Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 04.12.2023 – W 4 S 23.1402
Titel:

Erfolgloser Eilantrag neben Nutzungsuntersagung nebst Vollstreckungsmaßnahmen

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 5
BayBO Art. 76 S. 2
BayVwZVG Art. 34, Art. 35
Leitsätze:
1. Der Erlass einer vorbeugenden Nutzungsuntersagung ist bereits dann gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte gegeben sind, aus denen auf eine unmittelbar bevorstehende rechtswidrige Nutzung geschlossen werden kann. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist iSd Art. 76 BayBO, wenn die Behörde verhindert, dass mit dem Beginn einer erneuten Nutzung eines illegalen Bauwerks wiederum ein Fall geschaffen wird, der zB aus sozialen Gesichtspunkten der Durchsetzung einer bereits verfügten Beseitigung Schwierigkeiten bereitet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Abwehr einer drohenden Gefahr iSd Art. 35 BayVwZVG bedeutet, dass in einem örtlich und zeitlich bestimmten Einzelfall mit einer unmittelbar bevorstehenden Schadensmöglichkeit so weitgehend zu rechnen ist, dass nach verständigem Ermessen behördliches Eingreifen angezeigt ist. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufiger Rechtsschutz gegen sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung, unmittelbarer Zwang in Form von Gebäudeversiegelungen ohne vorherige Androhung bei drohender Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung, Ermessen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37677

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 4.200,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine ihr gegenüber verfügte und für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung und begehrt zudem die Aufhebung der teilweise bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen in Form von Versiegelungen.
2
1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin der Grundstücke Fl.Nrn. …1 und …3 der Gemarkung L* … Die Grundstücke befinden sich im Außenbereich. Mit Bescheid der Stadt Aschaffenburg vom 24. November 2008 wurde der damalige Ehemann der Antragstellerin verpflichtet, sämtliche bauliche Anlagen auf dem Grundstück K* … S* … …5, Gemarkung L* …, Fl.Nrn. …1 und …3, innerhalb von zwei Monaten nach Bestandskraft des vorgenannten Bescheides vollständig zu beseitigen (Ziffer 1). Gemäß Ziffer 2 dieses Bescheides wurde die Antragstellerin verpflichtet, die Anordnung unter Ziffer 1 zu dulden. Abweichend von der unter Ziffer 1 des vorgenannten Bescheides gesetzten Frist ist die Beseitigung des bewohnbaren Gartenhauses entsprechend der Genehmigung vom 28. Juli 1949 sowie der Keller mit Kellerabgang und Kellerabgangsüberdachung sowie der Wintergarten erst nach der persönlichen Nutzungsaufgabe durch die Antragstellerin und ihren damaligen Ehemann durchzuführen. Innerhalb von sechs Monaten nach Nutzungsaufgabe sind diese oder dessen Rechtsnachfolger verpflichtet, die genannten Baulichkeiten zu beseitigen (Ziffer 3). Auf die Begründung dieses Bescheides wird Bezug genommen. Nachdem die Klage gegen den Bescheid vom 24. November 2008 mit Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichts Würzburg vom 23. Juni 2009 (W 4 K 08.2251) abgewiesen und in der Folge der Antrag auf Zulassung der Berufung durch Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 26. April 2012 (9 ZB 09.1726) abgelehnt worden war, wurde der vorgenannte Bescheid bestandskräftig. Auf die genannten Gerichtsentscheidungen wird verwiesen.
3
Im Laufe des Jahres 2015 zog der Ex-Ehemann der Antragstellerin aus dem streitgegenständlichen Anwesen aus. Ausweislich eines Auszugs aus dem Melderegister zog schließlich auch die Antragstellerin im Oktober 2018 dort aus und vermietete das Anwesen an Dritte. Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. März 2020 wurde der Antragstellerin ein Zwangsgeld angedroht, sollte sie der in Ziffer 2 des Bescheides vom 24. November 2008 verfügten Duldungsverpflichtung zuwiderhandeln. Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig, nachdem die diesbezügliche Klage (W 4 K 20.553) rechtskräftig abgewiesen worden war. Der vorangegangene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (W 4 S 20.554) war bereits mit Beschluss vom 28. Mai 2020 abgelehnt, die hiergegen gerichtete Beschwerde war mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (9 CS 20.1771) zurückgewiesen worden. Auf diese gerichtlichen Entscheidungen wird ebenfalls Bezug genommen.
