Titel:
Abgrenzung von Wohnnutzung und gewerblicher Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
ZwEWG Art. 1, Art. 3
Leitsätze:
1. Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, liegt vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während der übrige Wohnraum nebst Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf lange Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts. (Rn. 26)
2. Die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft beispielsweise an einen Arbeitnehmer, der sich aus Anlass eines Arbeitsauftrages in einer Kommune aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern in der Regel sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, ist regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen zu qualifizieren mit der Folge, dass die Annahme einer Zweckentfremdung nicht in Betracht kommt. (Rn. 29)
3. Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“. Es vermittelt deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer, zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb für „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten. (Rn. 35)
Maßgeblich dafür, ob eine Wohnung zweckentfremdungsrechtlich zur Fremdenbeherbergung genutzt wird oder ob sie Wohnzwecken dient, ist das zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses verfolgte Nutzungskonzept. Dieses ist anhand der bestehenden Mietverträge, deren konkretem Inhalt aber auch der tatsächlichen Mietpraxis im Einzelfall sowie gegebenenfalls weiterer Indizien festzustellen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweckentfremdung, Relocation-Agentur, Wohnnutzung, Berufsbedingter Aufenthalt, Beherbergungsartiges Unterkommen, Nutzungskonzept, Wohngemeinschaft, Studenten, Ausländische Arbeitnehmer, berufsbedingter Aufenthalt, beherbergungsartiges Unterkommen, ausländische Arbeitnehmer, Lebensmittelpunkt
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 12.03.2021 – M 9 K 19.4581
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37924
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. März 2021 (Az. M 9 K 19.4581) wird wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
1
Der Kläger verfolgt mit seinem Zulassungsbegehren die Aufhebung der zweckentfremdungsrechtlichen Verfügung der Beklagten vom 6. August 2019 weiter, mit der ihm zwangsgeldbewehrt aufgegeben wurde, die Nutzung des von ihm als Hauptmieter an Dritte untervermieteten Wohnraums in der P.-Straße in München zu anderen als Wohnzwecken unverzüglich zu beenden und den Wohnraum unverzüglich wieder Wohnzwecken zuzuführen.
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1. Der Kläger ist Inhaber der Agentur „m…“, die in München als „Full-Service Partner“ für die Vermietung, den Verkauf und die Renovierung von Wohnungen tätig ist und u.a. für neu nach München zuziehende Mitarbeiter von Firmen („Neumünchner“) „Full-Service Relocation“ anbietet. Mit Mietvertrag vom 3. Mai 2016 mietete er im Rahmen eines zunächst befristeten Mietvertrags das vorliegend streitgegenständliche Haus in der P.-Straße in München an. Die beabsichtigte Untervermietung wurde ihm von den Hauseigentümern mündlich gestattet, ebenso die Geltungsdauer des befristeten Mietvertrages jeweils mündlich verlängert. Nach eigenen Angaben hat der Kläger das Haus zunächst bis einschließlich September 2017 renoviert und dabei zeitweise unter Beachtung der 8-Wochen-Grenze der Zweckentfremdungssatzung der Beklagten an Touristen vermietet. Zwischen Oktober 2017 und März 2019 erfolgte in Kooperation mit der TU München eine Vermietung an Studenten aus dem asiatischen Raum, nachdem dem Kläger wie auch der TU München zuvor von der Beklagten die zweckentfremdungsrechtliche Zulässigkeit der Vermietung bestätigt worden sei. Mit Mietvertrag vom 1. April 2019 vermietete der Kläger das Haus an den britischen Staatsangehörigen Alexander K. aus Glasgow. Der Mietvertrag wies als Mietbeginn den 2. April 2019 und als Mietende den 29. November 2019 aus. Ungeachtet des auf dem Deckblatt des Mietvertrags angegebenen Mietendes wurde der Mietvertrag jedoch gemäß § 2 auf „unbestimmte Zeit (mindestens aber für 6 Monate)“ geschlossen und enthielt entsprechende Kündigungsregelungen.
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2. Nach Hinweisen aus der Bevölkerung über eine mutmaßlich als Fremdenbeherbergung u.a. für Medizintouristen anzusehende Nutzung des Hauses in der P.-Straße eröffnete die Beklagte im Juli 2017 zweckentfremdungsrechtliche Ermittlungen und stellte zunächst den Eigentümer sowie den Kläger als Hauptmieter der Liegenschaft fest. Nach einem Ermittlungsbericht vom 4. April 2019 war die Klingel des Hauses zum Zeitpunkt der Ortseinsicht mit sechs Namen beschriftet. Den Bediensteten der Beklagten wurde nicht geöffnet. Aus den vorhandenen „Müllbergen“ zogen die Bediensteten den Schluss, dass die letzten Bewohner „vermutlich“ vor kurzem ausgezogen seien. Bei einer weiteren Ortseinsicht vom 5. Juli 2019, bei der den Bediensteten der Beklagten wiederum nicht geöffnet wurde, war der Briefkasten der streitgegenständlichen Liegenschaft mit drei Namen beschriftet. Die aufgeführten Personen wie auch der Unterzeichner des Mietvertrags vom 1. April 2019 waren gemäß einer entsprechenden Abfrage der Beklagten zu dem genannten Zeitpunkt nicht in München gemeldet. Eine weitere Ortseinsicht am 25. Juli 2019 blieb ohne Ergebnis, da in dem Anwesen erneut niemand angetroffen wurde.
