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OLG München, Endurteil v. 13.12.2023 – 7 U 1458/22
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch gegenüber Motorhersteller bei Motortyp EA 288

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 830
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 263
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; BeckRS 2023, 22177; BeckRS 2023, 26995; OLG Celle BeckRS 2021, 42362; BeckRS 2023, 6948; OLG Dresden BeckRS 2022, 23413; BeckRS 2022, 33522; BeckRS 2022, 23367; BeckRS 2021, 51454; OLG Hamburg BeckRS 2022, 41537; OLG Koblenz BeckRS 2023, 25585; OLG München BeckRS 2023, 22881; BeckRS 2023, 24732; BeckRS 2023, 25588; BeckRS 2023, 36827; OLG Oldenburg BeckRS 2023, 24388; BeckRS 2021, 45193; BeckRS 2023, 26748; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 50990; OLG Schleswig BeckRS 2022, 10559 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388; offen gelassen bei BGH BeckRS 2023, 27169. (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle des unzulässigen Parteiwechsels ist die Klage in Richtung gegen die neue Beklagtenpartei als unzulässig abzuweisen; die bisherige Beklagte bleibt Partei und über die Klage gegen sie ist eine Sachentscheidung zu treffen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nur der Fahrzeughersteller – und nicht ein davon ggf. verschiedener Motorhersteller – hat die EG-Typengenehmigung herbeizuführen und sodann die Übereinstimmungsbescheinigungen im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV auszustellen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hinsichtlich des bei der Ermittlung des Differenzschadens zu berücksichtigenden Restwerts des Fahrzeugs kann im Falle der Veräußerung des Fahrzeugs vom tatsächlich erzielten Verkaufspreis ausgegangen werden. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatz, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Differenzschaden, Motorhersteller, Parteiwechsel
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 03.02.2022 – 82 O 2539/21 Die
Fundstelle:
BeckRS 2023, 36829

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 3.2.2022 (Az.: 82 O 2539/21 Die) wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 2 richtet, und im übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten zu 2 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zu 2 vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ geltend.
2
Die Klagepartei erwarb am 20.3.2015 von einem Autohaus den streitgegenständlichen Pkw Marke … bei einem Kilometerstand von 7.985. Das von der Beklagten zu 2 hergestellte Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten zu 1 hergestellten Motor des Typs EA 288 (EU 5). Die Abgasreinigung erfolgt nicht über einen Katalysator, sondern über ein Abgasrückführungssystem. Die Klagepartei steht auf dem Standpunkt, die Motorsoftware des Fahrzeugs enthalte diverse unzulässige Abschalteinrichtungen, die dafür Sorge trügen, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalte. Hierfür habe die Beklagtenseite gegenüber der Klagepartei nach § 826 BGB und anderen Anspruchsgrundlagen einzustehen.
3
Erstinstanzlich richtete sich die Klage nur gegen die nunmehrige Beklagte zu 1.
4
Die Klagepartei hat beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke … mit der Fahrgestellnummer … an die Klagepartei den Kaufpreis in Höhe von 21.930,00 € abzüglich eines Nutzungsentschädigungsbetrages in Höhe von 8.863,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 13.893,29 € seit dem 04.09.2021 zu erstatten.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenseite mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1 in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagtenseite wird verurteilt, die Klägerseite von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.134,55 € freizustellen.
5
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen. Mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgte die Klagepartei ihr erstinstanzliches Begehren gegen die Beklagte zu 1 weiter.
7
Die Klagepartei hat das streitgegenständliche Fahrzeug im März 2023 bei einem Kilometerstand von 180.605 zum Preis von 9.000,- € an einen Dritten veräußert.
8
Mit Schriftsatz vom 19.1.2023 hat die Klagepartei erklärt, dass sich die Berufung nunmehr gegen die Beklagte zu 2 richte. Mit Schriftsatz vom 23.10.2022 haben beide Beklagte die Zustimmung zu einem Parteiwechsel verweigert.
9
Die Klagepartei beantragt, die Beklagte und Berufungsbeklagte unter Aufhebung des am 03. Februar verkündeten Urteils des Landgerichts Ingolstadt (Az. 1. Instanz: 82 O 2539/21 Die) zu verurteilen, der Klägerin und Berufungsklägerin bezüglich des Fahrzeugs der Marke … mit der Fahrgestellnummer … einen Betrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch € 3.289,50- bzw. 15% des ursprünglichen Kaufpreises betragen sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung dieses Schriftsatzes an die neue Beklagte und Berufungsbeklagte (… AG) zu zahlen.