4
Obwohl die Mieter des Anwesens erst im April 2023 auszogen, hatte sich die Antragstellerin dort bereits im November 2022 wieder mit einzigem Wohnsitz angemeldet. Die Antragstellerin ist dort allerdings noch nicht wieder eingezogen, sondern hält sich derzeit noch in S* … auf. Der Antragsgegnerin teilte sie mit Schreiben vom 9. Juni 2023 mit, dass sie aufgrund eines schweren Unfalls noch nicht nach A* … zurückkehren könne, sie aber im hier streitgegenständlichen Anwesen zu wohnen gedenke, sobald ihr Gesundheitszustand eine Rückkehr nach Deutschland zulasse. Mit Bescheid vom 20. Juni 2023 hatte die Antragsgegnerin der Antragstellerin daraufhin die Nutzung des gesamten Anwesens samt aller baulichen Anlagen in der K* … S* … mit sofortiger Wirkung untersagt.
5
Nachdem seitens des Gerichts Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit dieser, das komplette Anwesen umfassenden Nutzungsuntersagung geäußert worden waren, hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 3. August 2023 den Bescheid vom 20. Juni 2023 auf (Ziffer 1) und untersagte der Antragstellerin unter Ziffer 2 die Nutzung folgender Anlagen in der K* … S* … …5, … A* …, Fl.Nr. …1 und …3 der Gemarkung L* … mit sofortiger Wirkung: a) Bewohnbares Gartenhaus mit Keller, Kellertreppe und Überdachung, b) 4 Hütten inkl. 2 Überdachungen, c) 2 Freisitze und d) Terrasse. Unter Ziffer 3 wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 2 des Bescheides angeordnet. Gemäß Ziffer 4 wird die Verpflichtung in Ziffer 2 durch unmittelbaren Zwang vollstreckt. Die Stadt Aschaffenburg bringt ein amtliches Siegel an den Eingangstüren des bewohnbaren Gartenhauses und der Hütten an. Wer dieses Siegel beschädige, ablöse oder unkenntlich mache, erfülle den Tatbestand einer Straftat nach § 136 StGB.
6
Wegen der Begründung wird auf die Gründe des Bescheides verwiesen. Der Bescheid ging dem Bevollmächtigten der Antragstellerin ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Empfangsbestätigung am 4. September 2023 zu.
7
2. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 2. Oktober 2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2023 erheben (W 4 K 23.1400), über die bislang noch nicht entschieden ist. Zugleich ließ die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren b e a n t r a g e n,
1.
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 3. August 2023 wiederherzustellen und
2.
die Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen nach Ziffer 4 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 3. August 2023 anzuordnen.
8
Begründet wurde der Antrag im Wesentlichen damit, dass die Antragstellerin das streitgegenständliche Anwesen für ihren Alterswohnsitz benötige. Es widerspreche dem Bestandsschutz nach Ziffer 3 der Beseitigungsanordnung vom 24. November 2008, die Beseitigungsverpflichtung für das bewohnbare Gartenhaus während der Zeit der Fremdnutzung durch Mieter auszusetzen, nicht jedoch für eine Rückkehr zum Zwecke der Selbstnutzung.
9
3. Die Antragsgegnerin b e a n t r a g t mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023, den Antrag abzulehnen.
