Einkommen nicht ausreiche, um einen gesicherten Lebensunterhalt festzustellen. Mit Schreiben vom selben Tag wurde dem Antragsteller gegenüber das Erlöschen der Vereinbarung gemäß Ziffer VII., wie auch der ihm ausgestellten Duldungsbescheinigung erklärt. Die Ziffer II.2 der Vereinbarung sei durch den Antragsteller nie erfüllt worden und sämtliche zu seinen Gunsten gesetzte Fristen (samt Verlängerungen) seien nicht eingehalten worden. Der Antragsteller sei somit nicht mehr im Besitz einer Duldung und auch nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit. Ihm wurde eine Grenzübertrittsbescheinigung übersandt. Der Antragsteller wurde aufgefordert, entsprechend Ziffer VII. der Vereinbarung das Bundesgebiet innerhalb von 14 Tagen zu verlassen, andernfalls werde er in die Türkei abgeschoben.
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2. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 123 VwGO, dem Antragsgegner aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Duldungserteilung zu untersagen, mit dem angefochtenen Beschluss vom 5. September 2023 abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch hinsichtlich der begehrten Unterlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen glaubhaft gemacht, da er vollziehbar ausreisepflichtig sei. Einer möglichen Abschiebung liege die Ausweisungsverfügung, Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung vom 8. Juli 2019 zu Grunde. Diese seien aufgrund des in der Bewährungsduldungsvereinbarung geregelten Rechtsmittelverzichts bestandskräftig geworden. Zudem sei die Rechtsbehelfsfrist schon seit langer Zeit abgelaufen. Die Vereinbarung habe zwar die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung für die Dauer von fünf Jahren ausgeschlossen, sie sei jedoch unter der auflösenden Bedingung geschlossen worden, dass der Antragsteller ab dem Zeitpunkt der Haftentlassung bzw. ab der Aussetzung zur Bewährung einer Erwerbstätigkeit nachgehe, die es ihm ermögliche, seinen Lebensunterhalt einschließlich der Wohnungskosten ohne das Recht auf Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu bestreiten (m.V.a. Ziffer II.2 und VII. der Vereinbarung). Der Antragsteller sei jedoch seit der Entlassung zur Bewährung (Therapieende März 2021) keiner Arbeit nachgegangen. Erst am 19. Mai 2023 sei der ZAB ein am selben Tag unterschriebener Arbeitsvertrag mit der Firma A. Transporte vorgelegt worden, wonach der Antragsteller ab dem 1. Juni 2023 als Aushilfe mit 24 Wochenstunden (Bruttolohn 1.250 EUR) angestellt werde. Aufgrund der Höhe des vereinbarten Bruttolohns werde dieser Arbeitsvertrag jedoch nicht den Bedingungen der Bewährungsduldung gerecht, da er die Sicherung des Lebensunterhalts nicht möglich mache. Zwar sei in der Bewährungsduldungsvereinbarung weiter vereinbart worden, dass Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit von einer Dauer von maximal sechs Monaten außer Betracht blieben. Nicht gleichzusetzen mit der unverschuldeten Arbeitslosigkeit seien Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Da die (vorübergehende) Arbeitsunfähigkeit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht entgegenstehe, widerspräche es dem erkennbaren Sinn und Zweck der Bewährungsduldungsvereinbarung, wenn man genügen ließe, dass spätestens vor Ablauf von jeweils sechs Monaten die Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen werde. Dahinstehen könne, ob die Bewährungsduldungsvereinbarung in dem Sinne ausgelegt werden könne, dass eine Erwerbsunfähigkeit der unverschuldeten Arbeitslosigkeit gleichgestellt werden könne. Denn auch eine (zeitweise behauptete) Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerseite könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Bewährungsduldungsvereinbarung sei bislang behördlicherseits so verstanden worden, dass bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit das Erlöschen nicht eintrete. Zwar habe der Antragsgegner zuletzt bis Mai 2023 Duldungen erteilt. Aus dem Entgegenkommen des Antragsgegners und dessen Bereitschaft, dem Antragsteller (beispielsweise auf Fristverlängerungen hin) zu seinen Gunsten noch weitere Möglichkeiten zur Bewährung einzuräumen, könne ein Vertrauensschutz jedoch nicht abgeleitet werden. Damit sei die auflösende Bedingung aus der Bewährungsduldungsvereinbarung eingetreten, sodass der Antragsteller hierauf gestützt keinen Anspruch auf Duldung habe. Mit dem Ablauf der Ausreisefrist lägen die Tatbestandsvoraussetzungen der Abschiebung nach § 58 Abs. 1 AufenthG vor. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) aus anderen Gründen. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis liege nicht vor und sei auch nicht glaubhaft gemacht worden. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers auf dessen gesundheitliche Probleme hinweise, werde ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis geltend gemacht, dessen Prüfung primär in die Zuständigkeit des Bundesamtes falle. Zwar habe die Ausländerbehörde, da der Antragsteller bislang kein Asylverfahren betrieben habe, eine eigene Prüfungskompetenz gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG. Jedoch sei für den Antragsteller schon nicht substantiiert und in einer den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genügenden Weise dargelegt worden, dass dieser an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leide. Im Übrigen sei eine Rückkehr in das Herkunftsland nicht gleichzusetzen mit einem Behandlungsabbruch. Eine Anfrage des Bundesamtes gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG sei nicht erforderlich. Auch die Betrachtung, der Antragsteller sei faktischer Inländer, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung erscheine auch nicht unverhältnismäßig, wenn man bedenke, dass der Antragsteller es allein in der Hand gehabt habe, den Bedingungseintritt durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder Beibringen eines Nachweises einer unverschuldeten Arbeitslosigkeit bzw. einer Erwerbsunfähigkeit zu vermeiden.
