Titel:
Eingeschränkte berufungsrechtliche Überprüfung eines Bagatellschadens (hier: HWS)
Normenketten:
BGB § 253 Abs. 2
ZPO § 287
Leitsatz:
Die Einstufung der Folgen einer Körperverletzung als Bagatellschaden liegt gemäß § 287 ZPO im Ermessen des Tatrichters. Dass Instanzgerichte für vergleichbare Verletzungen schon ein Schmerzensgeld zugebilligt haben, macht die Ausübung des Ermessens, wonach der Bagatellbereich nicht überschritten sei, nicht schon ermessensfehlerhaft (AnschlussBGH NJW 1992, 1043). (Rn. 16) (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bagatelle, HWS, Ermessen, berufungsrechtliche Überprüfung
Vorinstanz:
AG Deggendorf, Endurteil vom 17.07.2023 – 3 C 207/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37308
Tenor
1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Deggendorf vom 17.07.2023, Az. 3 C 207/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 27.10.2023.
Gründe
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Der 13jährige Kläger begehrt von der beklagten Haftpflichtversicherung Schmerzensgeld und die Zahlung einer allgemeinen Auslagenpauschale, nachdem er im städtischen Verkehr als Mitfahrer einen Auffahrunfall erleben musste, infolgedessen bei ihm eine HWS-Distorsion und eine Schädelprellung diagnostiziert wurden.
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Die dem Grunde nach gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG iVm § 18 Abs. 1 StVG voll haftende Beklagte bestreitet die unfallkausale Herbeiführung einer Körperverletzung und beruft sich hilfsweise auf das Vorliegen eines Bagatellschadens, der keine Entschädigungspflicht auslöst.
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Das Amtsgericht hat die Klage mit dem Argument abgewiesen, dass der klägerische Vortrag zu Dauer und Intensität der HWS-Distorsion ausweislich der vom Kläger vorgelegten drei Durchgangsarztberichte das Vorliegen eines Bagatellschadens beweist, weshalb es auf die Frage der Kausalität nicht ankommt. Das Amtsgericht ist den Beweisanträgen zur Parteieinvernahme des Klägers, zur Zeugeneinvernahme seiner Mutter und zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachgegangen; auch hat es den Kläger nicht informatorisch angehört.
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Gegen das Endurteil vom 17.07.2023 wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung und verfolgt sein erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter.
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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder dass nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
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Beides ist hier nicht der Fall. Die Würdigung durch das Amtsgericht ist frei von Rechtsfehlern (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Unter überzeugender Würdigung des Parteivortrags und der vorgelegten Unterlagen hat das Gericht in erster Instanz zu Recht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
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Die hiergegen von Seiten des Klägers vorgebrachten Einwände überzeugen nicht und vermögen seinem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zu den Berufungsangriffen ist wie folgt auszuführen:
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1. Soweit die Berufung geltend macht, dass die Annahme eines Bagatellschadens rechtsfehlerhaft sei, wendet sie sich gegen die Bewertung bzw. Gewichtung des Verletzungsbildes durch den Tatrichter. Sie macht inhaltlich einen Subsumtionsfehler geltend.
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a) Eine Rechtsverletzung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, § 546 ZPO. Das ist der Fall, wenn das Gericht die abstrakten Voraussetzungen oder Rechtsfolgen einer Norm verkennt (Interpretationsfehler) oder wenn das Gericht seine Feststellungen unzutreffend unter das Gesetz subsumiert (Subsumtionsfehler, vgl. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 44. Aufl. 2023, § 546 Rn. 1 f.).
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b) Die Berufung stellt die nach gefestigter Rechtsprechung bestehenden, abstrakten Kriterien für die Einordnung eines Personenschadens als Bagatellschaden anfangs richtig – und in vollkommener Übereinstimmung mit den Ausführungen im Ersturteil – auf Seite 3 der Berufungsbegründung dar.
