Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 10.11.2023 – W 8 K 23.340
Titel:

Einstufung des Produktes „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ als neuartiges Lebensmittel 

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
VO (EU) 2017/625 Art. 138
Novel-Food-VO Art. 3 Abs. 2 lit. a Nr. iv, Art. 6 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Darlegungs- und Beweislast, dass das ein Produkt in der Europäischen Union schon vor dem Stichtag des 15. Mai 1997 eine nennenswerte menschliche Verzehrgeschichte aufweist und damit nicht neuartig ist, liegt primär beim Lebensmittelunternehmer. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Ausgangspunkt ist jedes aus einer Pflanze bestehende oder gewonnene Lebensmittel potentiell neuartig, insbesondere verarbeitete Pflanzenerzeugnisse, wie Extrakte und Konzentrate. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Bedeutungsgehalt der Einstufung einer Pflanze als „FS“, dh als nicht neuartig in Nahrungsergänzungsmitteln im Novel-Food-Katalog der EU, beschränkt sich darauf, dass der jeweilige Stoff nur in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden darf. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anfechtungsklage, Maqui-Augen-Kapseln für Menschen, Nahrungsergänzungsmittel mit Maquibeeren-Extrakt, Novel-Food-Verordnung, neuartiges Lebensmittel, Inverkehrbringungsverbot, Anordnung der Information der Wiederverkäufer, Maqui-Augen-Kapseln, Nahrungsergänzungsmitte, Maquibeerenextrakt, Anthocyan, Indizwirkung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37692

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin wehrt sich gegen den Bescheid des Beklagten (vertreten durch das Landratsamt W.) vom 10. März 2023, mit dem ihr das Inverkehrbringen des Produkts „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ untersagt und die Information der Wiederverkäufer sowie die Vorlage eines Nachweises darüber, einer Liste aller mit dem Produkt belieferten Wiederverkäufer und einer Übersicht über den aktuellen Warenbestand angeordnet und Zwangsgeld angedroht wird.
2
Im Rahmen einer Probe wurde am 27. September 2022 durch die Lebensmittelüberwachung des Landratsamts W. das Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ gezogen. Nach dem Befund/Gutachten des Bayerischen Landesamtes für ... (...) vom 19. Dezember 2022 werde die vorgelegte Probe von der Klägerin aufgrund ihrer Aufmachung offenbar als ein Nahrungsergänzungsmittel und somit als Lebensmittel in den Verkehr gebracht. Die Probe enthalte laut Deklaration pro Kapsel unter anderem 60 mg eines Maquibeerenextrakts, davon 21 mg Anthocyanin und 15 mg Delphinidin. Der enthaltene Maquibeerenextrakt solle somit aufgrund der Kennzeichnung einen Gesamtgehalt an Anthocyanen von 36 mg pro 60 mg oder anders ausgedrückt: 60% aufweisen. Bei Anthocyanen handele es sich um wasserlösliche Pflanzenfarbstoffe, die im Zellsaft nahezu aller höheren Pflanzen vorkämen und Blüten und Früchten eine intensive rote, violette oder blaue Färbung verliehen. Maquibeeren seien die Früchte der Pflanze Aristotelia chilensis. Nach derzeitigem Kenntnisstand (Novel Food Recherche) seien derartig hoch angereicherte Extrakte aus Maquibeeren nicht vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat verwendet worden. Im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission sei ein Eintrag zu „Aristotelia chilensis“ zu finden. Hier sei der Novel-Food-Status mit „FS“ angegeben. Dieser Status bedeute, dass nach dem derzeitigen Kenntnisstand der verantwortlichen Behörden in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten dieses Lebensmittel bzw. diese Lebensmittelzutat vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union nur in Nahrungsergänzungsmitteln in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Aus dem Eintrag lasse sich jedoch nicht ableiten, dass ein Extrakt, der Anthocyane in den angegebenen hohen Mengen enthalte, mit der Verwendung von Maquibeeren gleichgesetzt werden könne, da Maquibeeren natürlicherweise nur deutlich geringere Mengen an Anthocyanen enthielten. In getrockneten Maquibeeren liege der prozentuale Anteil von Anthocyanen bei rund 0,212%. Der deklarierte Gehalt an Anthocyanen im Extrakt von 60% betrage somit das rund 283-fache des natürlichen Gehalts in Maquibeeren. Bei einer derart hohen Anreicherung eines Stoffes (hier: Anthocyane) sei die Nähe zum Ausgangsprodukt Maquibeeren nicht mehr gegeben, sodass der Extrakt als eigenständiges Lebensmittel zu betrachten sei. Es handele sich bei dem vorliegenden Extrakt aus Maquibeeren um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 (Novel-Food-Verordnung). Die vorliegende Probe sei unter Mitverarbeitung eines neuartigen Lebensmittels im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 hergestellt worden, welches Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 nicht entspreche. Weiter weiche der in der Probe bestimmte Gehalt an rund 0,44 mg Vitamin A pro Kapsel deutlich, konkret um -91,2% vom deklarierten Gehalt (5 mg) ab. Der deklarierte Gehalt an Vitamin A sei demnach als irreführend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 1169/2011 zu beurteilen. Auf der Schauseite des Etiketts der vorgelegten Probe finde sich der Produktname „MAQUI-AUGEN-KAPSELN“ in plakativer Form unterhalb des Fotos eines Koboldmakis. Unmittelbar darunter sei die Angabe „Vitamin A trägt zur Erhaltung normaler Sehkraft bei“ beigefügt. Der Produktname „MAQUI-AUGEN-KAPSELN“, auch in Zusammenschau mit dem Foto eines Koboldmakis, könne aus Verbrauchersicht dahingehend verstanden werden, dass sich der Verzehr der vorliegenden Probe aufgrund des darin enthaltenen Maqui-Extrakts positiv auf die Augengesundheit auswirke. Die beigefügte Angabe „Vitamin A trägt zur Erhaltung normaler Sehkraft bei“ beziehe sich jedoch mitnichten auf den Maquibeerenextrakt, der in der Gesamtaufmachung dominiere, sondern auf das im Produkt enthaltene Vitamin A. Die Angabe „MAQUI-AUGEN-KAPSELN“ sei dahingehend zu beurteilen, dass ihr keine entsprechende gesundheitsbezogene Angabe beigefügt sei. Der Vollständigkeit halber sei zudem erwähnt, dass der im Produkt nachgewiesene Gehalt an Vitamin A unter der für die Verwendung von diesbezüglichen gesundheitsbezogenen Angaben nach der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 erforderlichen Mindestmenge liege und somit die vorhandene gesundheitsbezogene Angabe „Vitamin A trägt zur Erhaltung normaler Sehkraft bei“ auch vor diesem Hintergrund nicht zulässig sei. Die Angabe „MAQUI-AUGEN-KAPSELN“ entspreche nicht den Vorgaben von Art. 3 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 1924/2006. Zudem würden die für Nahrungsergänzungsmittel verpflichtenden Angaben auf der Probe lediglich eine x-Höhe von ca. 0,9 – 1,0 mm aufweisen und somit nicht den Vorgaben des § 4 Abs. 5 NemV i.V.m. Art. 13 Abs. 2 der VO (EU) Nr. 1169/2011 (Mindesthöhe: 1,2 mm) entsprechen. Weiter trage die vorliegende Probe den Hinweis „Für Menschen mit Vitamin A und MaquiBright® Aristotelia chilensis Beerenextrakt (standardisiert)“. Die auf der vorliegenden Probe vorgefundene Angabe berücksichtige somit nicht, dass das Produkt auch einen Traubenextrakt enthalte. Die Kennzeichnung der Probe entspreche somit nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NemV.
3
Die Klägerin brachte mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 13. Januar 2023 im Wesentlichen vor: Bei der dem Gutachten beigefügten konkreten Etikettierung handle es sich um eine alte Version. Die Klägerin stelle die Produkte nicht selbst her und habe den hiesigen Hersteller auch gleich kontaktiert. Ende November 2022 sei ein Produktrückruf vorgenommen worden, im Zuge dessen sämtliche Altprodukte (Lagerware der Klägerin) zum Hersteller eingeschickt und umetikettiert worden seien. Bei der im September 2022 entnommenen Probe handle es sich mithin um einen Altbestand, der von der Klägerin nicht mehr vertrieben werde. An der Aussagekraft des Gutachtens bestünden erhebliche Zweifel. Der Eintrag des Rohstoffs Maquibeere mit dem Status „FS“ in den Novel-Food-Katalog stelle ein Indiz für die fehlende Neuartigkeit des beanstandeten Produkts dar, da es sich bei diesem ebenfalls um ein Nahrungsergänzungsmittel mit diesem Stoff handle. Ein Nahrungsergänzungsmittel sei wesenstypisch gerade nicht ein Rohprodukt aus der Natur. Dem Laborergebnis des ..., in der untersuchten Probe seien nur 0,44 mg Vitamin A enthalten gewesen, müsse entgegengehalten werden, dass nicht etwa nur 110,1 mg Vitamin A pro 100 g in dem Produkt enthalten seien, sondern 205,7 mg / 100 g, woraus sich eine Zufuhr von Vitamin A pro Kapsel in Höhe von 0,84 mg ergebe, was mit den ausgewiesenen 0,8 mg unter Berücksichtigung der europarechtlichen Toleranzgrenzen bis +150% übereinstimme. Der Stoff Vitamin A sei sehr stark wärme/luft- und lichtempfindlich und neige zu schneller Oxidation. Der niedrigere Wert von 0,44 mg lasse sich nur mit einem Lagerungs-, Transport- und/oder Aufbewahrungsfehler seitens des ... bzw. eingebundener Dritter (wie Boten) erklären. Weiter ergebe es signifikante Abweichungen bei den Messtoleranzen gegenüber dem tatsächlichen Wert von 0,8 mg, was zu abweichenden Ergebnissen führe, wenn das ... bei der Untersuchung die Kalibrierung auf 5 mg/Kapsel ausgerichtet habe. Hinsichtlich der beanstandeten Schriftgröße werde in der Begutachtung verkannt, dass gemäß Art. 13 Abs. 3 LMIV bei Behältnissen, deren größte Oberfläche weniger als 80 cm² betrage, die x-Höhe der Schriftgröße mindestens 0,9 mm aufweisen müsse. Das Behältnis liefere aufgrund seiner Größe und Beschaffenheit nur eine etikettierfähige Fläche von 74,7 cm² und damit weniger als 80 cm², womit nicht die Vorgaben des Art. 13 Abs. 2, sondern jene des Abs. 3 LMIV gelten würden. Hinsichtlich der beanstandeten angegebenen Kategorien von Nährstoffen werde festgestellt, dass der Begriff „Traubenkernextrakt“ sich deutlich sogar mehrfach auf dem Etikett finde, nämlich sowohl im Zutatenverzeichnis als auch in der Nährwerttabelle.