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3. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er habe einen Anordnungsanspruch ausreichend glaubhaft gemacht. In der Bewährungsduldungsvereinbarung sei die lange Dauer des Aufenthalts und die hohe Integration des Antragstellers berücksichtigt worden. Der Antragsteller habe eine höhere Ausbildung im Jahr 1987 als Schlosser beendet, bereits 2014 habe er aus gesundheitlichen Gründen eine Erwerbstätigkeit beenden müssen. Danach sei er arbeitslos gewesen und habe im Haushalt seiner Eltern gelebt. Der Antragsteller sei offensichtlich krank, so leide er an einer Persönlichkeitsstörung mit Psychopathie und anderen Eigenschaften mit Krankheitswert (m.V.a. die Feststellungen im Urteil des Landgerichts vom 6. Oktober 2015). In der Vereinbarung werde der Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller unter gewissen Bedingungen weiterhin eine Duldung zu erteilen (m.V.a. Ziffer II.2 bis VII. der Vereinbarung). Gemessen daran treffe den Antragsteller keine Ausreisepflicht. Die Vereinbarung sei durch den Antragsteller nicht verletzt worden. Der Antragsteller habe nachgewiesen, dass er arbeitsunfähig gewesen sei. Die Erwerbsunfähigkeit sei bereits im April 2022 nachgewiesen (m.V.a. Seite 5 und 6 des angefochtenen Beschlusses) und durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am 4. Juli 2022 bestätigt worden. Gleichzeitig sei eine qualifizierte Stellungnahme von Dr. med. J.S.E. vorgelegt worden (ausweislich deren der Antragsteller aufgrund seiner Beschwerden seit April 2021 circa alle sechs Wochen für jeweils zwei bis vier Wochen krankgeschrieben werden müsse), woraus sich zumindest zeitweise eine verminderte Teilhabe am Arbeitsleben ergebe. Damit sei der Antragsteller arbeitsunfähig gewesen. Bis März 2023 hätten dem Antragsgegner jedenfalls diese Unterlagen ausgereicht, um von der Annahme einer Verletzung der Bewährungsduldungsvereinbarung Abstand zu nehmen. Auf die telefonische Aufforderung vom 6. März 2023 habe der Antragsteller fristgerecht einen Arbeitsvertrag mit der Firma A. Transporte nachweisen können, wonach er ab dem 1. Juli 2023 als Aushilfe mit 24 Wochenstunden (Bruttolohn 1.250 EUR) angestellt werde. Dennoch habe der Antragsgegner aus nicht nachvollziehbaren Gründen erklärt, er würde wegen des nicht ausreichenden Einkommens nunmehr sofort die Bewährungsduldungsvereinbarung nicht mehr als erfüllt betrachten, und habe das Erlöschen der Vereinbarung gemäß Ziffer VII. sowie auch der ausgestellten Duldungsbescheinigung mitgeteilt. Die Situation der Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung sei nicht explizit in der Vereinbarung zwischen den Parteien geklärt worden. Anderenfalls wäre geregelt worden, dass der Nachweis von Arbeitsunfähigkeit den Verlust der Bewährungsduldung vermeide (m.V.a. den Schriftsatz vom 31.7.2023 im erstinstanzlichen Verfahren, Seite 3). Diesen Eindruck habe der Antragsgegner auch über mindestens ein Jahr vermittelt. Auch der Antragsgegner gehe erst ab Mai 2023 vom Erlöschen der Vereinbarung aus und habe vorher genau dieses Erlöschen eben nicht angenommen. Hierbei sei besonders zu berücksichtigen, dass die Bewährungsduldung bei einem Verstoß gegen die Vereinbarung ohne weiteres erlöschen würde und dies nicht zur Disposition der Behörde stehe. Sinngerecht habe die ZAB angenommen, dass die vereinbarte Bewährungsduldung noch nicht erloschen gewesen sei und deshalb bis Mai 2023 noch unzweifelhaft vorgelegen habe. Gemessen an diesen Grundsätzen habe der Antragsgegner ab Mai 2023 nicht ohne weiteres das Erlöschen der Bewährungsduldung annehmen können. Voraussetzung wäre gewesen, dass die Arbeitslosigkeit bereits sechs Monate andauere, bevor die Erlöschensfolge eintrete. Diese sechs Monate seien seit dem letzten Ablauf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht verstrichen gewesen. