Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 20.12.2023 – 207 StRR 414/23
Titel:

Voraussetzungen der "Verbreitung" und bestimmende Strafzumessungsgründe bei § 86a StGB

Normenkette:
StGB § 86a Abs. 1
Leitsätze:
1. Bereits das Senden inkriminierter Inhalte in eine „WhatsApp-Chatgruppe“ stellt in der Regel eine „Verbreitung“ im Sinne des § 86a Abs. 1 StGB dar. Ein Ausnahmefall kann aber vorliegen, wenn es sich bei der Chatgruppe um eine durch außerhalb des Chatverlaufs liegende Umstände eng verbundene Gruppe handelt, bei der die Mitglieder jeweils darauf vertrauen, dass eingestellte Inhalte nicht an Außenstehende weitergeleitet werden, etwa familiäre Gruppen, bei denen innerfamiliäre Fotos nicht weitergeleitet werden sollen, oder kleine berufliche Gruppen zum Austausch über Berufsinterna. (Rn. 8 – 13) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Bei Straftaten nach § 86a Abs. 1 StGB ist ein bestimmender und damit vom Tatrichter in der Regel zu erörternder Strafzumessungsgrund, in welchem Kontext die den Tatbestand erfüllenden nationalsozialistischen Kennzeichen vom Angeklagten verwendet wurden. (Rn. 20 – 26) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Verbreitung, WhatsApp-Chatgruppe, Chatgruppe, Strafzumessung, bestimmender Strafzumessungsgrund, nationalsozialistische Kennzeichen, Kontext der Verwendung
Vorinstanz:
LG Memmingen, Urteil vom 25.05.2023 – 4 Ns 409 Js 3586/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37696

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 25. Mai 2023 im Rechtsfolgenausspruch samt den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, wobei die Einziehungsentscheidung betreffend das Mobiltelefon Samsung S 10 (IMEI …) nebst 2 SIM-Karten aufrecht erhalten bleibt.
Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Memmingen zurückverwiesen.

Gründe

I.
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Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revision hat betreffend den Schuldspruch keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 – 4 StR 353/20, juris – dort Rn. 8).
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Daran gemessen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsrechtlicher Überprüfung noch stand.
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Das Landgericht hat nachvollziehbar für alle drei betroffenen „WhatsApp-Chatgruppen“ dargelegt, warum es der Behauptung des Angeklagten, es sei jeweils mit sämtlichen Gruppenmitgliedern eine verbindliche Vertraulichkeitsabrede getroffen worden, nicht gefolgt ist. In plausibler Weise hat das Landgericht hierbei die überaus vage Aussage des Angeklagten, der bei keiner der Chat-Gruppen nähere Angaben zu den Umständen dieser angeblichen Absprache, insbesondere nicht dazu, wann, wie und mit wem diese getroffen worden sei, gemacht hat (UA S. 10, betr. Chatgruppe „a.“, S. 16 betr. „b.“, S. 23 betr. „c.“), als gegen die Existenz einer solchen Absprache sprechend gewürdigt. Das im Einzelnen näher geschilderte Aussageverhalten zahlreicher Zeugen hat das Landgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entsprechend gewürdigt. Auch dass die Gruppenmitglieder eine sehr große Zahl von weitergeleiteten Nachrichten und „stickern“ erhielten, konnte das Landgericht widerspruchsfrei dahingehend würdigen, dass dies gegen eine verbindliche Vertraulichkeitsabrede sprach. Dabei hat das Landgericht nicht übersehen, dass eine Weiterleitung von Nachrichten und/oder „stickern“ seitens der Gruppenmitglieder an Dritte nicht festgestellt wurde. Dieser Umstand drängte jedoch – anders als die Revision meint – nicht als „gesicherter Erfahrungssatz“ den Schluss auf, dass die vom Angeklagten behauptete verbindliche Vertraulichkeitsabrede existierte. Zum einen wurde gerade nicht positiv festgestellt, dass die Gruppenmitglieder keine Weiterleitung vorgenommen haben; ohne weiteres denkbar ist vielmehr, dass Weiterleitungen – mangels Auswertung – nur nicht festgestellt wurden. Zum anderen ist neben einer Vertraulichkeitsabrede eine Vielzahl von Gründen denkbar, warum Gruppenmitglieder von Weiterleitungen abgesehen haben. Der Senat verkennt nicht, dass das angegriffene Urteil an dieser Stelle der Beweiswürdigung keine weiteren Ausführungen enthält. Insbesondere hätte das Urteil die zum Chatverhalten der Gruppenmitglieder stattgefundenen bzw. unterlassenen Ermittlungen bei den polizeilichen Zeugen erfragen und diese würdigen können. Die – nicht festgestellte – tatsächliche Weiterleitung der Inhalte an weitere Dritte ist jedoch kein Tatbestandsmerkmal des § 86a Abs. 1 StGB und damit kein wesentlicher Gesichtspunkt, welcher aus revisionsrechtlicher Sicht bei der Beweiswürdigung näher hätte erörtert werden müssen. Das Ergebnis der ansonsten ausführlichen und umfassenden Gesamtwürdigung sämtlicher vorgenannter Umstände, die das Landgericht für jede Chat-Gruppe angestellt hat und die einen anderen als den vom Landgericht gezogenen Schluss nicht aufdrängen, ist damit vom Revisionsgericht hinzunehmen.