10
Zur Begründung bezog sie sich zunächst auf die Gründe des Bescheides vom 3. August 2023. Ergänzend führte die Antragsgegnerin aus, dass die präventive Nutzungsuntersagung geeignet, erforderlich und angemessen sei, um zu verhindern, dass durch eine erneute Nutzungsaufnahme die Beseitigung der baulichen Anlagen auf dem Anwesen der Antragstellerin erneut vereitelt würde. Die Antragstellerin habe nämlich trotz der bestandskräftigen Beseitigungsanordnung und der diesbezüglich bestandskräftigen, zwangsgeldbewehrten Duldungsanordnung eindeutig angekündigt, in den zu beseitigenden Gebäuden wieder einziehen zu wollen. Die melderechtliche Anmeldung sei bereits erfolgt und es seien Vorkehrungen für den baldigen Einzug geschaffen worden. So sei das Gartenhaus frisch gestrichen und mittlerweile auch ein Hundezwinger errichtet worden. Da jederzeit mit der Rückkehr der Antragstellerin zu rechnen (gewesen) sei, sei auch eine sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung gerechtfertigt, um den weiteren Fortbestand der baurechtswidrigen Zustände endgültig beenden zu können. Schutzwürdige Belange der Antragstellerin seien aufgrund der bestandskräftigen Beseitigungsanordnung und Duldungsverpflichtung nicht gegeben. Aufgrund des Umstandes, dass die Antragstellerin die insoweit eindeutige Rechtslage beständig ignoriere und selbst die zwangsgeldbewehrte Duldungsanordnung die Antragstellerin offenbar nicht von dem geplanten Wiedereinzug abzuhalten vermöge, sei die Versiegelung des bewohnbaren Gartenhauses und der Hütten vor Ort als Vollstreckungsmaßnahme in Form des unmittelbaren Zwangs ohne vorherige Androhung gerechtfertigt gewesen.
11
4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und in den Verfahren W 4 K 23.1400, W 4 K 20.553, W 4 S 20.554 und W 4 K 08.2251 sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
12
1. Der vorliegende Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 3. August 2023 ist zulässig, jedoch nicht begründet.
13
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung zunächst, ob die formellen Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Im Übrigen entscheidet das Gericht nach eigenem Ermessen, ob das Suspensivinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Hierbei sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung.
14
1.1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung ist formell rechtmäßig.
15
Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes ist gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen. Erforderlich ist eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehung notwendig ist und das hinter diesem erheblichen öffentlichen Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm angegriffenen Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (vgl. hierzu etwa Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, § 80 Rn 85). Die rechtsstaatlich gebotene Begründungspflicht soll zum einen den Betroffenen in die Lage versetzen, durch die Kenntnis der Gründe, die die Behörde zu der Anordnung des Sofortvollzugs bewogen haben, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO abzuschätzen. Zum anderen hat das Begründungserfordernis auch eine sogenannte Warnfunktion, d.h. es dient auch dem Zweck, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehbarkeitsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein vorrangiges öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung fordert (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2003 – 9 CS 03.1815 – juris Rn. 26).
16
Diesen Anforderungen wird die hier getroffene Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid gerecht. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wird ausführlich und auf den Einzelfall bezogen begründet (vgl. S. 4 des Bescheides vom 3. August 2023 unter Ziffer 3).
17
1.2. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wird die Klage der Antragstellerin gegen die Anordnung in Ziffer 2 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 3. August 2023 aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben, weil diese rechtmäßig ist und die Antragstellerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18
1.2.1. Hinsichtlich der Rechtsgrundlage hat sich die Antragsgegnerin zu Recht auf Art. 76 Satz 2 BayBO gestützt. Danach kann die Nutzung von baulichen Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, untersagt werden.
19
1.2.2. Die verfügte Nutzungsuntersagung ist aller Voraussicht nach formell und materiell rechtmäßig.
20
Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Nutzungsuntersagung liegen vor. Die baulichen Anlagen auf dem Anwesen der Antragstellerin sollen (erneut) im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden.