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei am 17. Februar 2023 vorgelegt worden. Eine neue habe vom 17. Mai bis 2. Juni 2023 gedauert. Nach alledem hätte der Antragsgegner die Duldung weiter erteilen müssen. Das Verwaltungsgericht verkenne die Problematik der Auslegung der Vereinbarung, wenn es meine, dass auch eine Erwerbsunfähigkeit des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht worden sei. Zum einen habe der Antragsteller in einem Telefonat vom 27. September 2022 der ZAB mitgeteilt, dass er arbeitsfähig sei und ab Oktober 2022 wieder arbeiten werde. Im Übrigen sei genau die befürchtete Folge eingetreten, dass der Antragsteller durch den von Seiten des Antragsgegners ausgeübten Druck und obwohl er möglicherweise arbeitsunfähig sei, gegen seine Gesundheitsinteressen eine Arbeitstätigkeit aufnehmen würde, um seine Heimat nicht verlassen zu müssen. Es möge sein, dass der Antragsteller nicht durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei, jedoch sei nie zwischen den Arbeitsunfähigkeitszeiten eine längere Zeitspanne als sechs Monate der Arbeitsfähigkeit verstrichen. Da diese nach der Vereinbarung allerdings unschädlich sei, sei sie nach jeder neuen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von neuem gelaufen. Die frühere Akzeptanz dieser Handhabe und damit dieser Auslegung der Vereinbarung führe auch zu einem Vertrauensschutz, den das Verwaltungsgericht nicht annehmen wolle. Die Annahme, dass aus dem „Entgegenkommen des Antragsgegners und dessen Bereitschaft, dem Antragsteller zu seinen Gunsten noch weitere Möglichkeiten zur Bewährung einzuräumen“, Vertrauensschutz nicht abgeleitet werden könne, sei nicht logisch und sei vom Verwaltungsgericht auch nicht weiter begründet worden. Denn es habe gerade nicht im Ermessen der Behörde gelegen, nach einem „jetzt reicht´s“ Entschluss vorzugehen. Die auflösende Bedingung der Bewährungsduldungsvereinbarung sei jedenfalls nicht im Mai 2023 eingetreten gewesen. Darüber hinaus sei der Antragsteller aus anderem Grund nicht ausreisepflichtig und zu dulden. Dabei sei zu sehen, dass der Antragsteller sehr wohl gewichtige Gründe ins Feld geführt habe, nämlich eine anderweitige Auslegung der Bestimmung unter Ziffer VII der Vereinbarung bzw. die Anwendung der Bestimmung selbst, seine weiterhin bestehende Erkrankung, die vorgelegten ärztlichen Atteste bzw. die jüngsten Schreiben der Ärztin. Gehe man davon aus, dass die Ziffer VII der Vereinbarung – die von der Vertreterin des Antragsgegners formuliert worden sei – überhaupt einen inhaltlichen Charakter haben wolle, müsse der Antragsteller lediglich triftige Gründe benennen, um die Abschiebung zu verhindern. Dies sei offensichtlich im Verhältnis zu § 60a Abs. 2c AufenthG eine Erleichterung. Denn die Ausländerbehörde habe die Abschiebung unter die Bedingung gestellt, dass der freiwilligen Ausreise triftige Gründe, die der Antragsteller lediglich geltend machen müsse (benennen), entgegenstünden. Der triftige Grund sei nach allgemeiner Auffassung ein überzeugender Grund oder auch ein Grund mit vielleicht höherer als normaler Überzeugungskraft. So könne die Definition des Begriffs des triftigen Grundes in „204 Abs. 2 S. 2 BGB“ herangezogen werden. Danach sei ein zwingender Grund nicht erforderlich, es genüge ein (prozesswirtschaftlich) vernünftiger Grund. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Corona-Sachen liege ein triftiger Grund bereits dann vor, wenn unaufschiebbare gesundheitliche private oder berufliche Belange von erheblichem Gewicht geltend gemacht werden könnten (m.V.a. Rn. 62 der Entscheidung des BayVGH v. 30.3.2020, Az. 20 NE 20.632). Darauf sei weder der Antragsgegner noch das Verwaltungsgericht eingegangen, obwohl solche triftigen Gründe auf der Hand lägen. Im Hinblick auf den gesundheitlichen Vortrag sei auch wegen der Situation im Herkunftsland des Antragstellers beantragt worden, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu Abschiebungshindernissen im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG anzuhören. Das Verwaltungsgericht gehe davon aus, dass die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c AufenthG vorliegen müssten, wenn ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG geltend gemacht werde. Allerdings seien die Erkrankungen des Antragstellers hier nicht fraglich, weshalb es in der Ermittlungspflicht der Behörde bzw. des Gerichts liege, dem Vortrag nachzukommen. Dafür stünden in aller Regel Gesundheitsämter zur Verfügung. § 60a Abs. 2c AufenthG spreche deshalb folgerichtig auch nur von „soll“. Die Medikamentenliste sei für § 60 Abs. 7 AufenthG im Übrigen nicht zwingend anzugeben.