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Bei einem weiteren Ortstermin am 29. Juli 2019 trafen die Bediensteten der Beklagten Herrn S, einen britischen Staatsangehörigen, an. Da dieser kein Deutsch sprach, wurde die Unterhaltung gemäß dem in der Verfahrensakte befindlichen Vermerk auf Englisch geführt. Nach Angabe des Bediensteten P. der Beklagten gab Herr S. an, seit ca. 3 Monaten für seine Firma in München ein Projekt durchzuführen. „Dieses Projekt würde bis zum 12.08.2019 laufen.“ Danach würden „sie alle“ wieder nach Hause zurückkehren. Während der Zeit in München seien sie von ihrer Firma für 3.500,- € monatlich im streitgegenständlichen Anwesen untergebracht worden. Vermieter sei ein gewisser „D.“.
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3. Nach Anhörung des Klägers verfügte die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 6. August 2019, die Nutzung des vorliegend streitgegenständlichen Wohnraums zu anderen als Wohnzwecken unverzüglich zu beenden (Ziffer 1.) und den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der zweckwidrigen Nutzung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Ziffer 2.). Für den Fall der Nichterfüllung der genannten Anordnungen innerhalb von vier Wochen (Ziffer 3.) bzw. innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Bescheids (Ziffer 4.) wurde ein Zwangsgeld von jeweils 5.000,- € angedroht. Bei den streitgegenständlichen Räumlichkeiten in der P. Straße handle es sich um Wohnraum. Dieser sei vom Kläger seit mindestens Juli 2017 wiederholt und regelmäßig an Personen überlassen worden, welche sich lediglich vorübergehend, z.B. zu Zwecken medizinischer Behandlung, für die Dauer eines Arbeitseinsatzes oder zu touristischen Zwecken in München aufgehalten hätten. Nach gängiger Rechtsprechung bezeichne „Fremdenbeherbergung“ zweckentfremdungsrechtlich die Überlassung von Wohnraum an Personen, die am Beherbergungsort nur vorübergehend unterkommen und die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort hätten. Für einen derartigen Aufenthalt sei ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunkts prägend. Es fehle an einer „auf Dauer“ angelegten Häuslichkeit im Sinne einer „Heimstatt im Alltag“. Der Aufenthalt zeichne sich vielmehr durch ein übergangsweises, nicht alltägliches Wohnen bzw. ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen aus. Auf die Aufenthalts- bzw. Mietdauer komme es dabei nicht entscheidungserheblich an. Maßgebend sei insoweit das jeweils zugrundeliegende Nutzungskonzept, das sich aus den abgeschlossenen Mietverträgen und der tatsächlichen Nutzung der Wohnung ergebe.
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Im vorliegenden Fall stelle das Nutzungskonzept der streitgegenständlichen Wohnung ausschließlich darauf ab, häufig wechselnden Kurzzeitnutzern eine flexible Unterkunft zu bieten und keinesfalls eine Wohnung als Grundlage einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit. Im Rahmen der Ermittlungen und aufgrund von Ortsbesichtigungen hätten wesentliche Umstände festgestellt werden können, die gegen das Vorhandensein einer regulären Wohnnutzung durch einzelne Nutzer sprächen. So sei die Wohnung über verschiedene Internetportale im Rahmen einer „Full-Service Agentur für Wohnen auf Zeit“ komplett ausgestattet und möbliert angeboten worden. Die Mietverträge seien im Hinblick auf eine flexible Mietdauer ausgestaltet und an die Bedürfnisse der Kurzzeitnutzer angepasst worden. Die Mietverträge führten jeweils den Grund des vor-übergehenden Gebrauchs auf. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse sei davon auszugehen, dass es das gewerblichen Modell des Klägers als Zwischenmieter ausmache, Wohnraum systematisch einem begrenzten Personenkreis, welcher sich beispielsweise aus beruflichen Gründen zeitlich begrenzt in München aufhalte, zur Verfügung zu stellen. Der bislang angetroffene Nutzer sei weder in der Vergangenheit noch aktuell einwohnermelderechtlich und ausländerrechtlich erfasst gewesen. Auch die anderen Mieter, die nicht persönlich angetroffen worden seien, seien größtenteils nicht gemeldet gewesen. Auch hier sei davon auszugehen, dass keine langfristige Niederlassung angestrebt werde bzw. angestrebt worden sei. Diesem umfangreich dokumentierten Nutzungskonzept gegenüber habe der Kläger keine die Erkenntnisse des Beklagten entkräftenden Argumente vorgetragen. Weiter sei auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger, der in der I.-Straße in München wohnhaft sei und eine Relocation-Agentur betreibe, selbst eine reguläre Nutzung des streitgegenständlichen Wohnraums anstrebe. Bei der Beklagten seien zwischenzeitlich mehr als dreißig Wohnungen bekannt, in denen der Kläger bzw. seine Agentur als gewerbliche Zwischenmieter aufträten.
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Durch die vom Kläger gewerblich praktizierte, jeweils kurzfristige Nutzung der zum dauerhaften Bewohnen geeigneten Räumlichkeiten werde die Inanspruchnahme des Wohnraums im Rahmen des „regulären“ Wohnungsmarkts durch Personen zur dauerhaften Nutzung als Mittelpunkt ihres Lebens verhindert. Der Kläger sei ferner auch der richtige Adressat der zweckentfremdungsrechtlichen Verfügung. Die Beklagte mache im Hinblick auf die Untersagung der zweckfremden Nutzung sowie die Wiederzuführung der Wohneinheit zu Wohnzwecken von dem ihr eingeräumten Ermessen pflichtgemäß Gebrauch. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Eine nachträgliche Genehmigung der zweckfremden Nutzung komme nicht in Betracht.
