Titel:
Untersagung der Nutzung eines Grundstücks als Pferdekoppel
Normenketten:
BayBO Art. 76
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 108 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die landwirtschaftliche Privilegierung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt einen auf Dauer angelegten Betrieb voraus, dem das geplante Vorhaben zu dienen bestimmt ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. In aller Regel wird eine landwirtschaftliche Betätigung, die nur auf fremdem Grund und Boden zu verwirklichen ist, gegen eine Privilegierung iSd § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sprechen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsverfügung, Nutzungsuntersagung, Pferdehaltung auf ausschließlich Pachtflächen, Grundstück, Pferdehaltung, Pachtflächen, landwirtschaftliche Privilegierung, Betrieb, Dauerhaftigkeit, rechtliches Gehör, Überraschungsentscheidung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 27.04.2023 – M 11 K 22.4174
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37868
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin beabsichtigt, auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung B* …, und künftig auf einer weiteren Teilfläche des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung B* …, einen Pensions- und Zuchtpferdebetrieb aufzubauen. Neben zwei vorhandenen Zuchtstuten und einem Zuchthengst sollen 14 Pensionspferde gehalten werden.
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Mit Bescheid vom 9. August 2022 untersagte das Landratsamt der Klägerin, das Grundstück FlNr. …, Gemarkung B* …, als Pferdekoppel zu nutzen. Weiter wurde sie verpflichtet, die bereits errichteten Pferdeunterstände, Zaunelemente und alle sonstigen gelagerten Gegenstände wie z.B. Hänger, Paletten zu beseitigen. Der Eigentümer des Grundstücks wurde zur Duldung verpflichtet.
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Die von der Klägerin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. April 2023 ab. Die Beseitigungsanordnung und die Nutzungsuntersagung seien rechtmäßig. Das Vorhaben der Klägerin sei nicht privilegiert. Sie verfüge zur Ausübung ihrer beabsichtigten landwirtschaftlichen Tätigkeit ausschließlich über Pachtflächen. Dies genüge nach der Rechtsprechung regelmäßig nicht. Es lägen auch keine besonderen Umstände vor, die geeignet wären, die Nachhaltigkeit der geplanten landwirtschaftlichen Tätigkeit ausnahmsweise dennoch als hinreichend gewährleistet ansehen zu können. Die von der Klägerin behauptete, allerdings nicht belegte, Laufzeit des Pachtvertrages über das Vorhabengrundstück von 15 Jahren sei nicht ungewöhnlich lang. Eine gesicherte Verlängerung des Pachtvertrages nach Ablauf der vereinbarten Pachtzeit sei nicht dargelegt. Das nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei nicht zulässig, weil es jedenfalls die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtige. Ermessensfehler lägen nicht vor.
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Mit dem Zulassungsantrag macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und einen Verfahrensfehler geltend. Die landwirtschaftliche Privilegierung sei ein vielseitiger, facettenreicher Begriff, der nicht an einem einzigen Merkmal ausgerichtet werden könne. Es sei falsch, bei der Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Tätigkeit ausschließlich auf die Frage abzustellen, ob die Flächen in ihrem Eigentum ständen oder gepachtet seien. 15 Jahre laufende Pachtverträge würden in der heutigen schnelllebigen Zeit, in der Grund und Boden teuer und knapp seien, die gleichen Voraussetzungen darstellen wie Eigentumsverhältnisse. Es handle sich zudem um ein Überraschungsargument, es wäre ein gerichtlicher Hinweis oder die Einräumung einer Schriftsatzfrist erforderlich gewesen. Insoweit sei das rechtliche Gehör nicht gewährt worden.
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Der Beklagte tritt dem Zulassungsvorbringen entgegen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) bestehen nicht bzw. sind nicht dargelegt (§ 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Vorhaben der Klägerin nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert ist.