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Mit Schreiben vom 14. Februar 2023 nahm das ... dazu im Wesentlichen wie folgt Stellung: Die Einstufung einer Pflanze als „FS“ bedeute nicht, dass damit automatisch auch sämtliche Extrakte aus dieser Pflanze in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden dürften, sondern beziehe sich ausschließlich auf die in Rede stehende Pflanze als solche. Sofern der Eintrag stattdessen auch bestimmte Extrakte einschließe, werde dies im Beschreibungstext ausdrücklich erwähnt. Seit dem Inkrafttreten der VO (EU) 2015/2283 und deren Art. 4 Abs. 1 obliege den Lebensmittelunternehmen die Pflicht zur Prüfung (und mithin auch des Nachweises), ob Lebensmittel, die sie in der Union in Verkehr bringen wollten, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen oder nicht. Nach aktueller Rechtsprechung komme es für die Frage, ob es sich um ein neuartiges Lebensmittel handle, nicht nur auf den Ausgangsstoff und das verwendete Verfahren, sondern auf das daraus erzeugte, zu beurteilende Produkt an. Für Maquibeerenextrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% gebe es keine Verzehrgeschichte als Lebensmittel. Das ... sei ein DAkkSakkreditiertes Prüflaboratorium, das u.a. auch für die Bestimmung von Vitamin A in Lebensmitteln akkreditiert sei. Entgegen der Mutmaßungen der anwaltlichen Vertretung des Unternehmers ließen die Lagerbedingungen, wie die Aufzeichnungen zeigten, keinen übermäßigen Abbau von Vitamin A während der Lagerung befürchten. Bezüglich der Schriftgröße gelte der Ausnahmetatbestand des Art. 13 Abs. 3 LMIV ausschließlich für Lebensmittel, deren größte Oberfläche weniger als 80 cm² betrage. Es sei folglich auf die Größe der Verpackung abzustellen und nicht nur auf die Frage, wie viel davon etikettierfähig sei. Hier weise die Verpackung als größte Oberfläche eine Fläche von ca. 107 cm² auf. Das in Rede stehende Nahrungsergänzungsmittel enthalte laut Kennzeichnung mit 120 mg pro Tagesdosis rein quantitativ bereits doppelt so viel Traubenextrakt wie der mehrfach hervorgehobene Maquibeerenextrakt (60 mg) und ein Vielfaches der enthaltenen Menge an Vitamin A. Zudem sei der Traubenextrakt in der Nährwerttabelle gelistet. Folglich sei der Traubenextrakt nicht nur mengenmäßig ein wesentlicher Bestandteil des Produkts, er werde zudem als Stoff mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung ausgelobt.
5
Mit Bescheid vom 10. März 2023 untersagte das Landratsamt W. für den Beklagten der Klägerin das Inverkehrbringen des Produkts „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“, unverzüglich nach Erhalt des Bescheides (Nr. 1.1). Weiter forderte der Beklagte die Klägerin auf, die Wiederverkäufer über die Untersagung des Inverkehrbringens zu informieren (Nr. 1.2) und einen Nachweis darüber (Nr. 1.2.1), eine Liste aller mit dem Produkt belieferten Wiederverkäufer mit vollständiger Anschrift (Nr. 1.2.2) und eine Übersicht über den aktuellen Warenbestand (Nr. 1.2.3) vorzulegen sowie das Video auf YouTube mit dem Titel „R... … F... …: Trockene Augen ein Problem?“ zu löschen (Nr. 1.3) Frist: Zwei Tage nach Erhalt des Bescheides (Nr. 1.2). Für den Fall eines Verstoßes gegen die in Nr. 1 genannten Anordnungen wurde ein Zwangsgeld angedroht: Für Nr. 1.1 2.000,00 EUR, für die Nrn. 1.2.1, 1.2.2 und 1.2.3 je 500,00 EUR (Nr. 2). Die Klägerin wurde zur Tragung der Kosten des Verfahrens verpflichtet (Nr. 3). Für den Bescheid wurde eine Gebühr von 110,98 EUR festgesetzt. Die angefallenen Auslagen betragen 538,12 EUR. Die Gesamtsumme beträgt 649,10 EUR (Nr. 4). In den Gründen des Bescheides ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Anordnungen in Nr. 1 bis 3 des Bescheides beruhten auf Art. 138 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2017/625 in Verbindung mit § 39 Abs. 1 LFGB. Hiernach träfen die zuständigen Behörden die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beende und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindere. Die mit Gutachten vom 19. Dezember 2022 durch das ... festgestellten Beanstandungen verstießen gegen die Verordnung (EG) Nr. 1169/2011, Nr. 2015/2283, Nr. 1924/2006 und das LFGB. Das untersuchte Produkt sei ein neuartiges Lebensmittel. Des Weiteren weise das Produkt einen abweichenden Vitamin-A-Gehalt auf. Nach der Stellungnahme des Rechtsanwalts vom 13. Januar 2023 weise das beprobte Produkt zwar einen Etikettenfehler auf und enthalte nicht 5 mg, sondern nur 0,8 mg und werde so nicht mehr vertrieben. Die Online Recherche habe jedoch ergeben, dass das Produkt auf diversen Websites weiter mit fehlerhaftem Etikett und/oder abweichender Zutatenliste beworben werde. An der Beanstandung halte das ... auch weiter fest, da 0,8 mg eine Abweichung von mindestens -84% darstelle, was deutlich außerhalb des Toleranzrahmens von -20% liege. Abschließend erkenne das ... weitere Mängel in der Produktkennzeichnung. Es würden verbotene gesundheitsbezogene Angaben auf dem Etikett verwendet, die Schriftgröße entspreche nicht den gesetzlichen Bestimmungen und die Angaben zur Kategorie von Nährstoffen seien nicht ausreichend. Die vollständige Beurteilung könne dem Gutachten des ... entnommen werden. Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 dürften nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Unionsliste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Laut Art. 7 Abs. 3 der VO (EU) 1169/2011 dürften Informationen über ein Lebensmittel diesem keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen. Laut Art. 7 Abs. 4 Buchst. a) derselben Verordnung gelte dies auch für die Werbung. Gemäß Art. 3 der VO (EG) 1924/2006 dürften nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln, die in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht würden, bzw. bei der Werbung hierfür nur verwendet werden, wenn sie der VO (EG) 1924/2006 entsprächen. Die Angabe „MAQUI-AUGEN-KAPSELN' entspreche damit nicht den Vorgaben von Art. 3 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 1924/2006. Die Pflichtkennzeichnung für Nahrungsergänzungsmittel entspreche nicht den Vorgaben des § 4 Abs. 5 NemV. Die Kennzeichnung der Probe entspreche nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NemV. Alle Vorschriften hätten das ausschließliche Ziel, ein Höchstmaß an Lebensmittelsicherheit gegenüber der Bevölkerung zu erzielen. In der Gesamtbetrachtung widerspreche das Ergebnis der Begutachtung durch das ... den geltenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften und könne aus Gründen der Lebensmittelsicherheit und des Verbraucherschutzes so nicht weiter hingenommen oder toleriert werden. Die Anordnungen seien notwendig, um den Betriebsinhaber zur Schaffung und Aufrechterhaltung gesetzmäßiger Zustände bei der Behandlung von Lebensmitteln zu veranlassen. Ein freiwilliger Verkaufsstopp sei abgelehnt worden. Die unter Nr. 1.2 angeforderten Unterlagen seien für die Rückverfolgbarkeit des Produkts erforderlich. Die Anordnungen seien darüber hinaus zumutbar und angemessen. Das Landratsamt mache vom eingeräumten Ermessensspielraum pflichtgemäß Gebrauch, wobei kein Entschließungsermessen bestehe. Im Rahmen des Auswahlermessens komme ein milderes Mittel nicht in Betracht. Die Androhung des Zwangsmittels stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZG. Das angedrohte Zwangsgeld sei nach pflichtgemäßem Ermessen dazu geeignet, dem Betrieb einen Anreiz zu schaffen, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. In Anbetracht dessen, dass in der vorgelegten Stellungnahme den im Gutachten festgestellten Beanstandungen widersprochen werde, sei die Höhe des Zwangsgelds verhältnismäßig. Die Kostenentscheidung stütze sich auf Art. 138 Abs. 4 der VO (EU) 2017/625 und Art. 1 und 2 KG.
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Mit Bescheid vom 26. April 2023 hob das Landratsamt W. die Anforderung aus Nr. 1.3 im Anordnungsbescheid vom 10. März 2023 auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das im Anordnungsbescheid unter Nr. 1.3 genannte Youtube-Video sei zwischenzeitlich gelöscht worden, die Mitteilung hierüber sei mit Schreiben vom 14. März 2023 erfolgt.
II.