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4. Gegen diesen Bescheid wandte sich der Bevollmächtigte des Klägers zunächst mit Schriftsatz vom 20. August 2019 und wies insbesondere auf Sprach- bzw. Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Beschäftigten der Beklagten und dem britischen Mieter, Herrn S., anlässlich der Ortsbegehung am 29. Juli 2019 hin. So habe Herr S., der kein Deutsch spreche, lediglich erklärt, am 12. August 2019 einen Termin beim Einwohnermeldeamt der Beklagten im Bürgerbüro O.-Straße zu haben, um sich in München anzumelden. Keinesfalls ende ein „Projekt“ am 12. August 2019 und würde Herr S. auch nicht „nach Hause“ zurückkehren. Im Übrigen lebten die Mieter nach wie vor in der Wohnung und würden noch längerfristig in München einer Beschäftigung nachgehen. Es werde daher angeregt, den zweckentfremdungsrechtlichen Bescheid zurückzunehmen. Dieser Anregung kam die Beklagte indes nicht nach; sie leitete vielmehr ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Kläger ein. In der Folge wandte sich Herr S. per Email ebenfalls an die Beklagte und stellte klar, dass er gegenüber deren Bediensteten lediglich erklärt habe, am 12. August 2019 einen Termin beim Einwohnermeldeamt zwecks Anmeldung zu haben. Insoweit sei es wohl zu einem „breakdown in communication“ gekommen. Nach wie vor sei ein „longterm stay“ in der streitgegenständlichen Wohnung beabsichtigt. Ebenfalls mit E-Mail vom 23. August 2019 führte ein weiterer Mieter der P.-Straße gegenüber der Beklagten aus, dass es mehr als drei Monate gedauert habe, um einen Termin beim Kreisverwaltungsreferat für eine Anmeldung zu erhalten. Es sei beabsichtigt, mindestens eineinhalb Jahre in München zu bleiben. Dort sei aktuell auch sein Lebensmittelpunkt. Es bestehe der Eindruck, man habe die „Aussagen“ am 29. Juli 2019 „bewusst missbraucht, um unser Mietverhältnis als kurzfristig darzustellen.“ Diesen und weiteren Einlassungen der Mieter der Wohnung in der P.-Straße trat die Beklagte jeweils entgegen.
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5. In der Folge ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom 6. August 2019 Klage erheben; zugleich stellte er einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Der Klage waren unter anderem eidesstattliche Versicherungen des Klägers, seiner Angestellten und der Mieter der Wohnung in der P.-Straße beigegeben, die nochmals bestätigten, dass die Wohnung langfristig vermietet und am 12. August 2019 lediglich ein zuvor vereinbarter Termin für die Anmeldung beim Bürgerbüro O.-Straße der Beklagten wahrgenommen worden sei und die Aussagen des Mitarbeiters P. der Beklagten im Protokoll über die Ortsbesichtigung am 29. Juli 2019 nicht zutreffen würden. Nachdem die Mieter aus dem Haus in der P.-Straße aufgrund der Aktivitäten der Beklagten zwischenzeitlich ausgezogen und in München eine andere Wohnung bezogen hatten, erklärte der Bevollmächtigte des Klägers das vorläufige Rechtsschutzverfahren mit Schriftsatz vom 27. September 2019 für erledigt. Nach Zustimmung der Beklagten stellte es das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Oktober 2019 unter Teilung der Kostenlast ein (Az.: M 9 S 19.4582). Die Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens seien offen. Diesem Verfahren bleibe es auch vorbehalten zu klären, wie das Nutzungskonzept des Antragstellers einzuordnen sei. Urteile der Kammer zu „Boardinghouse-Nutzungen“ seien noch nicht rechtskräftig.
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6. In der Folge vermietete der Kläger nach Angaben seines Bevollmächtigten das Haus in der P. Straße mit Mietvertrag vom 25. September 2019 an drei „Pärchen“, also insgesamt sechs Personen mit rumänischer Staatsangehörigkeit unter ausdrücklichem Hinweis auf das Zweckentfremdungsrecht der Landeshauptstadt und das danach geforderte „langfristige Mietverhältnis“. Bei einer erneuten Ortsermittlung am 29. Mai 2020 wurden in dem Anwesen zwei Personen angetroffen, die weder Deutsch noch Englisch sprachen. Der telefonisch kontaktierte Arbeitgeber der Angetroffenen erklärte, er stelle ihnen die Unterkunft zu Verfügung. Die Bewohner hätten ihren Lebensmittelpunkt in München und würden dort so lange arbeiten, wie sie möchten. Deren Arbeitgeber sei die Fa. D. Gebäudereinigung. Die Bewohner seien indes alle „Bekannte“ und seit Oktober bzw. November in dem Haus untergebracht. Jeder besitze ein eigenes Schlafzimmer. Bislang habe kein Wechsel der Bewohner stattgefunden. Bei einem weiteren Ortstermin konnten die Räumlichkeiten trotz eines vorher angesetzten Besichtigungstermins nicht besichtigt werden. Gleiches erfolgte am 21. Juli 2020 entgegen einer bescheidsmäßigen Verpflichtung der Mieter zur Ermöglichung der Besichtigung. Bei einem weiteren Ortstermin am 10. August 2020 wurde in dem Haus eine weibliche rumänische Staatsangehörige mit ihrem Sohn angetroffen und mit Hilfe einer „Übersetzungsapp“ eine Befragung durchgeführt. Die Frau gab danach an, dass sie mit ihrer Familie, Mann und zwei Kindern, in dem Haus seit März 2020 lebe. Weiter bewohnten das Haus noch sechs weitere Personen, wovon sich vier aktuell in Rumänien aufhalten würden. Alle Bewohner arbeiteten bei der Fa. D. Gebäudemanagement. Jede Person würde 400,- € Miete zahlen. Einen eigenen Mietvertrag hätten sie nicht, dies regele alles ihr Arbeitgeber. Wie lange sie noch in der Wohnung bleiben werde, wisse sie noch nicht genau.
