Titel:
Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB in einem Diesel-Fall (hier: Audi Q3, 2.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 195, § 199, § 818, § 826, § 852 S. 1
ZPO § 286, § 287
Leitsätze:
1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4174; BeckRS 2022, 4153; BeckRS 2022, 4167; BeckRS 2022, 38006; BeckRS 2022, 42085; BeckRS 2022, 25008; BeckRS 2022, 42732 sowie BGH BeckRS 2022, 38891 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); BGH BeckRS 2022, 32458 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25067 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Für ein Fahrzeug mit Tageszulassung, das bei Erwerb einen Kilometerstand von 50 km aufweist, ist der Anwendungsbereich des § 852 BGB nicht gesperrt (insoweit differenzierend BGH BeckRS 2022, 42085). (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Höhe des Anspruchs aus § 852 BGB ist zweifach begrenzt, nämlich zum einen durch die Höhe des auf Kosten des Geschädigten erlangte Etwas und zum anderen durch die Höhe des verjährten Anspruchs, hier aus § 826 BGB (anders BGH BeckRS 2022, 30443). (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, Neuwagen, Tageszulassung, Thermofenster, Restschadensersatzanspruch, Vermögensvorteil, Nutzungsentschädigung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 3740
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt an die Klagepartei 17.883,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.09.2022 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi Q3, 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer … zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klagepartei 21 % und die Beklagte 79 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für den Kläger gegen die Beklagte jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 22.679,73 EUR festgesetzt
Tatbestand
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht. Die Klagepartei erwarb am 26.03.2013 zu einem Preis von 34.670,01 € von der … ein Fahrzeug der Marke Audi Q3, 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer … Zum Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe betrug der Kilometerstand 0 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 121.044 km. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws.
2
Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung „Fahrzeuge enthalten unzulässige Abschalteinrichtung im Emissionskontrollsystem“. Die im Zusammenhang mit dem Motor (zunächst) verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
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Die Klagepartei ließ das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene und zur weiteren Nutzbarkeit des Fahrzeugs erforderliche Softwareupdate am 27.11.2017 aufspielen.
4
Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor, dass die im Rahmen der Rückrufaktion durchgeführten Maßnahmen an den vom „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugen nicht geeignet seien, das Fahrzeug „mangelfrei“ zu machen. Nach der Überarbeitung müsse mit negativen Auswirkungen was die Motorhaltbarkeit und die Wartungsbedürftigkeit betrifft, gerechnet werden.
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Zu den Vorgängen bei der Beklagten trägt die Klagepartei vor, verschiedene bei der Beklagten angestellte Mitarbeiter seien in die Täuschung der Kunden involviert gewesen. Über diesen Beschluss der Motorenentwickler der Beklagten seien auch Organe im Vorstand der Beklagten eingeweiht worden.
6
Die Klagepartei ist der Ansicht, sie habe Anspruch auf Ersatz der durch die „Manipulation“ der Beklagten entstandenen Schäden. Der Anspruch der Klagepartei ergebe sich insbesondere aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB; § 823 Abs. 2 i.V.m. § 27 EG-FGV; § 826 BGB; § 831 BGB. Die Klagepartei meint insbesondere, die Beklagte sei im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast verpflichtet, in Bezug auf eine mögliche Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter vorzutragen.
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Die Klagepartei stellt sich auf den Standpunkt, dass ihre Ansprüche nicht verjährt seien. Jedenfalls bestünde im Fall der Verjährung ein „Restschadensersatzanspruch“ nach § 852 BGB. Erlangt habe die Beklagte in diesem Zusammenhang den Erstverkaufsaufpreis, hilfsweise abzüglich einer Händlermarge.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klagepartei EUR 34.670,01 abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 11.990,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi Q3 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer … zu bezahlen.
hilfsweise für den Fall, dass der Klageantrag zu I.) keinen Erfolg hat:
II. Die Beklagte wird verurteilt,
- 1.
-
Auskunft zu geben und Rechnung zu legen über das von ihr aus dem Inverkehrbringen des PKW Audi Typ Q3 2.0 TDI, Fahrzeugidentifizierungsnummer …, Erlangte,
- 2.