7
1. Am 14. März 2023 ließ die Klägerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und zur Klagebegründung im Wesentlichen ausführen: Bei dem Produkt handle es sich nicht um ein neuartiges Lebensmittel, weshalb die entsprechenden Anordnungen rechtswidrig seien. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es sich bei dem Produkt nicht um ein neuartiges Lebensmittel handle, liege bei dem Beklagten. Soweit darauf verwiesen werde, dass Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 festlege, dass der Lebensmittelunternehmer für die Prüfung verantwortlich sei, ob es sich bei einem Lebensmittel um ein neuartiges Produkt handle, ergebe sich hieraus lediglich eine Prüfpflicht. Dieser sei durch die Vorlage diverser Sachverständigengutachten Genüge getan worden. Wenn der Beklagte in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Lebensmittelunternehmers eingreife, müsse er dies entsprechend rechtfertigen können und damit entsprechend nachweisen, dass das Ergebnis der Prüfpflicht des Lebensmittelunternehmers falsch sei. Es sei von der Klägerin substantiiert bestritten worden, dass das Produkt 60% Anthocyane enthalte, und erklärt worden, dass lediglich 35% Anthocyan enthalten seien. Während der Chemiker korrekterweise das Delphinidin als Anthocyanin identifiziere, werde von ihm vollkommen ignoriert, dass bei korrekter Erstellung der Inhaltsstofftabelle die ausgewiesene Menge Anthocyanine die Summe aller Anthocyanine darstelle und somit die Menge Delphinidin bereits beinhalten müsse und nicht wie vom Chemiker noch drauf gerechnet werden dürfe. Es entspreche der Rechtsprechung, dass das Gericht seine eigene Sachkunde im Rahmen der Beweiswürdigung angemessen prüfen müsse. Sogar bei einer langjährigen Tätigkeit des Gerichts könne nicht stets von einer ausreichenden Sachkunde ausgegangen werden. Insbesondere bei schwierigen Fragestellungen müsse das Gericht weitere Aufklärungsmöglichkeiten nutzen. Im Hauptsacheverfahren könne hierzu eine Beweisaufnahme erfolgen, die den Sachvortrag der Klägerin belegen werde. Soweit das Gericht im Eilverfahren ausführe, dass selbst wenn der Anthocyan-Gehalt des Extraktes nur 35% statt 60% betrüge, der Anthocyan-Gehalt noch über dem natürlichen Anthocyan-Gehalt der Maquibeere liege und damit an einer Einstufung als neuartig nichts ändern würde, sei dies nicht nachvollziehbar. Hier sei bereits nicht erkennbar, welcher Prozentsatz dann dem Gericht ausreichen würde, um nicht von einer Neuartigkeit auszugehen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur sei anerkannt, dass der Genotyp der Maquibeere den Anthocyan-Gehalt entscheidend beeinflussen könne. In der Publikation „Anthocyanin profiling of wild maqui berries (Aristotelia chilensis [Mol.] Stuntz) from different geographical regions in Chile“ werde zudem darauf verwiesen, dass in der Maquibeere in der frischen Frucht ein Gehalt von 1,5% Anthocyanen messbar sei, abhängig von Ernte und Anbaugebiet. Dies liege ca. 1.000% über den 0,13%, die der Lebensmittelchemiker des Untersuchungsamtes zugrunde lege. Die in dem Produkt enthaltene Menge von 21 mg könne somit bereits mit lediglich 0,9 g Pulver oder 1,4 g frische Früchte der Maquibeere zugeführt werden. Die Zufuhr der in dem Produkt enthaltenen Anthocyane entspreche somit 0,9 g des Pulvers der Maquibeere. Es handle sich somit gerade nicht um einen ungewöhnlich hoch angereicherten Extrakt. Weder das Extraktionsverhältnis noch die durchgeführte hydroalkoholische Extraktion oder Hydrolyse seien neuartige Herstellungsverfahren. Relevanter Ansatzpunkt hierfür müsse sein, dass der europäische Gesetzgeber in Art. 3 Abs. 2 a) iv) darauf abstelle, ob Veränderungen der Zusammensetzung oder Struktur des Lebensmittels bewirkten, dass sein Nährwert, seine Verstoffwechslung oder der Gehalt an unerwünschten Stoffen beeinflusst würden. Nichts hiervon sei jedoch von dem Beklagten vorgetragen worden. Es bleibe dabei, dass ein höherer Anthocyan-Gehalt immer bei der Durchführung eines Extraktionsverfahrens herauskommen müsse, sonst würde es sich nicht um einen Extrakt handeln. Mit dieser Maßgabe müsste jeder Extrakt per se als neuartiges Lebensmittel eingestuft werden. Dies entspreche weder dem Wortlaut der einschlägigen Rechtsgrundlagen, noch dem Gesetzeszweck. In diesem Zusammenhang werde auch auf Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-Verordnung verwiesen. Die bloße Veränderung der Anteile, also der Erhöhung einzelner Bestandteile durch Extraktion solle somit ausdrücklich nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht zu einer Einstufung als neuartiges Lebensmittel führen. Dies ergebe auch Sinn, da sonst jeder einzelne Extrakt, und seien die Veränderungen nur minimal, als neuartiges Lebensmittel eingestuft werden müsste. Vor diesem Hintergrund ergebe es Sinn, darauf abzustellen, ob sich durch die Extraktion solche Veränderungen der Zusammensetzung ergäben, dass dies den Nährwert, die Verstoffwechslung oder den Gehalt an unerwünschten Stoffen wesentlich beeinflussen könne. Hierzu habe der Beklagte jedoch selbst nichts vorgetragen. Der Novel-Food-Eintrag der Europäischen Kommission schließe Extrakte nicht aus. Wenn der Europäischen Kommission Informationen darüber vorlägen, dass Extrakte anders zu bewerten seien als die Pflanze als solche, werde dies von der Europäischen Kommission entsprechend klargestellt. Eine solche Einschränkung erfolge hier jedoch gerade nicht. Darüber hinaus setze die Verkehrsfähigkeit als Nahrungsergänzungsmittel explizit voraus, dass gerade nicht die reinen Beeren verwendet würden, denn sonst würde es sich nicht um ein Nahrungsergänzungsmittel handeln. Bezüglich der Maquibeere sei auch ein „Consultation process on novel food status“ durchgeführt worden und die Mitgliedsstaaten hätten nach intensiver aktueller Prüfung in diesem Zusammenhang erneut bestätigt, dass die Maquibeere nur bei der Verwendung als einfaches Lebensmittel und als schlichte Beere als neuartig einzustufen sei, nicht aber bei der aufkonzentrierten Verwendung als Extrakt in einem Nahrungsergänzungsmittel. In diesem Zusammenhang werde auch die italienische Positivliste von den europäischen Mitgliedsstaaten ausdrücklich anerkannt. Weder der Chemiker noch der Beklagte hätten den tatsächlich in dem Produkt enthaltenen Anthocyan-Gehalt zu irgendeinem Zeitpunkt bestimmt. Hier gehe es jedoch nicht um die Beurteilung der Richtigkeit von Etikett-Texten, sondern um die Frage, ob in dem Produkt tatsächlich ein neuartiges Lebensmittel faktisch enthalten sei. In der einschlägigen Rechtsprechung sei auch bereits geklärt, dass es bei der Beurteilung der Verkehrsfähigkeit von Produkten und ihre mögliche Einstufung als genehmigungspflichtige Präparate nicht auf die Werbung / Kennzeichnung des Vertreibers ankomme, sondern auf den tatsächlichen objektiven Gehalt. Selbst wenn die Klägerin damit werben würde, dass es sich um ein neuartiges Lebensmittel handle, sei damit nicht der Nachweis erbracht, dass es sich auch tatsächlich um ein neuartiges Lebensmittel handle. Dies setze eine entsprechende Analytik der darin tatsächlich enthaltenen Inhaltsstoffe voraus. Eine solche liege jedoch bis zum heutigen Tage nicht vor. Die Klägerin habe sich zudem auf ein Sachverständigengutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen R... … beziehen können, der ebenfalls ausführe, dass die Nahrungsergänzung mit dem verwendeten Extrakt im Bereich eines normalen Beerenkonsums liege. Es liege zudem eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung des entsprechenden Lebensmittelrechtsexperten Dr. U...... G... … vor.
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Soweit der Bescheid darauf verweise, dass das Produkt einen abweichenden Vitamin A-Gehalt aufweise mit einer Abweichung von mindestens -84%, sei bereits vorprozessual in einer Stellungnahme eines Rechtsanwaltskollegen vom 13. Januar 2023 darauf verwiesen worden, dass die gezogene Probe einen Altbestand betreffe und nicht das aktuelle Etikett. Auf dem neuen Etikett erfolge die Angabe von 0,8 mg Vitamin A, die auch sachlich zutreffend sei. Soweit auch diesbezüglich von einer Unterdosierung von -45% ausgegangen werde, sei festzustellen, dass die „Toleranzgrenze“, auf die sich das ... beziehe, keine rechtsverbindliche Rechtsgrundlage darstelle, sondern eben lediglich eine „Leitlinie“. In der einschlägigen Rechtsprechung und Kommentarliteratur sei bereits geklärt, dass entsprechende Leitlinien nicht rechtlich verbindlich seien. Unabhängig davon werde bestritten, dass die Analyse des ... sachlich zutreffend sei.
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In dem Produkt seien 205,7 mg/100 g Vitamin A enthalten, was pro Kapsel 0,4 mg ergebe. Sowohl die Produktspezifikation als auch die Einwaageprotokolle würden keinerlei Auffälligkeiten nach Auskunft des Herstellers aufweisen. Unabhängig davon sei nach der einschlägigen Rechtsprechung eine einzelne Produktanalyse ohnehin nicht aussagekräftig in Bezug auf die angeblich fehlerhafte Kennzeichnung eines Nahrungsergänzungsmittels. Zudem sei von der Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. anerkannt, dass es bei Vitaminen zu Nährstoffschwankungen bei der Nährstoffkennzeichnung kommen könne. Hier sei auch schon in keiner Weise ersichtlich, welchen Einflüssen die fragliche Probe ausgesetzt gewesen sei, so dass auch deshalb in keiner Weise ersichtlich sei, ob es sich um repräsentative Untersuchungsergebnisse handle. Unabhängig davon verkenne das Untersuchungsamt auch den Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 NemV. Danach bestehe nur eine Verpflichtung, auf dem Etikett Durchschnittswerte anzugeben, so dass es im Einzelfall durchaus zu erheblichen Abweichungen von diesen Durchschnittswerten kommen könne. Selbst wenn somit ein solcher Ausreißer vorliegen sollte, bestätige dies nicht, dass grundsätzlich die deklarierten Mengenangaben unzutreffend seien und die regulatorischen Anforderungen nicht erfüllt würden.