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7. Daraufhin erklärte die Beklagte mit Bescheid vom 12. August 2020 das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- € zur Zahlung fällig und drohte dem Kläger zugleich ein neues, erhöhtes Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- € für den Fall an, dass er die Nutzung der streitgegenständlichen Wohneinheit zu anderen als Wohnzwecken nicht innerhalb von drei Wochen ab Zustellung des Bescheids beende. Wie sich aus den Ortsermittlungen ergebe, werde der streitgegenständliche Wohnraum weiterhin zu anderen als Wohnzwecken genutzt, sei es zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, zur Nutzung als Arbeiterunterkunft oder zu sonstiger Kurzzeitvermietung. Der Wohnraum werde, wie die Ermittlungen zeigten, vom Kläger weiterhin wiederholt und regelmäßig an Personen überlassen, die sich lediglich vorübergehend für die Dauer eines Arbeitseinsatzes in München aufhielten. Dem Bescheid der Beklagten trat der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 19. August 2020 entgegen und führte aus, dass ihm ein nach Abschluss des Mietvertrags vom 25. September 2019 stattgefundener Mieterwechsel nicht bekannt gewesen sei; die Miete sei stets pünktlich entrichtet worden. Nach Räumung des Hauses im September 2020 vermietete der Kläger dieses anschließend über die Beklagte an eine Flüchtlingsfamilie. In der Folge erhob er auch gegen den Bescheid vom 12. August 2020 Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte zugleich die Anordnung von deren aufschiebender Wirkung gegenüber der erneuten Zwangsgeldandrohung. Das vorläufige Rechtsschutzverfahren wurde übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte zugesichert hatte, das fällig gestellte Zwangsgeld vorläufig nicht zu vollstrecken. Das im Klageverfahren ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts (Az.: M 9 K 20 4338) ist Gegenstand des beim Senat ebenfalls anhängigen Berufungszulassungsverfahren 12 ZB 21.2190.
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8. Mit nunmehr streitgegenständlichem Urteil vom 12. März 2021 hat das Verwaltungsgericht München die Klage gegen den Bescheid vom 6. August 2019 abgewiesen.
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8.1 Die Klage sei nach wie vor zulässig, soweit sie sich gegen Ziffer 1 bis 3 des Bescheids richte. Zwar hätten die Beteiligten erklärt, dass das streitgegenständliche Wohnanwesen seit spätestens Oktober bzw. November 2020 dauerhaft an eine Flüchtlingsfamilie vermietet sei und ein Zweckentfremdungstatbestand damit unstreitig nicht mehr vorliege. Dieser Umstand tangiere die Zulässigkeit der Klage hinsichtlich Ziffer 1 und 3 des Bescheids vom 6. August 2019 nicht, weil die zweckentfremdungsrechtliche Grundverfügung in Ziffer 1. des Bescheids die Rechtsgrundlage für die Vollstreckung des Zwangsgeldes nach Fälligstellung bilde, auf dessen Beitreibung die Beklagte nicht verzichtet habe. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3. des Bescheids vom 6. August 2019 stelle für sich genommen den Rechtsgrund für das Behaltendürfen des fällig gestellten Zwangsgeldes dar. Auch die streitgegenständliche Wiederzuführungsanordnung in Ziffer 2. des Bescheids habe sich durch die aktuelle Vermietung nicht erledigt, da der Kläger als Zwischenmieter nach wie vor Zugriffsmöglichkeiten auf die Wohneinheit besitze und damit grundsätzlich weiterhin die rechtliche Möglichkeit bestehe, das bisher praktizierte Nutzungskonzept zu verwirklichen. Eine Kündigung des Mietvertrags mit den Eigentümern der Wohneinheit sei nicht vorgetragen worden. Weiter sei die Kammer aufgrund der eingereichten Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten sowie der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2021 zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger auch zukünftig nicht beabsichtige, das im Streit stehende Nutzungskonzept gänzlich aufzugeben. Soweit sich die Klage gegen Ziffer 4. des streitgegenständlichen Bescheids richte (Zwangsgeldandrohung betreffend die Wiederzuführungsanordnung), sei sie unzulässig. Die Beklagte habe sowohl schriftsätzlich wie auch in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass etwaige Zwangsgelder im Zusammenhang mit der Wiederzuführungsanordnung nicht beigetrieben werden. Eine Umstellung der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage sei klägerseits nicht erfolgt.
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8.2 Die Klage erweise sich darüber hinaus als unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid vom 6. August 2019 rechtmäßig sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Hierbei werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen. Weiter sei anzumerken, dass im vorliegenden Fall der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand in Gestalt der Fremdenbeherbergung bzw. Kurzzeitvermietung gegeben sei. Dies ergebe sich aus den umfangreichen Ermittlungen der Beklagten. Insbesondere die Ortsermittlungen, die bereits über drei Jahre anhaltende, weitgehend aktenkundige „Vermietungshistorie“ der streitgegenständlichen Liegenschaft, die Zwischenmieterstellung des Klägers, sein durch Internetrecherchen, die vorgelegten Mietverträge sowie die tatsächlichen Umstände gelebtes und umgesetztes Nutzungskonzept bestätigten eindeutig, dass die streitgegenständlichen Wohneinheit hauptsächlich zu Kurzzeitvermietungen und zweckgebundenen Vermietungen genutzt worden sei und werde. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses sei „durch die Vermietungspraxis des Klägers“ der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand der gewerblichen Fremdenbeherbergung im Sinne von Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 der Zweckentfremdungssatzung der Beklagten (ZeS) erfüllt.
