Titel:
Erfolgloser Eilantrag eines ägyptischen Staatsangehörigen gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen
Normenketten:
VwGO § 123, § 155 Abs. 4
AufenthG § 60a
Leitsatz:
Die Antragsgegnerin hat versichert, aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien nicht beabsichtigt, sodass derzeit kein Anordnungsgrund besteht. Dass dem Antragsteller im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ein weiteres Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wäre, ist damit nicht glaubhaft gemacht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilverfahren, Aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Duldung, Kosten, Grenzübertrittsbescheinigung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht beabsichtigt, Ausländerrecht, ägyptische Staatsangehörigkeit, kein Anordnungsgrund
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37683
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe
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1. Der am … … 1986 geborene Antragsteller ist ägyptischer Staatsangehöriger. Am 29. Januar 2021 ließ er vor dem Verwaltungsgericht Würzburg Klage auf Erteilung einer Duldung zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinem Kind erheben, die beide deutsche Staatsangehörige sind (Az. W 7 K 21.135). Am 22. Juni 2022 beschloss das Verwaltungsgericht Würzburg die Beweiserhebung über diverse Fragen, die mögliche Trennungszeiten bei Nachholung des Visumsverfahrens in Ägypten betreffen. Der Antragsteller hatte zuvor erläutert, ihm drohe dort aufgrund des nicht abgeleisteten Wehrdiensts ein Strafverfahren. Es wurde eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt. Mit Beschluss vom 9. Juni 2023 setzte das Verwaltungsgericht Würzburg das Verfahren bis zum Eingang dieser Auskunft aus.
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Am 19. Juli 2023 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers eine vorläufige Duldung bis zur Entscheidung im Klageverfahren. Die Antragsgegnerin erklärte daraufhin, eine Grenzübertrittsbescheinigung ausstellen zu können, bis über die Duldung entschieden sei. Der Antragsteller holte die Grenzübertrittsbescheinigung am 28. Juli 2023 ab. Auf dieser war eine Frist zur Ausreise bis zum 25. August 2023 vermerkt.
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Am 15. September 2023 forderte der Antragstellerbevollmächtigte die Antragsgegnerin auf, zu erklären, dass keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt seien. Er setzte eine Frist zur Beantwortung bis zum 21. September 2023.
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Mit Schreiben vom 20. September 2023 teilte die Antragsgegnerin dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit, über den Anspruch auf Duldungserteilung könne erst nach Prognose der Trennungszeiten anhand der Auskunft des Auswärtigen Amtes im Klageverfahren entschieden werden. Bis dahin könne keine Duldung erteilt werden. Angesichts der bisherigen Verfahrensdauer falle die zusätzliche Wartezeit auch nicht weiter ins Gewicht. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 5. Oktober 2023 gegeben. Das Empfangsbekenntnis des Bevollmächtigten des Antragstellers wurde am 26. September 2023 abgegeben.
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2. Mit Schriftsatz vom 25. September 2023, bei Gericht am selben Tag eingegangen, ließ der Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens jegliche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen und ihm eine entsprechende Bescheinigung auszustellen.
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Zugleich ließ der Antragsteller einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung stellen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Antragsteller besitze nach wie vor keinen Ausweis. Bei Ausgabe der Grenzübertrittsbescheinigung habe man ihm mitgeteilt, dass er bis zu deren Ablauf das Bundesgebiet verlassen müsse. Er müsse jederzeit damit rechnen, abgeschoben zu werden.
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3. Die Antragsgegnerin beantragt,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, der Entscheidung über die Hauptsache im Verfahren W 7 K 21.135 dürfe nicht vorgegriffen werden. Das Schreiben vom 20. September 2023 zur geplanten Ablehnung der Duldung habe sie noch am selben Tag zur Post gegeben. Der Bevollmächtigte des Antragstellers habe das auf den 26. September 2023 lautende Empfangsbekenntnis erst am 28. September 2023 auf telefonische Rückfrage zurückgesendet. Aufgrund des Gesamtbilds zweifle die Antragsgegnerin daran, dass die lange Postlaufzeit der Realität entspreche. Ohnehin sei die Frist bis zum 21. September viel zu kurz bemessen und die Nachricht fälschlich an das Behördenpostfach des Amtes für öffentliche Ordnung gesendet worden. Dem Antragsteller sei außerdem bei Ausgabe der Grenzübertrittsbescheinigung nicht mitgeteilt worden, er müsse nach deren Ablauf ausreisen. Diese Behauptung sei nicht wahr. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien nicht beabsichtigt.
