Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.12.2023 – 9 CS 23.1694
Titel:

Erfolgloser Eilantrag der Nachbarin gegen Nutzungserweiterung einer Schulsportanlage

Normenketten:
BImSchG § 22a
BayKJG Art. 3
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2, § 146 Abs. 4 S. 3, S. 6
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. In den von § 146 Abs. 4 S. 3 und S. 6 VwGO gezogenen Grenzen erfolgt durch den Verwaltungsgerichtshof als zweite Tatsacheninstanz eine umfassende, nicht von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängige Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung. Vermeintlich unberücksichtigt gebliebenes Vorbringen ist deshalb mit der Beschwerdebegründung vorzutragen, so dass es durch die nachholende Berücksichtigung geheilt werden könnte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die durch bestimmungswidrigen Gebrauch verursachten erheblichen Belästigungen ist der Betreiber einer Anlage nur dann verantwortlich, wenn er durch die Einrichtung dafür einen besonderen Anreiz geschaffen hat und wenn er derartigen Anreizen nicht mit zumutbaren angemessenen Mitteln entgegenwirkt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baurechtliche Nachbarklage, Rücksichtnahmegebot, Schulsportanlage, Anspruch auf rechtliches Gehör, nachholende Berücksichtigung von Vorbringen in zweiter Tatsacheninstanz, bestimmungswidriger Gebrauch
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 04.09.2023 – B 2 S 23.479
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37854