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Fremdenbeherbergung bezeichne die Überlassung von Wohnraum an Personen, die am Beherbergungsort nur vorübergehend unterkommen und die ihre (eigentliche) Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Für einen derartigen Aufenthalt sei ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunkts prägend. Es fehle an einer „auf Dauer“ angelegten Häuslichkeit im Sinne einer „Heimstatt im Alltag“. Der Aufenthalt zeichne sich vielmehr durch ein übergangsweises, nicht alltägliches Wohnen bzw. ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen aus. Letzteres sei regelmäßig der Fall, wenn ein Objekt für die Dauer eines vorübergehenden Zwecks zum Aufenthalt zur Verfügung gestellt werde. Wenn wie im vorliegenden Fall ein Objekt mit den zur Verfügung stehenden Zimmern – hier fünf bis sechs – sowie der zur Verfügung stehenden Ausstattung mit Möbeln, Küche, etc. dafür geeignet sei, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können, komme es maßgeblich auf das jeweils zugrundeliegende Nutzungskonzept des Vermieters sowie sein konkretes Geschäftsmodell im Einzelfall an. Eine bestimmte Mindest- oder Höchstaufenthaltsdauer der jeweiligen Bewohner könne insoweit nicht festgelegt werden; die Länge des Aufenthalts könne hingegen als Indiz berücksichtigt werden, mache aber nicht den Nachweis entbehrlich, dass bereits das Nutzungskonzept erkennbar und nachprüfbar auf eine dauerhafte Verlegung des Lebensmittelpunkts ausgelegt sei und diese auch sicherstellen müsse. Insbesondere müsse sichergestellt sein, dass der Wohnraum nicht nur der Überwindung einer vorübergehenden Mangelsituation diene oder nur im Zusammenhang mit einem Aufenthaltszweck stehe, der nicht typischerweise mit der Verlegung des Lebensmittelpunkts einhergehe.
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Gemessen hieran sei das Nutzungskonzept des Klägers zum maßgeblichen Zweitpunkt des Bescheiderlasses darauf ausgerichtet gewesen, seinen Untermietern eine flexible, vorübergehende, möblierte Unterkunft zu bieten. Das durch den Kläger angebotene und gelebte Nutzungskonzept sei nach Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung der vorgelegten Akten, Internetrecherchen und Mietverträge nicht von vornherein zwingend auf eine längere Aufenthaltsdauer ausgelegt gewesen und stelle diese auch nicht im erforderlichen Umfang sicher. Vorliegend weise schon der Mietvertrag des Klägers mit den aus Großbritannien stammenden Personen bzw. deren Vorgesetztem eine Mietzeit von lediglich sieben bis acht Monaten aus, was schon per se eine vorübergehende Nutzung nahelege. Der Umstand, dass der Kläger wie auch sein Bevollmächtigter schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung wiederholt darauf hingewiesen hätten, dass die Personen von Anfang an ein bis eineinhalb Jahre hätten bleiben wollen und dies auch vor Gericht bezeugen könnten, stehe schon in offenem Widerspruch zu der schriftlich fixierten Mietvertragsdauer und der schriftlichen Aussage der Bewohner, dass sie den Mietvertrag für neun Monate geschlossen hätten mit der Option auf Verlängerung. Den genannten Widerspruch hätten weder der Kläger noch sein Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung auflösen können. In offenem Widerspruch stehe auch, weshalb der Mietvertragsbeginn auf den 2. April 2019 festgelegt worden sei, bei der Ortsermittlung der Beklagten am 4. April 2019 jedoch weder die Namen der britischen Bewohner angebracht gewesen seien noch das Haus im Übrigen einen bewohnten Eindruck gemacht habe. Vielmehr habe festgestellt werden können, dass die letzten Bewohner vermutlich vor kurzer Zeit das Haus verlassen hätten, da verschiedene Müllberge sich in dem Anwesen befunden hätten. Ungeachtet dessen zeichne die gesamte Objekthistorie ein Bild von tatsächlich erfolgten Kurzzeitvermietungen unabhängig von den schriftlichen Vertragsinhalten. Weiter sei das streitgegenständliche Objekt auf verschiedenen Plattformen unter der Rubrik „Wohnen auf Zeit“ angeboten worden. Der Kläger betreibe eine Relocation Firma, deren Geschäftsmodell es sei, Objekte in guter, attraktiver Lage möbliert und, soweit gewünscht, mit Teilserviceleistungen zu flexiblen Konditionen und flexibler Mietvertragslaufzeit zur Verfügung zu stellen. Dass das Geschäftsmodell des Klägers nicht darauf abziele, eine Wohnung als Grundlage einer „auf Dauer“ angelegten Häuslichkeit zur Verfügung zu stellen, werde zudem durch die vereinbarte Pauschalmiete von 3.487,- € für ca. 130 m² Wohnfläche gestützt. Ferner spreche der Umstand, dass der Kläger den Mietvertrag nicht mit den britischen Bewohnern selbst, sondern mit deren Vorgesetztem abgeschlossen habe, für ein Geschäftsmodell mit kurzzeitigen Mieterwechseln. Das Nutzungskonzept des Klägers stelle eine längere Aufenthaltsdauer in keiner Weise sicher. Insoweit reiche der Hinweis im Mietvertrag auf das Zweckentfremdungsrecht sowie eine erforderliche längere Aufenthaltsdauer nicht aus, um den erforderlichen Sicherstellungspflichten nachzukommen. Angesichts der geschilderten Umstände sei vorliegend primäres Ziel die projektbezogene Unterbringung von Mitarbeitern. Die Überlassung von Wohnraum zur Deckung eines Sonderbedarfs befriedige jedoch keinen allgemeinen Wohnbedarf. Dass sich im Einzelfall eine längere Aufenthaltsdauer in Abhängigkeit vom jeweiligen Projektfortschritt ergebe, könne in diesem Zusammenhang in Anlehnung an die obergerichtliche Rechtsprechung zu den sog. Medizintourismusfällen nicht ausreichend sein, um eine Zweckentfremdung zu verneinen. Denn die nach Sinn und Zweck vom Zweckentfremdungsrecht erfasste Gefahr, dass dem allgemeinen Wohnungsmarkt Wohnraum verloren gehe, der ansonsten zum „Dauerwohnen“ zur Verfügung gestanden hätte, werde durch das vom Kläger gelebte und verwirklichte Nutzungskonzept eines gewerblichen Zwischenvermieters, der mit diesem eine bestimmte Wohneinheit „bindet“, realisiert.