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4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch in den Verfahren W 7 K 21.135 und W 7 E 21.136, sowie auf die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag nach § 123 VwGO hat keinen Erfolg.
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1. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand (nur) treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, nach § 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen.
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Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedenfalls kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Allein eine zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung (noch) bestehende Dringlichkeit rechtfertigt es, eine sofortige Regelung zu treffen oder zu bestätigen (OVG NW, B.v. 9.2.2011 – 1 B 1130/10 – juris Rn. 7 m.w.N.).
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In ihrer Erwiderung vom 10. Oktober 2023 hat die Antragsgegnerin versichert, aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien nicht beabsichtigt, sodass derzeit kein Anordnungsgrund besteht. Dass dem Antragsteller im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ein weiteres Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar wäre, ist damit nicht glaubhaft gemacht.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Es liegt kein Fall des § 155 Abs. 4 VwGO vor, in dem eine Kostentragung der Antragsgegnerin in Betracht käme. Zwar hat diese in der am 28. Juli 2023 abgeholten Grenzübertrittsbescheinigung eine Ausreisefrist bis zum 25. August 2023 festgesetzt, die letztlich Auslöser des Antrags im Eilverfahren war. Es ist aus Sicht des Gerichts auch unklar, welchen Zweck die Antragsgegnerin mit dieser Bescheinigung verfolgte und welchen Interessen des Antragstellers sie gedient haben könnte.
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Auch auf dieser Grundlage durfte der anwaltlich vertretene Antragsteller aber nicht zu der Überzeugung gelangen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen unmittelbar bevorstanden und sich somit zur Antragstellung veranlasst sehen. Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass dem Antragsteller bei Übergabe der Grenzübertrittsbescheinigung tatsächlich gesagt wurde, er müsse bis zum 25. August 2023 das Bundesgebiet verlassen, was die Antragsgegnerin bestreitet.
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Wie sich aus den Schreiben der Antragsgegnerin klar ergibt, sollte die Grenzübertrittsbescheinigung nur eine Zwischenlösung bis zur Entscheidung über den neuerlichen Antrag auf Duldung sein. Diese Entscheidung stand im Zeitpunkt der Antragstellung weiterhin aus. Auch eine Abschiebungsandrohung, innerhalb deren Frist eine Reaktion veranlasst sein könnte, ist nicht ergangen. Warum der Antragsteller sich drei Wochen nach dem 25. August 2023 veranlasst sah, im Schreiben vom 15. September 2023 eine Frist von nicht einmal einer Woche zu setzen und sodann nach zehn Tagen, am 25. September 2023, einen Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu stellen, einen Tag bevor ihm das Antwortschreiben der Antragsgegnerin laut Empfangsbekenntnis zuging, erschließt sich nicht. Besondere Umstände, die eine derart eng bemessene Frist rechtfertigen könnten, sind insbesondere angesichts der nicht ergangenen Abschiebungsandrohung nicht ersichtlich. Nach alledem handelt es hier nicht um einen besonderen Fall, der eine Kostenpflicht der Antragsgegnerin auslösen könnte.
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3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Stand 2013.
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4. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist ebenfalls abzulehnen, § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO. Der Antrag hat auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife bei summarischer Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ein Anordnungsgrund lag zum maßgeblichen Zeitpunkt des 25. September 2023 nicht vor, obwohl das Antwortschreiben der Antragsgegnerin laut Empfangsbekenntnis erst am 26. September 2023 zuging. Denn unmittelbar bevorstehende aufenthaltsbeendende Maßnahmen waren auch vor dem Zugang des Schreibens vom 20. September 2023 nicht zu befürchten. Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.