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2. Die auch im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des angegriffenen Urteils tragen den Schuldspruch.
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Danach hat der Angeklagte Bilddateien an „Whatsapp-Chatgruppen“, bei denen er Mitglied war, gesandt und zwar am 6. März 2020 die fotografische Darstellung des Oberkörpers von Adolf Hitler, der den rechten Arm zum Hitlergruß hebt, am 24. Dezember 2020 die fotografische Darstellung des Kopfes sowie eines Teils des Oberkörpers von Adolf Hitler mit einem Hakenkreuz im Hintergrund und am 3. April 2021 zwei rote Ostereier mit schwarzem Hakenkreuz auf weißem, rundem Hintergrund sowie zwei schwarze Eier mit einer bzw. zwei weißen Sig-Runen. Die „WhatsApp-Chatgruppen“ hatten 18, 20 und 11 Mitglieder, die der Angeklagte persönlich kannte und die er mit den Bildern unterhalten wollte. Die Chatgruppen dienten dazu, Verabredungen über gemeinsame Aktivitäten zu treffen und die Freundschaft untereinander zu pflegen. Eine Vertraulichkeitsabrede dahingehend, dass in die Gruppen gesandte Inhalte nicht an Außenstehende weitergeleitet werden durften, gab es – wie ausgeführt – nicht.
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a) Das Landgericht hat die verfahrensgegenständlichen drei Bilder für das Revisionsgericht nachvollziehbar beschrieben und zutreffend als nationalsozialistische Kennzeichen i. S. d. §§ 86a Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB (in der jeweils geltenden Fassung) gewürdigt.
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b) Der Angeklagte hat diese Kennzeichen jeweils verbreitet, indem er sie in die drei „WhatsApp-Chatgruppen“, denen er jeweils als Mitglied angehörte, einstellte.
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Verbreiten meint das Inverkehrbringen einer Sache, also sie der Öffentlichkeit zugänglich machen. Erforderlich ist in jedem Fall das Überlassen an einen größeren Personenkreis bzw. die Weitergabe an eine andere Person, wenn die Sache anschließend einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird. Eines Verbreitungserfolgs i. d. S., dass ein größerer Personenkreis tatsächlich von der Schrift Kenntnis genommen haben muss oder diese zumindest erlangt hat, bedarf es dagegen nicht (BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg / Ellbogen, 58. Edition; Stand: 01.08.2023, Rn. 24 zu § 86a; OLG Bremen, Beschluss vom 03. 12. 1986 – Ws 156/86 – NJW 1987, 1427, zit. nach Beckonline, m. w. N.). Das Verbreiten hebt sich vom Verwenden dadurch ab, dass ein verkörpertes Kennzeichen durch Sichtbarmachung an möglichst vielen Orten oder bei möglichst vielen Gelegenheiten einem größeren Personenkreis dargeboten wird, der nach Zahl und Individualität so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist (Münchener Kommentar zum StGB / Anstötz, 4. Auflage, 2021, Rn. 25 zu § 86a). In den Fällen der sogenannten Kettenverbreitung ist das Tatbestandsmerkmal mit der Weitergabe der Schrift an einen einzelnen Empfänger schon dann erfüllt, wenn diese seitens des Täters mit dem Willen geschieht, dass der Empfänger die Schrift durch körperliche Weitergabe einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 3 StR 144/16 –, juris, Rn. 4). Überdehnt wird dagegen das Tatbestandsmerkmal des Verbreitens, wenn bereits der bloße Austausch einer Schrift zwischen zwei Personen darunter subsumiert wird, obwohl keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Empfänger die übergebene Schrift weiterverbreiten wird (BVerfG, Beschluss vom 9. November 2011 – 1 BvR 461/08 –, juris – betr. § 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 5 StGB).