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung das Beschwerdegericht grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
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Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass dem Antragsteller kein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung und damit kein Anordnungsanspruch zusteht. Der Antragsteller ist gemäß §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 Nr. 5, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Die gegen ihn verfügte Ausweisung ist aufgrund des Rechtsbehelfsverzichts gemäß Ziffer I der Bewährungsduldungsvereinbarung (datierend vom 8.7.2022, wirksam geworden entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Zugang der Willenserklärung des Antragstellers beim Antragsgegner am 24.10.2022) bestandskräftig geworden. Aufgrund der Ausweisung ist auch die dem Antragsteller erteilte Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG erloschen. Dahinstehen kann deshalb, dass auch die Rechtsbehelfsfristen gegen die Ausweisungsverfügung (§§ 74 Abs. 1 Satz 2, 58 Abs. 2 VwGO) abgelaufen sind. Des Weiteren ist der Antragsteller nicht mehr im Besitz einer rechtswirksamen Duldung. Die ihm zuletzt erteilte Duldung ist mit dem Ende ihrer Geltungsdauer mit Ablauf des 30. Mai 2023 gemäß Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erloschen (vgl. BayVGH, U.v. 1.10.2019 – 14 BV 17.1278 u.a. – juris Rn. 21; B.v. 27.2.2019 – 10 CS 19.180 – juris Rn. 14; U.v. 11.10.2016 – 10 BV 15.590 – juris Rn. 16) mit der Folge, dass die Aussetzung der Abschiebung entfallen ist, sich die vollziehbare Ausreisepflicht aktualisiert hat und die Abschiebungsandrohung ohne vorherige Ankündigung zu vollziehen ist (§ 60a Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Des Weiteren steht dem Antragsteller kein Anspruch auf Erneuerung der Duldung zu, und zwar weder auf der Grundlage der Bewährungsduldungsvereinbarung (1.), noch aus anderen Gründen (2.).
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1. Ein Anspruch des Antragstellers auf weitere Duldung ergibt sich nicht aus der Bewährungsduldungsvereinbarung. Die Duldungserteilung steht nach Ziffer II.2 der Bewährungsduldungsvereinbarung unter der auflösenden Bedingung, dass der Antragsteller ab dem Zeitpunkt der Haftentlassung bzw. ab der Aussetzung zur Bewährung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht, die es ihm ermöglicht, seinen Lebensunterhalt einschließlich der Wohnungskosten ohne das Recht auf Inanspruchnahme von Sozialleistungen oder Unterstützungsleistungen privater Dritter zu bestreiten, wobei Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit von einer Dauer von maximal sechs Monaten außer Betracht bleiben. Des Weiteren hat der Antragsteller entsprechende Nachweise zur Beschäftigungssituation zur jeweiligen Duldungsverlängerung unaufgefordert vorzulegen und sich im Falle der Arbeitslosigkeit unverzüglich beim zuständigen Jobcenter oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden.
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Ausgehend von dem Ende der Unterbringung des Antragstellers in einer Therapieeinrichtung am 2. März 2021 hatte er ab diesem Zeitpunkt den Nachweis einer der Ziffer II.2 der Vereinbarung entsprechenden Beschäftigung zu erbringen. Dass der Antragsteller diesen Nachweis nicht erbracht hat, stellt er selbst nicht in Frage. Den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller sei seit der Entlassung zur Bewährung (Therapieende März 2021) keiner Arbeit nachgegangen, erst am 19. Mai 2023 sei der ZAB ein am selben Tag unterschriebener Arbeitsvertrag über eine Beschäftigung als Aushilfe ab 1. Juni 2023 mit 24 Wochenstunden (Bruttolohn 1.250 EUR) vorgelegt worden, aufgrund der Höhe des vereinbarten Bruttolohns werde dieser Arbeitsvertrag jedoch nicht den Bedingungen der Bewährungsduldung gerecht, da er die Sicherung des Lebensunterhalts nicht möglich mache, der Vortrag der Antragstellerseite, der Vertrag sei hinsichtlich des Arbeitslohns fehlerhaft gewesen, erscheine in Anbetracht des bis dahin gezeigten Verhaltens des Antragstellers unglaubhaft, zumal ein hinsichtlich der Vergütung berichtigter Vertrag – entgegen der Ankündigung – bis zuletzt nicht vorgelegt worden sei, tritt der Antragsteller nicht substantiiert entgegen. Dass der Antragsteller auf die Aufforderung seitens des Antragsgegners vom 7. März 2023 (die gesetzte Frist bis 5.5.2023 wurde am 8.5.2023 auf telefonische Nachfrage des Antragstellers bis 15.5.2023 verlängert) in der Lage war, am 19. Mai 2023 einen Arbeitsvertrag vorzulegen, zeigt im Übrigen, dass er eine Erwerbstätigkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte aufnehmen können, was jedoch nicht geschehen ist. Dem gegenüber hat der Antragsteller eine unverschuldete Arbeitslosigkeit im Sinne der Ziffer II.2 der Bewährungsduldungsvereinbarung nicht nachgewiesen. Dieser Umstand belegt wiederum die Nichterfüllung der Verpflichtung des Antragstellers aus der Vereinbarung bereits zu einem früheren Zeitpunkt, was zur Konsequenz hat, dass die auflösende Bedingung nach der Ziffer II.2 eingetreten und der Anspruch auf Bewährungsduldung untergegangen ist.