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Weiter bestünden gegen die Auswahl des Klägers als Handlungsstörer nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG mit Blick auf seine Eigenschaft als gewerblicher Zwischenvermieter keine rechtlichen Bedenken. Ebenso erweise sich die Zweckentfremdung auch nicht als nachträglich genehmigungsfähig. Schließlich begegne auch die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3. des streitgegenständlichen Bescheids keinen rechtlichen Bedenken.
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9. Gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem er der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 geltend macht. Er rügt insbesondere die fehlerhafte Tatsachenfeststellung durch das Verwaltungsgericht. Richtigerweise hätte das Gericht feststellen müssen, dass das streitgegenständliche Objekt bereits im Zeitpunkt des Erlasses des zweckentfremdungsrechtlichen Grundbescheids langfristig vermietet gewesen sei.
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Demgegenüber verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten, ferner auf das ebenfalls beim Senat anhängige Berufungszulassungsverfahren unter dem Aktenzeichen 12 ZB 21.2190 verwiesen.
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Der Zulassungsantrag des Klägers hat Erfolg, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen. Ob darüber hinaus auch Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vorliegen, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen würden, erweist sich demgegenüber als nicht mehr entscheidungserheblich.
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1. Das angefochtene Urteil unterliegt ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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1.1 Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Anordnungen der Beklagten im Bescheid vom 6. August 2019, die Zweckentfremdung des Wohnraums in der P.-Straße in M. zu beenden und den Wohnraum wieder Wohnzwecken zuzuführen, bildet Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG – vom 10.12.2007, zuletzt geändert durch Änderungsgesetz vom 19.6.2017, GVBl. S. 182) in Verbindung mit § 13 Abs. 2 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS in der Fassung vom 5.12.2017, MüAbl. S. 494). Eine Zweckentfremdung von Wohnraum liegt nach Art. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG bzw. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZeS dann vor, wenn Wohnraum insgesamt mehr als acht Wochen im Kalenderjahr für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird.
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Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. hierzu aus jüngerer Zeit B.v. 28.10.2021 – 12 BV 20.1144 – BeckRS 2021, 33345 Rn. 52 ff. mit weiteren Nachweisen) bezeichnet Fremdenbeherbergung im zweckentfremdungsrechtlichen Sinn „die Überlassung von Wohnraum an Personen, die am Beherbergungsort nur vor-übergehend unterkommen und die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Für einen derartigen Aufenthalt ist ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunkts prägend. Es fehlt an einer ‚auf Dauer‘ angelegten Häuslichkeit im Sinne einer ‚Heimstatt im Alltag‘. Der Aufenthalt zeichnet sich vielmehr durch ein übergangsweises, provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen aus. Maßgeblich ist insoweit das jeweils zugrundeliegende Nutzungskonzept; eine bestimmte Mindest- oder Höchstaufenthaltsdauer kann insoweit nicht festgelegt werden (BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 12 CS 21.564 – BeckRS 2021, 12817 LS 1).“
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Besteht daher das Nutzungskonzept einer Wohnung darin, einem Untermieter diese für die Dauer eines zum Zwecke einer medizinischen Behandlung erfolgenden Aufenthalts zur Verfügung zu stellen (sog. „Medizintouristen“), ihm mithin eine flexible, vorübergehende und hotelartige Unterkunft zu bieten, jedoch die Wohnung – bei einem fortbestehenden Hauptwohnsitz im Herkunftsland – nicht zugleich als Grundlage einer „auf Dauer“ angelegten Häuslichkeit zu nutzen, liegt hierin – beispielhaft – zweckentfremdungsrechtlich eine Nutzung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung (vgl. hierzu BayVGH, B.v.19.4.2017 – 12 ZB 17.595 – BeckRS 2017, 152041 Rn. 4 ff.).
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Demgegenüber liegt eine Wohnnutzung, nicht hingegen eine gewerbliche Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung vor, wenn in einer Wohnung – in einer „Wohngemeinschaft“ bzw. einem „Co-Living-Space“ – weitere Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während Wohnraum, Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.42019 – OVG 5 S 24.18 – BeckRS 22019, 6963). Dass eine Nutzung einer Wohnung nur für einen begrenzten Zeitraum als Heimstatt im Alltag und nicht auf unbestimmte Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 12 CS 21.564 – BeckRS 2021, 12817 Rn. 5).