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungserweiterung des Hartplatzes einer bestehenden Schulsportanlage. Das Bauvorhaben liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der ein allgemeines Wohngebiet festsetzt.
2
Die Antragsgegnerin hatte der Beigeladenen mit Bescheid vom 24. Mai 2023 die Genehmigung zur Nutzungserweiterung der Schulsportanlage „Hartplatz“ für außerschulische Nutzung erteilt. Dagegen hat die Antragstellerin, deren Grundstück auf der gegenüberliegenden Seite südlich des Vorhabengrundstücks liegt, mit Schriftsatz vom 20. Juni 2023 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Mit Beschluss vom 4. September 2023 lehnte das Verwaltungsgericht diesen ab. In seinen Entscheidungsgründen führte es unter anderem aus, durch das Bauvorhaben sei keine unzumutbare Lärmbeeinträchtigung zu erwarten, die das baurechtliche Rücksichtnahmegebot (§ 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO) zulasten der Antragstellerin verletzen würde.
3
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie macht geltend, dass das Verwaltungsgericht das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe. Sie habe auf den Inhalt der Behördenakten, die das Gericht seinem Beschluss entscheidungserheblich zugrunde gelegt habe, nicht mehr eingehen können, da sie diese zu kurzfristig erhalten habe. Zudem sei ihr der Ortstermin, den das Sachverständigenbüro am 20. März 2023 durchgeführt habe und der dem Lärmschutzgutachten zugrunde liege, nicht bekanntgegeben worden, so dass sie zu diesem Zeitpunkt keine Einwendungen habe vorbringen können. Auch habe das Verwaltungsgericht eine Entscheidung getroffen, obwohl der von der Antragsgegnerin eigens angeforderte Nachweis betreffend die Lärmschutzdämmung des Ballfangzauns noch nicht eingegangen gewesen sei. Schließlich sei das der Entscheidung zugrunde gelegte Lärmgutachten fehlerhaft und unvollständig, ausreichender Lärmschutz sei nicht gegeben und daher das objektiv-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt.
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Die Antragstellerin beantragt,
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unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 04.09.2023, zugestellt am 06.09.2023, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 24.05.2023 anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
8
Zur Begründung trägt er vor, dass die Antragstellerin durch die der Beigeladenen erteilte streitgegenständliche Baugenehmigung nicht in ihren Nachbarrechten verletzt werde.
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Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
11
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des erkennenden Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung teilt der Senat dessen Auffassung, dass die Klage der Antragstellerin gegen die erteilte Baugenehmigung vom 24. Mai 2023 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird, da diese nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die zumindest auch ihrem Schutz zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen folgendes zu bemerken.
12
1. Der Beschwerde ist nicht wegen eines Verfahrensmangels vor dem Verwaltungsgericht stattzugeben.
13
a) Eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) aufgrund (zu) kurzfristiger Entscheidung nach Akteneinsichtsgewährung führt nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, auch wenn die Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts nicht frei von Bedenken ist. Die Antragstellerin wurde insofern von der Entscheidung „überrascht“, als sie die Möglichkeit zur Einsicht in die behördliche Verfahrensakte durch deren Übersendung am 30. August 2023, einem Mittwoch, erhalten hat, die gerichtliche Entscheidung jedoch bereits am 4. September 2023, einem Montag, getroffen worden ist. Der Antragstellerin, der mit Gewährung der Akteneinsicht keine Frist zur Stellungnahme gesetzt worden war, hat daher nicht mehr rechtzeitig zum Akteninhalt Stellung nehmen können. Das Verwaltungsgericht hätte ihr jedenfalls eine kurzfristige Äußerung anheimstellen sollen. Ob darin auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt, kann jedoch offenbleiben. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren kommt es nicht auf die Geltendmachung von Verfahrensfehlern an, sondern allein darauf, ob die Beschwerde in der Sache begründet ist. In den von § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO gezogenen Grenzen erfolgt eine umfassende, nicht von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängige Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof als zweite Tatsacheninstanz. Vermeintlich unberücksichtigt gebliebenes Vorbringen ist deshalb mit der Beschwerdebegründung vorzutragen, so dass es durch die nachholende Berücksichtigung geheilt werden könnte (BayVGH, B.v. 20.6.2023 – 6 CE 23.779 – juris Rn. 9; B.v. 4.7.2023 – 1 CS 23.940 – juris Rn. 6; OVG SH, B.v. 22.4.2022 – 4 MB 14/22 – Rn. 5). Die Antragstellerin hat in der Beschwerdebegründung jedoch ausschließlich den (angeblichen) Gehörsverstoß moniert, neues – sich aus den behördlichen Verfahrensakten ergebendes – Vorbringen, das nunmehr zu berücksichtigen wäre, hat sie hingegen nicht dargetan.
14
Soweit die Antragstellerin einen Gehörsverstoß aufgrund der Tatsache, dass sie über den – vorgerichtlichen – Ortstermin des Sachverständigenbüros nicht informiert war, oder wegen des fehlenden, gerichtlich von der Beigeladenen angeforderten Nachweises bezüglich der Lärmschutzdämmung des Ballfangzauns geltend macht, gilt das oben Dargelegte entsprechend.
15
b) Der weitere Vorwurf der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe die Antwort auf seine Aufforderung, weitere Unterlagen bezüglich des geräuschgedämmten Ballfangzauns vorzulegen, nicht abgewartet und somit gegen die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, ist ebenfalls nicht begründet. Zum einen handelt es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem nur eine summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen zu erfolgen hat. Zum anderen bedurfte der Sachverhalt insoweit auch keiner weiteren Aufklärung, da es für die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ohne Belang ist, ob der vorhandene Ballfangzaun geräuschgedämmt ist oder nicht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Einhaltung der Immissionswerte durch die im Bescheid festgesetzten organisatorischen Maßnahmen gewährleistet, ohne dass es darüber hinaus weiterer technischer Maßnahmen wie einer Schallschutzanlage oder Wand bedürfte (UA S. 10; siehe auch unten Ziff. 2).
16
c) Mit ihrem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe entgegen ihrem Antrag auch kein weiteres Lärmschutzgutachten eingeholt, dringt die Antragstellerin ebenfalls nicht durch. Wie oben ausgeführt, handelt es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem nur eine summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen erfolgt und eine Beweiserhebung in der Regel nicht stattfindet.
17
2. Das Beschwerdevorbringen greift aber auch der Sache nach nicht durch.
18
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass durch das Bauvorhaben voraussichtlich keine nachbarschützenden Rechte verletzt werden. Es hat zutreffend das Gebot der Rücksichtnahme als nicht verletzt erachtet, da die vom Vorhaben zu erwartenden Lärmimmissionen unter Würdigung der Privilegierung gemäß § 22 Abs. 1a BImSchG und Art. 3 Abs. 1 KJG zumutbar seien. Angesichts der Reduzierung der Nutzungszeit des Hartplatzes als Jugendspieleinrichtung an Tagen mit Schulbetrieb von 16:00 bis 20:00 Uhr und an anderen Tagen von 10:00 bis 20:00 Uhr hat es unter Zugrundelegung des schalltechnischen Gutachtens vom 3. April 2023 die Immissionsrichtwerte zum Grundstück der Antragstellerin hin als eingehalten gewertet. Die im Beschwerdevorbringen lediglich vorgebrachte Behauptung der Unrichtigkeit und Unvollständigkeit des Gutachtens genügt nicht, um die vorstehende Einschätzung substanziell in Zweifel zu ziehen.
19
Soweit die Antragstellerin immissionsschutzrechtliche Bedenken geltend macht und der Auffassung ist, insoweit „argumentiere die Beigeladene mit unzutreffenden Tatsachen“ verhilft auch dies ihrem Rechtsschutzbegehren nicht zum Erfolg. Das eingeholte Immissionsgutachten hat zutreffend als maßgebliche Immissionsorte die nächstgelegenen, schutzbedürftigen Gebäude in unmittelbarer Nähe zum Hartplatz untersucht (vgl. Gutachten, Nr. 4, S. 9). Dabei lagen die maßgeblichen Immissionsorte bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb, etwa vor der Mitte des geöffneten, vom Geräusch am stärksten betroffenen Fensters eines zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmten Raums (vgl. Gutachten, Nr. 4 S. 10 i. V. mit Anlage 1, siehe dazu 2.3 TA-Lärm i.V.m. Nummer A.1.3 des Anhangs zur TA Lärm). Dass in dem Gutachten die entsprechenden Vorgaben nicht umgesetzt, sondern vielmehr Aussagen der Beigeladenen, etwa in Bezug auf dem dauernden Aufenthalt dienende Räume, zugrunde gelegt worden seien, trägt die Antragstellerin selbst nicht vor.
20
Auch unter dem Aspekt, dass Bälle in das Grundstück der Antragstellerin geschossen und geworfen werden, ist keine andere Entscheidung zu treffen. Die Zurechenbarkeit derartiger missbräuchlicher, sich möglicherweise auf das Rücksichtnahmegebot auswirkender Nutzungen einer Anlage stellt einen Ausnahmefall dar. Für die durch bestimmungswidrigen Gebrauch verursachten erheblichen Belästigungen ist der Betreiber einer Anlage nur dann verantwortlich, wenn er durch die Einrichtung dafür einen besonderen Anreiz geschaffen hat und wenn er derartigen Anreizen nicht mit zumutbaren angemessenen Mitteln entgegenwirkt (BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 22 B 12.269 – juris; U.v. 30.11.1987 – 26 B 82 A.2088 – BayVBl 1988, 241 = juris). Anhaltspunkte dafür, dass die Bälle durch die Beschaffenheit des Hartplatzes oder wegen fehlender Ballfangzäune auf dem Grundstück der Antragstellerin landen, sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine Zurechenbarkeit möglichen Fehlverhaltens der Nutzer der streitgegenständlichen Anlage zulasten der Beigeladenen scheidet aus.
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert bzw. keinen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
22
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 9.7.1, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013; sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
23
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).