Titel:
unbegründeter Antrag auf Zulassung der -Berufung (Asyl - Einzelfall)
Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2
Leitsatz:
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Schlagworte:
rechtliches Gehör, Asylfolgeantrag, Rückkehrentscheidung, Abschiebungsandrohung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 05.09.2023 – W 8 K 23.30298
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37885
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 5. September 2023 – W 8 K 23.30298 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO), der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) sind nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
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1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen
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Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dieses fundamentale Prozessgrundrecht ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, um einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 86, 133/145 f.; B.v. 25.9.2020 – 2 BvR 854/20 – NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26).
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Gemessen hieran geht die Rüge fehl, das Verwaltungsgericht habe gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es nicht zur Kenntnis genommen habe, dass der Kläger die Dateien zum Nachweis der Übermittlung des Schriftsatzes vom 16. September 2022 an das Bundesamt übersandt habe. Der Kläger habe dem Gericht die Exportdateien in der Mitteilung vom „07.07.2023“ unter dem Titel “Nachricht_ 175438597_5114“ übermittelt. Dass dem Verwaltungsgericht versehentlich der Ausdruck einer anderen Datei vom 16. September 2022 übersandt worden sei, sei unerheblich.
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Damit wird ein Gehörsverstoß nicht hinreichend dargelegt. Das Gericht hat sich in dem angegriffenen Urteil vom 5. September 2023 mit der Frage des Zugangs des Schriftsatzes vom 16. September 2022 an das Bundesamt ausdrücklich befasst und darauf hingewiesen, dass die dem Gericht mit Schriftsatz des Klägers vom 19. Juli 2023 offenbar aus Anlass eines Telefonats mit dem Gericht (vgl. „im Nachgang zu dem Telefongespräch mit…“, Bl. 32) übersandte Eingangsbestätigung für den Nachweis des Zugangs beim Bundesamt nicht geeignet sei. Denn der vorgelegte Sendungsnachweis betreffe nur den Eilantrag mit dem dafür zuständigen Verwaltungsgericht Würzburg als Empfänger (vgl. UA S. 10). Dass sich das Gericht in seinem Urteil nicht ausdrücklich damit auseinandergesetzt hat, ob es ausreichend sei, dass der Kläger dem Gericht bereits zuvor die Exportdateien vorgelegt habe, denen sich der Eingang des Schriftsatzes vom 16. September 2022 beim Bundesamt entnehmen lasse, begründet keinen Gehörsverstoß. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom selben Tag im Verfahren 6 ZB 23.30768 verwiesen.
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Im Übrigen ist der gerügte Verfahrensfehler auch nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat nämlich sein klageabweisendes Urteil insoweit auf mehrere, jeweils selbstständig tragende Gründe gestützt. Der Kläger habe schon deshalb keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 22. März 2019 aufzuheben, weil der Bescheid bestandskräftig sei und der Kläger auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des diesbezüglichen Verfahrens habe. Der Wiederaufgreifensantrag habe sich auf die Feststellung von Abschiebungsverboten bezogen, nicht aber auf die Abschiebungsandrohung (UA S. 8 f.) Unabhängig davon sei die in Nr. 5 des Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Februar 2023 (C-484/22) nicht als rechtswidrig anzusehen. Einer Ausreise des Klägers zum Zweck der Nachholung des Visumsverfahrens zum Familiennachzug hätten Gründe des Schutzes einer familiären Bindung des Klägers gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK nicht entgegengestanden (UA S. 9 f.). Nach alldem sei hier nicht entscheidungserheblich, ob der mit Schriftsatz vom 16. September 2022 gestellte Antrag dem Bundesamt noch vor der Abschiebung des Klägers zugegangen sei. In einem solchen Fall der Mehrfachbegründung ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 6 ZB 17.31769; B.v. 29.6.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 3 m.w.N.). Daran fehlt es, weil sich die Zulassungsschrift allein gegen die Begründung wendet, der streitgegenständliche Bescheid sei bereits bestandskräftig und es bestehe kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (s.u. unter 3.), nicht aber den Begründungsstrang, die Abschiebungsandrohung sei auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof nicht als rechtswidrig anzusehen, – den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend – mit Zulassungsgründen angreift.
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Soweit der Kläger weiter rügt, das Gericht habe nicht zur Kenntnis genommen, dass der Kläger einen Asylfolgeantrag gestellt habe und keine Mitteilung des Bundesamts nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG erfolgt sei, vermag er damit einen Gehörsverstoß nicht zu begründen. Das Gericht hat das Vorbringen des Klägers, er habe mit Schriftsatz vom 16. September 2022 einen Asylfolgeantrag beim Bundesamt gestellt, zur Kenntnis genommen. Dass es diesen Umstand im Verfahren W 8 K 23.30298 nicht für entscheidungserheblich gehalten hat (UA S. 8, 10) stellt keinen Gehörsverstoß dar. Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beimisst oder die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.
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2. Auch für die behauptete Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) ist nichts dargelegt. Es wird nicht in der erforderlichen Weise (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 6 ZB 17.1011 – juris Rn. 27; B.v. 18.5.2016 – 6 ZB 15.2785 – juris Rn. 28 m.w.N.) ein inhaltlich bestimmter, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechts- oder Tatsachensatz benannt, mit dem das Verwaltungsgericht von einem in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Divergenzgerichte in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten und entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz abgewichen sein soll.