10
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung in Richtung gegen die Beklagte zu 1 und die Abweisung der Klage in Richtung gegen die Beklagte zu 2.
B.
11
Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 2 richtet.
12
Der Schriftsatz vom 19.10.2022 ist dahin zu verstehen, dass die Klagepartei nunmehr nur noch die Beklagte zu 2 in Anspruch nehmen will. Dies ergibt sich für den Senat eindeutig aus dem Wortlaut und hat die Klägervertreterin auch im Termin bestätigt. Eine unbedingte Rücknahme der Klage oder Berufung gegen die Beklagte zu 1 ohne Rücksicht auf die Zulässigkeit des Parteiwechsels sieht der Senat hierin nicht.
13
Der Austausch der Beklagtenpartei durch die Klagepartei ist in der Berufungsinstanz nur zulässig, wenn der bisherige und der neue Beklagte zustimmen; eine hiernach fehlende Zustimmung ist allerdings unbeachtlich, wenn die Zustimmung rechtsmissbräuchlich verweigert wurde (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 8.7.2022 – V ZR 202/21, Rz. 27 m.w.Nachw.). Nach diesen Grundsätzen erweist sich der von der Klagepartei angestrebte Parteiwechsel als unzulässig.
14
Beide Parteien haben die Zustimmung zum Parteiwechsel verweigert. Dies geschah von Seiten der Beklagten zu 2 auch nicht rechtsmissbräuchlich. Für die Frage eines Rechtsmissbrauchs kommt es nicht darauf an, ob der Parteiwechsel objektiv sachdienlich im Sinne des § 533 ZPO wäre; vielmehr ist darauf abzustellen, ob die Belange der neuen Klagepartei dadurch verkümmert werden, dass sie erst in der Berufungsinstanz in den Rechtsstreit hineingezogen wird, an dem sie bisher nicht beteiligt war, und dadurch eine Tatsacheninstanz verliert (vgl. BGH, Urteil vom 13.7.1956 – VI ZR 32/55, Rz. 7). Hiernach kommt die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Verweigerung der Zustimmung insbesondere in zwei Fallgestaltungen in Betracht, einmal wenn der neue Beklagte schon bisher, etwa weil von Anfang an streitig war, welche Partei verklagt war, oder weil er bisher als Nebenintervenient beteiligt war, eine enge Beziehung zum Rechtsstreit hatte, und zum anderen, wenn keine Einwendungen oder Einreden des neuen Beklagten denkbar sind, die nicht auch der bisherige Beklagte hätte geltend machen können (vgl. BGH, Urteil vom 26.2.1987 – VII ZR 58/86, Rz. 12; MünchKomm-ZPO /Becker-Eberhard, 6. Aufl., § 263 Rz. 80; Beck-OK-ZPO / Bacher, 50. Ed., § 263 Rz. 6 m.w.Nachw.). Beide Konstellationen liegen nicht vor. Weder war die Beklagte zu 2 bisher als Nebenintervenientin am Rechtsstreit beteiligt noch sind keine neuen Einwendungen der Zweitbeklagten denkbar. Die subjektive Seite der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen (§§ 826, 823 Abs. 2 BGB) ist für jede Partei getrennt nach dem Vorstellungsbild der jeweils haftungsrechtlich verantwortlichen Organe (§ 31 BGB) der jeweiligen Gesellschaft zu beurteilen; bisher hatte die Erstbeklagte daher keinen Anlass, zum Vorstellungsbild der Organe der Zweitbeklagten vorzutragen. Nach allem ist ein berechtigtes Interesse der Zweitbeklagten an der Verweigerung ihrer Zustimmung anzuerkennen.
15
Im Falle des unzulässigen Parteiwechsels ist die Klage in Richtung gegen die neue Beklagtenpartei als unzulässig abzuweisen; die bisherige Beklagte bleibt Partei und über die Klage gegen sie ist eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. Becker-Eberhard, a.a.O. Rz. 98; Bacher, a.a.O. Rz. 32). Im vorliegenden Fall, in welchem über eine Berufung zu entscheiden ist, bedeutet dies, dass die Berufung insoweit unzulässig ist, als sich die Klage im Berufungsverfahren gegen die Beklagte zu 2 richten soll.
C.