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Die in der Berufungsbegründung verwendete Fundstelle im M. Kommentar wird allerdings insoweit verkürzt wiedergegeben, als sich hier der Zwischensatz findet: „Ob überhaupt ein Schaden vorliegt, der kein Vermögensschaden ist, bedarf stets einer gesonderten Prüfung und wird nicht bereits durch die Verletzung der Rechtsgüter in (§ 253) Abs. 2 (BGB) unwiderlegbar indiziert.“ (MüKoBGB/Oetker BGB § 253 Rn. 30). Weiterhin heißt es im Kommentar nicht – wie in der Berufungsbegründung falsch zitiert (!) –, dass der Ausschluss der Entschädigung „allerdings lediglich“ bei „absolut“ geringfügigen Gesundheitsverletzungen in Betracht komme, sondern dass der Ausschluss der Entschädigung „insbesondere“ bei geringfügigen Gesundheitsverletzungen in Betracht kommt (MüKoBGB/Oetker BGB § 253 Rn. 31).
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Mit der bei der Klagepartei offenbar vorliegenden Fehlinterpretation der abstrakten Maßstäbe, nach denen eine Körperverletzung wegen der Geringfügigkeit ihrer Folgen keine Entschädigungsansprüche nach § 253 Abs. 2 BGB auslöst, geht eine Vermischung der Begriffe der „Körperverletzung“ (als Primärschaden) und des nach § 253 Abs. 2 BGB entschädigungspflichtigen „Personenschadens“ einher.
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Erhellend zum Begriff des „Bagatellschadens“ ist insoweit die Leitentscheidung des BGH vom 14.01.1992, Az VI ZR 120/91, wonach es für die Einordnung einer Körperverletzung als nicht-entschädigungspflichtigen Bagatellschaden auf das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lebensführung ankommt und auf etwaige Dauerfolgen einer geringfügigen Körperverletzung. In seiner zu § 847 BGB a.F. ergangenen Entscheidung, die auf die Norm des § 253 Abs. 2 BGB uneingeschränkt übertragbar ist, führt der BGH aus, dass der in der Norm enthaltene „…Billigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen (ist), der dem Umstand Rechnung trägt, dass für die Bemessung des Schmerzensgeldes auch dort, wo seine Ausgleichsfunktion gegenüber einer Genugtuung ganz im Vordergrund steht, ein Maßstab zur Bewertung des Ausgleichsbedürfnisses in Geld fehlt. Der Richter hat sich deshalb in erster Linie an der Bedeutung der konkreten Gesundheitsverletzung für die Lebensführung des Verletzten auszurichten. Dabei kann der Umstand nicht außer Acht gelassen werden, dass der Mensch, vor allem im Zusammenleben mit anderen, vielfältigen Beeinträchtigungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt ist und daran gewöhnt wird, sich von ihnen möglichst nicht nachhaltig beeindrucken zu lassen. Wird diese Schwelle im konkreten Fall von der erlittenen Beeinträchtigung vornehmlich wegen ihres geringen, nur vorübergehenden Einflusses auf das Allgemeinbefinden nicht überschritten, dann kann es schon an einer Grundlage für die geldliche Bewertung eines Ausgleichsbedürfnisses fehlen. (…) (So kann es) im Einzelfall gerechtfertigt sein, ein Schmerzensgeld zu versagen, wenn die erlittene Beeinträchtigung derart geringfügig ist, dass ein Ausgleich des sich aus ihr ergebenden immateriellen Schadens in Geld nicht mehr billig erscheint.“ (BGH Urt. v. 14.01.1992, NJW 1992,1043 ff.).
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Diese Entscheidung ist deswegen uneingeschränkt auf § 253 Abs. 2 BGB zu übertragen, da auch nach dieser Norm wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschadens ist, (nur) eine „billige Entschädigung in Geld gefordert werden kann“ (vgl. Slizky, Handbuch Schmerzensgeld 19. Aufl. 2023, Rn. 267).
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c) Das Amtsgericht hat die abstrakten Kriterien für die Einordnung eines Personenschadens als Bagatellschaden zutreffend wiedergegeben und den die Vorschrift des § 253 Abs. 2 BGB bestimmenden Billigkeitsgrundsatz überzeugend angewendet.
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(1) Hervorzuheben ist, dass die Einstufung der Folgen einer Körperverletzung als Bagatellschaden im gemäß § 287 ZPO bestehenden Ermessen des Tatrichters liegt (BGH NJW 1992, 1043 ff.; Slizky a.a.O.).