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Maßgeblich dafür, ob eine Wohnung zweckentfremdungsrechtlich zur Fremdenbeherbergung genutzt wird oder ob sie Wohnzwecken dient, ist daher stets das zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses verfolgte Nutzungskonzept. Dieses ist anhand der bestehenden Mietverträge, deren konkretem Inhalt aber auch der tatsächlichen Mietpraxis im Einzelfall festzustellen. Gegebenenfalls sind weitere Indizien für das Vorliegen gewerblicher Fremdenbeherbergung oder aber Wohnnutzung zur zweckentfremdungsrechtlichen Beurteilung heranzuziehen.
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1.2 Gemessen an den vorstehenden Kriterien erweist sich die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft im vorstehend beschriebenen Sinne an einen (ausländischen) Studenten, der sich – beispielsweise im Rahmen eines Erasmus-Semesters – für die Dauer eines halben Jahres oder länger am Studienort aufhält und dort während des Auslandsstudiums seinen Lebensmittelpunkt hat, regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen im zweckentfremdungsrechtlichen Sinne (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v.28.10.2021 – 12 BV 20.1147 – BeckRS 2021, 33468 Rn. 82). Es kann insoweit keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass der Student während seines (Auslands-)Semesters seinen Lebensmittelpunkt und damit seine „Heimstatt im Alltag“ am Studienort hat und er in einem WG-Zimmer nicht lediglich übergangsweise und provisorisch und damit „hotelartig“ unterkommt. Nicht umsonst wirbt die Beklagte angesichts der herrschenden Wohnraumknappheit in München dafür, insbesondere Studenten durch Vermietung von Privatzimmern den erforderlichen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
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Auch die Zurverfügungstellung von Wohnraum in Form von WG-Zimmern oder im Rahmen von „Co-Living-Spaces“ an Personen, die sich über einen längeren Zeitraum aus beruflichen Gründen in München aufhalten, stellt jedenfalls dann zweckentfremdungsrechtlich „Wohnen“ dar, wenn die Personen über einen entsprechenden Arbeitsvertrag verfügen und sich mit Haupt- oder jedenfalls Zweitwohnsitz in München anmelden und dort eine – wenn auch vorübergehende, zeitlich begrenzte – „Heimstatt im Alltag“ begründen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 12 CS 21.564 – BeckRS 2021, 12817 Rn. 8 f.). Unter den genannten Voraussetzungen liegt die Annahme fern, dass die ausländischen Arbeitnehmer ihren Lebensmittelpunkt nicht zumindest für einen bestimmten Zeitraum nach München verlagert haben und in einem WG-Zimmer lediglich provisorisch, übergangsweise und damit „hotelartig“ unterkommen. Auch die Inanspruchnahme bestimmter Serviceleistungen sowie eine entsprechend hohe Miete schließen die Annahme einer Wohnnutzung nicht aus. So steht etwa die Reinigung der Gemeinschaftsräume sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Reinigungsdienstes für den selbst bewohnten Raum, insbesondere vor dem Hintergrund der mietvertraglichen Verpflichtung zur Erhaltung der Mietsache, der Annahme einer Wohnnutzung nicht entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2021 – 12 CS 21.564 – BeckRS 2021, 12817 Rn. 10).
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1.3 Gemessen an dem vorstehend dargelegten rechtlichen Maßstab begegnet die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts durchgreifenden Zweifeln hinsichtlich ihrer Richtigkeit im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Zweifel betreffen vorliegend auch die Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht (vgl. hierzu Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 19).
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Die britischen Mieter des Klägers hatten zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 6. August 2019 in der streitgegenständlichen Wohnung offenkundig eine – wenn auch zeitlich vorübergehende und temporär begrenzte – Heimstatt im Alltag begründet und sind in der Landeshauptstadt nicht lediglich provisorisch, übergangsweise und damit „hotelartig“ untergekommen.
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Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber in der angefochtenen Entscheidung das Vorliegen des zweckentfremdungsrechtlichen Tatbestands der Fremdenbeherbergung bzw. der Kurzzeitvermietung der streitgegenständlichen Wohnung angesichts der „Ortsermittlungen“ der Beklagten und der über drei Jahre anhaltenden, „weitgehend aktenkundigen Vermietungshistorie“ für belegt erachtet, erweist sich dies als nicht tragfähig. Denn ausweislich der vorliegenden Verfahrensakte setzen „Ortsermittlungen“ der Beklagten erst im Zusammenhang mit dem den Anlass für den Bescheiderlass bildenden Mietvertrag ein. Demgegenüber haben zuvor keine Ortsermittlungen der Beklagten stattgefunden. Auch in der angeblich aktenkundigen, über drei Jahre anhaltenden „Vermietungshistorie“ findet sich keine Würdigung des vom Kläger vorgetragenen Umstands, er habe nach Renovierung der Wohnung und deren zwischenzeitlicher Vermietung an Touristen im zweckentfremdungsrechtlichen erlaubten Maß diese ab Oktober 2017 in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und unter ausdrücklicher zweckentfremdungsrechtlicher Billigung der Beklagten an Studenten während eines oder mehrerer Auslandssemester vermietet. Die Feststellung eines bestimmten Nutzungskonzepts einer Wohnimmobilie zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses eines zweckentfremdungsrechtlichen Bescheids erfordert jedoch auch die Einbeziehung bzw. Ermittlung der Nutzungshistorie des Wohnraums zum Beleg des Vorliegens einer Zweckentfremdung.