16
Nach den vorstehenden Ausführungen ist die Beklagte zu 1 mangels wirksamen Parteiwechsels Partei des Berufungsverfahrens geblieben, so dass über die Berufung in Richtung gegen die Beklagte zu 1 zu entscheiden war. Diese erweist sich als unbegründet.
17
I. Zu Recht hat das Landgericht Schadensersatzansprüche unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) verneint. Denn es fehlt bereits an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei.
18
1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (std. Rspr., vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwNachw). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH a.a.O. Rz. 15).
19
Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Fahrzeug- bzw. Motorherstellers vor, wenn dieser sich im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes [im folgenden: KBA] zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze macht (BGH a.a.O. Rz. 25). Dies ist der Fall, wenn der Automobilhersteller dem KBA zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer zu diesem Zweck entwickelten Software, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die Grenzwerte einhalten (BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rz. 17).
20
Dabei kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht mehr sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Verhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen (BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20, Rz. 30 ff.).
21
Im Falle eines Abgasrückführungssystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Urteil vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rz. 18), ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung (oder vergleichbarer Beeinflussungen) des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021 – VI ZR 889/20, Rz. 28). Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
22
2. Die Verwendung einer Fahrkurvenerkennung (im Sprachgebrauch der Beklagten auch als „Akustikfunktion“ bezeichnet, vgl. Schreiben der Beklagten vom 29.12.2015, Anl. B 5, S. 3 unten) rechtfertigt nicht die Annahme eines besonders verwerflichen Verhaltens der Beklagten. Unstreitig hat die Beklagte im gegenständlichen Motor eine Fahrkurvenerkennung implementiert.
23
Diese soll nach dem Vortrag der Klagepartei eine erhöhte Abgasrückführung und damit einen verringerten Schadstoffausstoß bei Erkennung der Prüfstandssituation bewirken. Nach dem Vortrag der Beklagten ist die Fahrkurvenerkennung im gegenständlichen Fahrzeug mangels eines Katalysators funktionslos.
24
Ob es sich dabei tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handelt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lässt sich – anders als bei der Umschaltlogik der EA189-Motoren – nicht schon aus der Verwendung der Fahrkurvenerkennung ein arglistiges Verhalten der Beklagten ableiten. Eine Fahrkurvenerkennung / Zykluserkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 48). Daran fehlt es.
25
Es fehlen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz der Fahrkurvenerkennung für die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen durch den streitgegenständlichen Motor im Prüfstand relevant war. Das KBA hat mit zahlreichen Auskünften zum Motortyp EA 288 ausdrücklich bestätigt, dass auch bei Deaktivierung der Funktion der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte im Prüfverfahren eingehalten werden (vgl. insbesondere die Auskünfte gemäß Anlagenkonvolut B 40). Speziell zur Motorkonfiguration mit EU 5 und 77 kw hat das KBA mit Auskünften vom 8.10.2020 gegenüber dem LG Bayreuth (Anl. BE 11) und vom 24.2.2022 gegenüber dem LG Mannheim (Anl. BE 77) bestätigt, dass nach Tests keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens bestehe. Die EA-288-Motoren wurden vom KBA insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission … vom Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe des freiwilligen Software-Updates (im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel) und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Dabei war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach Ansicht des KBA unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des Motors EA 189 sensibilisiert. Zudem hatte die … AG das KBA mit Schreiben vom 29.12.015 (Anl. B 5) von der Fahrkurvenerkennung im Motor EA 288 unterrichtet. Dennoch kam das KBA bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorläge und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung eingehalten würden.
26
Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wurde, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typengenehmigung nicht zu tragen.
27
Soweit dagegen eingewandt wird, es sei unklar, wieso die Beklagte eine Zyklus- bzw. Fahrkurvenerkennung einbaue, wenn diese keine Funktion habe, schlägt dieses Argument nicht durch. Auch wenn die Fahrkurvenerkennung wie von der Klagepartei behauptet zur Steuerung der Abgasrückführungsrate verwendet wurde, lässt sich daraus noch keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klagepartei ableiten, wie oben dargestellt.
28
Damit kommt es ferner nicht darauf an, ob gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug die Fahrkurvenerkennung überhaupt je enthalten war oder noch enthalten ist. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es nicht.
29
3. Das unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend nicht.
30
Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug ist unstreitig abhängig von der Umgebungstemperatur. Unklar sind allerdings die genauen Temperaturdaten, zu denen eine Verminderung oder Abschaltung erfolgen soll. Die Klagepartei lässt sich dazu nicht näher aus.