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(2) Durch die Beschränkung der zulässigen Berufungsgründe nach §§ 513, 546 ZPO ist die Nachprüfung eines durch das Erstgericht ausgeübten Ermessens im Allgemeinen beschränkt auf die Fragen, ob die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorgelegen haben, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt worden ist, ob die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten wurden und ob alle wesentlichen Umstände Beachtung gefunden haben. Grundlage der Überprüfung sind dabei die tatrichterlichen Feststellungen und Argumente (OLG München, Urteil vom 22.10.2003, NJW 2004, 959 und Zöller/Heßler § 513 ZPO Rn 2 iVm § 546 ZPO Rn 14).
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Für die Nachprüfung einer erstinstanzlichen Schmerzensgeldbemessung gilt darüber hinaus die Besonderheit, dass hier das Berufungsgericht auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen zusätzlich zu prüfen hat, ob das Schätzungsergebnis des Erstrichters überzeugt (BGH, Urteil vom 28.03.2006, NJW 2006,1589 und Zöller/Greger § 287 ZPO Rn 8).
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(3) Zu Unrecht wendet die Berufung ein, dass das Erstgericht dem als Anlage K1 vorliegenden Durchgangsarztbericht vom 10.10.2022 „nur die halbe Wahrheit“ entnommen habe, weil die in der ärztlichen Bescheinigung genannten leichten Kopfschmerzen und Nackenschmerzen im Bereich der unteren Halswirbelsäule vom Gericht übergangen werden würden (Seite 4 Mitte der Berufungsbegründung).
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Das Amtsgericht hat sich ausweislich des letzten Absatzes auf Seite 4 des Urteils mit genau diesen Schmerzen befasst und konstatiert, dass es sich insoweit um nicht objektivierbare und nicht verifizierbare Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens handelt, die aus diesem Grunde die für eine Entschädigungspflicht bestehende Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreiten.
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Auch die im Durchgangsarztbericht vom 17.10.2022 (Anlage K2) ärztlicherseits festgestellte verspannte Nackenmuskulatur und der hier beschriebene Druckschmerz, der auf zwei Ebenen der Halswirbelsäule ausgelöst werden konnte, werden vom Amtsgericht gesehen und auf Seite 5 des Urteils im 1. Absatz in die Gesamtbetrachtung für die Bewertung der Schwere des Personenschadens einbezogen. Gleiches gilt für den Druckschmerz über der mittleren Halswirbelsäule, der im Durchgangsarztbericht vom 21.10.2022 (Anlage K3) geschildert wird. Das Amtsgericht erwähnt diesen Druckschmerz ausdrücklich auf Seite 5 des Urteils im 1. Absatz und wertet den Durchgangsarztbericht vom 21.10.2022 dahin aus, dass der Kläger mit Ausnahme dieses Druckschmerzes am 21.10.2022 wieder beschwerdefrei war.
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(4) Die vom Amtsgericht nach § 287 Abs. 1 ZPO vorgenommene Einordnung der vom Kläger erlittenen Schmerzen und Verspannungen als Personenschaden, der die Entschädigungspflicht des § 253 Abs. 2 BGB nicht auslöst, lässt keine Ermessensfehler erkennen und ist zudem überzeugend.
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Das Amtsgericht hat ausweislich der Urteilsgründe das Parteivorbringen berücksichtigt, wonach der Kläger nach dem Unfallereignis über Kopfschmerzen, Übelkeit und Schmerzen im Halswirbelbereich geklagt hat, sich aufgrund anhaltender Beschwerden am 10.10.2022, 17.10.2022 und 21.10.2022 in ärztliche Behandlung begab und in dieser Zeit am Tennistraining gehindert war. Aufgrund der vorgelegten Durchgangsarztberichte kommt der Erstrichter jedoch zu dem Ergebnis, dass die Verletzungen die Geringfügigkeitsgrenze für eine billige Entschädigung nicht überschreiten, wobei er sich – wie zuvor dargelegt – mit den ärztlichen Bescheinigungen durchaus genau auseinandersetzt.
