Inhalt

AG Deggendorf, Endurteil v. 17.07.2023 – 3 C 207/23
Titel:

Kein Schmerzensgeld für Bagatellverletzung

Normenkette:
BGB § 253 Abs. 2
Leitsatz:
Leichte Kopfschmerzen und Nackenschmerzen im Bereich der unteren Halswirbelsäule nach einem Unfallereignis rechtfertigen nicht die Zubilligung eines Schmerzensgeldes. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bagatellverletzung, HWS, Schmerzensgeld
Rechtsmittelinstanz:
LG Deggendorf, Beschluss vom 04.10.2023 – 14 S 31/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 37301

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert beträgt 625 €. 

Tatbestand

1
Der am ... 2010 geborene Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie auf eine Auslagenpauschale aus einem Verkehrsunfall vom 10.10.2022 auf der ... in D. geltend. Der Kläger befand sich im Fahrzeug der Mutter eines Mitschülers auf der Rücksitzbank hinter dem Fahrersitz. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen ... übersah, dass die Mutter des Mitschülers verkehrsbedingt bis zum Stillstand abbremsen musste, und fuhr auf das stehende Fahrzeug, in dem sich der Kläger befand, auf. Die vollumfängliche Haftung der Beklagten für aus dem Unfall resultierende Ansprüche ist zwischen den Parteien nicht streitig.
2
Der Kläger trägt vor, er sei bei dem Unfall verletzt worden. Nach dem Unfallereignis habe er über Kopfschmerzen, Übelkeit sowie Schmerzen im Halswirbelbereich geklagt, aufgrund anhaltender Beschwerden habe er sich am 17.10.2022 sowie am 21.10.2022 nochmals unfallbedingt in ärztliche Behandlung begeben müssen, und es sei ihm aufgrund der unfallbedingt erlittenen Verletzungen am 10.10.2022, 17.10.2022 sowie am 21.10.2022 nicht möglich gewesen, am Tennistraining seines Vereins teilzunehmen. Der Kläger hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 600 € für angemessen, und begehrt zugleich die allgemeine Unkostenpauschale in Höhe von 25 €, jeweils verzinslich, und weiter die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten.
3
Der Kläger beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.12.2022 zu bezahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 25 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.12.2022 zu bezahlen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 159,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
4
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
5
Die Beklagte trägt vor, es habe eine Alltagsbelastung vorgelegen, die unfallbedingt auf den Kläger einwirkenden Kräfte seien nicht geeignet, die klägerseits behaupteten Verletzungen und Beschwerden auszulösen; es werde daher bestritten, dass sich der Kläger unfallbedingt verletzt habe.
6
Zum sonstigen Vorbringen der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst aller Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
7
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
8
1. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schmerzensgeld aus § 823 Abs. 1 BGB, § 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, jeweils in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB, besteht nicht.
9
a) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann der Schmerzensgeldanspruch jedenfalls bei leicht fahrlässigen Körperverletzungen entfallen, wenn das Wohlbefinden des Verletzten nur kurzfristig und unerheblich beeinträchtigt worden ist und der Ersatz des immateriellen Schadens auch nicht aus Gründen der Genugtuung angezeigt ist. Kennzeichen für solche Bagatellfälle ist, dass es sich um vorübergehende, im Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall vorkommende Beeinträchtigungen handelt, die üblicherweise den Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken und dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen sind. So wird die Zubilligung eines Schmerzensgeldes regelmäßig versagt bei geringfügigen Platz- oder Schürfwunden, leichten Prellungen, unerheblichen Blutergüssen oder nicht objektivierbaren HWS-Beschwerden (MüKoStVR / Almeroth, BGB, § 253 Rn. 8 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Ein Anspruch auf Schmerzensgeld setzt vielmehr voraus, dass die Rechtsgüter des Verletzten mehr als nur unwesentlich beeinträchtigt werden (OLG Naumburg, Urteil vom 19.02.2014 – 5 U 206/13, unter II 4 der Entscheidungsgründe).
10
