Titel:
Abgrenzung der Wohnnutzung von der Vermietung zur Fremdenbeherbergung
Normenketten:
ZwEWG Art. 3 Abs. 2, Art. 1 S. 2 Nr. 1
ZeS § 13
Leitsätze:
1. Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, liegt vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während der übrige Wohnraum nebst Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf lange Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts.
2. Die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft beispielsweise an einen Arbeitnehmer, der sich aus Anlass eines Arbeitsauftrages in einer Kommune aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern i.d.R. sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, ist regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen zu qualifizieren mit der Folge, dass die Annahme einer Zweckentfremdung nicht in Betracht kommt.
3. Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“; es vermittelt deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb als „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten.
Orientierungsätze:
Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, liegt vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während der übrige Wohnraum nebst Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf lange Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts. (Rn. 22)
Die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft beispielsweise an einen Arbeitnehmer, der sich aus Anlass eines Arbeitsauftrages in einer Kommune aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern i.d.R. sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, ist regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen zu qualifizieren mit der Folge, dass die Annahme einer Zweckentfremdung nicht in Betracht kommt. (Rn. 23)
Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“; es vermittelt deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb als „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten. (Rn. 24)
Schlagworte:
Wohnnutzung, Fremdenbeherbergung, Serviceleistungen, Zweckentfremdungsrecht, Nutzungskonzept, Zimmer in Wohngemeinschaft
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 14.07.2021 – M 9 K 20.4088
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 15.07.2024 – 12 B 23.2195
Fundstellen:
BeckRS 2023, 37928
NJW 2024, 911
NJW 2024, 3016
NZM 2024, 764
LSK 2023, 37928
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Juli 2021 (Az. M 9 K 20.4088) wird wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020, mit dem sie unter Androhung eines Zwangsgeldes von jeweils 10.000,00 EUR zur Beendigung der Nutzung der verfahrensgegenständlichen Wohnung zur Fremdbeherbergung und zur Wiederzuführung zu Wohnzwecken aufgefordert wurde.
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1. Die Klägerin vermietet mehrere Wohnungen in der Landeshauptstadt gemäß ihrem Konzept co-living mit großzügigen Gemeinschaftsräumen. Sie betreibt die Vermietung von möblierten Wohnungen mit Serviceleistungen, verbunden mit gemeinsamer Küchen- und Badbenutzung
3
Die streitbefangene Wohnung in der H.-Straße in München besteht aus 6 Zimmern mit Küche und 2 Bädern, die insgesamt mit den Gemeinschaftsräumen 235 qm groß ist. Sie ist baurechtlich als Wohnraum genehmigt. Die Klägerin ist selbst Mieterin und zur Untervermietung berechtigt, ebenso zum Umbau.
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Die vermieteten Räume sind möbliert. Als Serviceleistung war zunächst ein Reinigungsdienst installiert. Basisgrundausstattung für Küche und Toiletten ist ebenso vorhanden. Die Serviceleistungen sind inzwischen eingestellt worden. Die gesamten Mieteinnahmen der Klägerin ohne eine Nebenkostenpauschale betrug zum Januar 2020 5.550,- EUR monatlich. Ihrerseits hatte die Klägerin an den Eigentümer 3.780,- EUR, davon 285,- EUR Nebenkostenpauschale zu entrichten. Bei einer Ortsbesichtigung am 23. Juni 2020 ergab sich, dass aktuell 5 Zimmer vermietet waren und alle Bewohner im Besitz von befristeten Visa- und Aufenthaltserlaubnissen zu Arbeitszwecken waren.
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Der Eigentümer äußerte sich am 20. Juli 2020 dahingehend, dass die Wohnung zunächst wegen des fehlenden Aufzuges unvermietbar gewesen sei. Eine Zweckentfremdung durch die Klägerin liege nicht vor.
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Der Bevollmächtigte der Klägerin hatte im Rahmen der Anhörung sämtliche Mietverträge vorgelegt und belegt, dass Mietverhältnisse unter 6 Monaten nur eine Ausnahme seien, die insbesondere der Corona-Pandemie geschuldet gewesen seien.