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Es sei nicht ersichtlich, auf welcher Rechtsgrundlage der Beklagte der Auffassung sei, dass eine Pflicht zur Information der Wiederverkäufer bestehe. In der einschlägigen Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine entsprechende Information von Wiederverkäufern im Sinne einer Rücknahme aus dem Handel ein nachweisbares Gesundheitsrisiko voraussetze. Die Rechtsprechung, z.B. des EuGH oder auch des OVG Nordrhein-Westfalen, lege hierbei strenge Maßstäbe an und lasse bloße Spekulationen für die Annahme von Gesundheitsrisiken nicht ausreichen. Soweit darauf verwiesen werde, dass das ... weitere Mängel in der Produktkennzeichnung behaupte, wonach nicht zugelassene gesundheitsbezogene Angaben verwendet würden, die Schriftgröße nicht den Vorgaben entspreche und die Angaben zur Kategorie von Nährstoffen nicht ausreichend seien, rechtfertige dies von vornherein nicht ein generelles Vertriebsverbot für das Produkt, wie in Nr. 1.1. angeordnet. Als milderes Mittel wären hier entsprechende Anordnungen möglich, die entsprechende Kennzeichnung abzuändern. Das darüberhinausgehende generelle Vertriebsverbot sei damit nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig rechtswidrig. Unabhängig davon würden auch keine unzulässigen gesundheitsbezogenen Angaben verwendet. Bei Maqui handle es sich um ein sog. Botanical, für das nach der aktuellen Rechtsprechung noch keine zugelassenen Claims vorliegen müssten. Im Ergebnis könne dies jedoch sogar dahinstehen, da auf dem Etikett der Hinweis erfolge „Vitamin A trägt zur Erhaltung normaler Sehkraft bei.“ Damit erfolge die Verwendung eines spezifisch zugelassenen Claims, der sich auf die Augenkapseln beziehe. In diesem Zusammenhang werde auf die einschlägige Rechtsprechung des BGH vom 10.12.2015, Az. I ZR 222/13, verwiesen, der die Bezeichnung des Saftes als „lernstark“ akzeptiert habe, weil in dem Produkt Eisen enthalten sei und für Eisen der zugelassene Claim verwendet werde „Eisen trägt zur normalen kognitiven Entwicklung von Kindern bei.“ Vor diesem Hintergrund sei die Produktbezeichnung „Augenkapseln“ unter Verwendung des Vitamin A-Claims zur Sehkraft nicht zu beanstanden. Soweit ferner beanstandet werde, dass eine zu geringe Schriftgröße verwendet worden sei, sei dies unzutreffend, da gemäß Art. 13 Abs. 3 LMIV bei Behältnissen, deren größte Oberfläche weniger als 80 cm² betrage, die Mindestschriftgröße nur 0,9 mm aufweisen müsse, was hier eingehalten werde. Es liege auch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NemV vor. Das Produkt weise die Angabe auf „Mit Vitamin A und MaquiBright Aristotelia chilensis Beerenextrakt (standardisiert)“. Ferner erfolge eine Tabelle auf der Rückseite, in der alle Zutaten ebenfalls genannt und Mengenangaben erteilt würden. Damit seien die Vorgaben des § 4 Abs. 2 Nr. 1 NemV erfüllt. Gefordert werde hier lediglich eine schlagwortartige Kennzeichnung. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Traubenextrakt überhaupt eine ernährungsphysiologisch relevante Wirkung in den fraglichen Dosierungen entfalte. Vor diesem Hintergrund bestehe auch keine Verpflichtung, ihn im Rahmen der Verkehrsbezeichnung besonders hervorzuheben. Es handele sich um eine schlichte Schmuckzutat.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 6. November 2023 ließ die Klägerin ergänzend ausführen: In dem Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission sei die Maquibeere ausdrücklich für die Verwendung in Nahrungsergänzungsmitteln zugelassen. Dies solle gerade eine entsprechende Orientierungshilfe für Unternehmen darstellen und werde von der Rechtsprechung als Indiz für die Nicht-Neuartigkeit gerade anerkannt. Jedes Nahrungsergänzungsmittel setze eine Konzentration der Inhaltsstoffe voraus. Ein erhöhter Gehalt von Anthocyanen gegenüber dem Ausgangslebensmittel könne gerade nicht dazu führen, dass es sich um ein neuartiges Lebensmittel handelt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Nährwert, die Verstoffwechslung oder der Gehalt an unerwünschten Stoffen signifikant beeinflusst werde, wozu jeder Vortrag der Beklagte fehle. Ein Hydrolyseverfahren sei kein neuartiges Herstellungsverfahren, so dass die Durchführung einer Hydrolyse ebenfalls nicht die Neuartigkeit belege. Wenn der Europäischen Kommission Informationen darüber vorlägen, dass ein Extrakt aus einer Pflanze als neuartig einzustufen sei, werde dies auch entsprechend publiziert. So werde auf den Novel-Food-Eintrag zu Cannabinoiden und zu Griffonia symplicifolia verwiesen. Ein entsprechender Hinweis finde sich bei der Maqui-Beere jedoch gerade nicht. Wenn für ein Produkt die Verkehrsfähigkeit bescheinigt werde, umfasse dies selbstverständlich auch eine Prüfung einer möglichen Novel-Food-Eigenschaft. Hinsichtlich der angeblich zu geringen Schriftgröße auf dem Etikett werde darauf hingewiesen, dass die maximal zu nutzende Fläche 74,7 cm² betrage. Die Dose habe einen in das Mironglas eingearbeiteten nach außen aufgewölbten Schriftzug, so dass technisch kein größeres Etikett aufgebracht werden könne. Für die Aufzählung der Wiederverkäufer des Produkts sei keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Die Angabe der Vertriebswege und Verkaufssparten wäre nur dann relevant, wenn es Anlass für einen Produktrückruf gebe, der hier nicht ersichtlich sei. Soweit in Nr. 2 des Bescheides eine Information der Wiederverkäufer verlangt werde, spreche die Beklagte nunmehr erstmals von einem angeblichen Gesundheitsrisiko und die damit einhergehende Verpflichtung, die Wiederverkäufer darüber zu informieren. Hierzu sei festzustellen, dass der Bescheid das Produkt gerade nicht als unsicheres Lebensmittel gemäß Art. 14 der VO (EG) 178/2002 qualifiziert habe. Die Frage eines angeblich gesundheitsschädlichen Lebensmittels sei somit überhaupt nicht streitgegenständlich und werde nun offenbar in Erklärungsnot als Schutzbehauptung hinterhergeschoben. Hinsichtlich der Verwendung gesundheitsbezogener Angaben überzeuge es nicht, wenn er Chemiker vortrage, dass es „Maqui-Augen-Kapseln“ heiße und deshalb die Aussage sich auf Maqui beziehe und nicht auf Vitamin A. Denn direkt unter „Augen Kapseln“ heiße es auf dem Etikett „Vitamin A trage zur Erhaltung normaler Sehkraft bei für Menschen“ bei. Es erfolge somit eine unmittelbare Beifügung des zugelassenen Claims. Im Rahmen des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NemV bestehe keine Verpflichtung, alles Zutaten des Produktes zu nennen. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, weshalb hier der Traubenextrakt erwähnt werden solle. Auch der Chemiker sei nicht in der Lage, nachzuweisen, dass es sich hierbei um einen relevanten Wirkstoff handle.
12
2. Das Landratsamt W. trat für den Beklagten der Klage entgegen und führte mit Schriftsatz vom 30. Mai 2023 zur Begründung der Klageerwiderung im Wesentlichen aus: Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Erklärung des Rohstofflieferanten sowie die Verkehrsfähigkeitsbescheinigung ließen keine fundierten Rückschlüsse auf die Nichtneuartigkeit des Produkts zu. Die Erklärung des Rohstofflieferanten sei lediglich eine Mitteilung darüber, dass keine Kenntnis über die Neuartigkeit des gelieferten Produkts bestehe. Die Verkehrsfähigkeitsbescheinigung beziehe sich nur auf die notwendigen Angaben auf dem Etikett. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat nicht neuartig sei, trage derjenige, der das Lebensmittel in den Verkehr bringen wolle. Das entsprechende Produkt sei auf den Homepages der Klägerin nicht gefunden worden, so dass eine Überprüfung, inwieweit die Werbung auf den Homepages hinsichtlich des in Frage stehenden Vitamin A-Gehalts abgeändert oder angepasst worden sei, sich nicht überprüfen lasse. Eine Zusendung der abschließenden Liste über die Wiederverkäufer des Produktes „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“, ein vollumfänglicher Überblick über den aktuellen Warenbestand sowie die Aufforderung, die Wiederverkäufer über die Untersagung des Inverkehrbringens in Kenntnis zu setzen, seien im vorliegenden Fall notwendig, um sicherzustellen, dass das entsprechende Produkt weder von der Klägerin selbst noch von einem der gelisteten Wiederverkäufer weiterhin in Verkehr gebracht werde; nur anhand der geforderten Informationen lasse sich die Rückverfolgbarkeit abschließend und umfänglich überprüfen. Das Verbot des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittels aufgrund eines Gesundheitsrisikos und die damit einhergehende Verpflichtung, die Wiederverkäufer darüber zu informieren, entsprächen dem hohen Schutzgut der Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Hier reiche es nicht aus, dass die Produkte aus dem von der D... … G... … betriebenen Online-Shop entfernt würden, es müssten sämtliche Wiederverkäufer informiert werden. Das Produkt würde so ungehindert weiter vertrieben werden, die Anordnung des Landratsamtes fehlschlagen. Die von der Klägerseite zitierten diversen Gerichtsentscheidungen bezögen sich allesamt auf Rückrufe, deren Rechtsgrundlage Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sei. Als erste Maßnahme ordne das Landratsamt das Verbot des Inverkehrbringens an, eine Rücknahme bzw. ein nationaler oder gar internationaler Rückruf hätten zu Folge, dass das Ansehen der Firma immens geschädigt werde. Im Übrigen wurde auf die Stellungnahmen des ... vom 20. Dezember 2022 (gemeint wohl: 19. Dezember 2022), 14. Februar 2023 und vom 25. Mai 2023 verwiesen.
13
In der Stellungnahme des ... vom 25. Mai 2023 werden die Beanstandungen vollumfänglich aufrechterhalten. Entgegen dem Vortrag der Klägerin ergäben sich somit anhand der Kennzeichnung schon keine Anhaltspunkte dafür, dass die deklarierte Menge an Delphinidin bereits in der Angabe der Anthocyane enthalten wäre. Nachdem 35% von 60 mg einer Menge von 21 mg entsprächen und 25% von 60 mg einer Menge von 15 mg, bezögen sich beide der angegebenen Werte unzweifelhaft auf den Extrakt. In diesem Zusammenhang sei zudem zu berücksichtigen, dass die Ausführungen des Bevollmächtigten der Klägerin „Jedes Delphinidin ist ein Anthocyanin, aber nicht jeder Anthocyanin ist ein Delphinidin“ aus naturwissenschaftlicher Sicht ebenfalls unzutreffend seien. Zunächst sei darauf hinzuweisen, dass es Anthocyanin im Deutschen überhaupt nicht gebe. Unabhängig davon werde darauf hingewiesen, dass es auf die Frage, ob der Gesamtgehalt an Anthocyanen und Anthocyanidinen im Produkt 35% oder 60% betrage, nicht ankomme. Selbst unter der Annahme, dass das enthaltene Delphinidin doppelt ausgelobt worden sei und der Gesamtgehalt an Anthocyanen und Anthocyanidinen sich damit auf 35% reduziere, liege der Gehalt immer noch deutlich über dem natürlichen Gehalt, der in Maquibeeren vorkomme. Demzufolge wäre ein Extrakt mit einen Anthocyangehalt von 35% ebenfalls als nicht zugelassenes neuartiges Lebensmittel zu beurteilen. Unstrittig sei, dass die Gehalte an bestimmten Inhaltsstoffen in Lebensmitteln natürlichen Schwankungen unterlägen. Aus der vorgelegten Studie lasse sich jedoch nicht ableiten, dass der Bewertung die „völlig falschen Tatsachen“ zugrunde gelegt worden seien. Vielmehr werde unterstrichen, dass ein Anthocyangehalt von 60% im Extrakt keinesfalls dem natürlichen Gehalt in den Beeren entspreche, sondern signifikant über dem natürlichen Gehalt liege. Entscheidungserheblich sei nicht die Frage, über den Verzehr welcher Lebensmittelmengen man die in dem in Rede stehenden Nahrungsergänzungsmittel enthaltenen Stoffe ebenfalls zuführen könnte, sondern nur die Frage, ob Maquibeerenextrakte mit einem Anthocyangehalt von 60% in der EU vor dem Stichtag der Novel-Food-Verordnung in nennenswertem Umfang von Menschen verzehrt worden seien. Ungeachtet dessen zeige auch der Vergleich der Klägerin zwischen 60 mg Extrakt im Produkt und 1.400 mg frischen Maquibeeren, die nach ihren Berechnungen dieselben Mengen an Anthocyanen enthielten, dass sich der in Rede stehende Extrakt in seiner Zusammensetzung signifikant von den Beeren unterscheide. Bei der Durchführung eines Extraktionsverfahrens mit den bereits geernteten Früchten handle es sich jedoch