-
erforderlichenfalls die Richtigkeit und die Vollständigkeit ihrer Angaben an Eides Statt zu versichern,
- 3.
-
an die Klagepartei den sich nach Erteilung der Auskunft ergebenden Betrag nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klagepartei zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass die klägerischen Ansprüche verjährt seien.
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Die Klagepartei habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Umschaltlogik gehabt. Die Kenntnis der Klagepartei von der Betroffenheit des Fahrzeuges folge bereits aus der umfangreichen weltweiten Medienberichterstattung der Printmedien sowie des Fernsehens und Rundfunks. Die Annahme, dass eine in Deutschland lebende Personen von dem Einbau der Software in Dieselfahrzeugen des VW-Konzerns keine Notiz genommen habe, sei daher lebensfremd. Eine schlüssige Klage sei daher bereits im Jahr 2015 möglich gewesen. Jedenfalls sei von einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Klagepartei auszugehen.
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Mit dem Update sei keine unzulässige Abschalteinrichtung, insbesondere kein „unzulässiges Thermofenster“, implementiert worden. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug applizierte Thermofenster entspräche dem zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Inverkehrbringens modernsten Stand der Technik und sei aus Gründen des Motorschutzes und zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs notwendig und daher zulässig (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) VO (EG) 715/2007). Bei kalten Temperaturen könne es ansonsten zu Schäden am Abgasrückführungssystem durch Ablagerungen (sog. Versottung) kommen, während bei extrem hohen Außentemperaturen die Gefahr bestehe, dass die dadurch zusätzlich erhöhten Abgastemperaturen Teile des Abgasrückführungssystems beschädigten.
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Im Übrigen ist sie der Ansicht, dass eine seitens der Klagepartei nicht näher substantiiert vorgetragene Täuschung durch die Beklagte nicht gegeben sei. Sie meint, die Klagepartei suggeriere mit Behauptungen ins Blaue, dass verschiedene Mitarbeiter oder Organe der Beklagten von der Entwicklung und dem Einsatz der Software Kenntnis hatten oder dies angeordnet hätten. Diesbezüglich sei die Beklagte auch nicht im Rahmen einer etwaigen sekundären Darlegungs- und Beweislast zu weitergehenden Angaben verpflichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.12.2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage erweist sich als lediglich teilweise begründet.
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Das Landgericht Memmingen ist das örtlich gem. § 32 ZPO bzw. jedenfalls gem. § 39 ZPO und sachlich gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zuständige Gericht.
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Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.
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1. Der klägerseits geltend gemachte, ursprüngliche Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB ist verjährt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
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Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist 3 Jahre. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners hat oder diese Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit nicht hat. Nach ständiger BGH Rechtsprechung liegt die erforderliche Kenntnis in Fällen wie hier im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist. Weder ist es notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es, abgesehen von Ausnahmefällen, nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an (vergleiche BGH Urteil vom 15.11.2011, XI ZR 54/09; BGH Urteil vom 04.07.2017 XI ZR 562/15). Grob fahrlässige Unkenntnis liegt nach dieser Rechtsprechung vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen.
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Das Gericht geht vorliegend davon aus, dass die Klagepartei angesichts der medialen Dauerberichterstattung und sowohl breiter öffentlicher, gesellschaftlicher als auch politischer Diskussion über den sog. „Abgasskandal“ zumindest ab Herbst 2015 Kenntnis von etwaigen Ansprüchen hatte (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB), nachdem auch das Wort „Betrug“ zu diesem Zeitpunkt bereits in aller Munde war.
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Am 22.09.2015 veröffentlichte die Beklagte unstreitig eine sogenannte Ad-hoc-Mitteilung und eine Pressemitteilung, in der es auszugsweise heißt: „Volkswagen treibt die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten in der verwendeten Software bei Diesel – Motoren mit Hochdruck voran. […] Weitere bisherige interne Prüfungen haben ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden ist. […] Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ Ea189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund 11 Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt.“
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Hieran anschließend entwickelte sich noch im September 2015 gerichtsbekannt und wie im Schriftsatz der Beklagten auch dargelegt, eine sämtliche Medien beherrschende Diskussion über den Einsatz manipulierter Dieselmotoren durch die Beklagte in deren Konzern.