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2. Mit Bescheid vom 27. August 2020 stellte die Beklagte fest, dass der Klägerin die Nutzung der Wohnung zum Zweck der Fremdbeherbergung nicht gestattet und diese unverzüglich zu beenden sei (Ziff. 1) sowie der Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der Überlassung wieder Wohnzwecken zuzuführen sei (Ziff. 2). In Ziffer 3 und 4 wurde für einen Verstoß gegen Ziff. 1 und 2 jeweils ein Zwangsgeld i.H.v. 10.000,- EUR angedroht.
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Es liege eine Zweckentfremdung vor, da sich die Bewohner im Wesentlichen für die Dauer ihres Arbeitsverhältnisses in den Räumen aufhielten. Damit sei eine gewerbliche Zimmervermietung gegeben. Die Unterkunft solle lediglich als Übergangslösung genutzt werden. Die kleinen Wohneinheiten würden zu sehr hohen Preisen vermietet. Es würden zudem umfangreiche hotelähnliche Serviceleistungen angeboten.
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Der Bevollmächtigte entgegnete, dass nunmehr die Mindestmietzeit 6 Monate betrage und die Serviceleistungen sowie die Zurverfügungstellung einer Grundausstattung beendet worden seien. Die Zimmer seien abschließbar. Der Pro-Kopf-Preis sei im Hinblick auf die großzügigen Gemeinschaftseinrichtungen angemessen. Die Anmietung erfolge zur dauerhaften Verlegung des Hauptwohnsitzes nach München. Im Übrigen sei nicht nachgewiesen, dass die Bewohner andere Hauptwohnsitze gehabt hätten. Die Beklagte betreibe letztlich Schikane.
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Die Beklagte wandte dagegen ein, dass bis zum Bescheiderlass fremdenverkehrsähnliche Vermietungen stattgefunden hätten. Die neuen Nutzungsbedingungen seien nicht überprüft worden. Die bisherigen Mietverhältnisse seien in einem Drittel der Fälle aufgrund der erfolgten Überprüfung nach 3 bis 5 Monaten beendet worden. Ein geplanter Augenschein habe wegen des fehlenden Einverständnisses der Klägerin und der Bewohner abgebrochen werden müssen.
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3. Mit Urteil vom 14. Juli 2021 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Klägerin fehle, weil sie ihr Nutzungskonzept inzwischen in wesentlichen Punkten geändert habe, das Rechtsschutzbedürfnis. Der streitgegenständliche Bescheid sei überholt. Im Übrigen diene das streitbefangene Gebäude der Fremdenbeherbergung, da es einen Servicebetrieb beinhalte sowie eine flexible Mietdauer biete. Die Mitglieder der Wohngemeinschaft dürften nicht mitbestimmen, wer mit ihnen zusammenwohne.
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4. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2021 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht habe eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen; dies stelle einen Verfahrensmangel dar. Im Übrigen bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, auch weise die Sache besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf.
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Demgegenüber verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten, ferner auf das ebenfalls beim Senat anhängige Verfahren unter dem Aktenzeichen 12 ZB 22.53 verwiesen.
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Der Zulassungsantrag der Klägerin hat Erfolg, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen. Auf weitere Zulassungsgründe kommt es entscheidungserheblich nicht an.
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1. Dass die Klägerin die Serviceleistungen inzwischen eingestellt hat, hat weder die Erledigung des Rechtsstreits noch den Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses zur Folge; die Klägerin ist durch den streitbefangenen Bescheid nach wie vor beschwert (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 100).
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2. Der angefochtene Bescheid vom 27. August 2020, mit dem die Beklagte die unverzügliche Beendigung der Nutzung der Wohnung in der H.-Straße zur Fremdenbeherbergung angeordnet und die Antragstellerin unter Androhung von Zwangsgeldern zur Wiederzuführung zu Wohnzwecken verpflichtet hat, ist offensichtlich rechtswidrig.
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Wie der Senat bereits entschieden hat (B.v. 05.05.2021 – 12 CS 21.564 – juris), liegt Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts bei Überlassung von Wohnraum an Personen vor, die am Beherbergungsort nur vorübergehend unterkommen und die ihre (eigentliche) Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Für einen derartigen Aufenthalt ist ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes prägend. Es fehlt an einer „auf Dauer“ angelegten Häuslichkeit im Sinne einer „Heimstatt im Alltag“. Der Aufenthalt zeichnet sich vielmehr durch ein übergangsweises, nicht alltägliches Wohnen bzw. ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen aus. Maßgeblich ist insoweit das jeweils zu Grunde liegende Nutzungskonzept; eine bestimmte Mindest- oder Höchstaufenthaltsdauer kann insoweit nicht festgelegt werden (BayVGH a.a.O., Leitsatz 1; wie BayVGH, B.v. 26.11.2015 – 12 CS 15.2269 – juris; B.v. 07.12.2015 – 12 ZB 15.2287 – juris).