21
Mit bestandskräftigem Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. November 2008 wurde der Ex-Ehemann der Antragstellerin verpflichtet, sämtliche baulichen Anlagen auf den Grundstücken Fl.Nr* …1 und …3 der Gemarkung L* … zu beseitigen. Die Antragstellerin wurde aufgrund Ziffer 2 des vorgenannten Bescheides verpflichtet, die Beseitigung der baulichen Anlagen zu dulden.
22
Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beseitigung des bewohnbaren Gartenhauses nach dem vorgenannten Bescheid noch aufgeschoben sei. Denn mit ihrem Auszug aus dem Anwesen im Oktober 2018 hat die Antragstellerin die persönliche Nutzung im Sinne der Ziffer 3 des Bescheides vom 24. November 2008 aufgegeben. Dies ist mit Blick auf die Gründe dieses Bescheides (vgl. Seite 4, dritter Absatz des Bescheides) völlig eindeutig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die entsprechenden Ausführungen im Beschluss vom 28. Mai 2020 im Verfahren W 4 S 20.554 (vgl. S. 8 des Beschlusses unter 2.1.2.2.) und die Entscheidungsgründe des Urteils vom 8. März 2022 im Verfahren W 4 K 20.553 (vgl. S. 9 unter 2.2.) verwiesen. Diese Auffassung wurde auch seitens des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestätigt (vgl. S. 5 des Beschlusses vom 18.1.2021 im Verfahren 9 CS 20.1771). Die Tatbestandsseite des Art. 76 Satz 2 BayBO ist damit aller Voraussicht nach erfüllt.
23
Auch sind hinsichtlich der erlassenen Nutzungsuntersagung unter Berücksichtigung der Regelung des § 114 Satz 1 VwGO keine Ermessensfehler ersichtlich, zumal bei Art. 76 Satz 2 BayBO regelmäßig von einem sog. intendierten Ermessen auszugehen ist (vgl. etwa BayVGH, B.v. 26.4.2023 – 1 ZB 22.1869 – juris Rn. 14; aus der Literatur siehe nur Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 151. EL 8/2023, Art. 76 Rn. 301).
24
Insbesondere ist auch der Erlass einer vorbeugenden Nutzungsuntersagung bereits dann gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte gegeben sind, aus denen auf eine unmittelbar bevorstehende rechtswidrige Nutzung geschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2017 – 9 ZB 15.1989 – juris Rn. 5). Solche konkreten Anhaltspunkte lagen und liegen hier unzweifelhaft vor. So hat sich die Antragstellerin bereits Ende 2022 wieder auf dem hier streitgegenständlichen Anwesen mit einzigem Wohnsitz melderechtlich angemeldet (vgl. Blatt 47 sowie 54 BA). Darüber hinaus hat sie in ihrer E-Mail vom 6 Juni 2023 an die Antragsgegnerin selbst angegeben, dass sie dort wieder wohnen werde, sobald ihr Gesundheitszustand eine Heimfahrt ermögliche (vgl. Blatt 54R der BA). Schließlich wurden vor Ort auch schon Renovierungsarbeiten vorgenommen und auf dem Anwesen ein neuer Hundezwinger errichtet (vgl. Blatt 83 u. 84 der ergänzten BA). Die Antragsgegnerin durfte und darf angesichts dessen von einer unmittelbar bevorstehenden (erneut) rechtswidrigen Nutzung ausgehen.
25
Schließlich bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Erforderlichkeit der erlassenen Nutzungsuntersagung neben der der Antragsgegnerin gegenüber bereits mit Bescheid vom 24. November 2008 verfügten Duldungsanordnung. Denn es ist anerkannt, dass eine Nutzungsuntersagung auch neben einer Beseitigungsanordnung ergehen kann, wenn sie als zusätzliche Maßnahme sachlich gerechtfertigt und erforderlich ist, um den mit Art. 76 BayBO verfolgten Zweck, die Herstellung rechtmäßiger Zustände, zu erreichen oder zu fördern. Es liegt insbesondere im Sinne des Gesetzes, wenn die Behörde verhindert, dass mit dem Beginn einer erneuten Nutzung eines illegalen Bauwerks wiederum ein Fall geschaffen wird, der z. B. aus sozialen Gesichtspunkten der Durchsetzung einer bereits verfügten Beseitigung Schwierigkeiten bereitet (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 151. EL 8/2023, Art. 76 Rn. 277 unter Verweis auf BayVGH, B. v. 27.2.1982 – 1 B 81 A. 1644).