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Dagegen kann der Antragsteller nicht einwenden, eine Erwerbsunfähigkeit nachgewiesen zu haben, die der unverschuldeten Arbeitslosigkeit im Sinne der Ziffer II.2 Satz 5 der Bewährungsduldungsvereinbarung gleichgestellt sei, weshalb der Zeitraum, in welchem keine Erwerbstätigkeit vorliegen muss, bei entsprechendem Nachweis von Arbeitsunfähigkeit jeweils nach Ablauf von sechs Monaten erneut zu laufen beginne. Nach Ziffer II.2 Satz 5 der Vereinbarung bleiben (bei der Verpflichtung nach Satz 1 bis 4 derselben Ziffer, einer den Bedingungen der Vereinbarung entsprechenden Erwerbstätigkeit nachzugehen) Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit von einer Dauer von maximal sechs Monaten außer Betracht. Die Regelung in Satz 5 ist als Ausnahme von der Regelung in Satz 2 derselben Vereinbarungsziffer zu verstehen, wonach die Beschäftigung es dem Antragsteller ermöglichen muss, seinen Lebensunterhalt einschließlich der Wohnkosten ohne das Recht auf Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu bestreiten. Aus dem systematischen Zusammenhang des Satzes 5 mit Satz 2 der Ziffer II.2 der Bewährungsduldungsvereinbarung ergibt sich die Zielsetzung, eine Integration des Antragstellers in das Wirtschafts- und Arbeitsleben ohne ein Angewiesensein auf öffentliche Leistungen zu gewährleisten und diesem damit eine „letzte Chance der Reintegration und zum straffreien Leben“ zu geben (vgl. die Ausführungen im Schreiben des Antragsgegners vom 19.5.2023, Bl. 25 der VG-Akte). Dies entspricht der allgemeinen Zielsetzung von Bewährungsduldungen. Die Ausländerbehörde kann eine sog. Bewährungsduldung auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen erteilen. Nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Resozialisierungsinteressen können im Einzelfall ein dringender persönlicher Grund im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG sein, der es der Ausländerbehörde ermöglicht, im Ermessenswege eine Duldung unter Bewertung des Gefährdungspotentials bei einem das öffentliche Interesse überwiegendem Resozialisierungszweck zu erteilen (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: 3/2021, § 60a Rn. 308). Eine sog. „Bewährungsduldung“ stellt sich als ein Instrument dar, eine bereits erfolgreich begonnene und weit fortgeschrittene Bewährung zu honorieren, beispielsweise wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage gegen die Ausweisungsentscheidung schon die strafrechtliche Bewährungszeit abgelaufen und eine weitere Bewährung in Freiheit erfolgt ist und der Betroffene in gesicherten persönlichen und materiellen Verhältnissen lebt, indem auf einen Vollzug der Ausweisung einstweilen verzichtet wird (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 7.10.2021 – 19 CE 21.2020 – juris Rn. 25). § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG steht selbstständig neben § 58 Abs. 1 und 3 AufenthG mit der Folge, dass Absatz 2 Satz 3 dazu ermächtigt, zunächst – unter der auflösenden Bedingung der weiteren erfolgreichen Bewährung – vorübergehend von einer Abschiebung abzusehen (Berlit, GK-AufenthG, § 60a Rn. 342). Neben der danach zwingend vorausgesetzten Straffreiheit kann die Bewährungsduldung gemäß Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG auch an weitere auflösende Bedingungen geknüpft werden, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Duldung des Ausländers aufgrund seiner bisherigen Bewährungsleistungen auch weiterhin gerechtfertigt ist. Zu diesem Zweck kann die Bewährungsduldung auch unter der auflösenden Bedingung erteilt werden, dass die für einen erfolgreichen Abschluss der Resozialisierung erforderlichen Lebensverhältnisse, insbesondere die Sicherung des Lebensunterhaltes des Ausländers durch legale Erwerbstätigkeit unabhängig von öffentlichen Leistungen oder privater Unterstützung durch Dritte, gegeben sind. Denn das Vorhandensein einer derartigen Erwerbstätigkeit ist nach der Lebenserfahrung geeignet, einem Rückfall des Ausländers in kriminelle Verhaltensweisen (insbesondere) zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes vorzubeugen. Demzufolge kann eine derartige Bedingung der Bewährungsduldungserteilung anstatt als Nebenbestimmung zur Duldungserteilung auch in der Weise angebracht werden, dass sie – wie vorliegend zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner (als Rechtsträger der ZAB) – in einer Bewährungsduldungsvereinbarung als öffentlich-rechtlichem Vertrag vereinbart wird.
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Gemessen daran widerspräche es – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt – dem erkennbaren Sinn und Zweck der Bewährungsduldungsvereinbarung, wenn man – bei unterstellter Gleichstellung von (vorübergehender) krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und unverschuldeter Arbeitslosigkeit – genügen ließe, dass spätestens vor Ablauf von jeweils sechs Monaten die Arbeitsunfähigkeit (erneut) nachgewiesen wird. Zwar steht eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit einer Erwerbstätigkeit und damit dem Sinn und Zweck der Ziffer II.2 der Bewährungsduldungsvereinbarung nicht entgegen. Diese Wertung kommt in der Regelung des § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes – EntgFG – zum Ausdruck, nach der ein Arbeitnehmer, soweit er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (mit einer einmaligen Verlängerungsmöglichkeit um weitere sechs Wochen unter den Bedingungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 EntgFG) hat. Der Antragsteller hat aber schon keine Erwerbstätigkeit aufgenommen, obwohl er sich dazu in Ziffer II.2 der Bewährungsduldungsvereinbarung verpflichtet hat. Insoweit handelt es sich vorliegend um einen anderen Fall als denjenigen, in welchem nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eine vorübergehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eintritt.