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Besteht das Nutzungskonzept einer Wohnung beispielsweise darin, einem Untermieter diese für die Dauer eines zum Zwecke der medizinischen Behandlung erfolgenden Aufenthalts zur Verfügung zu stellen (sog. „Medizintouristen“), ihm mithin eine flexible, vorübergehende hotelartige Unterkunft zu bieten, jedoch die Wohnung (bei weiterhin fortbestehendem Hauptwohnsitz im Herkunftsland) nicht zugleich als Grundlage einer „auf Dauer“ angelegten Häuslichkeit zu nutzen, liegt hierin zweckentfremdungsrechtlich eine Nutzung zum Zwecke der Fremdbeherbergung (vgl. BayVGH, B.v. 07.12.2015 – 12 ZB 15.2287 – juris). Demgegenüber liegt eine Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während der weitere Wohnraum (Küche, Bad, Gemeinschaftszimmer und Flur) gemeinsam genutzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 05.05.2021 – 12 CS 21.564 –, NVwZ-RR 2021, 799 – juris, Rn. 5; so auch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.04.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris, Rn. 10).
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3. Das Verwaltungsgericht ist daher zu Unrecht von der Rechtmäßigkeit der auf die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 ZwEWG i.V.m. § 13 ZeS gestützten Anordnung ausgegangen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt die von der Klägerin vorgenommene zimmerweise Vermietung der streitgegenständlichen Wohnung keine Zweckentfremdung dar, weil der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand der Fremdenbeherbergung i.S.d. Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 ZeS nicht erfüllt ist. Vielmehr werden die fraglichen Räume zu Wohnzwecken genutzt, nicht hingegen für eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, da in der Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts (BayVGH, B.v. 05.05.2021 – 12 CS 21.564 – NVwZ-RR, 2021, 799 – juris, Rn. 5, OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.04.2019 – OVG 5 S 24.18 – juris, Rn. 11).
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Maßgeblich dafür, ob eine Wohnung zweckentfremdungsrechtlich zur Fremdenbeherbergung genutzt wird oder ob sie Wohnzwecken dient, ist das zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses verfolgte Nutzungskonzept. Dieses ist anhand der bestehenden Mietverträge, deren konkretem Inhalt aber auch der tatsächlichen Mietpraxis im Einzelfall festzustellen. Gegebenenfalls sind weitere Indizien für das Vorliegen gewerblicher Fremdenbeherbergung oder aber Wohnnutzung zur zweckentfremdungsrechtlichen Beurteilung heranzuziehen.
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Dementsprechend stellt sich die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft an einen (ausländischen) Studenten, der sich – beispielsweise im Rahmen eines Erasmus-Semesters – für die Dauer eines halben Jahres oder länger in München aufhält und dort während des Auslandssemesters seinen Lebensmittelpunkt hat, regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen dar. Es kann insoweit keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass ein Studierender während seines (Auslands-)Semesters seine „Heimstatt im Alltag“ am Studienort hat und er in einem WG-Zimmer nicht lediglich übergangsweise und provisorisch unterkommt. Nicht umsonst wirbt die Beklagte angesichts der herrschenden Wohnungsknappheit dafür, Studierenden den erforderlichen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
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Desgleichen erweist sich die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft an einen Arbeitnehmer, der sich – wie im vorliegenden Fall – aus Anlass eines Arbeitsauftrages in München aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern i.d.R. sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen. Ein solcher Mieter begründet eine wenn auch vorübergehende (zeitlich begrenzte) Heimstatt im Alltag und kommt nicht lediglich provisorisch übergangsweise und damit „hotelartig“ in der Landeshauptstadt unter. Es liegt deshalb weder eine „Fremdenbeherbergung“ noch eine „Zweckentfremdung“ vor.