schon nicht um ein Vermehrungsverfahren im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Nr. iv) der VO (EU) 2015/2283, da dieses nicht darauf ausgerichtet sei, aus den Früchten weitere aufzuziehen. Demzufolge sei auch kein Nachweis erforderlich, dass sich durch das eingesetzte Verfahren die Zusammensetzung oder Struktur des Lebensmittels, dessen Nährwert, Verstoffwechselung oder der Gehalt an unerwünschten Stoffen verändern würden. Der Anwendungsbereich des Erwägungsgrundes 17 der Novel-Food-Verordnung sei nicht eröffnet, da es sich bei dem Maquibeerenextrakt um ein nicht zugelassenes neuartiges und durch den Hydrolyseprozess in den aus den Maquibeeren extrahierten Bestandteilen chemisch verändertes Lebensmittel handle. Schließlich sei nach dem Wortlaut des Novel-Food-Eintrags der Europäischen Kommission unzweifelhaft nur für Maquibeeren und damit gerade nicht auch für Extrakte eine nennenswerte Verzehrgeschichte in Nahrungsergänzungsmitteln bekannt. Würde der Eintrag stattdessen auch bestimmte Extrakte einschließen, wäre dies im Beschreibungstext ausdrücklich erwähnt. Beispielhaft sei hierzu auf den Eintrag zur Weißtanne (Abies alba) verwiesen. Es treffe nicht zu, dass das Vorliegen eines Konzentrats die gesetzliche Definition von Nahrungsergänzungsmitteln ausmache. Es sei durchaus üblich, dass Nahrungsergänzungsmittel auch nicht extrahierte Pflanzen bzw. Pflanzenteile enthielten (z.B. getrocknetes Pflanzenpulver), was sich nicht zuletzt in den Einträgen des EU-Novel-Food-Katalogs wiederspiegele, die zwischen Extrakten und Pflanzen(teilen) unterschieden. Die Positivliste des Mitgliedstaates Italien enthalte ebenfalls nur einen Eintrag für die Früchte der Pflanze, d.h. die Maquibeeren als solche. Der Liste lasse sich nicht entnehmen, dass auch sämtliche Extrakte aus den Beeren nicht neuartig wären. Stattdessen findet sich auf der Internetseite des italienischen Ministero della Salute (Gesundheitsministerium) ein entsprechender Hinweis, dass bei Extrakten aus den in der Liste aufgeführten Pflanzen und Pflanzenteilen separat zu prüfen sei, ob diese gegebenenfalls neuartige Lebensmittel darstellen oder nicht. Die amtliche Lebensmittelüberwachung sei gemäß der VO (EU) 2017/625 gehalten, ihre Untersuchungen mit geeigneten validierten und akkreditierten Verfahren durchzuführen, idealerweise nach internationalen Standards. Derartige Methoden zu etablieren sei immer mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden und daher auch nicht für Stoffe möglich, die nur einmalig oder selten untersucht werden müssten. Ein derartiges Fehlen von Methoden sei bei neuartigen Lebensmitteln zudem systemimmanent. Aufgrund der Beschaffenheit des Produkts bestünden keine Zweifel daran, dass die Angaben im Rahmen der Kennzeichnung zuträfen. So weise der Kapselinhalt eine intensive schwarz-blaue Farbe auf, was für einen hohen Gehalt an Anthocyanen spreche. Das klägerische Vorbringen, dass die Beanstandung des angegebenen Gehalts an Vitamin A als irreführend im Sinn von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) 1169/2011 bereits deshalb nicht tragfähig sei, weil hierfür zwei voneinander unabhängige Untersuchungsergebnisse erforderlich seien, die jedoch nicht vorlägen, übersehe, dass das Erfordernis von zwei Untersuchungen sich ausschließlich auf Veröffentlichungen gemäß § 40 Abs. 1a Nr. 1 LFGB beziehe. Die spekulativen Annahmen der Klägerin darüber, welchen Einflüssen die Probe nach der Entnahme ausgesetzt gewesen sei und ob dadurch ggf. Verfälschungen des Messergebnisses zustande kommen könnten, seien daher haltlos. Die Probe werde nach Probenzug eindeutig gekennzeichnet und gemäß den erforderlichen Lagerungsbedingungen transportiert, so dass Verwechslung bzw. Verderb der Probe ausgeschlossen werden könnten und die Analysenergebnisse nachvollziehbare Rückschlüsse auf das Produkt zuließen. Zudem werde eine Dokumentation zur Probe gemäß den Vorgaben des QM-Systems erstellt. Die Tatsache, dass dem Gutachten Mehrfachbestimmungen zugrunde lägen, entkräfte zudem die Argumentation, dass gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 NemV Durchschnittswerte anzugeben seien und somit einzelne Ausreißer zulässig wären. Nachdem vorliegend jedoch zwei voneinander unabhängige Bestimmungen durchgeführt worden seien, schließe dies aus, dass es sich bei dem Messergebnis um einen einzelnen Ausreißer handle. Aus Sachverständigensicht sei darüber hinaus anzumerken, dass sich die im vorliegenden Fall festgestellten Abweichungen auch keinesfalls mit natürlichen Schwankungen begründen ließen. Insbesondere sei hierbei zu berücksichtigen, dass das hier streitgegenständliche Vitamin A dem Produkt künstlich zugesetzt werde, wodurch Unterschiede in der Zusammensetzung durch natürlicherweise auftretende Schwankungsbreiten bereits auszuschließen seien. Die Kennzeichnung der Probe entspreche nicht den Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NemV. Bei den Angaben gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NemV handle es sich um ein verpflichtendes Kennzeichnungselement, das somit unabhängig von anderen ebenfalls auf der Verpackung angebrachten Kennzeichnungselementen wahrheitsgemäß und vollständig anzugeben sei.
14
3. Mit Beschluss vom 16. März 2023 lehnte das Gericht im Eilverfahren (VG Würzburg, B.v. 16.3.2023 – W 8 E 23.186 – juris) den Antrag der Klägerin auf Unterlassung einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB in Bezug auf das streitgegenständliche Produkt ab. Dieser Beschluss wurde auf die von Klägerseite eingelegte Beschwerde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11. Mai 2023 (20 CS 23.626 – juris) geändert und dem Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung die Veröffentlichung untersagt.
15
Mit Beschluss vom 1. Juni 2023 trennte das Gericht nach Aufhebung der Nr. 1.3 des Bescheids vom 10. März 2023 mit Bescheid des Landratsamts W. vom 26. April 2023 und entsprechenden übereinstimmenden Erledigungserklärungen von dem Verfahren das diesbezügliche Klagebegehren ab, führte diesen Klageteil unter dem Az. W 8 K 23.726 fort und stellte ihn unter Aufhebung der Kosten gegeneinander ein.
16
In der mündlichen Verhandlung am 10. November 2023 beantragte der Klägerbevollmächtigte für die Klägerin:
Der Bescheid des Landratsamts W. vom 10. März 2023 in der Fassung des Bescheids des Landratsamts W. vom 26. April 2023 wird aufgehoben.
17
Die Beklagtenvertreterin beantragte,
die Klage abzuweisen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Eilverfahrens W 8 E 23.186) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Anfechtungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
20
Der streitgegenständliche Bescheid des Landratsamtes W. vom 10. März 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die lebensmittelrechtlichen Anordnungen sind rechtmäßig. Der Beklagte hat zu Recht einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt.
21
Der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 10. März 2023, auf dessen Gründe, die sich das Gericht zu eigen macht, zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO), im Ergebnis zutreffend begründet, dass die Voraussetzungen der streitgegenständlichen lebensmittelrechtlichen Anordnungen im vorliegenden Fall gegeben sind.
22
Das Vorbringen der Klägerseite führt zu keiner anderen Beurteilung.
23
Rechtsgrundlage des lebensmittelrechtlichen Inverkehrbringungsverbots in Nr. 1.1 des streitgegenständlichen Bescheids ist Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) und Abs. 2 VO (EU) Nr. 2017/625 vom 15. März 2017 (ABl. L 95/1) i.V.m. Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 327/1). Danach ergreifen die zuständigen Behörden, wenn sie einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht festgestellt haben, geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften, Art. 138 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) Nr. 2017/625. Die zuständigen Behörden ergreifen alle ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 zu gewährleisten, Art. 138 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625. Zu diesen Maßnahmen gehört nach Art. 138 Abs. 2 Buchst. d) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 auch die Untersagung des Inverkehrbringens von Waren. Bei der in Nr. 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordneten Information der Wiederverkäufer und Vorlage eines Nachweises darüber, einer Liste aller mit dem Produkt belieferten Wiederverkäufer mit vollständiger Anschrift und einer Übersicht über den aktuellen Warenbestand (Nr. 1.2.1, 1.2.2 und 1.2.3) handelt es sich ebenfalls um Maßnahmen i.S.d. Art. 138 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625, auch wenn diese Maßnahmen dort nicht ausdrücklich genannt sind. Denn die Aufzählung der geeigneten Maßnahmen in Art. 138 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 ist nicht abschließend (vgl. Satz 1 Halbsatz 2: „dazu gehören, jedoch nicht abschließend, die folgenden Maßnahmen: …“). Unter den Begriff „Waren“ fallen auch Lebensmittel, vgl. Art. 3 Nr. 11 i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625.
24
Nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/ 2283 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl L 327/1) dürfen nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in den Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden.
25
Bei dem streitgegenständlichen Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ handelt es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel i.S. von § 1 Abs. 1 NemV und damit auch um ein Lebensmittel i.S. des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 178/2002.
26
Das streitgegenständliche Produkt ist des Weiteren neuartig im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283.
27
Die Darlegungs- und Beweislast, dass das streitgegenständliche Produkt in der Europäischen Union schon vor dem Stichtag des 15. Mai 1997 eine nennenswerte menschliche Verzehrgeschichte aufweist, liegt primär beim Lebensmittelunternehmer. Denn die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stellt sich im Verwaltungsverfahren anders dar als im Zivilprozess (vgl. auch Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 186. EL, März 2023, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 40). Denn nunmehr ist gemäß Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 ausdrücklich festgelegt, dass der Lebensmittelunternehmer für die Prüfung verantwortlich ist, ob es sich bei einem Lebensmittel um ein neuartiges Produkt handelt (siehe Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl. 2019, § 14 Rn. 12), weil er auch die erforderlichen Informationen über die Verwendung eines Lebensmittels vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang zu liefern hat. Damit trägt der Lebensmittelunternehmer die Darlegungslast, dass das Produkt in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union als Lebensmittel in Verkehr war. Er trägt das Bewertungsrisiko (vgl. Streinz/Lamers in Streinz/Kraus, Lebensmittelrechtshandbuch, Werkstand: 44. EL November 2022, 2. Grundlage des Lebensmittelrechts Rn. 510 und 515). Auch wenn die Vollzugsbehörde nach allgemeinen Grundsätzen zur Amtsermittlung verpflichtet ist (Art. 24 BayVwVfG), verbleibt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat nicht neuartig ist, bei dem, der das Lebensmittel in den Verkehr bringen will (VG Freiburg, B.v. 14.12.2022 – 1 K 3219/22 – juris Rn. 31; VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 15; vgl. zur Beweislast auch schon VGH BW, B.v. 8.2.2021 – 9 S 3951/20 – juris Rn. 16; Nds.OVG, B.v. 12.12.2019 – 13 ME 220/19 – juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 12.5.2009 – 9 B 09.199 – juris Rn. 19 ff.; jeweils m.w.N.). Dem Untersuchungsgrundsatz gemäß Art. 24 BayVwVfG ist zudem seitens des Beklagten Genüge getan, wenn er sich mit den vorliegenden Erkenntnissen sowie den vorgebrachten Erwägungen der Klägerin wie hier ausführlich auseinandersetzt, zumal das Fehlen einschlägiger Quellen zum Verzehr bei neuartigen Lebensmitteln – anders als bei Lebensmitteln, die schon in Verwendung waren – in der Natur der Sache liegt.