26
Genau so liegt der Fall hier, da die Antragstellerin offensichtlich nicht gewillt ist, die bestandskräftige Beseitigungsanordnung zu akzeptieren bzw. ihrer entsprechenden Duldungsverpflichtung Folge zu leisten. Dies hat die Antragstellerin in ihrer E-Mail vom 6. Juni 2023 (vgl. Blatt 54 f.) auch unmissverständlich deutlich gemacht, indem sie u.a. ausführte: „Ich bin Eigentümerin und Bewohnerin!! des Anwesens K* … S* … …5, eine Beseitigung ist weder angebracht noch werde ich eine solche dulden oder zulassen, da es sich um meinen ersten und einzigen Wohnsitz handelt!!“.
27
Die Nutzungsuntersagung erweist sich demnach nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung auch als ermessensfehlerfrei.
28
Da die Klage hinsichtlich der Nutzungsuntersagung in der Hauptsache somit aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird, und auch sonst keine überwiegenden Interessen der Antragstellerin vorliegen, war der diesbezügliche Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
29
2. Gleiches gilt hinsichtlich des weiteren Antrags, die Aufhebung der bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen in Form der Versiegelungen des bewohnbaren Gartenhauses und der weiteren vier Hütten aufzuheben, unabhängig davon, ob man diesen Antrag unter Berücksichtigung von Art. 38 Abs. 2 VwZVG ebenfalls als Antrag nach § 80 Abs. 5 Sätze 1 und 3 VwGO auslegt oder als Antrag nach § 123 VwGO umdeuten wollte.
30
Denn diese Vollstreckungsmaßnahmen erweisen sich nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ebenfalls als rechtmäßig.
31
2.1. Rechtsgrundlage der Vollstreckungsmaßnahmen in Form des unmittelbaren Zwanges sind die Art. 19, 29, 34 und 35 VwZVG.
32
Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen, insbesondere ein wirksamer und sofort vollziehbarer Verwaltungsakt, liegen hier in Form der sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagung vor.
33
2.2. Es ist mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. Art. 29 Abs. 3 und Art. 34 Satz 1 VwZVG) nicht zu beanstanden, dass sich die Antragsgegnerin vorliegend für das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs entschieden hat.
34
Eine Ersatzvornahme scheidet im Hinblick darauf, dass es sich bei der Nutzungsuntersagung nicht um eine vertretbare Handlung handelt, von vornherein aus.
35
Aber auch die Einschätzung der Antragsgegnerin, ein Zwangsgeld würde hier nicht zum Ziel führen, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Der Antragstellerin gegenüber wurde bereits eine Duldungsanordnung hinsichtlich der Beseitigung aller baulicher Anlagen auf dem streitgegenständlichen Anwesen verfügt (vgl. Ziffer 2 des Bescheides vom 24.11.2008). Bei Verletzung dieser Duldungspflicht wurde der Antragstellerin mit Bescheid vom 19. März 2020 ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 EUR angedroht. Gleichwohl hat sich die Antragstellerin dort bereits wieder mit einzigem Wohnsitz angemeldet, hat dort Renovierungsarbeiten ausführen und einen Hundezwinger errichten lassen und bekundet unmissverständlich entgegen der bereits ergangenen bestandskräftigen Bescheide, die allesamt gerichtlich überprüft und bestätigt wurden, dort wieder einziehen zu wollen. Aufgrund dieser Umstände teilt das Gericht die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass ein weiteres Zwangsgeld hier nicht erfolgsversprechend wäre. Die Entscheidung für das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs ist daher nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung verhältnismäßig und damit rechtmäßig.