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Im vom Angeklagten verwendeten Messenger-Dienst „WhatsApp“ wird der in der Regel per Smartphone gesendete Inhalt – sowohl Mitteilungen als auch Dateien – durch das Hochladen in die „WhatsApp-Gruppe“ für alle Gruppenteilnehmer digital kopiert und ihnen gleichzeitig übermittelt. Nach den Standardeinstellungen von „WhatsApp“ speichert das Empfängergerät die übermittelten Bild- und Videodateien automatisch bei Erhalt. Der Empfänger kann alsdann über die empfangenen Dateien frei verfügen, sie beliebig betrachten und insbesondere sehr einfach ohne weitere Zwischenschritte durch Antippen bzw. Anklicken eines vom „WhatsApp“ eigens dafür vorgesehenen Pfeilsymbols an beliebige Dritte weiterleiten, ohne dass dies durch den ursprünglichen Absender überhaupt bemerkt würde. (zum Ganzen Lund: Das Verbreiten von Inhalten in geschlossenen Chatgruppen, NStZ 2023, 641, zit. nach Beck online). Die Weiterverbreitung der Inhalte durch andere Gruppenmitglieder ist für den Absender damit in keiner Weise mehr kontrollierbar. Aus diesem Grund stellt bereits das Senden inkriminierter Inhalte in eine „WhatsApp-Chatgruppe“ in der Regel eine „Verbreitung“ im Sinne des § 86a Abs. 1 StGB dar.
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Ein Ausnahmefall, bei dem trotz der vorbeschriebenen Unkontrollierbarkeit in „WhatsApp-Gruppen“ gesandter Inhalte kein „Verbreiten“ im Sinne des § 86a Abs. 1 StGB vorliegt, ist nach den Feststellungen des Landgerichts nicht gegeben.
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Ein solcher Ausnahmefall könnte vorliegen, wenn es sich bei der Chatgruppe um eine durch außerhalb des Chatverlaufs liegende Umstände eng verbundene Gruppe handelt, bei der die Mitglieder jeweils darauf vertrauen, dass eingestellte Inhalte nicht an Außenstehende weitergeleitet werden. Als Beispiel kommen familiäre Gruppen, bei denen innerfamiliäre Fotos nicht weitergeleitet werden sollen, oder kleine berufliche Gruppen, bei denen Berufsinterna Außenstehende nichts angehen, in Betracht. Der vom Landgericht vorliegend festgestellte Umstand, dass der Angeklagte sämtliche Mitglieder der drei Chatgruppen, die immerhin 18, 20 und 11 Mitglieder hatten, kannte (UA S. 7), reicht hierfür nicht aus, zumal eine verbindliche Absprache, wonach Mitteilungen und Anhänge („Sticker“) nicht an Dritte weitergeleitet werden durften, nicht existierte und es sich bei den verfahrensgegenständlichen Abbildungen gerade nicht um gruppenspezifische, interne Mitteilungen handelte sondern diese durch „humoristische“ („Infektionsvermeidung“) sowie kalenderspezifische Inhalte („Weihnachtsgruß“, „Ostergruß“) zum Weiterleiten einluden.
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c) Auch den – zumindest bedingten – Vorsatz des Angeklagten, welcher ausreicht (Leipziger Kommentar zum StGB, Steinsiek, 13. Auflage, Rn. 37 zu § 86a), hat das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Weiterleitung – insbesondere von als „humoristisch“ empfundenen Inhalten – stellt eine zentrale und von den Nutzern sehr häufig verwendete Funktion der Kommunikation via „WhatsApp“ dar, womit der Angeklagte mithin auch hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Abbildungen rechnete. Der Vorsatz des Angeklagten ist überdies aus dem Umstand zu schließen, dass er die Weiterleitung dadurch hätte verhindern können, dass er durch einfaches Tippen bzw. Anklicken die Funktion „einmalige Ansicht“ aktivierte. Diese hat die Wirkung, dass die übersandte Foto- oder Videodatei vom Empfänger nur einmal betrachtet, nicht gespeichert und insbesondere nicht weitergeleitet werden kann (Lund, a.a.O.). Indem der Angeklagte dies nicht tat, begab er sich wissentlich und willentlich jeder weiteren Einflussmöglichkeit auf die Weiterverbreitung.