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Es kann dahinstehen, ob die von dem Antragsteller geltend gemachte „Erwerbsunfähigkeit“ mit einer (unverschuldeten) Arbeitslosigkeit gleichgesetzt werden kann – sodass der Vereinbarung eine entsprechende Regelung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung entnommen werden könnte –, denn der Antragsteller hat, wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, keine volle oder teilweise Erwerbsminderung nachgewiesen. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind – neben den für den Antragsteller nicht zutreffenden Fällen des § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, in denen die volle Erwerbsminderung fingiert wird – Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Daneben sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist dagegen nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Die Annahme einer Erwerbsminderung in diesem Sinne bedarf grundsätzlich eines Nachweises durch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bzw. des jeweiligen Rentenversicherungsträgers (worauf der Antragsteller hingewiesen wurde, vgl. Antragserwiderung vom 1.6.2023), welche auch Auskunft über den Grad der Erwerbsminderung gibt. Der Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass die von dem Antragsteller vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen diesen Anforderungen nicht genügten, tritt der Antragsteller nicht substantiiert entgegen. Insbesondere kann aus dem ärztlichen Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. A. K.-Z. vom 4. Juli 2022, auf das der Antragsteller verweist, keine Aussage zu einer etwaigen Erwerbsminderung und deren Grad entnommen werden. Auch dem Attest der Frau Dr.med. J.S.-E. vom 1. Juli 2022 lassen sich keine gesicherten Aussagen zu einer Erwerbsminderung des Antragstellers entnehmen, vielmehr ist dort (unter Bezugnahme auf einen Rehabericht) ausgeführt, bei entsprechender Medikation sollten „keine Einschränkungen bei der Teilhabe am Arbeitsleben zu erwarten sein“, der Patient müsse aber im Durchschnitt aufgrund seiner Beschwerden seit April 2021 circa alle sechs Wochen jeweils zwei bis vier Wochen krankgeschrieben werden, woraus sich „zumindest zeitenweise eine verminderte Teilhabe am Arbeitsleben“ ergebe. Ausdrücklich weist die Ärztin (ausweislich des Praxisstempels: Allgemeinmedizin/Betriebsmedizin/Naturheilverfahren/Reisemedizin) darauf hin, dass über Details des Schweregrades und Prognose keine fachärztlichen Befunde vorlägen und daher gebeten werde, solche Befunde bei den mitbehandelnden Fachärzten (Orthopäde und Psychiater) einzuholen. Selbst bei – hier offengelassener – Annahme einer Gleichsetzung von „Erwerbsunfähigkeit“ und (unverschuldeter) Arbeitslosigkeit, hätte der Antragsteller somit keine Erwerbsminderung nachgewiesen, sodass er nach Ziffer II.2 der Bewährungsduldungsvereinbarung eine Beschäftigung hätte nachweisen müssen. Dies ist, wie ausgeführt, nicht geschehen, weshalb die auflösende Bedingung der Vereinbarung eingetreten und der Anspruch des Antragstellers auf eine Bewährungsduldung untergegangen ist.
24
Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, dass die Möglichkeit einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung des Antragstellers nach den Umständen des Abschlusses der Bewährungsduldungsvereinbarung, gerade auch vor dem Hintergrund der im Strafurteil festgestellten psychischen Erkrankung (auf welche der Antragsteller verweist), von vornherein bestand und den Vertragsparteien bekannt gewesen sein musste, weshalb eine Vertragsanpassung nach der clausula rebus sic stantibus gemäß Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG (in dem von dem Antragsteller beabsichtigten Sinne) eher fernliegt.
25
2. Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Duldung aufgrund von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu, weil keine Duldungsgründe glaubhaft gemacht sind. Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die geltend gemachte rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Antragstellers liegt jedoch nicht vor:
26
Rechtlich unmöglich i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist die Abschiebung, wenn sich im Verhältnis zum Ausländer für die Bundesrepublik Deutschland aus einfachem Gesetzesrecht oder aus Unions-, Verfassungs- bzw. Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 60a Rn. 24; Röder in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed. 15.10.2022, AufenthG § 60a Rn. 32). Der Abschiebung des Antragstellers stehen jedoch keine rechtlichen Gründe gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Antragstellers) bzw. Art. 8 EMRK (im Hinblick auf seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und eine damit etwa verbundene Entwurzelung im Heimatstaat) entgegen.
27
Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist u.a. dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn; vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 13). In Betracht kommen damit nur inlandsbezogene Abschiebungsverbote. Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 13).
28
Selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr handelt es sich bei einer behaupteten Reiseunfähigkeit und einer möglicherweise aus den besonderen Belastungen einer Abschiebung resultierenden Suizidgefahr um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände (BVerfG, B.v. 26.2.1998 – 2 BvR 185/98 – juris Rn. 3). Die Abschiebung ist von der Ausländerbehörde dann so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (BVerfG, B.v. 16.4.2002 – 2 BvR 553/02 – juris; BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 14) kann es in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, um gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende Gefährdungen in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten und durch entsprechende tatsächliche Gestaltung der Abschiebung die notwendigen präventiven Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750).