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Am 02.10.2015 informierte die Beklagte im Rahmen einer Pressemitteilung über die Einrichtung einer Internetseite, die eine Suche nach von der Manipulation betroffenen Fahrzeugen der Beklagten unter Eingabe der entsprechenden Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) ermöglichte. Auch die Konzernmarken bzw. ihre deutschen Importeure entwickelten entsprechende Webseiten für eine FIN-Anfrage zur Betroffenheit und veröffentlichten entsprechende Pressemitteilungen. Auch über diese Freischaltung wurde wiederum in allen Medien berichtet.
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Am 15.10.2015 informierte die Beklagte über die Tatsache, dass das KBA beschlossen habe, den Zeit- und Maßnahmenplan zur Beseitigung der Umschaltlogik durch einen Rückruf umzusetzen. Auch über den vom KBA angeordneten Rückruf wurde in den Medien berichtet.
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Vor diesem Hintergrund widerspricht es jeglicher Lebenserfahrung, dass irgendeine Person, die im Herbst 2015 in Deutschland weilte, von dem „Abgasskandal“ nichts gewusst haben könnte (vgl. auch OLG Braunschweig, Beschluss vom 2.11.2017, Az. 7 U 69/17; OLG München Hinweisbeschluss vom 05.02.2020, 3 U 7392/19). In dieser Konstellation hätte es an der Klagepartei gelegen, darzulegen, warum sie noch keine Kenntnis hatte (vgl. z.B. OLG Braunschweig a.a.O.). Hierzu genügen jedenfalls die Ausführungen der Klägerseite nicht.
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Die ursprünglichen Ansprüche der Klagepartei sind daher verjährt.
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2. Selbst wenn man in dem Einsatz eines sog. „Thermofensters“ im Rahmen des Softwareupdates eine eigenständige deliktische Handlung durch die Beklagte annehmen wollte, so kann auch dieses Vorbringen der Klage bezogen auf originäre, deliktsrechtliche Ansprüche nicht zum Erfolg verhelfen. Der Beklagten ist jedenfalls kein vorsätzliches sittenwidriges Handeln vorwerfbar.
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a) Es kann hierbei letztlich dahinstehen, ob in der Verwendung von Thermofenstem eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen ist. Denn um einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu begründen, muss das schädigende Verhalten des Schuldners sittenwidrig zum Zeitpunkt der betreffenden Handlung sein. Hieran fehlt es vorliegend aber in jedem Fall.
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aa) Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH, Urteil vom 19.11.2013 – VI ZR 336/12). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19). Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urteil vom 19.10.1987 – II ZR 9/87). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10; Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12; Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12).
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Subjektiv ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 – II ZR 276/02).
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Eine Sittenwidrigkeit kommt danach nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit den in Rede stehenden Funktionsweisen in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch konkrete Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Das ist jedoch nicht der Fall.
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bb) Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen ausreichender Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man mit dem Kläger von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 – 3 U 148/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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Umstände, die das in Frage stellen würden, sind von der Klagepartei weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen VO (EG) 715/2007 für Typengenehmigungen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist in der Verordnung nicht definiert.
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Die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen regelt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715. Dieser lautet: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
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Es ist festzuhalten: Nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 ist die Verwendung einer Abschalteinrichtung also zulässig ist, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Auf diese Erlaubnisgründe beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall.
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Die Norm ist entgegen dem klägerischen Vortrag nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte. Gegen eine solche Auslegung spricht der Aufbau des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 sowie dessen Zweck (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19). Denn gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 sind Fahrzeuge vom Hersteller so auszurüsten, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Darüberhinausgehende Anforderungen werden von der Verordnung nicht vorgegeben. Abschalteinrichtungen sind generell unzulässig und nur im in der Verordnung in Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 beschriebenen Ausnahmefall erlaubt. Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 will danach nicht die Entwicklung aufwändigerer Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 genügen, zum Schutz vor Beschädigung oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Diesem Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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Sieht man Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 2007/715 aber nicht als Verpflichtung der Autohersteller an, Motoren zu entwickeln, die nur im äußersten Notfall eine Abschalteinrichtung benötigen, sondern von seinem Sinn und Zweck her eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Autohersteller zum Schutz der von ihnen im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 tatsächlich entwickelten und verwendeten Motoren, so erscheint die Annahme, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, sogar mehr als nur gut vertretbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle gerade nicht eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 2007/715 auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf der streitgegenständlichen Fahrzeugbaureihen unstreitig bis heute nicht erfolgt.