28
Dem Vorbringen der Klägerin, aus Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2015/2283 ergebe sich lediglich eine Prüfpflicht, der die Klägerin durch die Vorlage diverser Sachverständigengutachten von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, die die Verkehrsfähigkeit der Produkte und die Nichtneuartigkeit bestätigten, Genüge getan habe, ist entgegenzuhalten, dass nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der VO (EU) 2015/2283 die Lebensmittelunternehmer dem Mitgliedstaat die erforderlichen Informationen zu liefern haben, damit festgestellt werden kann, ob ein Lebensmittel in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Hierzu gehören auch die Informationen über die Verwendung eines Lebensmittels zum menschlichen Verzehr in der Union vor dem 15. Mai 1997 (vgl. auch Erwägungsgrund 19 der VO (EU) 2015/2283). Lässt sich nach Auswertung der seitens des Lebensmittelunternehmers beigebrachten und der Behörde von Amts wegen bekannten oder bekannt gewordenen Informationen nicht feststellen, dass das betroffene Lebensmittel über eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union verfügt, wirkt dies zu Lasten des Lebensmittelunternehmers (VGH BW, B.v. 8.2.2021 – 9 S 3951/20 – juris Rn. 16).
29
Der Beklagte hat insbesondere mit Bezug auf den Befund/das Gutachten des ... vom 19. Dezember 2022 und die nachfolgenden Stellungnahmen des ... die Neuartigkeit des streitgegenständlichen Produkts dargelegt. Auf die aktenkundigen Stellungnahmen kann Bezug genommen werden. Denn im Lebensmittelrecht ist es zulässig und üblich, sich auf Gutachten der jeweiligen Fachstelle zu stützen. Es ist nicht nur möglich, sich auf die Fachgutachten zu stützen, sondern dies ist ausdrücklich vorgesehen. Das ... ist die zentrale Fachbehörde des Freistaats Bayern für Lebensmittelsicherheit, Gesundheit, Veterinärwesen sowie Arbeitsschutz und Produktsicherheit (vgl. Art. 4 GVVG i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 2 GesVSV) sowie Laboratorium im Sinne des Art. 37 VO (EU) 2017/625. Das in Bayern für Lebensmittelkontrollen zuständige ... beschäftigt unter anderem Ärzte, Tierärzte, Lebensmittelchemiker, Apotheker, Juristen und Fachkontrolleure. Das ... führt primär wissenschaftliche Untersuchungen durch und erstattet für die Kreisverwaltungsbehörden Gutachten (vgl. Streinz/Lamers in Streinz/Kraus, Lebensmittelrechts-Handbuch, Werkstand 45. EL Juli 2023; IV. Aufbau, Vollzug und Praxis, Lebensmittelüberwachung, Rn. 32). Die Landesuntersuchungsämter unterstützen dabei nicht nur die lokale Lebensmittelüberwachung vor Ort. Sie untersuchen die vorgelegten Proben und Gutachten, die ihnen von den lokalen Behörden unterbreiteten Sachverhalte sowohl rechtlich als auch tatsächlich, z.B. durch analytische Untersuchungen oder Prüfung der ordnungsgemäßen Kennzeichnung (vgl. schon VG Würzburg, B.v. 16.12.2020 – W 8 S 20.1841 – juris Rn. 37 mit Bezug auf Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl., § 6 Rn. 44). Den Äußerungen des ... als kraft Gesetzes eingesetzter zentraler Fachstelle kommt – unter Berücksichtigung weiterer, gegebenenfalls auch gegenteiliger sachverständiger Stellungnahmen (wie von Klägerseite vorgelegt) – besonderes Gewicht zu.
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Die beweisbelastete Klägerin hat vorliegend nicht den Nachweis geführt, dass das von ihr konkret vertriebene Produkt, gerade mit dem Stoff Maquibeeren-Extrakt, bereits vor dem 15. Mai 1997 im nennenswerten Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist.
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Ein Lebensmittel ist neuartig, wenn es vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde und in mindestens eine der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nrn. i) bis x) VO (EU) 2015/2283 genannten Kategorien fällt. Nach dem Gutachten des ... vom 19. Dezember 2022 – vertiefend erläutert in den nachfolgenden Stellungnahmen vom 14. Februar 2023 und vom 25. Mai 2023 – ist davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Produkt einen Maquibeeren-Extrakt mit einem Anteil vom 60 mg aufweist, der 60% Anthocyanen enthält und als solcher nicht vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr als Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat Verwendung gefunden hat. Das Produkt gehört damit der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) Nr. 2015/2283 genannten Kategorie an. Diese Kategorie erfasst Lebensmittel, die aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert wurden, ausgenommen Fälle, in denen das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union hat und das Lebensmittel aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart besteht oder daraus isoliert oder erzeugt wurde, die ihrerseits gewonnen wurde mithilfe von Vermehrungsverfahren, die im Einzelnen genannte Anforderungen erfüllen.
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Art. 3 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283 enthält eine eigenständige Definition für den Begriff neuartige Lebensmittel, die verbindlich ist. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EU) 2015/2283 enthält zwei Voraussetzungen: Das betreffende Erzeugnis muss erstens vor dem 15. Mai 1997 unabhängig von dem Zeitpunkt der beitretenden Mitgliedstaaten zur Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sein und zweitens muss es in mindestens in einer der Kategorien der Nrn. i) bis x) der Vorschrift einzuordnen sein. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Die relevanten und zu berücksichtigenden Umstände müssen sich auf das Lebensmittel selbst beziehen und nicht auf ein ähnliches oder vergleichbares Lebensmittel. Denn selbst gering erscheinende Abweichungen könnten ernstzunehmende Folgen haben. Die Betrachtung hat sich auf das Lebensmittel bzw. diejenige Lebensmittelzutat zu beziehen, deren Neuartigkeit konkret in Rede steht. Abzustellen ist damit auf das konkrete streitgegenständliche Erzeugnis. Dabei machen neue Rezepturen oder Formen der Verarbeitung für sich aus einem nicht neuartigen Lebensmittel nicht ein neuartiges Lebensmittel, soweit und solange das Ausgangslebensmittel in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt. Bei Pflanzenextrakten kann die Abgrenzung schwierig sein. Entscheidend ist in solchen Fällen, inwieweit der Extrakt die wesentlichen Eigenschaften des Ausgangslebensmittels besitzt und welche Auswirkungen Veränderungen auf den Verzehr des Lebensmittels haben. Es ist mithin ein Vergleich zwischen dem Ausgangsmaterial auf der einen Seite und dem Extrakt auf der anderen Seite vorzunehmen, wobei insbesondere die Aufnahme der Extraktbestandteile zu bewerten ist. Das konkrete Lebensmittel muss eine Verwendungsgeschichte vor dem 15. Mai 1997 aufweisen. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 nimmt hinsichtlich der eingesetzten Pflanzengattung, Pflanzenart und Pflanzensorte keine Eingrenzung vor. Im Ausgangspunkt ist vielmehr jedes aus einer Pflanze bestehende oder gewonnene Lebensmittel potentiell neuartig. Relevant ist dies insbesondere für verarbeitete Pflanzenerzeugnisse, wie Extrakte und Konzentrate. Neuartig sind Stoffe aus Pflanzen oder Pflanzenteilen, die in Bezug auf einen in der Pflanze enthaltenen Stoff zu einem hohen Grad aufgereinigt wurden. Der Umstand, dass das Lebensmittel eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union haben muss, führt dabei zwangsläufig zu dem Schluss, dass dieses nicht mit dem Lebensmittel identisch sein kann, dessen Neuartigkeit konkret in Rede steht. Der Verordnungsgeber der VO (EU) 2015/2283 nimmt nicht die konkrete Lebensmittelzutat in Bezug, sondern das Erzeugnis im Ganzen. Mit Blick auf den Ausnahmetatbestand des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 ist also zu fragen, ob das Lebensmittel, das aus einer Pflanze und ihren Teilen besteht bzw. einen hieraus gewonnenen Bestandteil enthält, eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel hat (Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 186. EL, März 2023, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 3 f., 12 ff., 32, 33, 35, 79, 85, 91). Bei der Beurteilung ist die Frage zu prüfen, ob gewisse Varietäten von herkömmlichen Lebensmitteln als neuartig einzustufen sind. Die Frage stellt sich auch bei der Verarbeitung von herkömmlichen Lebensmitteln, so z.B. bei Extrakten aus Pflanzen, die ihrerseits vor dem Stichtag in nennenswertem Umfang verzehrt wurden. Dabei ist auf eine „Nämlichkeit“ bzw. zumindest „hohe Ähnlichkeit“ unter Erhaltung der wesentlichen Eigenschaften des Ausgangslebensmittels abzustellen. Die Vermarktung eines hoch angereicherten Extrakts aus herkömmlichen Lebensmitteln ist als neuartig anzusehen, wenn dieser Extrakt nicht bereits vor dem Stichtag in nennenswerten Umfang eine Vermarktungsgeschichte hatte. Von der Ausnahme des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 sind auch – aber auch nur – „nahe Verwandte“ des betreffenden Lebensmittels erfasst (Meisterernst, Lebensmittelrecht, 1. Aufl. 2019, § 14 Rn. 10 und 20; Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand: 186. EL, März 2023, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 34).