29
Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 – BGBl I S. 390) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Legt der Ausländer ärztliche Fachberichte vor, sind diese zum Beweis für ein Abschiebungshindernis nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methode der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben, wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls richten. Insbesondere ist es dem Arzt, der ein Attest ausstellt, untersagt, etwaige rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit einer rechtlichen Frage auseinanderzusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 10.7.2003 – 11 S 2262/02 – juris Rn. 12). Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zu den prognostizierten Folgerungen kommt und welche Tatsachen dieser Einschätzung zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 10 CE 17.349 – juris Rn. 19; B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 7). Eine ärztliche Bescheinigung ist mithin nur dann i.S.v. § 60 Abs. 2c Satz 2 AufenthG als qualifiziert anzusehen und zur Glaubhaftmachung geeignet, wenn sie von der Ausländerbehörde in groben Zügen nachvollzogen werden kann. Erschließen sich die Gründe für die Reiseunfähigkeit des Ausländers nicht schon aus der Diagnose oder sonstigen Feststellungen in der ärztlichen Bescheinigung von selbst, muss das zur Glaubhaftmachung hierzu vorgelegte ärztliche Attest eine nachvollziehbare Begründung enthalten. Dies gilt vor allem bei diagnostizierten psychischen Erkrankungen oder Störungen, wenn das ärztliche Attest die Reiseunfähigkeit nur behauptet, aber nicht begründet, da die Reisefähigkeit in der Regel durch begleitende Maßnahmen (Verabreichung von Medikamenten, polizeiliche oder ärztliche Begleitung des gesamten Abschiebevorgangs, Übergabe an medizinisches Personal im Herkunftsland) sichergestellt werden kann (vgl. SächsOVG, B.v. 22.8.2019 – 3 B 394/18 – juris Rn. 12 f.).
30
Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers ist in der Bewährungsduldungsvereinbarung kein von den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG abweichender Maßstab der Glaubhaftmachung bzw. Substantiierung einer die Abschiebung hindernden Erkrankung festgelegt worden. Soweit unter Ziffer VII Satz 3 der Vereinbarung – wohl nach insoweit unwidersprochenem Vortrag von den Vertretern des Antragsgegners – formuliert wurde, „sollte er dann nicht freiwillig ausgereist sein, ohne der Ausländerbehörde triftige Gründe nennen zu können, wird die Abschiebung entsprechend des Bescheides vom 7.8.2019 vollzogen werden (…)“, lässt sich der Redewendung „triftige Gründe“ ohne nähere Konkretisierung nicht entnehmen, dass der Antragsgegner zu seinen Lasten eine Abschwächung der Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG an die Widerlegung der Vermutung der Reisefähigkeit bzw. des Nichtvorliegens von die Abschiebung hindernden gesundheitlichen Gründen entnehmen. Eine derartige Beweiserleichterung zugunsten des Antragstellers lässt sich bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (entsprechend §§ 133, 157 BGB) auch in der Zusammenschau der genannten Vertragsbestimmung mit der gesamten Bewährungsduldungsvereinbarung und deren Zielsetzung nicht ableiten, sodass nicht vertieft zu werden braucht, ob der Antragsgegner in Anbetracht seiner Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) überhaupt ermächtigt gewesen wäre, von den gesetzlichen Anforderungen an eine Widerlegung der Vermutung des § 60a Abs. 2c AufenthG abzuweichen.
31
Gemessen daran hat der Antragsteller eine Reiseunfähigkeit im engeren oder weiteren Sinne nicht glaubhaft gemacht. Die beiden im erstinstanzlichen Verfahren (Bl. 31 und 58 der VG-Akte) vorgelegten Atteste der Frau Dr.med. J.S.-E., jeweils vom 26. Mai 2023, welche bestätigen, dass der Antragsteller aufgrund einer akuten Verschlechterung seiner Depression mit Panikattacke sowie Konzentrationsstörungen seine Reise nicht antreten könne, genügen – zumal da die erforderlichen Angaben nach § 60a Abs. 2c AufenthG fehlen – ersichtlich nicht den Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung der Reisefähigkeit gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG. Die weiteren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen der Frau Dr.med. J.S.-E. vom 1. Juli 2022, 20. Juni 2023, 22. August 2023 und sowie des Herrn Dr.med. A.K.-Z. vom 4. Juli 2022 nehmen zur Frage der Reisefähigkeit keine Stellung. Im Attest vom 12. September 2023 erklärt Frau Dr. med. S.-E. zwar, aus medizinischer Sicht sei eine Reise (unabhängig vom Reiseziel) und eine drohende Abschiebung aufgrund der aktuellen gesundheitlichen Situation nicht zu empfehlen, sofern es sich um reine Ängste bezüglich der Durchführung der Reise handle. Dies wäre aktuell schädlich für die Gesundheit des Patienten, der aus medizinischer Sicht als reiseunfähig gelte. Inwiefern den geltend gemachten Gesundheitsgefahren durch eine ärztliche Begleitung der Abschiebung und eine Übergabe an medizinisches Personal am Zielort Rechnung getragen werden könnte, erläutert das Attest jedoch nicht. Außerdem handelt es sich bei der ausstellenden Ärztin nicht um eine Fachärztin für Psychiatrie bzw. Psychotherapie. Damit genügt auch dieses Attest nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG.