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Die Berufung zeigt zwar richtig auf, dass zahlreiche Instanzgerichte in vergleichbaren Fällen durchaus die Bagatellgrenze für überschritten halten und ein Schmerzensgeld in einer Größe von ca. 500 bis 700 € zusprechen. Dies ändert gleichwohl nichts daran, dass das Amtsgericht Deggendorf hier sein ihm zustehendes Ermessen erkannt und fehlerfrei ausgeübt hat. Zutreffend formuliert der M. Kommentar zum StVR: „Im einzelnen ist hier manches streitig, und die Instanzrechtsprechung ist uneinheitlich, zumal die Frage der Geringfügigkeit immer eine Wertungsfrage ist.“ (MüKoStVR/Almeroth BGB § 253 Rn. 8).
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Das Ergebnis des Amtsgerichts ist auch überzeugend.
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Der Kläger hat allenfalls eine HWS-Distorsion 1. Grades erlitten, die durch Nacken-Hinterkopfschmerzen und geringe Bewegungseinschränkungen der HWS gekennzeichnet ist, keinen röntgenologisch oder neurologisch abnormen Befund aufweist und unter Umständen über eine längere Latenzzeit verfügt (vgl. hierzu Luckey SVR 2010, 174). Die ab ca. dem dritten Tag nach dem Unfall vom Kläger als erheblich empfundenen und beschriebenen Schmerzen führten – ausweislich des Durchgangsarztberichtes Anlage K2 – am 16.10.2022 zu einer schmerzhaft eingeschränkten Beweglichkeit, welche sich durch lokale Wärmeanwendung bereits am 17.10.2022 gebessert hatte und – ausweislich des Durchgangsarztberichtes Anlage K3 – am 21.10.2022 (also 11 Tage nach dem Unfall) zurückgebildet war. Die Sportkarenz führte zu einer vorübergehenden Einschränkung in der Lebensgestaltung.
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Es entspricht einer stark vertretenen Meinung in der Diskussion über eine Bagatellschwelle beim Schmerzensgeld, dessen Funktionen des Ausgleichs und der Genugtuung bei fahrlässig verursachten Verkehrsunfällen ohnehin auf die Ausgleichsfunktion beschränkt werden, ein solches für fahrlässig herbeigeführte Personenschäden nur zuzusprechen, wenn sie in ihrer Intensität ein Schmerzensgeld von mehr als 500 EUR rechtfertigen (BeckOGK/Brand BGB § 253 Rn 105 ff.). Demnach dürfte es „…für das kaum objektivierbare „leichte HWS-Syndrom“ des Grades I (…) folglich nach heutigem Recht keinen Ersatz immaterieller Schäden geben. Wenn Versicherer bei einer außergerichtlichen Schadensregulierung einen solchen ablehnen, ist dies demnach nicht zu beanstanden.“ (BeckOGK/Brand a.a.O. Rn 107).
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(5) Soweit die Berufung ausführt, dass die ausweislich des Parteivortrages und der Durchgangsarztberichte erlittenen Verletzungen über eine bagatellhafte Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens hinausgehen (Seite 5 der Berufungsbegründung oben), zeigt die Berufung keine fehlerhafte Rechtsanwendung des Erstgerichts durch einen Subsumtionsfehler auf. Vielmehr will der Berufungsführer seine eigene Bewertung an die Stelle des Tatgerichtes setzen. Damit dringt er nicht durch.
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2. Soweit die Berufung geltend macht, dass Zweifel bestünden an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen iSv § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, weil das Amtsgericht den Beweisanträgen zur Parteieinvernahme des Klägers, zur Zeugeneinvernahme seiner Mutter und zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachgegangen ist und den Kläger nicht einmal informatorisch angehört hat, verfängt dies nicht.
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a) Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche (vgl. OLG München, Urteil vom 21. Juni 2013, BeckRS 2013, 10610 mit Verweis auf die stRspr des BGH).
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b) Solche Anhaltspunkte liegen nicht vor.
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Wie bereits ausführlich dargelegt, richtet sich die Ermittlung der Schwere eines Personenschadens iRv § 253 Abs. 2 BGB (bei zugrundeliegender leichter Körperverletzung) nach § 287 Abs. 1 ZPO.