b) Eine in diesem Sinne relevante Verletzung des Klägers ist hier nicht festzustellen. Zwar ist unstreitig, dass die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs, für deren Verhalten die Beklagte gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG einzustehen hat, fahrlässig einen Verkehrsunfall in Gestalt des Auffahrunfalls herbeigeführt hat.
11
c) Das Vorbringen des Klägers ist auch insoweit schlüssig, als er in der Klageschrift den Vortrag gehalten hat, er sei bei dem Unfall verletzt worden, nach dem Unfallereignis habe er über Kopfschmerzen, Übelkeit sowie Schmerzen im Halswirbelbereich geklagt, aufgrund anhaltender Beschwerden habe er sich am 17.10.2022 sowie am 21.10.2022 nochmals unfallbedingt in ärztliche Behandlung begeben müssen, und es sei ihm aufgrund der unfallbedingt erlittenen Verletzungen am 10.10.2022, 17.10.2022 sowie am 21.10.2022 nicht möglich gewesen, am Tennistraining seines Vereins teilzunehmen.
12
d) Eine in diesem Sinne relevante Verletzung des Klägers hat die Beklagte bestritten.
13
e) Der zunächst schlüssige Sachvortrag der Klägerseite ist widerlegt durch die Anlagen K1, K2 und K3. Denn nach diesen jeweils mit „Durchgangsarztbericht“ überschriebenen ärztlichen Bescheinigungen hat der Kläger schon am Unfalltag nicht unter relevanten Beeinträchtigungen gelitten. Nach dem klinischen Untersuchungsbefund war der Patient zu diesem Zeitpunkt in gutem Allgemeinzustand, voll orientiert, und wies keinerlei neurologische Ausfälle oder Auffälligkeiten auf. Die Pupillen waren isokor. Der Patient wies keine Übelkeit und erst recht kein Erbrechen oder Schwindel auf.
14
Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass als Diagnose eine Distorsion der Halswirbelsäule und eine Schädelprellung ausgewiesen sind. Diese Diagnose sagt aber nichts über die Schwere der Beeinträchtigungen aus, die dieser Diagnose zugrunde liegen. Dass es sich um keine relevante Verletzung handelt, folgt aus dem weiteren Text im klinischen Untersuchungsbefund. Danach hatte der Patient nämlich nur leichte Kopfschmerzen und Nackenschmerzen im Bereich der unteren Halswirbelsäule vorzuweisen, hingegen keine Schmerzempfindlichkeit über den Dornfortsätzen. Die Halswirbelsäule war außerdem uneingeschränkt frei beweglich; ein axialer Stauchungsschmerz konnte gerade nicht festgestellt werden.
15
Der Arztbericht vom 17.10.2022 (Anlage K2) weist lediglich noch eine verspannte Nackenmuskulatur und einen Druckschmerz über der unteren/mittleren Halswirbelsäule auf. Ausweislich des Arztberichtes vom 21.10.2022 (Anlage K3) war der Patient mit Ausnahme eines nicht näher beschriebenen Druckschmerzes über der mittleren Halswirbelsäule beschwerdefrei.
16
Die Arztberichte beschreiben daher zusammengenommen stets nur bagatellhafte Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens, die überdies nicht objektivierbar und nicht verifizierbar sind, sondern ausschließlich auf den Angaben des Patienten beruhen.
17
f) Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass eine nennenswerte Schmälerung des körperlichen Wohlbefindens vorgelegen haben könnte.
18
g) Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist bei dieser Sachlage nicht erforderlich (OLG Naumburg a.a.O.); das Gericht hat bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 03.07.2023 darauf hingewiesen, dass es entgegen dem Hinweis in der Terminsverfügung vom 25.05.2023 die Einholung von Sachverständigengutachten nicht für erforderlich hält.
19
2. Auch ein Anspruch des Klägers auf Erstattung einer vorgerichtlichen Auslagenpauschale in Höhe von 25 € besteht nicht. Die Zuerkennung einer derartigen Pauschale beruht auf der ständigen Rechtsprechung zur Abwicklung von Sachschäden an Fahrzeugen bei Verkehrsunfällen, ist aber auf die Fälle der Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen (auch wenn diese aus Verkehrsunfällen resultieren) nicht zu übertragen. Es fehlt auch jede Darstellung, welche vorgerichtlichen Kosten des Klägers angefallen sein könnten.
20
3. Der geltend gemachte Anspruch auf Zinsen und auf vorgerichtliche Anwaltskosten teilt das Schicksal der Hauptforderung.
21
4. Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
II.
22
Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO.
23
Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO Der Streitwert folgt der Klageforderung.