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Die Neuartigkeit eines Lebensmittels muss anhand aller Merkmale dieses Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs beurteilt werden (vgl. EuGH, U.v. 15.1.2009 – C-383/07 – juris Rn. 26 f.). Für die Frage der Neuartigkeit eines Lebensmittels kommt es nicht auf den Ausgangsstoff, sondern auf das daraus erzeugte zu beurteilende Produkt an (VG Düsseldorf, U.v. 17.7.2012 – 16 K 4137/11 – juris Rn. 17). Der Umstand allein, dass alle Zutaten, aus denen ein Lebensmittel besteht, in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr in der Gemeinschaft verwendet worden sein mögen, reicht hierbei nicht dafür aus, das Lebensmittel-Enderzeugnis nicht als neuartiges Lebensmittel im Sinne der Novel-Food-Verordnung anzusehen, da nicht ausgeschlossen ist, dass der Herstellungsvorgang in der Struktur eines Lebensmittels zu physikalischen, chemischen oder biologischen Änderungen der verwendeten Zutaten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Gesundheit führen kann (EuGH U.v. 15.1.2009 – C-383/07 – juris Rn. 27). Auch kommt es nicht darauf an, ob ein nennenswerter Verzehr der Pflanze oder von Produkten, die die Pflanze enthalten, erfolgt ist (BGH, U.v. 16.4.2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 26). Die Neuartigkeit ist somit produktbezogen zu prüfen. Geboten ist eine wertende produktorientierte Entscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände, Merkmale der Lebensmittel und der Herstellungsverfahren. Maßgeblich sind qualitative und quantitative Kriterien. Es kommt auf das Endprodukt an. Bei einem Extrakt aus einer Pflanze ist unerheblich, ob bei der Pflanze selbst bereits ein Verzehr in nennenswertem Umfang erfolgt ist (Streinz/Lamers in Streinz/Kraus, Lebensmittelrecht-Handbuch, Werkstand 44. EL November 2022, II. Grundlagen des Lebensmittelrechts Rn. 510 mit Bezug auf VG Würzburg, B.v. 27.7.2018 – W 8 S 18.904 – juris Rn. 48). Entscheidungserheblich ist allein, ob das hier relevante Endprodukt die Merkmale eines neuartigen Lebensmittels erfüllt (VG Potsdam, B.v. 11.7.2022 – 6 L 831/20 – juris Rn. 86 f.; VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 18 f.; LG Düsseldorf, U.v. 10.6.2022 – 38 O 46/20 – juris Rn. 28; VG Bayreuth, B.v. 11.4.2022 – B 7 S 22.244 – juris Rn. 73; VG Trier, U.v. 11.3.2022 – 6 K 3630/21.TR – juris Rn. 25 f.; VG Mainz, B.v. 23.3.2021 – 1 L 85/21.MZ – juris Rn. 63. Kritisch Meyer/Ciric, ZLR 2022, 686, wonach zum einen im Rahmen der Nr. iv) der Herstellungsvorgang nicht zu berücksichtigen ist und zum andern auf den einzelnen Stoff abzustellen ist; siehe dazu aber auch den Hinweis auf einen möglichen Interessenkonflikt des einen Autors gemäß der Sternchenfußnote; vgl. auch VG Hannover, B.v. 18.11.2019 – 15 B 3035/19 – juris Rn. 24; VG Cottbus, B.v. 8.1.2020 – 3 L 230/19 – juris Rn. 18, 25).
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Eine gewisse Indizwirkung für die Annahme eines neuartigen Lebensmittels kommt dem sogenannten Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission zu, auch wenn dieser als solcher keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet (BGH, U.v. 16.4.2015 – I ZR 27/14 – juris Rn. 33; VG Hannover, B.v. 18.11.2019 – 15 B 3035/19 – juris Rn. 26; VG München, B.v. 6.10.2021 – M 26a S 21.4118 – juris Rn. 45; Ballke in Sosnitza/Meisterernst [vormals Zipfel/Rathke], Lebensmittelrecht, Werkstand 185. EL Dezember 2022, Art. 3 Novel-Food-VO Rn. 42). In die Einträge des Katalogs, der von einer Arbeitsgruppe der Europäischen Gemeinschaft als Orientierungshilfe im Hinblick auf die VO (EG) Nr. 258/97 erarbeitet wurde, fließen die Erkenntnisse der Europäischen Kommission sowie der für neuartige Lebensmittel zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten ein. Nach Art. 6 Abs. 1 der VO (EU) 2015/2283 ist die Europäische Kommission verpflichtet, den Katalog auf dem neuesten Stand zu halten (VG Cottbus, B.v. 8.1.2020 – 3 L 230/19 – juris Rn. 19). Nach aktuellem Eintrag im Novel-Food-Katalog gelten Maqui-Beeren (schwarze Rundbeere) in Nahrungsergänzungsmitteln nicht als neuartig.
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Das streitgegenständliche Produkt Maqui-Augen-Kapseln für Menschen ist wegen des dort enthaltenen Stoffes Maquibeeren-Extrakt mit einem Gehalt an Anthocyanen von 36 mg (21 mg plus 15 mg) pro 60 mg, und damit 60%, als neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 zu klassifizieren. Das Produkt, das Maquibeeren-Extrakt, wurde vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet.
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Gegenteilige Anhaltspunkte für eine Bewertung des streitgegenständlichen Produkts als nicht neuartig im Sinne der Novel-Food-Verordnung bestehen auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Ausführungen der Klägerin nicht. Die Klägerin konnte insbesondere nicht nachweisen, dass das konkrete Produkt, speziell mit Blick auf das streitgegenständliche Maquibeeren-Extrakt, nicht neu ist.
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Soweit die Klägerin behauptet, es seien im Produkt nur 35% Anthocyanin enthalten und nicht 60% ist ihre Berechnung unter Ausklammerung der 25% Delphinidin (15 mg) entgegen der auf dem streitgegenständlichen Produkt angegeben Werte nicht nachvollziehbar. Aber selbst wenn der Anthocyangehalt des Maquibeere-Extrakts nur 35% statt 60% betrüge, läge der Anthocyangehalt immer noch deutlich über dem natürlichen Anthocyangehalt der Maquibeere und würde an der Einstufung als neuartig nichts ändern. Da es vorliegend auf die Bewertung des konkreten Produkts ankommt, ist nicht entscheidungserheblich, ab welchem Prozentsatz nicht mehr von einer Neuartigkeit auszugehen wäre.
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Soweit die Klägerin dem ... weiter vorwirft, es habe sich auf die Kennzeichnung des Produkts bezogen, ohne überhaupt den tatsächlich in dem Produkt enthaltenen Anthocyan-Gehalt zu irgendeinem Zeitpunkt selbst bestimmt zu haben, ist ihr entgegenzuhalten, dass das ... von den ausdrücklichen Angaben der Klägerin ausgehen konnte, zumal diese selbst keinerlei Beleg dafür vorgelegt hat, dass das Maquibeeren-Extrakt und konkret der Anteil der betreffenden Anthocyane im streitgegenständlichen Produkt – entgegen ihrer eigenen Angaben auf dem Produkt – geringer sein sollte. Zudem hat das ... in seiner Stellungnahme vom 25. Mai 2023 nachvollziehbar dargelegt, dass der klägerische Vortrag, jedes Delphinidin sei ein Anthocyanin, aber nicht jeder Anthocyanin sein ein Delphinidin, unzutreffend ist, und plausibel angemerkt: Der Anthocyangehalt des Maquibeeren-Extrakts auch in Abgrenzung zum Anthocyangehalt des im Produkt ebenfalls enthaltenen Traubenextrakts sei mangels geeigneter validierter und akkreditierter Verfahren nicht analytisch zu verifizieren gewesen, da es sich gerade um einen neuartigen Stoff handele, für den entsprechende Verfahren nicht zur Verfügung stünden. Abgesehen davon spreche die intensive schwarz-blaue Farbe des Kapselinhalts für einen hohen Anthocyangehalt. Die Klägerin behaupte selbst nicht, dass sie wissentlich und vorsätzlich deutlich höhere Anthocyangehalte ihrer Produkte in der Kennzeichnung auslobe, als tatsächlich darin enthalten seien. Das ... führte zudem plausibel aus, dass es an der Methode fehle, die in der Lage sei, nicht nur die Summe der Anthocyane zu ermitteln, sondern einzelne Anthocyane anhand ihrer jeweiligen Quelle (Maquibeerenextrakt bzw. Traubenextrakt) zu unterscheiden.
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Die von Klägerin angeführte Rechtsprechung des BGH, nach der nicht allein aufgrund von Werbeangaben der Beklagten eine pharmakologische Wirkung des Produkts angenommen werden könne (BGH, U.v. 8.1.2015 – I ZR 141/13), bezieht sich auf Arzneimittel und deren pharmakologische Wirkung, aber nicht auf angegebene Gehalte bestimmter Extrakte in Lebensmitteln. Die Klägerin muss sich im Rahmen der Beurteilung der Neuartigkeit eines Lebensmittels an dem auf ihrem Produkt angegebenen Anthocyangehalt festhalten lassen.
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Der weitere Vortrag der Klägerin, die in dem Produkt enthaltene Menge von 21 mg Anthocyanen könne bereits mit lediglich 0,9 g Pulver oder 1,4 g frischen Früchten der Maquibeere zugeführt werden, so dass eine dramatisch hohe Anreicherung, die Gesundheitsrisiken begründen könnte, nicht ersichtlich sei, ist hier nicht entscheidungserheblich. Ein Gesundheitsrisiko ist keine Voraussetzung für die Neuartigkeit eines Lebensmittels.
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Soweit die Klägerin auf den Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission verweist mit dem Status „FS“, der bedeutet, dass das betroffene Produkt nur als oder in Nahrungsergänzungsmitteln vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist, bezieht sich dieser Eintrag auf die Pflanze Aristotelia chilensis und nicht auf den streitgegenständlichen Maquibeerenextrakt. Insoweit kann die Indizwirkung der Liste nur so weit gehen, als sie ein konkretes Produkt betrifft. Die Aussagekraft der Liste beschränkt sich auf den konkreten Eintrag und erfasst nicht gleichsam alle Nahrungsergänzungsmittel, in denen Aristotelia chilensis zu finden ist. Wie schon ausgeführt, ist auf das Endprodukt und auf das konkrete Erzeugnis abzustellen.
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Der Maquibeerenextrakt mit dem hohen Anteil an Anthocyanen ist ein Erzeugnis eigener Art, also ein Aliud im Vergleich zu den im Novel-Food-Katalog der EU aufgeführten Maquibeeren. Der Bedeutungsgehalt der Einstufung einer Pflanze als „FS“, d.h. als nicht neuartig in Nahrungsergänzungsmitteln im Novel-Food-Katalog der EU, beschränkt sich darauf, dass der jeweilige Stoff nur in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden darf. Die Einstufung der Maquibeere als „FS“ bedeutet aber nicht, dass damit automatisch auch sämtliche Extrakte aus dieser Pflanze in Nahrungsergänzungsmitteln ohne weiteres verwendet werden dürfen, sondern bezieht sich nur auf die konkrete Ausgangspflanze. Dass auch der streitgegenständliche Maquibeerenextrakt nicht neuartig wäre, lässt sich dem Eintrag nicht entnehmen und stünde auch nicht in Einklang mit den Vorgaben, dass auf das konkrete Endprodukt abzustellen ist. Dass die Maquibeere bzw. Maquibeerenpulver in Nahrungsmitteln eingesetzt wurden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, dass auch Maquibeerenextrakte in der streitgegenständlichen Dosierung schon in der Vergangenheit bzw. vor dem 15. Mai 1997 in Nahrungsmitteln eingesetzt waren und eine Verzehrgeschichte aufweisen. Einträge als FS-Einträge, bezogen auf eine Beere bzw. Konzentrate davon, sind gerade nicht identisch mit Extrakten daraus. Nahrungsergänzungsmittel, die nicht extrahierte Pflanzenteile enthalten, etwa Pulver, sind etwas Anderes als spezielle Extrakte. Vielmehr ist bei Pflanzen und Pflanzenteilen sowie den Extrakten daraus separat zu prüfen, ob hierfür eine nennenswerte Verzehrgeschichte als Lebensmittel besteht. Der FS-Eintrag im Novel-Food-Katalog der EU bezieht sich ausschließlich auf die Maquibeeren als solche und nicht gleichsam auch auf alle erdenklichen Extrakte daraus. Dass (bestimmte) Extrakte nicht ausdrücklich vom Eintrag ausgenommen bzw. als neuartig eingestuft wurden, wie dies z.B. im Eintrag zu „Cannabinoids“ und „Griffonia symplicifolia“ erfolgt ist, ändert daran nichts. Streitgegenständlich ist ein Extrakt, dessen Gehalt an Anthocyanen das Vielfache – laut ... mit einem Verhältnis von 283 : 1 – der natürlichen Vorkommnisse als Konzentration beträgt.