31
Die Beklagte behauptet, dass die Abgasrückführung im Temperaturbereich zwischen -24°C und + 70 °C ohne Abrampung vollständig aktiv sei; allerdings könne es auch in diesem Temperaturbereich zu mittelbar durch die Umgebungstemperatur beeinflussten Änderungen der Abgas-Rückführungsrate kommen (Schriftsatz vom 16.11.202).
32
Der Einsatz einer derart temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, Rz. 13.; Urteil vom 16.9.2021 – VI ZR 190/20, Rz. 16). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021 – VI ZR 889/20, Rz. 28).
33
Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war hoch umstritten. Der Bericht der Untersuchungskommission … vom April 2016 ging von der Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte (BGH v. 16.9.2021 a.a.O. Rz. 30). Soweit die Klagepartei dies behauptet, ist der erkennbar ins Blaue hinein gemachte Vortrag prozessual unbeachtlich. Dem oben zitierten Vortrag der Klagepartei kann gerade nicht entnommen werden, das Thermofenster sei speziell auf die Prüfbedingungen des NEFZ abgestimmt worden. Denn im Rahmen des NEFZ sind senatsbekannt in den Standardprüfzyklen Temperaturen von 20°C bis 30°C vorgegeben. Von einer Abschalteinrichtung, die exakt auf die Prüfbedingungen im NEFZ abgestimmt ist, kann damit schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers keine Rede sein (vgl. auch schon BGH vom 9.3.2021, a.a.O. Rz. 20, 24).
34
Zwar könnten sich unter Umständen aus einer etwaigen Verschleierung im Typengenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführung (auch) temperaturabhängig ist, Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung einzusetzen, und mithin für die Täuschungsabsicht ergeben (BGH vom 9.3.2021, a.a.O. Rz. 24). Indes lässt sich aus dem Klägervortrag hier keine derartige Verschleierung ableiten, der ein solcher Indizcharakter zukäme. Eine unterbliebene Offenlegung des Thermofensters oder dessen genauer Wirkungsweise gegenüber dem KBA reichen insofern nicht aus (BGH, Hinweisbeschluss vom 15.9.2021 – VII ZR 2/21, Rz. 15; Urteil vom 16.9.2021, a.a.O. Rz. 26; Urteil vom 24..2022 – III ZR 270/20, Rz. 22; Urteil vom 18.9.2023 – VIa ZR 1508/22, Rz. 22).
35
Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, a.a.O. Rz. 32; Beschluss vom 15.9.2021, a.a.O. Rz. 23).
36
4. Die Behauptungen der Klagepartei zu weiteren Abschalteinrichtungen im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalten keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB und vermögen daher eine Beweisaufnahme hierzu nicht zu rechtfertigen.
37
a) Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde oder Einblicks in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 15.9.2021 – VII ZR 2/21, Rz. 26 f.). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH a.a.O. Rz. 28; BGH, Urteil vom 16.9.2021 – VII ZR 190/20, Rz. 23).
38
b) Nach diesen Anforderungen verfehlen die Behauptungen der Klagepartei zu weiteren Abschalteinrichtungen die Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag. Denn sie bieten angesichts der Tatsache, dass das KBA bei den dargestellten mehrfachen Überprüfungen keine Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gefunden hat, keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen.
39
aa) Vorliegend bleibt bereits unklar, ob die Klagepartei überhaupt darlegt, dass der streitgegenständliche Fahrzeugmotor über die oben unter I.2 und I.3 diskutierten Abschalteinrichtungen hinaus noch eine weitere, der Umschaltlogik im EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung aufweise, die ausschließlich durch eine Prüfstandserkennung ausgelöst werde. Jedenfalls fehlen für eine derartige Umschaltlogik in den Schriftsätzen der Klagepartei jegliche Anhaltspunkte. Der Vortrag, die gesetzlichen Abgaswerte würden im Realbetrieb anders als auf dem Prüfstand nicht eingehalten, ist jedenfalls kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer über die oben dargestellten Abschalteinrichtungen hinausgehenden Umschaltlogik, da angesichts der unterschiedlichen Bedingungen im Prüfstands- bzw. Realbetrieb ein unterschiedliches Abgasverhalten auch unabhängig von einer Umschaltlogik zu erwarten war (BGH, Urteil vom 13.7.2021 – VI ZR 128/20, Rz. 23 a.E.; Hinweisbeschluss vom 15.9.2021 – VII ZR 2/21, Rz. 30; vgl. auch Beschluss vom 25.11.2021 – III ZR 202/220, Rz. 17; Urteil vom 26.4.2022 – VI ZR 435/20, Rz. 15).