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Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“ (vgl. BVerfGE 38, 348 [359 ff.]; BVerwGE 65, 139 [142 f.]; BVerwG, U.v. 17.10.1997 – 8 C 18/96 –, NJW 1998, 94; BayVGH, B.v. 20.01.2021 – 12 N 20.1706 –, BayVBl. 2021, 378 – juris, Rn. 41 u. LS 1); es gibt der Beklagten deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb als „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten. Das Zweckentfremdungsrecht gestattet weder eine Wohnraumbewirtschaftung noch darf es als Mittel eingesetzt werden, um „allgemein unerwünschte oder schädliche Entwicklungen“ auf dem Wohnungsmarkt zu unterbinden (vgl. BVerfGE 38, 348 [360]; BVerwG, U.v. 17.10.1997 – 8 C 18/96 –, NJW 1998, 94 [96]; BayVGH, B.v. 20.01.2021 – 12 N 20.1706 –, BayVBl. 2021, 378 – juris, Rn. 42 u. 43 u. LS 3 u. 4).
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Ebenso wenig schließen die Inanspruchnahme bestimmter Serviceleistungen oder eine hohe Miete die Annahme einer Wohnnutzung aus. Das Zweckentfremdungsrecht hindert nicht eine die ortsübliche Vergleichsmiete übersteigende Miete zu fordern (vgl. BVwerwG, U.v. 17.10.1997 – 8 C 18/96 – NJW 1998, 94 [96]; BayVGH, B.v. 20.01.2021 – 12 N 20.1706 –, BayVBl. 2021, 378 – juris Rn. 49 u. LS 4). Auch steht etwa die Reinigung der Gemeinschaftsräume sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Reinigungsdienstes für den selbst bewohnten Raum, insbesondere vor dem Hintergrund der mietvertraglichen Verpflichtung zur Erhaltung der Mietsache, der Annahme einer Wohnnutzung nicht entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 05.05.2021 – 12 CS 21.564 – juris, Rn. 10).
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Mithin stehen die fraglichen Räume nicht zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, sondern zur Wohnnutzung zur Verfügung. Es liegt eine Wohngemeinschaft, keine Beherbergungsgemeinschaft vor. Nach den insoweit nicht bestrittenen Angaben der Klägerin teilen sich die Bewohner Wohnraum, Küche, Bad und Flur zur gemeinsamen Nutzung und es steht jedem einzelnen Mieter jeweils ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet. Damit ist die Führung eines eigenständigen, unabhängig gestalteten Haushalts sichergestellt. Die gemeinsame Nutzung von Gemeinschaftsraum, Küche, Bad und Flur steht dem „Wohnen“ nicht entgegen. Auch ist die Wohngemeinschaft als Zusammenleben einer Gruppe von Personen, die eine Wohnung gemeinsam bewohnen, ohne miteinander verwandt zu sein, keineswegs ungewöhnlich; sie erfüllt ohne weiteres den Begriff des Wohnens (vgl. hierzu OVG Berlin Brandenburg, B.v. 26.04.2019 – OVG 5 S 24.18 –, juris).
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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entspricht auch das Nutzungskonzept dem einer Wohngemeinschaft, da die Bewohner wohngemeinschaftstypisch neben einem gemeinschaftlich genutzten Gemeinschaftsraum, sowie Bad und Küche jeweils über einen eigenständigen Raum verfügen, der dem Einzelnen entsprechende Rückzugsmöglichkeiten gewährleistet. Auch von einer WG wider Willen kann keine Rede sein. Es bleibt jedem Interessenten unbenommen, einen Mietvertrag unter den vorgegebenen Bedingungen und unter Akzeptanz des zugrundeliegenden Konzepts abzuschließen. Es basiert allein auf Freiwilligkeit, sich auf das Zusammenwohnen mit fremden und auch aus anderen Ländern und Kulturkreisen stammenden Personen einzulassen. Das sinnvolle Konzept der Klägerin verfolgt gerade das Ziel, neu nach München zugezogenen und teilweise mit der hiesigen Sprache nicht vertrauten Personen auf diese Weise rasch ein sozial integriertes und gemeinschaftliches Wohnen und Leben zu ermöglichen.