36
2.3. Dies gilt schließlich auch im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin das Zwangsmittel ohne vorherige Androhung gemäß Art. 36 VwZVG hinsichtlich des bewohnbaren Gartenhauses und der sonstigen Hütten auf dem Anwesen (vgl. Blatt 63R ff. der BA) bereits in Form der Versiegelung angewendet hat. Denn vorliegend stützt sich die Antragsgegnerin aller Voraussicht nach zurecht auf Art. 35 VwZVG.
37
Gemäß Art. 35 VwZVG können Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang innerhalb der Zuständigkeit der handelnden Behörde ohne vorausgehende Androhung angewendet werden, wenn es zur Verhütung oder Unterbindung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr oder zur Durchführung der Abmeldung nicht versteuerter Kraftfahrzeuge von Amts wegen notwendig ist. Die Antragsgegnerin hat sich dabei auf das Tatbestandsmerkmal der notwendigen Abwehr einer drohenden Gefahr gestützt. Dies ist nicht zu beanstanden.
38
Gemeint ist insoweit eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; nur diese rechtfertigt eine Anwendung von unmittelbar wirkenden Zwangsmaßnahmen (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2010 – 9 ZB 07.2172 – juris Rn. 2). Abwehr einer drohenden Gefahr bedeutet dabei, dass in einem örtlich und zeitlich bestimmten Einzelfall mit einer unmittelbar bevorstehenden Schadensmöglichkeit so weitgehend zu rechnen ist, dass nach verständigem Ermessen behördliches Eingreifen angezeigt ist (vgl. etwa Harrer/Kugele//Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand: 15.6.2007, Art. 35 VwZVG Ziffer 5). Der öffentlichen Sicherheit unterfallen insbesondere die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der verfassungsmäßigen Ordnung (vgl. BVerfGE 69, 315 (352); BayVerfGH BayVBl. 1990, 685 (689); BayVerfGHE 4, 194 ff.; Holzner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Stand 1.1.2023, Art. 6 LStVG Rn. 8).
39
Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Denn durch einen Wiedereinzug der Antragstellerin in die Gebäude auf dem streitgegenständlichen Anwesen würden die Durchsetzung der bestandskräftigen Beseitigungsanordnung und damit die Herstellung baurechtmäßiger Zustände jedenfalls vorübergehend (erneut) vereitelt bzw. verzögert. Da sich der Unfall der Antragstellerin, aufgrund dessen die Antragstellerin bis dato reiseunfähig zu sein scheint, bereits Ende 2022 ereignete und die Antragstellerin im Juni 2023 mitteilte, sie werde ihren Wohnsitz in der K* … S* … nehmen, sobald ihr Gesundheitszustand eine Heimfahrt ermögliche (vgl. Blatt 54R der BA), ist die Antragsgegnerin zu recht von einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für die Rechtsordnung ausgegangen. Da die Voraussetzungen des Art. 35 VwZVG aller Voraussicht nach vorlagen, bedurfte es auch keiner vorherigen Androhung des Zwangsmittels nach Art. 36 VwZVG.
40
2.4. Da die durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen demnach aller Voraussicht nach rechtmäßig sind, die Klage in der Hauptsache (vgl. hierzu Art. 38 Abs. 2 VwZVG) somit auch diesbezüglich voraussichtlich erfolglos bleiben wird, und auch sonst keine überwiegenden Interessen der Antragstellerin erkennbar sind, war auch dieser Antrag unbegründet und somit abzulehnen.
41
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom Juli 2013. Das Gericht geht dabei von einer monatlichen Mietersparnis von rund 700,00 EUR aus (die erhaltene Nettomiete für das Anwesen betrug zuletzt 720,00 EUR, vgl. S. 3 des Urteils vom 8. März 2022 – W 4 K 20.553). Der Wert von 8.400,00 EUR (12 x 700,00 EUR) war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.