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Sollte entgegen den vorstehenden Erwägungen aber tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, so hätte die Beklagte die Rechtslage allenfalls fahrlässig verkannt. In diesem Fall fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 826, Rn. 8 f.) wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder hinreichend dargetan noch ersichtlich. In Bezug auf das Update müsste indes wiederum die Klägerseite sämtliche objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines deliktischen Schadenersatzanspruches darlegen. Dies hat die Klägerseite vorliegend indes nicht im Ansatz getan. Vielmehr spricht die Absicht zur Beseitigung etwaiger zulassungsbeschränkender Sachverhalte eher gegen einen Schädigungsvorsatz (OLG München o.a., nunmehr auch BGH, Beschluss vom 9. März 2021 Az.: VI ZR 889/20).
41
Eine Auslegung, wonach ein „Thermofenster“ keine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls gut vertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19).
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3. Ein Anspruch gem. § 852 BGB (sog. „Restschadensersatzanspruch“) besteht im konkreten Einzelfall hingegen.
43
Ansprüche der Klägerseite bestanden i.E. dem Grunde nach (vgl. statt vieler BGH, NJW 2020, 1962 f.). Der Klägerseite stand gegenüber der Beklagtenseite ein Schadenersatzanspruch gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung zu.
44
Die Beklagte haftete gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die – u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten – Motoren des Typs EA189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren des Typs EA189 in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht. Davon ist das Gericht i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO überzeugt.
45
Dieser Anspruch ist indes verjährt (s.o.).
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Zu Unrecht meint die Beklagte, der Anwendungsbereich des § 852 BGB erfordert die Feststellung eines – über den ungewollten Vertragsschluss hinausgehenden – wirtschaftlichen Schadens.
47
§ 852 BGB hat den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen. Er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt (BGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – X ZR 19/76). Bei Auslegung des dem hier verjährten Anspruch zugrundeliegenden § 826 BGB ist anerkannt, dass der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen ist und einen ungewollten, nach der Verkehrsauffassung unvernünftigen Vertrag auch ohne Feststellung eines rechnerischen Minus einschließt. Die Differenzhypothese muss als wertneutrale Rechenoperation stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19). Es gibt keinen Anlass, diese Wertung i.R.d. § 852 BGB, der den Anspruch aus § 826 BGB lediglich fortsetzt, aufzugeben, und hier auf einen abweichenden, nämlich einen objektiven Schadensbegriff ohne normative Kontrolle abzustellen. Eine derart einschränkende, von der Auslegung des § 826 BGB abweichende Gesetzesauslegung des § 852 BGB widerspricht seinem Rechtscharakter als bloße Rechtsverteidigung gegen die Verjährungseinrede und wird auch nicht von dem Normzweck des § 852 BGB gestützt: § 852 BGB soll verhindern, dass derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung etwas erworben hat, nach Ablauf der kurzen Verjährungsfrist der §§ 195, 199 Abs. 1 BGB zu Lasten des Geschädigten im Genuss des Erlangten bleibt (BGH NJW 1965, 1914, 1915). Der Deliktsschuldner soll nicht günstiger gestellt werden als der „Empfänger einer Nichtschuld“ vom Zeitpunkt seiner Bösgläubigkeit an (Staudinger/Vieweg (2015) § 852 BGB, Rn. 1). Genau dieser Gesetzeszweck ist hier betroffen.