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Soweit das Verwaltungsgericht meint, das Nutzungskonzept sei auf eine vorübergehende, kurzzeitige Vermietung ausgelegt, übersieht es, dass vorliegend bereits die Dauer des Aufenthalts den Maßstab „ständig wechselnder Gäste“ überschreitet, wie es für die Fremdenbeherbergung kennzeichnend ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.04.2019, a.a.O.). Die Zeitdauer stellt zudem nur ein Indiz für die eine bzw. die andere Nutzungsform dar. Im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Abgrenzung einer Wohnnutzung zu einem Beherbergungsbetrieb wurden Vermietungen zwischen 3 und 8 Monaten jedenfalls als ausreichend für eine Wohnnutzung angenommen (vgl. statt vieler VG Berlin, U.v. 04.03.2020 – 6 K 420.19 –, juris m.w.N.). Selbst nach dem vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt wäre demnach schon nicht mehr von einer kurzzeitigen, vorübergehenden Vermietung auszugehen. Vorliegend beträgt die Mindestmietdauer zwischenzeitlich sogar 6 Monate. Darüber hinaus hat der Klägerbevollmächtigte zugleich nachgewiesen, dass es, auch wenn einzelne Mieter in der Vergangenheit, aus welchem Grund auch immer, vorzeitig den Vertrag beendet haben, auch erheblich längere Mietverhältnisse gegeben hat, zum Teil bis zu 19 Monaten. Dies entspricht üblichen Wohnraummietverträgen, die ebenfalls mit offener Vertragsdauer jederzeit, auch frühzeitig, gekündigt werden können, ohne dass deshalb eine Wohnnutzung ernstlich in Zweifel gezogen werden könnte. Im Übrigen ändert auch eine Nutzung nur für einen begrenzten, nicht auf lange Dauer angelegten Zeitraum an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.).
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Es ist deshalb offensichtlich, dass es sich bei den Bewohnern nicht um ständig wechselnde Gäste handelt. Die Annahme, die Mieter unterhielten noch andernorts, ggf. im Ausland, einen Lebensmittelpunkt, ist durch nichts belegt. Dafür sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, zumal die Mieter, die einen Arbeitsplatz in München gefunden haben, bei der Beklagten i.d.R. melderechtlich mit Hauptwohnsitz gemeldet sind. Es fehlt mithin insgesamt an dem für eine Fremdenbeherbergung kennzeichnenden Umstand des vorübergehenden Aufenthalts und zugleich auch an der Voraussetzung, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Bewohner während der Dauer ihres Aufenthalts in der streitbefangenen Wohnung sich dort eine dauerhafte Heimstatt im Alltag in der Gemeinschaft der Mitbewohner geschaffen haben.
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Demgegenüber greifen die Aspekte des Zurverfügungstellens von Serviceleistungen, wobei es hier auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Bescheides ankommt, sowie der vermeintlich zu hohen Miete als Indiz für eine lediglich kurzfristige Fremdenbeherbergung nicht durch. Ihnen kann aufgrund der vorstehenden Ausführungen keine Bedeutung zukommen. Die – offenbar zwischenzeitlich eingestellten Serviceleistungen – schließen nicht von vorneherein eine selbstständige Regelung und Organisation des täglichen Lebens im Sinne einer Heimstatt im Alltag aus. Auch die Reinigung der Gemeinschaftsräume und die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines wöchentlichen Reinigungsdienstes für den selbst bewohnten Raum stehen dem, insbesondere vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Klägerin zum Erhalt der Mietsache, nicht entgegen. Die Serviceleistungen dienen lediglich dazu, die Gründung eines neuen Hausstands zu einer Nutzung zu dauerhaften Wohnzwecken und damit die Schaffung einer Heimstatt zu erleichtern und stehen dem nicht entgegen. Es ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass sogar betreutes Wohnen bauordnungsrechtlich als „Wohnen“ i.S.d. § 3 Abs. 4 BauNVO einzustufen ist, weil zu den Wohngebäuden auch die Einrichtungen rechnen, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen (vgl. OVG Greifswald, B.v. 27.03.2015 – 3 M 38/15 – BeckRS 2015, 47459).
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Der Beklagten wird deshalb empfohlen, den Bescheid vom 27. August 2020 aufzuheben.
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4. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 12 B 23.2195 als Berufungsverfahren fortgesetzt. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.