32
Hinsichtlich des geltend gemachten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots fehlt es ebenso an einer ausreichenden Substantiierung. Auch insoweit gelten gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG die Anforderungen an die Substantiierung einer die Abschiebung hindernden Erkrankung nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG. Mangels hinreichender Substantiierung bestand für den Antragsgegner keine Veranlassung, eine Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG einzuholen.
33
Auch stellt der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Abschiebung sei nicht wegen einer Verletzung des von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 EMRK unter anderem geschützten Rechts auf Achtung des Privatlebens des Antragstellers unter dem Gesichtspunkt des „faktischen Inländers“ aus rechtlichen Gründen unmöglich, nicht in Frage. Der Antragsteller hat keine Verwurzelung im Bundesgebiet dargelegt, welche ein Maß erreicht hätte, welches seine Rückkehr in sein Herkunftsland im Hinblick auf die dort eingetretene „Entwurzelung“ nach Art. 8 Abs. 1 EMRK unzumutbar erscheinen ließe und somit zur rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung führen würde. Insofern ist zwar zu berücksichtigen, dass der durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Schutz des Privatlebens ein rechtliches Hindernis für die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts eines Ausländers im Bundesgebiet begründen kann, wenn sich ein seit langem oder schon immer in Deutschland lebender Ausländer persönlich, wirtschaftlich und sozial integriert hat, hier verwurzelt, in seinem Herkunftsland entwurzelt (oder nicht verwurzelt war) und nach alledem zum „faktischen Inländer“ geworden ist (vgl. Koch in Kluth/Hornung/Koch, ZuwanderungsR-HdB, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 298). Dies setzt voraus, dass ein Ausländer in so hohem Maße aufgrund seiner Lebensumstände in Deutschland verwurzelt ist, dass er aufgrund einer abgeschlossenen und gelungenen Integration faktisch in so erheblichem Maße vom Aufenthalt im Bundesgebiet abhängig ist, dass ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 10/2020, § 60a AufenthG, Rn. 97). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt eine nach Art. 8 Abs. 1 EMRK schützenswerte Verwurzelung eines Ausländers grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht (BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 3.08 – juris; U.v. 26.10.2010 – 1 C 18.09 – juris; B.v. 1.3.2011 – 1 B 2.11 – juris; ebenso BayVGH, U.v. 23.11.2010 – 10 B 09.731 – juris; U.v. 21.12.2011 – 10 B 11.182 – juris; anderer Ansicht VGH BW, U.v. 13.12.2010 – 11 S 2359.10 – juris m.w.N. zum Streitstand).
34
Gemessen daran legt der Antragsteller mit seinem Verweis auf seinen langjährigen Aufenthalt und seine „gute Integration“ keine den dargestellten Anforderungen entsprechende Verwurzelung dar. Zwar ist zugunsten des Antragstellers zu sehen, dass er im Bundesgebiet geboren ist und sich – abgesehen von einem etwa fünfjährigen Aufenthalt vom zweiten bis zum siebten Lebensjahr bei seinen Großeltern im Herkunftsland – nur im Bundesgebiet aufgehalten hat, bis zum Wirksamwerden der Ausweisung im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war, hier die Hauptschule abgeschlossen und nach einer ohne Abschluss abgebrochenen Ausbildung bis 1994 in seinem Ausbildungsbetrieb angestellt war, anschließend mehrfach den Arbeitgeber gewechselt hat und – unterbrochen durch mehrere Haftstrafen – bis Anfang 2014, als er aus gesundheitlichen Gründen kündigte, einer Erwerbstätigkeit nachging. Des Weiteren ist der Antragsteller nach Aktenlage an der Pflege seiner im Bundegebiet lebenden Mutter beteiligt. Gegen eine gelungene Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland sprechen aber insbesondere die mehrfachen strafrechtlichen Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen, die der Antragsteller auch tatsächlich verbüßt hat (vom 4.11.2004 bis 1.4.2006 und erneut vom 18.8.2008 bis 18.4.2012), seine ausweislich der Verurteilungen erhebliche Delinquenz (u.a. mehrfacher Betrug, versuchte räuberische Erpressung mit gefährlicher Körperverletzung) und die seit der Entlassung aus der Therapieeinrichtung – wie dargelegt – nicht gelungene Reintegration in das Arbeitsleben. Da der Antragsteller die Bedingungen der Bewährungsduldungsvereinbarung, wie ausgeführt, nicht erfüllt hat, kann ihm die Bereitschaft des Antragsgegners, dem Antragsteller eine (letzte) Bewährungschance zu geben, nicht mehr zugutekommen. Dem gegenüber ist eine Entwurzelung in seinem Herkunftsland nicht dargetan. Vielmehr ist aufgrund seines Aufwachsens in einer türkischen Familie und seines mehrjährigen Aufenthaltes während einer prägenden Phase der Kindheit bei seinen Großeltern in der Türkei anzunehmen, dass der Antragsteller die in seinem Herkunftsland gesprochene Sprache beherrscht oder zumindest innerhalb eines zumutbaren zeitlichen Rahmens erlernen kann und in der Lage sein wird, sich in die dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse zu reintegrieren. In der Gesamtabwägung überwiegen damit die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden öffentlichen Belange die privaten Belange des Antragstellers. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die Abschiebung des Antragstellers unverhältnismäßig in sein Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreifen würde.
35
3. Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
36
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
37
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).