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Der Anwendungsbereich des § 852 BGB ist auch nicht teleologisch zu reduzieren, weil dem Kläger die risikolose Beteiligung an der Musterfeststellungsklage offen gestanden hätte. Eine so begründete Reduktion des Anwendungsbereichs des § 852 BGB widerspricht dem gesetzgeberischen Ziel der Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage. Ziel der Musterfeststellungsklage war es, die Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern und zu verhindern, dass eine etwaige Klageunwilligkeit von Verbrauchern dazu führt, dass ein unrechtmäßig erlangter Gewinn dem Anspruchsgegner verbleibt und so zu einem ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern führt (vgl. BT-Drucksache 19/2507, S. 1). Einem Verbraucher aufgrund der Einführung der Musterfeststellungsklage die Anspruchsgrundlage des § 852 BGB zu entziehen, würde diesem gesetzgeberischen Zweck zuwiderlaufen.
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Im konkreten Einzelfall ist auch der Anwendungsbereich des § 852 BGB nicht deshalb gesperrt, weil es sich um eine Gebrauchtfahrzeug handelt. Vorliegend ist das Fahrzeug gleich einem Neufahrzeug zu bewerten. Das Fahrzeug hatte bei Erwerb einen Kilometerstand von 50 km. Dieser ist allerdings ausweislich der Rechnung (Anlage K1) auf eine Tageszulassung zurückzuführen. Veräußert wurde das Fahrzeug von einer Zweigniederlassung der S. GmbH, welche in die Konzernstruktur der Beklagten eingegliedert ist. Dies hat die Beklagte nicht wirksam bestritten (§ 138 Abs. 1, 3 ZPO) und dies ist im Übrigen aus anderen Verfahren dem Gericht nicht unbekannt. Wenn nun aber das Fahrzeug seine Kilometer „im Konzern“ abgefahren hat, so trägt die – auch von dem Landgericht Memmingen vertretene Auffassung –, dass bei einem Gebrauchtfahrzeug bei der Beklagten ein Vermögensvorteil durch die Manipulation nicht mehr ankomme, nicht. Denn in diesem Fall wird das Fahrzeug nach wie vor aus dem Konzern heraus verkauft mit der Folge, dass ein „Erstveräußerungsgewinn“ bei diesem verbleibt. Im konkreten Einzelfall ist daher der Anwendungsbereich des § 852 BGB auch unter diesem Gesichtspunkt eröffnet.
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Die Höhe des Anspruchs aus § 852 BGB ist zweifach begrenzt, nämlich zum einen durch die Höhe des auf Kosten des Geschädigten erlangte Etwas und zum anderen durch die Höhe des verjährten Anspruchs, hier aus § 826 BGB.
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Das erlangte Etwas entspricht zunächst dem Geldbetrag, den die Beklagte aufgrund des streitgegenständlichen Kaufvertrages erlangt hat. Nicht entscheidend ist der (geringere) Gewinn nach Abzug aller Kosten:
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§ 852 BGB stellt eine Rechtsfolgenverweisung auf die § 818 ff. BGB dar. Die Frage, ob bei der Bemessung des erlangten Etwas auf den konkret erlangten Betrag oder nur auf den Gewinn abzustellen ist, ist in Übereinstimmung mit der Wertung der §§ 818 Abs. 3, 4, 819 f. BGB zu beantworten. Derjenige, der sich nach den Grundsätzen der § 818 Abs. 4, 819 BGB nicht auf eine nachträglich Entreicherung berufen könnte, kann auch nicht die Höhe der anfänglichen Bereicherung durch Abzugsposten reduzieren, die er im Zustand der Bösgläubigkeit vorgenommen hat, bevor er bereichert wurde (BGH, Urteil vom 07. Januar 1971 – VII ZR 9/70; vgl. Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 812 Rn. 8). Die Beklagte war schon bei Produktion des streitgegenständlichen Pkws bösgläubig, sodass sämtliche hierbei angefallenen Kosten nicht bei der Bemessung des später erlangten Etwas zu berücksichtigen sind.
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Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe infolge seines Pkw-Kaufs jedenfalls das erlangt, was er mit der vorliegenden Klage geltend mache.