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Der Kläger beruft sich auf eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach entsprechend der Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs im Hinblick auf die Entscheidung vom 15. Februar 2023 (C-484/22) eine umfassende Beurteilung der Situation des oder der Minderjährigen vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung zu erfolgen habe. Abgesehen davon, dass weder die vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidungen („in den Verfahren zum Aktenzeichen 10 B 23.30595 und 12 B 23.30596“ – gemeint sein könnten die Prozesskostenhilfe-Beschlüsse vom 10.10.2023), noch der als Anlage zum Zulassungsantrag übersandte Zulassungsbeschluss des Bayerischen Veraltungsgerichtshofs vom 11. Juli 2022 (10 ZB 22.30674) diese Aussage so enthalten, benennt er nicht – wie erforderlich – einen ebenso abstrakten und zudem entscheidungserheblichen Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses in seiner Entscheidung dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof widersprochen hätte. Die Gegenüberstellung der voneinander abweichenden Rechtssätze ist aber zur ordnungsgemäßen Erhebung der Divergenzrüge unverzichtbar (BVerwG, B.v. 14.8.2013 – 8 B 36.13 – juris Rn. 7).
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Stattdessen rügt der Kläger, dass „nach dieser Rechtsansicht des Bayerischen VGH“ die Abschiebungsandrohung aufzuheben sei, da eine Überprüfung des Kindeswohls vor deren Erlass nicht erfolgt sei. Mit diesem Vortrag zeigt der Zulassungsantrag keine Abweichung von Rechtssätzen, sondern allenfalls die fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung von Rechtssätzen auf, die im Übrigen nicht den vom Kläger genannten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, sondern derjenigen des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Februar 2023 – mithin eines nicht divergenzfähigen Gerichts im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG – entnommen sind. Auf Rechtsanwendungsfehler kann aber die Zulassung der Berufung wegen Divergenz nicht gestützt werden (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.2018 – 4 BN 23.17 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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3. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.
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Um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zudem ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, ferner erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und schließlich darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (BayVGH, B.v. 22.6.2017 – 6 ZB 17.30679 – Rn. 3; B.v. 16.2.2017 – 6 ZB 16.1586 – juris Rn. 25 m.w.N.).
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Der Kläger wirft folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam auf:
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1. Kann eine Abschiebungsandrohung nach Durchführung der Abschiebung noch weiter angefochten werden oder ist sie durch die Abschiebung verbraucht und damit unanfechtbar, wenn der Antrag auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung vor Durchführung der Abschiebung gestellt wurde?
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2. Ist die Frage der Rechtsmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Fall der Stellung eines Wiederaufnahmeverfahrens zu Feststellung von Abschiebungsverboten Streitgegenstand des Wiederaufgreifensantrags?
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3. Ist die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Fall der Stellung eines Asylfolgeantrags Streitgegenstand des Folgeantrags?“
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Der Kläger hat schon die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Fragen nicht dargelegt. Wie oben bereits ausgeführt, hat das Gericht sein klageabweisendes Urteil auf mehrere, jeweils selbstständig tragende Gründe gestützt. In einem solchen Fall der Mehrfachbegründung ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist. Daran fehlt es hier. Den zweiten Begründungsstrang (Beurteilung der Abschiebungsandrohung auch im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als rechtmäßig) hat der Kläger nicht substantiiert angegriffen.
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Im Übrigen sind die unter 2. und 3. gestellten Fragen nach dem Streitgegenstand eines Wiederaufgreifens- bzw. Asylfolgeantrags auch deshalb nicht geeignet, eine generelle („grundsätzliche“) Klärung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG herbeizuführen oder zu befördern, weil sie sich nur einzelfallbezogen beantworten lassen. Denn der Streitgegenstand eines auf Antrag eingeleiteten Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahrens lässt sich nicht abstrakt festlegen, sondern ist abhängig vom konkreten Begehren des Antragstellers, das – sofern es sich nicht bereits aus der Formulierung des Antrags ergibt – durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB, ggf. unter Rückgriff auf die Interessenlage des Antragstellers, zu ermitteln ist (vgl. § 88 VwGO für das Gerichtsverfahren). Soweit der Kläger geltend macht, sein Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten lasse bei verständiger Würdigung aus der maßgeblichen Sicht der Behörde erkennen, dass er eine möglichst umfassende Prüfung aller ihm günstigen Umstände – wie der Aufenthaltstitel seiner Kinder – habe erreichen wollen, er mithin das Wiederaufgreifen des Verfahrens auch hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Nr. 5 des Bescheids vom 22. März 2019 begehrt habe, worauf er einen Anspruch habe, bringt er der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils vor, die allerdings keinen Zulassungsgrund im Sinn von § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
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Hinsichtlich der dritten Frage (Streitgegenstand eines Asylfolgeantrags) unterstellt der Kläger zudem einen Sachverhalt – die Stellung eines Asylfolgeantrags im Sinn des § 71 Abs. 1 AsylG – von dem das Gericht gerade nicht ausgegangen ist. Nach den Feststellungen des Gerichts hat der Kläger keinen Asylfolgeantrag gestellt, sondern lediglich das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung des Bestehens von Abschiebungshindernissen beantragt (UA S. 8).
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung nach § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).