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Die landwirtschaftliche Privilegierung gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt einen auf Dauer angelegten Betrieb voraus, dem das geplante Vorhaben zu dienen bestimmt ist. Ein landwirtschaftlicher Betrieb ist durch eine spezifisch betriebliche Organisation gekennzeichnet, erfordert Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung und es muss sich um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer lebensfähiges Unternehmen handeln (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 4 C 9.11 – NVwZ 2013, 155; U.v. 16.12.2004 – 4 C 7.04 – BVerwGE 122, 308). Zu den Merkmalen, denen insoweit indizielle Bedeutung beizumessen ist, zählt neben der (objektiven) Möglichkeit der Gewinnerzielung der mehr oder minder dauernd gesicherte Zugriff auf die nutzbare Fläche, die in landwirtschaftlicher Weise Gegenstand der unmittelbaren Bodenertragsnutzung sein soll. Die vorausgesetzte planmäßige und eigenverantwortliche Bewirtschaftung darf nicht dadurch in Frage gestellt sein, dass dem Landwirt keine für seine Ertragserzielung benötigte Fläche dauernd zur Verfügung steht. Diese Voraussetzung wird in aller Regel eine eigentumsrechtliche oder eine anderweitige sachenrechtliche Zuordnung bedingen. Das schließt zwar nicht aus, dass ein Landwirt eine benötigte Fläche hinzupachtet. Je umfangreicher eine derartige Hinzupacht indes ist, desto unsicherer wird dagegen, ob angesichts der spezifischen Schwäche des Pachtlandes als einer nur schuldrechtlichen und von den Vertragsparteien jederzeit aufhebbaren Bindung die erforderliche Nachhaltigkeit noch gewährleistet ist. In aller Regel wird eine landwirtschaftliche Betätigung, die nur auf fremdem Grund und Boden zu verwirklichen ist, gegen eine Privilegierung im Sinn des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sprechen (vgl. BVerwG, B.v. 19.7.1994 – 4 B 140.94 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.1993 – 4 B 206.93 – juris Rn. 2, B.v. 3.2.1989 – 4 B 14.89 – BauR 1989, 182).
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Nach diesen Maßstäben genügt es nicht, dass die Klägerin die von ihr nach dem vorgelegten Gutachten benötigte Ertragsfläche von 6,5 ha (vgl. auch die Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 15.12.2022) gepachtet hat bzw. pachten kann. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bei landwirtschaftlichen Betrieben der Anteil von Pachtland zugenommen hat (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2019 – 1 BV 16.232 – BayVBl 2019, 562), liegt hier keine Zupacht vor, sondern die Neugründung des landwirtschaftlichen Betriebs soll allein auf Pachtland erfolgen. Dabei hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht darauf abgestellt, dass der Pachtvertrag bisher nicht vorgelegt wurde; das gilt auch für das Zulassungsverfahren. Bezüglich der benötigten Erweiterungsfläche auf dem Grundstück FlNr. … besteht nach dem klägerischen Vortrag noch kein schriftlicher Vertrag. Die Klägerin trägt die Beweislast, soweit sie sich darauf beruft, als Landwirtin in den Genuss der gesetzlichen Privilegierung zu kommen (vgl. BVerwG, B.v. 17.11.1998 – 4 B 100.98 – BauR 1999, 733). Soweit die Klägerin bezweifelt, dass die Nachhaltigkeit des Betriebs allein damit verneint werden könne, dass es sich ausschließlich um Pachtflächen handle, hat das Bundesverwaltungsgericht diesen Grundsatz gerade bei der Pensionspferdehaltung – nur damit könnte eine privilegierte Tätigkeit nach § 201 BauGB angenommen werden, die Haltung von 2 Zuchtstuten und einem Deckhengst ist dem Hobbybereich zuzuordnen – bekräftigt (vgl. BVerwG, B.v. 19.7.1994 – 4 B 140.94 – juris Rn. 3). Ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankommt, hat der Beklagte im Zulassungsverfahren im Übrigen darauf hingewiesen, dass sich erhebliche Bedenken bei der Rentabilität des Neugründungsvorhabens ergeben.
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Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der nicht privilegierte Betrieb der Klägerin öffentlichen Belange beeinträchtigt, hat die Klägerin bereits nicht angegriffen.
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2. Auch ein Verfahrensmangel besteht nicht.
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Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des rechtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können (§ 108 Abs. 2 VwGO). Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es aber, dass das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr., vgl. etwa BVerwG, B.v. 14.8.2018 – 7 B 8.18 – juris Rn. 8).
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Daran gemessen liegt keine Überraschungsentscheidung vor. Der Beklagte hat zu dem im Klageverfahren vorgelegten Betriebskonzept eine Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eingeholt und die Stellungnahme mit Schreiben vom 28. Dezember 2022 vorgelegt. In der fachlichen Stellungnahme wird ausgeführt, dass eine landwirtschaftliche Bodennutzung allein auf der Grundlage von Pachtland bei einer Neugründung die Betriebseigenschaften nicht erfülle. Hierzu hat sich der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. Januar 2023 geäußert. Auch waren die fehlenden Eigentumsverhältnisse nach dem klägerischen Vortrag Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Soweit bemängelt wird, dass keine Schriftsatzfrist eingeräumt worden sei, hat der Bevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Protokolls bereits keinen entsprechenden Antrag gestellt (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2014 – 9 B 54.13 – NVwZ 2014, 888).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.1.1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).