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Die Beklagte hat nicht wirksam bestritten, dass sie überhaupt etwas erlangt hat. In Abrede genommen wird eine Bereicherung nur für Gebrauchtwagenkäufe und Sonderkonstellationen (z.B. Re-Importe; Leasingkonstellationen, wenn das Absatzrisiko nicht mehr bei der Beklagten lag, Vorführwagen, etc.), die hier – bei einem Neuwagenkauf – nicht vorliegen. Die vom Kläger dargelegte, dem Klagebetrag entsprechende Höhe der Bereicherung, die er mangels Kenntnis schätzen durfte (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 254 ZPO, Rn. 3), hat die Beklagte nicht hinreichend substantiiert bestritten, sodass der Betrag als zugestanden gilt, § 138 Abs. 3 ZPO. Sie hat nicht vorgetragen, welchen Betrag sie aufgrund des streitgegenständlichen Kaufs konkret erlangt hat, sondern nur auf den hier nicht maßgeblichen Gewinn nach Abzug aller Kosten abgestellt.
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Der Anspruch ist wegen Bösgläubigkeit der Beklagten auch nicht gem. § 818 Abs. 3 BGB wegen nachträglicher Entreicherung, etwa durch Kosten für das Softwareupdate und die Information der Öffentlichkeit hierüber, zu kürzen, §§ 818 Abs. 3, 4, 819 f. BGB. Entgegen den Ausführungen der Beklagten sind keinerlei Wertungsgesichtspunkte ersichtlich, die nahelegen könnten, dass die Beklagte die ihr nach Aufdeckung der Manipulation entstandenen Kosten durch Kürzung des Restschadenersatzanspruchs auf die Geschädigten abwälzen könnte. Die Beklagte ist bei wertender Betrachtung nicht mit einem Vermögensverwalter der Geschädigten vergleichbar; sie ist mit der breit angelegten Manipulation vielmehr ein Kostenrisiko eingegangen, das sich mit Aufdeckung der Manipulation verwirklicht hat, und für das sie mit eigenem Vermögen haftet.
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Als „Erlangtes Etwas“ ist daher der Bruttokaufpreis von 34.670,01 € anzusehen. Gleichwohl kann, so trägt es insoweit auch die Klägerseite selbst vor, die Klagepartei nicht besser stehen, als sie im Rahmen des ursprünglichen Schadenersatzanspruches stünde. Maßgeblich ist also der Umfang des ursprünglichen Ersatzanspruches der Klagepartei, welcher sich im „Restschadensersatzanspruch“ nach § 852 BGB fortsetzt.
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Die Klagepartei kann damit grundsätzlich gemäß § 249 Abs. 1 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises von 34.670,01 € Zug um Zug gegen die Rückgabe und Übereignung des PKWs an die Beklagte verlangen. Allerdings sind auch für die durch die Klagepartei bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 16.12.2022 gezogenen Nutzungen in Höhe von 16.786,38 EUR abzuziehen (vgl. OLG München, Urteil vom 15.10.2019 – 24 U 797/19).
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Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren. Solange Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet. Darauf, ob der Schädiger die Herausgabe des Vorteils verlangt, kommt es nicht an, insbesondere bedarf es anders als in den Fällen der §§ 320, 322, 348 BGB keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schädigers (BGH, Urteil vom 23.06.2015 – XI ZR 535/14 –, NJW 2015, 3160; Grüneberg in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, vor § 249, Rn. 71).
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Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer, ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (BGH, Urteil vom 17.05.1995 – VIII ZR 70/97 –, NJW 1995, 2159). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Das Gericht schätzt gemäß § 287 BGB die Gesamtlaufleistung eines Audi Q3 auf 250.000 Kilometer.
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Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 16.786,38 EUR (= 34.670,01 EUR × 121.044 km : 250.000 km). Damit verbleibt ein ersatzfähiger Schadensbetrag von 17.883,63 EUR (= 34.670,01 – 16.786,38 EUR).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Ausweislich der eigenen Streitwertangabe in der Klage geht die Klagepartei von einem Wert des eingeklagten Interesses von 22.679,73 € aus. Die Klagepartei ist jedoch im Rahmen des Hauptantrages nur mit einem Betrag von 17.883,63 € erfolgreich. Die Kostenquote bemisst sich daher entsprechend.
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Die Klagepartei hat 21 % der Kosten zu tragen, die Beklagte 79 %.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
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Der Streitwert bemisst sich nach Maßgabe der §§ 3 f. ZPO.