Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 16.08.2023 – 203 VAs 88/23
Titel:

Ablehnung einer Zurückstellung nach § 35 BtMG bei Vollzug der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Normenketten:
BtMG § 35
StGB § 64
Leitsatz:
Die Vollstreckungsbehörde darf eine Zurückstellung nach § 35 BtMG ablehnen, wenn die Unterbringung nach § 64 StGB bereits vollzogen wird. (Rn. 13)
Schlagworte:
Zurückstellung, Ermessen, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, Vollzug, Rehabilitationsinteresse
Fundstellen:
StV 2024, 465
LSK 2023, 37089
BeckRS 2023, 37089

Tenor

1. Der Antrag des Verurteilten nach §§ 23 ff. EGGVG auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Schweinfurt vom 27. Januar 2023 in Gestalt des Beschwerdebescheides der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg vom 22. Februar 2023 wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Geschäftswert wird auf 5.000 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrt der Verurteilte die Zurückstellung der Vollstreckung der neben einer Freiheitsstrafe erkannten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 35 BtMG.
2
Das Landgericht Schweinfurt hat den Antragsteller mit Urteil vom 21. September 2022 (Az.: 4 KLs 8 Js 14326/21) wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit Verfügung vom 3. November 2022 hat die Staatsanwaltschaft die Zahl der auf die Vollstreckung der Freiheitsstrafe anzurechnenden Tage mit 347 festgesetzt und mit Verfügung vom 14. November 2022 die Aufnahme des Verurteilten im Bezirkskrankenhaus in Lohr am Main veranlasst. Die Maßregel wird dort seit dem 22. November 2022 vollzogen.
3
Mit Anwaltsschreiben vom 11. Januar 2023 hat der Verurteilte beantragt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 21. September 2022 gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt hat dies mit Verfügung vom 27. Januar 2023 abgelehnt, da die Unterbringung bereits vollstreckt werde. Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 7. Februar 2023 hat der Verurteilte gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat der Beschwerde nicht abgeholfen und ergänzend zu Ihrer Entscheidung ausgeführt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2023, dem Verfahrensbevollmächtigten des Verurteilten laut Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München am 27. Februar 2023 zugestellt, hat der Generalstaatsanwalt in Bamberg die Beschwerde des Verurteilten zurückgewiesen.
4
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 6. März 2023, eingegangen an diesem Tage, hat der Verurteilte beim Senat Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung kostenfällig als unbegründet zu verwerfen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat auf die genannten Entscheidungen, Verfügungen und Schreiben vollumfänglich Bezug.
II.
5
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 23 EGGVG statthaft, wurde gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG form- und fristgerecht eingelegt und ist auch nach § 24 Abs. 1 und 2 EGGVG zulässig; das erforderliche Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) ist durchgeführt worden.
6
In der Sache bleibt der Antrag auf gerichtliche Entscheidung jedoch ohne Erfolg. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft in der Gestalt des Bescheids der Generalstaatsanwaltschaft vom 22. Februar 2023 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinem subjektiven Recht auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
7
1. Wie der Antragsteller zutreffend ausführt, steht der Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 BtMG ein Ermessensspielraum zu.
8
2. Soweit die Vollstreckungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist die gerichtliche Nachprüfung auf Rechtsfehler bei der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen sowie darauf beschränkt, ob die Vollstreckungsbehörde ihrer Entscheidung einen zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt unter Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zugrunde gelegt hat, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 28 Abs. 3 EGGVG; vgl. dazu Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rn. 207).
9
3. Die Entscheidung der Strafvollstreckungsbehörde, dem Antragsteller die Zurückstellung nach § 35 BtMG zu versagen, ist unter vorgenannten Vorgaben frei von Rechtsfehlern.
10
a) Die Generalstaatsanwaltschaft ist bei ihrer Prüfung der Zurückstellung von einem vollständig ausermittelten Sachverhalt ausgegangen, der sich aus ihren Darlegungen im angefochtenen Bescheid ergibt. Weitere Feststellungen waren nicht geboten.
11
b) Die Vollstreckungsbehörde hat von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung des § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Es steht im Einklang mit Sinn und Zweck der Vorschrift, dass die Vollstreckungsbehörde es abgelehnt hat, eine bereits seit mehreren Monaten laufende Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zugunsten einer therapeutischen Maßnahme im Sinne des § 35 BtMG zurückzustellen.
12
aa) Die Zurückstellungsmöglichkeit des § 35 BtMG bezweckt, betäubungsmittelabhängige Straftäter zu einer notwendigen therapeutischen Behandlung zu motivieren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. November 2007 – 2 VAs 37/07, juris Rn. 8). Die Bereitschaft hierzu soll insbesondere dadurch gefördert werden, dass dem Verurteilten ermöglicht wird, sich vor der Vollstreckung freiwillig einer Therapie zu unterziehen und diese Zeit der Behandlung in bestimmter Weise auf die Strafe angerechnet werden kann (Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit BT-Drucks. 8/4283, S. 6). Bei der Ermessensentscheidung hat daher das Rehabilitationsinteresse des Betroffenen im Vordergrund zu stehen.
13
bb) Danach gilt: Die Vollstreckungsbehörde darf eine Zurückstellung nach § 35 BtMG ablehnen, wenn die Unterbringung nach § 64 StGB bereits vollzogen wird (so auch BeckOK BtMG/Bohnen/Schmidt, 19. Ed. 15.06.2023, BtMG § 35 Rn. 71). Der Verurteilte wird dann nämlich bereits therapeutisch behandelt. Die Suchttherapie ist in einem geschützten Rahmen begonnen worden. Der Betroffene hat in dieser Zeit bereits ein an diesen Verhältnissen orientiertes Verhältnis zu seinen Ärzten und Therapeuten aufgebaut. Ein Abbruch der Maßnahme birgt die Gefahr, dass die bereits eingeleitete therapeutische Aufarbeitung der Suchtproblematik fehlgeht und die bereits erzielten Therapiefortschritte durch den jedem Wechsel der Einrichtung immanenten Wandel der therapeutischen Ansätze verhallen. Ein Übergang von einer Entziehungsanstalt in eine Therapieeinrichtung nach § 35 BtMG widerspräche unter diesen Umständen dem Sinn und Zweck der Zurückstellungsregelungen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. August 2021 – 203 VAs 274/21 –, juris Rn. 42; OLG Stuttgart, Beschluss vom 03. April 2020 4 VAs 4/20, juris Rn. 14 f.).
III.
14
1. Die Entscheidung über die Kosten und die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und § 36 Abs. 3 GNotKG.
15
2. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.