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Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird im Übrigen hinsichtlich des Schuldspruches auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Antrag vom 15. November 2023 verwiesen, welche durch den Verteidigerschriftsatz vom 14. Dezember 2023 nicht entkräftet werden.
II.
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1. Die Nachprüfung des Strafausspruches hat jedoch in erheblichem Umfang Erörterungsmängel des Landgerichts ergeben, die sich als sachlich-rechtliche Fehler des Urteils erweisen und verhindern, dass das Urteil sich insoweit auf tragfähige Grundlagen stützt.
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Die Rechtsfolgenbemessung ist zwar ureigene Aufgabe des Tatrichters und unterliegt einer nur eingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Die tatrichterlichen Erwägungen hat das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, solange und soweit der Rechtsfolgenausspruch einen angemessenen Schuldausgleich darstellt. Indessen prüft das Revisionsgericht nach, ob die tatrichterliche Rechtsfolgenentscheidung auf tragfähige Grundlagen gestützt ist und sich von rechtlich anerkannten Strafzumessungserwägungen hat leiten lassen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 337 Rdn. 34f.).
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a) Geht das Rechtsmittelgericht von Umständen aus, welche die Tat in einem milderen Licht erscheinen lassen, bedarf es einer besonders eingehender Begründung, wenn dennoch eine gleich hohe (oder höhere) Gesamtstrafe oder gleich hohe (oder höhere) Einzelstrafen verhängt werden sollen wie diejenigen des Ausgangsgerichtes (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 46 Rdn. 16a und 149; OLG München, Beschluss vom 5. August 2008 – 5 StRR 149/08 –, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 2. November 2011 – 3 Ss 104/11 –, juris; ständige Rechtsprechung des Senates, vgl. z. B. Beschluss vom 21.04.2021, 207 StRR 170/21).
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So liegt der Fall hier.
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Das Landgericht hat gegen den Angeklagten jeweils Einzelgeldstrafen von 60 Tagessätzen und eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt. Damit hat es die vom Amtsgericht für angemessen gehaltenen Einzelgeldstrafen von jeweils 50 Tagessätzen und die Gesamtgeldstrafe von 105 Tagessätzen spürbar erhöht, obwohl es weitere, vom Amtsgericht nicht genannte Strafmilderungsgründe (keine Weiterleitung an Dritte feststellbar, Einziehung des Mobiltelefons) in seine Erwägungen eingestellt hat. Die gegenüber dem Amtsgericht erhöhte Strafe hat das Landgericht nicht eigens begründet.
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b) Ein gewichtiger, letztlich durchgreifender Erörterungsmangel liegt überdies darin, dass das Landgericht wesentliche Tatumstände nicht in seine Strafzumessungserwägungen einbezogen hat.
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Zwar kann nicht erwartet werden, dass sämtliche überhaupt in Betracht kommenden Umstände in die Strafzumessungserwägungen eingestellt werden – eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (ständige Rechtsprechung, z.B. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16 –, juris, Rn. 17 m. w. N.). Der Tatrichter ist jedoch verpflichtet, die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Ein Rechtsfehler liegt vor, wenn ein wesentlicher, die Tat prägender Gesichtspunkt erkennbar nicht berücksichtigt wurde (BGH, Urteil vom 7. November 2007 – 1 StR 164/07 –, juris, Rn. 11).
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Dies ist – gemessen am Normzweck des § 86a StGB – vorliegend der Fall, da das Landgericht den vom Amtsgericht zutreffend als strafmildernd erwähnten Umstand, dass es sich bei den versandten Bilddateien nicht um „hartes Propagandamaterial“ sondern eher um „Scherze“ gehandelt hat (UA AG S. 6), nicht in seine Erwägungen eingestellt hat.