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Die von der Klägerseite zitierte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 11. Mai 2023 – 20 CE 23.626 (- juris), wonach der Eintrag mit dem Status „FS“ ein Indiz für die fehlende Neuartigkeit darstellt, steht dem nicht entgegen. Denn vielmehr ist in diesem Beschluss, der das konkrete Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“ zum Gegenstand hat, in den weiteren Ausführungen von einer „(bislang ungeklärte[n]) Novel-Food-Eigenschaft“ (Rn. 17) dieses Produkts die Rede.
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Auch das Vorbringen der Klägerin unter Verweis auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 NemV, die Kategorie des Nahrungsergänzungsmittels setze zwingend voraus, dass eine deutlich höhere Konzentration von Inhaltsstoffen in dem Produkt enthalten ist als in dem Ausgangslebensmittel, hier der Maquibeere als solcher, führt zu keinem anderen Ergebnis. Das ... hat in der mündlichen Verhandlung am 10. November 2023 nachvollziehbar erläutert, dass ein Konzentrat auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann, z.B. in Form getrockneter Beeren oder Pulver, ohne dass hierdurch die Zusammensetzung wesentlich geändert würde. Die Verwendungsgeschichte müsse daher nicht notwendigerweise als Extrakt begründet sein. Im Vergleich zur natürlichen Konzentration der Maquibeere stelle ein – als wirkbestimmend einzustufender – Anthocyangehalt von 60% eine signifikante Veränderung zum Ausgangsprodukt dar. Im Übrigen erfolgt nach der Stellungnahme des ... vom 25. Mai 2023 bei der Herstellung des streitgegenständlichen Extrakts nicht nur eine Anreicherung von einzelnen Stoffen, sondern auch eine chemische Veränderung der aus den Maquibeeren extrahierten Bestandteile durch einen Hydrolyseprozess. Eine zumindest hohe Ähnlichkeit zum Ausgangslebensmittel unter Erhaltung dessen wesentlicher Eigenschaften kann vorliegend demnach nicht bejaht werden.
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Soweit die Klägerin auf Erwägungsgrund 17 der Novel-Food-Verordnung verweist, wird darauf hingewiesen, dass sich dieser auf aus nicht neuartigen Zutaten hergestellte Lebensmittel bezieht, hier aber die Neuartigkeit des Maquibeerenextrakts gerade streitig ist.
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Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Positivliste aus Italien, da sich der dortige Eintrag ebenfalls nur auf die Früchte der Pflanze Aristotelia chilensis, also die Maquibeeren, bezieht und nicht auf sämtliche Extrakte aus den Beeren. Vielmehr befindet sich laut ... auf der Internetseite des Italienischen Gesundheitsministeriums ein entsprechender Hinweis, dass bei Extrakten aus den in der Liste aufgeführten Pflanzen und Pflanzenteilen separat zu prüfen ist, ob diese gegebenenfalls neuartige Lebensmittel darstellen. Die italienische Liste gilt nur für die in der Liste aufgeführten Pflanzen/Pflanzenteile und/oder deren Derivate (z.B. Extrakte oder andere Zubereitungen) mit einer signifikanten Verzehrgeschichte als Lebensmittel vor Mai 1997. Es bleibt aber nach den ausdrücklichen Angaben auf der italienischen Internetseite dabei, dass Substanzen, Präparate und Extrakte, die aus den aufgelisteten Pflanzen gewonnen werden, aber nicht die erwähnte Verzehrgeschichte aufweisen, neuartige Lebensmittel im Sinne der VO (EU) 2015/2283 sind und daher nicht ohne vorherige Zulassung verwendet werden dürfen. Auch insoweit ist festzuhalten, dass die in der Positivliste erwähnten Maquibeeren nicht identisch mit dem streitgegenständlichen Extrakt, sondern vielmehr davon zu unterscheiden sind, sodass der Positivliste insoweit kein Beweiswert zukommen kann (vgl. allgemein auch VG Bayreuth, GB v. 28.11.2022 – B 7 K 22.245 – juris Rn. 90; siehe auch VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 21 m.w.N.). Zudem ist es nach der Systematik der Novel-Food-Regelung unbeachtlich, wenn ein bestimmtes Lebensmittel in einem anderen EU-Staat tatsächlich in Verkehr wäre, weil entscheidungserheblich für die Frage der Neuartigkeit ausschließlich der Nachweis einer nennenswerten Verzehrgeschichte in diesem Mitgliedstaat vor 15. Mai 1997 wäre. Aus der Liste Italiens ergibt sich gerade nicht, dass Extrakte aus Maquibeeren diese Verzehrgeschichte aufweisen.
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Schließlich ergibt sich auch aus der vorgelegten Verkehrsfähigkeitsbescheinigung nichts Stichhaltiges für die fehlende Neuartigkeit des streitgegenständlichen Extraktes, geschweige denn belastbare Nachweise (vgl. auch VGH BW, B.v. 22.6.2022 – 9 S 1003/22 – juris Rn. 32). Die fehlende Novel-Food-Eigenschaft kann nicht allein durch eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung bestimmt werden.
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Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen für die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 geregelte Ausnahme von der Neuartigkeit nicht vor.
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Laut den Ausführungen des ... in seiner Stellungnahme vom 25. Mai 2023 handelt es sich bei der Durchführung eines Extraktionsverfahrens mit den bereits geernteten Früchten schon nicht um ein Vermehrungsverfahren, da dieses nicht darauf ausgerichtet sei, aus den Früchten weitere Pflanzen aufzuziehen. Auch der Bevollmächtigte der Klägerin spricht im Schriftsatz vom 6. November 2023 von einem (nicht neuartigen) Herstellungsverfahren. Folglich sind die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 geregelten Ausnahmen von der Einstufung als „neuartiges Lebensmittel“ nicht erfüllt. Auf die Unterscheidung herkömmliches (1. Spiegelstrich) bzw. nicht herkömmliches Vermehrungsverfahren, welches keine bedeutenden Veränderungen der Zusammensetzung oder Struktur des Lebensmittels bewirkt (2. Spiegelstrich), kommt es insofern nicht an.
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Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Sicherheit des streitgegenständlichen Produkts durch Daten über seine Zusammensetzung und durch Erfahrungen mit seiner fortgesetzten Verwendung über mindestens 25 Jahre hinweg als Bestandteil der üblichen Ernährung einer signifikanten Anzahl an Personen in mindestens einem Unionsland belegt worden wäre, so dass auch die Voraussetzung der Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Nr. iv) VO (EU) 2015/2283 (vgl. zu dieser Anforderung EuGH, U.v. 25.5.2023 – C-141/22 – LmuR 2023, 372 Rn. 23) nicht gegeben ist.
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Nach alledem handelt es sich bei dem konkret streitgegenständlichen Produkt „Maqui-Augen-Kapseln für Menschen“, das ein Maquibeeren-Extrakt mit einem Anteil von 60% Anthocyanen enthält, um ein neuartiges Lebensmittel, das jedoch noch nicht zugelassen und als solches nicht in der Unionsliste aufgeführt ist. Folglich besteht auch ein Verbot, dieses als solches in den Verkehr zu bringen und als Lebensmittel zu verwenden (Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 2015/2283).
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Die Eingriffsvoraussetzungen nach Art. 138 Abs. 1 lit. b) der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 liegen somit hier vor, denn das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Produkts verstößt, wie vorstehend erörtert, gegen die VO (EU) 2015/2283. Nach der Feststellung dieses Verstoßes war die zuständige Behörde unionsrechtlich zum Einschreiten verpflichtet (vgl. VG Würzburg, U.v. 13.7.2020 – W 8 K 20.164 – juris Rn. 42; B.v. 27.7.2018 – W 8 S 18.904 – juris Rn. 51 sowie VG München, B.v. 6.10.2021 – M 26a S 21.4118 – juris Rn. 64).
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Die hier erfolgte Untersagung des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Produkts sowie die Anordnung der Information der Wiederverkäufer und der Vorlage eines Nachweises darüber, einer Liste aller mit dem Produkt belieferten Wiederverkäufer und einer Übersicht über den aktuellen Warenbestand gehören dabei zu den nach Art. 138 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2017/625 zulässigen Maßnahmen, die mit der Neuartigkeit des Produkts und dessen fehlender Zulassung als neuartiges Produkt begründet sind. Ein nachweisbares Gesundheitsrisiko ist für die bloße Information der Wiederverkäufer, die selbst nicht Adressaten des streitgegenständlichen Bescheids sind, im Gegensatz zu einem Rückruf bzw. einer Rücknahme nach Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 nicht Voraussetzung.
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Die Anordnungen waren und sind auch erforderlich und geeignet, um sicherzustellen, dass der von der Klägerin begangene Verstoß gegen das Lebensmittelrecht beendet wird. Insbesondere in Ansehung des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 der VO (EU) 2015/2283 ist ein gleich geeignetes, milderes Mittel nicht erkennbar. Die Maßnahmen sind auch in Ansehung der wirtschaftlichen Bedeutung für die Klägerin verhältnismäßig. Insbesondere ist die angeordnete Information der Wiederverkäufer ein geeignetes Mittel, der Behörde die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Produkt durch Wiederverkäufer weiterhin in Verkehr gebracht wird, und gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu treffen, und im Vergleich zu einem auch die Verbraucher unmittelbar unterrichtenden Rückruf bzw. zu einer Rücknahme das mildere Mittel.
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Nachdem die streitgegenständlichen Anordnungen infolge der Neuartigkeit des Produkts rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzten, kann hier folglich dahinstehen, ob die weiteren im streitgegenständlichen Bescheid aufgezeigten Mängel in der Produktkennzeichnung – Aufweisen eines abweichenden Vitamin-A-Gehalts, Verwendung verbotener gesundheitsbezogener Angaben und einer zu geringen Schriftgröße auf dem Etikett, fehlende Angaben zur Kategorie von Nährstoffen – tatsächlich vorliegen und die im Bescheid angeordneten Maßnahmen für sich rechtfertigen würden oder insoweit wegen des möglichen Vorliegens eines milderen Mittel wie z.B. die Umetikettierung ermessensfehlerhaft wären.
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Schließlich sind auch die mit den einzelnen Maßnahmen getroffenen Zwangsmittelandrohungen sowie die Tragung der Bescheidskosten nicht zu beanstanden. Insoweit sind Einwände weder von Klägerseite vorgebracht, noch besteht sonst Anlass zu rechtlichen Bedenken. Infolgedessen kann insoweit auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.