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Weiter blendet das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Bezugnahme auf die „Ortsermittlungen“ der Beklagten die offenkundigen, vom Bevollmächtigten des Klägers mehrfach in das Verfahren eingebrachten und mittels eidesstattlicher Versicherungen belegten Bedenken an der Richtigkeit der festgehaltenen Ergebnisse der Ortsermittlungen aus seinem Begründungskonzept vollständig aus. Dies gilt in erster Linie für die ins Auge springenden Kommunikationsprobleme beim Ortstermin am 19. Juli 2019. Aber auch im Übrigen beschränken sich die Schlussfolgerungen der Mitarbeiter der Beklagten häufig auf Vermutungen, etwa wenn aus dem Vorhandensein von „Müllbergen“ auf den kürzlichen Auszug von Bewohnern geschlossen wird. Zweifelhaft erweist sich in diesem Kontext ferner die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Umstand, dass der streitgegenständliche Mietvertrag mit den britischen Mietern „lediglich“ sieben bis acht Monate umfasse, lege bereits „per se“ eine nur vorübergehende Nutzung des Wohnraums nahe. Ein derartiger Erfahrungssatz besteht – wie oben dargelegt – nicht.
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Demgegenüber bleibt angesichts der vom Kläger bereits im Verwaltungsverfahren gegenüber der Landeshauptstadt vorgetragenen und belegten Umstände des Mietverhältnisses und der entsprechenden, oben dargelegten rechtlichen Vorgaben für die Annahme einer Zweckentfremdung durch das von ihm verfolgte Nutzungskonzept der streitgegenständlichen Wohnung kein Raum. Seine britischen Mieter „wohnten“ in der streitgegenständlichen Wohnung; eine „Fremdenbeherbergung“ lag daher zu keinem Zeitpunkt vor.
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Dies gilt umso mehr, als sich das Zweckentfremdungsverbot insoweit lediglich „im Bestandsschutz von Wohnraum“ erschöpft (vgl. BVerfG, B.v. 4.2.1975 – 2 BvL 5/74 – BVerfGE 38, 348 [359 ff.] = BeckRS 1975, 107658; BVerwG, U.v. 12.3.1982 – 8 C 23.80 – BVerwGE 65, 139 [142 f.] = BeckRS 1982, 2813; U.v. 17.10.1997 – 8 C 18.96 – BeckRS 1997, 23070; BayVGH, B.v. 20.1.2021 – 12 N 20.1706 – BeckRS 2021, 963 Rn. 41, LS 1). Es vermittelt der Beklagten kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb für „bekämpfungswürdig“ zu erachten. Das Zweckentfremdungsrecht gestattet weder eine Wohnraumbewirtschaftung noch darf es als Mittel eingesetzt werden, um „allgemein unerwünschte und schädliche Entwicklungen“ auf dem Wohnungsmarkt zu unterbinden (vgl. hierzu BayVGH B.v. 26.7.2021 – 12 B 21.913 – BeckRS 2021, 22255 Rn. 26; ferner die Senatsentscheidung vom heutigen Tag im Verfahren 12 ZB 22.80 – Ls. 3).
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Nur ergänzend weist der Senat im Hinblick auf die vorliegende Fallkonstellation darauf hin, dass – soweit hier die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Unionsbürgern in Rede steht – möglicherweise auch europarechtlich induzierte Einschränkungen des Zweckentfremdungsrechts gegeben sein könnten (vgl. zur Vereinbarkeit des Pariser „Zweckentfremdungsrechts“ mit der Dienstleistungsfreiheit und deren möglichen Beschränkungen EuGH, U.v. 22.9.2020 – C-724/18; C-727/18 – BeckRS 2020, 23418). Dies bedurfte jedoch vorliegend keiner Entscheidung.
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Gemessen an dem vorstehend Ausgeführten bestehen daher ernstliche Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger verwirkliche mit dem zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses praktizierten Nutzungskonzept der Wohnung in der P.-Straße den zweckentfremdungsrechtlichen Tatbestand der Fremdenbeherbergung.
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1.4 Ernstliche Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben sich auch insoweit, als das Gericht die gegen Ziffer 4. des streitgegenständlichen Bescheids – Zwangsgeldandrohung betreffen die sog. Wiederzuführungsanordnung in Ziffer 2. des Bescheids – gerichtete Klage mit der Begründung für unzulässig erachtet hat, dass die Beklagte ausweislich der schriftsätzlichen Ausführungen sowie der Ausführungen in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, dass etwaige Zwangsgelder im Hinblick auf die Verfügung unter Ziffer 2. des streitgegenständlichen Bescheids nicht beigetrieben würden, was das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ließe.
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Zur Frage des Verzichts auf die „Beitreibung“ des angedrohten Zwangsgeldes in Ziffer 4. des Bescheids vom 6. August 2019 findet sich in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. März 2021 keine entsprechende Erklärung der Beklagten. Im Schriftsatz vom 26. November 2020 erklärt die Vertreterin der Beklagten, dass angesichts der „nunmehrigen Entwicklungen“ das in Ziffer 4. des Bescheids angedrohte Zwangsgeld nicht „fällig gestellt“ werde. Angesichts dessen ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein „Wirksamkeitsverlust“ der Zwangsgeldandrohung nicht festzustellen, da die Beklagte die Zwangsgeldandrohung weder aufgehoben noch im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen auf die Fälligstellung des Zwangsgeldes verzichtet hat. Demzufolge besitzt der Kläger – zumal ihm das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Wiederzuführungsanordnung unterstellt, sein angeblich gegen Zweckentfremdungsrecht verstoßendes Verhalten fortführen zu wollen – auch hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen Ziffer 4. des Bescheids vom 6. August 2019 ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis. Die Klageabweisung als unzulässig erweist sich mithin ebenfalls als ernstlich zweifelhaft im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Angesichts des vorstehend Ausgeführten wird der Beklagten daher dringend anheimgegeben, den Kläger durch Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. August 2019 klaglos zu stellen.
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2. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 12 B 23.2197 als Berufungsverfahren fortgesetzt. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.