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Die Vorschrift verzichtet nicht nur auf das Erfordernis des Wahrheitsbeweises nach § 286 ZPO, indem der Richter Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen darf (Zöller/Greger § 287 ZPO Rn 1). Darüber hinaus weist § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO dem Gericht die Befugnis zu, Beweisaufnahmen nach seinem Ermessen anzuordnen. Das Gericht kann daher über alle dem § 287 ZPO zugewiesenen Fragen entscheiden, selbst wenn es eine volle Überzeugung von jedem Einzelpunkt noch nicht erzielt hat, ohne dass die von den Parteien angebotenen Beweise vollständig erhoben worden wären. Damit ist das allgemeine Gebot der Erschöpfung der Beweisanträge eingeschränkt (MüKoZPO/Prütting ZPO § 287 Rn. 23 m.w.N.).
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Hier hat das Amtsgericht Deggendorf ermessensfehlerfrei davon abgesehen, zur Schwere des Personenschadens weitere Beweise zu erheben. Wie zuvor dargelegt hat sich das Amtsgericht bereits aufgrund der vorgelegten Arztberichte die freie Überzeugung davon gebildet, dass die vorgetragenen und durch den Arzt zeitnah festgestellten Beschwerden und Beeinträchtigungen die Geringfügigkeitsgrenze für eine Entschädigungspflicht nicht überschreiten. Zu einer Ausschöpfung der angebotenen Beweise war das Amtsgericht gem. § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht verpflichtet.
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c) Unzutreffend ist der Einwand der Berufung, das Amtsgericht habe ausgeführt, dass die Durchgangsarztberichte „nichts über die Schwere der Beeinträchtigungen aussagen würden“ (Seite 6 oben der Berufungsbegründung), weshalb das Gericht zu weiterer Aufklärung verpflichtet gewesen sei. Richtig ist (wie gerade ausgeführt), dass sich das Erstgericht aufgrund der Durchgangsarztberichte davon überzeugt hat, dass der Personenschaden nicht schwer wiegt.
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d) Die Ausführungen des Berufungsführers zu der Notwendigkeit der Einholung eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens zum Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität (Seite 6 der Berufungsbegründung) sind unbehelflich. Das Erstgericht hat die haftungsbegründende Kausalität dahingestellt sein lassen.
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3. Soweit die Berufung schließlich rügt, dass die Versagung der allgemeinen Auslagenpauschale rechtsfehlerhaft erfolgt sei, kann sie auch damit nicht durchdringen.
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Das Amtsgericht führt insoweit aus, dass die Zuerkennung einer derartigen Pauschale auf der ständigen Rechtsprechung zur Abwicklung von Sachschäden an Fahrzeugen bei Verkehrsunfällen beruht, auf die Fälle der Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen aber nicht zu übertragen ist. Zudem fehle jede Darstellung, welche vorgerichtlichen Kosten dem Kläger angefallen sein könnten. Diese Ausführungen sind rechtsfehlerfrei.
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Typischerweise entstehen durch Unfallereignisse Auslagen für die Schadensfeststellung und Schadensbeseitigung. Dabei geht es vor allem um Telefon-, Porto- und Fahrtkosten kleineren Umfangs (…) Soweit solche Aufwendungen nicht im Einzelnen belegt werden können (was dem Geschädigten unbenommen bleibt, vgl. AG Brandenburg NJW-RR 2016, 283 (286 mwN); MüKoBGB/Oetker § 249 Rn. 450), dürfen sie im Rahmen einer Unfallkostenpauschale in geschätzter Höhe beansprucht werden. Dies alles gilt nach der Rechtsprechung indes nur für Schadensersatzansprüche aufgrund von Verkehrsunfällen, da deren Regulierung ein Massengeschäft darstellt und im Hinblick darauf im Interesse der Praktikabilität eine Auslagenpauschale auch ohne näheren Vortrag konkreter Anknüpfungstatsachen im Einzelfall zuerkannt werden kann. Dagegen erkennt die Rechtsprechung eine solche ohne Rücksicht auf eine nähere Darlegung der getätigten Aufwendungen gewährte Pauschale nicht etwa generell für sämtliche Schadensfälle an. Vielmehr muss der Geschädigte insoweit Tatsachen darlegen und beweisen, auf deren Grundlage dem Gericht gemäß § 287 ZPO die Bemessung der Höhe des Schadensersatzes ermöglicht wird (Geigel Haftpflichtprozess/Katzenstein Kap. 3 Rn. 217, 218).
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).