23
§ 86 a StGB schützt als abstraktes Gefährdungsdelikt den demokratischen Rechtsstaat und den politischen Frieden im Sinne einer Verbannung der inkriminierten Kennzeichen aus dem öffentlichen Erscheinungsbild der Bundesrepublik. Die Vorschrift richtet sich zunächst gegen eine Wiederbelebung der verfassungswidrigen Organisation und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2002 – 3 StR 495/01 –, BGHSt 47, 354-362 zit. nach juris, Rn. 19) Damit wird gleichzeitig das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland geschützt (BGH, a. a. O., Rn. 20). Der Bundesgerichtshof sieht einen zusätzlichen Schutzzweck im Unterbinden der vom Kennzeichen ausgehenden gruppeninternen Wirkung (zum Ganzen: Horsch, JR 2008, 99-104 (100), zit. nach juris, m. w. N.).
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Wesentlich für die Strafzumessung im vorliegenden Fall war daher, in welchem Kontext die den Tatbestand erfüllenden nationalsozialistischen Kennzeichen vom Angeklagten verwendet wurden. Dass das Landgericht bei seinen Strafzumessungserwägungen unerwähnt lässt, dass der am 6. März 2020 versandte „Hitlergruß“ mit der Aufschrift „Auf Grund von Corona: Anstatt Hände schütteln wird wieder normal gegrüßt!“ versehen war, ist daher rechtsfehlerhaft. Ebenfalls hätten auch der am 24. Dezember 2020 (Heiligabend) versandte „Weihnachtsgruß“ und der am 3. April 2021 (Karsamstag) versandte „Ostergruß“ daran gemessen werden müssen, in welchem Maße dadurch ein zentraler Normzweck des § 86a StGB, nämlich eine Wiederbelebung der verfassungswidrigen Organisation und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verhindern, gefährdet wurde, zumal der Versand nach den Urteilsfeststellungen dazu diente, die Empfänger zu „unterhalten“ und die „Freundschaften zu pflegen“.
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Der Senat verkennt dabei nicht, dass § 86a StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt gerade keine konkrete Gefährdung der vorgenannten Rechtsgüter und keine persönliche Verbindung des Angeklagten zu einer verfassungswidrigen Organisation voraussetzt (Leipziger Kommentar, a. a. O., Rn. 2 zu § 86a), solange die konkrete Verwendung des verfassungswidrigen Kennzeichens nicht in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt (BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06 – BGHSt 51, 244-252, zit nach juris, Rn. 12), was vorliegend nicht der Fall war. Gleichwohl hätten bei der Bemessung der persönlichen Schuld des Angeklagten, welche stets Grundlage jeglicher Strafzumessung ist (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB), die vorgenannten Umstände in die Abwägung mit einfließen müssen.
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Da sich die verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe gegen den nicht vorbestraften Angeklagten nicht im unteren Bereich des Strafrahmens bewegen, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Urteil insoweit auf den lückenhaften Erwägungen beruht.
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Das Urteil war daher gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch samt den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 StPO) aufzuheben und im Umfang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Memmingen zurückzuverweisen.
III.
28
Die Einziehungsentscheidung, betreffend das vom Angeklagten für die strafbare Versendung der vorbeschriebenen nationalsozialistischen Kennzeichen verwendete Mobiltelefon nebst SIM-Karten, stützt sich auf § 74 Abs. 1 StGB und begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden revisionsrechtlichen Bedenken.
29
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelte und sein Ermessen ausgeübt (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 – 3 StR 415/21 –, juris, Rn. 6). Zwar hätte es nahe gelegen, den Wert des Mobiltelefons, den das Landgericht nur als „nicht allzu hoch“ angibt (UA S. 34), genauer – z.B. unter Angabe eines Höchstwertes – zu ermitteln oder die Schätzgrundlagen, insbesondere das Alter des Geräts, mitzuteilen. Der Senat schließt jedoch aus, dass das Telefon im Verhältnis zum Einkommen des Angeklagten einen Wert erreicht, der zu einer abweichenden Ermessensentscheidung gezwungen hätte (ähnlich: BGH, Beschluss vom 22. November 2022 – 2 StR 311/22 –, juris, Rn. 21).
IV.
30
Die Kostenentscheidung war der Endentscheidung vorzubehalten.