40
bb) Der Vorwurf der Klagepartei, die Beklagte habe mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems (OBD) getäuscht, rechtfertigt nicht die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB. Die Annahme, dass das OBD selbst eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, wäre angesichts der Tatsache, dass Aufgabe eines Diagnosesystems nur die Anzeige von (Fehl-)Funktionen ist, fernliegend. Selbst wenn die konkrete Ausgestaltung des OBD gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen würde, ergäbe sich aus diesem Befund allein nicht der Vorwurf verwerflichen Verhaltens gegenüber der Klagepartei. Eine – unterstellte – Manipulation des OBD-Systems stellt auch kein Indiz für die Verschleierung einer im Bewusstsein der Unzulässigkeit installierte unzulässigen Abschalteinrichtung dar. Denn wenn die Beklagte eine in Rede stehende Programmierung des Abgassystems für zulässig hielt, hat sie naturgemäß dafür Sorge getragen, dass beim korrekten Arbeiten des Systems nach dieser Programmierung keine Fehlermeldung erscheint.
41
cc) Das Argument, die Motoren EA 189 und EA 288 seien parallel entwickelt worden, trägt nicht. Daraus lässt sich keineswegs ein Indiz ableiten, dass die Motoren über die gleiche Abschalteinrichtung verfügten. Zudem hat das KBA den Motor wie ausgeführt mehrfach untersucht. Dabei erfolgten die ersten Untersuchungen gerade vor dem Hintergrund der 2015 aufgedeckten unzulässigen Umschaltlogik im Rahmen des EA 189. Dennoch hat das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung entdeckt. Einen Rückruf für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp gibt es unstreitig nicht. Soweit die Klagepartei auf einen Rückruf betreffend ein Fahrzeug T 6 verwiesen hat, ändert dies an diesem Befund nichts, zumal nicht ersichtlich ist, dass dieser Rückruf wegen einer Konformitätsabweichung auf einer unzulässigen Abschalteinrichtung fußte.
42
5. Der Senat vermag auch in der Gesamtschau der vorstehend unter I.2 – I.4 erörterten Umstände kein den Vorwurf der Sittenwidrigkeit tragendes besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei zu erkennen.
43
II. Das Begehren der Klagepartei kann auch nicht auf andere Anspruchsgrundlagen gestützt werden.
44
1. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheidet mangels vorsätzlichen Handelns (vgl. oben) aus. Im übrigen würde es an einer Stoffgleichkeit zwischen dem von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteil und einem Schaden der Klagepartei fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20, Rz. 19 ff.).
45
2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte zu 1 auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Der Anspruch scheitert zum einen daran, dass die Beklagte zu 1 nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist; zum anderen ist der Klagepartei auch kein Schaden entstanden.
46
a) Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich (Urteile vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann. Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft jedoch den Fahrzeughersteller, nicht den Motorhersteller. Der BGH (Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 28 ff.) hat die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.3.2023 – C-100/21, Rz. 78 ff., 91) auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typengenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der RL 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 EGFGV knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt (BGH, Urteil vom 10.7.2023 – VIa ZR 1119/22, Rz. 20).
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Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten zu 1 als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an einer durch den Fahrzeughersteller (= Beklagte zu 2) begangenen deliktischen Schädigung kommt vorliegend nicht in Betracht. Zwar kann Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 8.2.2018 – IX ZR 103/17, Rz. 66). Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht (BGH, Urteil vom 10.7.2023 – VIa ZR 1119/22, Rz. 21). Vorliegend trägt die Klagepartei zu einem vorsätzlichen Handeln der für die Fahrzeugherstellerin (= Beklagte zu 2) nach § 31 BGB verantwortlichen Personen nichts vor, obwohl der Senat durch Verfügung der Senatsvorsitzenden vom 1.8.2023 unter Ziffer 1.2 auf diesen Gesichtspunkt ausdrücklich hingewiesen hatte. Damit fehlt es an einer vorsätzlichen Haupttat, zu der Beihilfe hätte geleistet werden können.
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Nach alledem kommt ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV schon dem Grunde nach nicht in Betracht.
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b) Es fehlt aber auch an einem ersatzfähigen Schaden des Klägers. Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist auf den Ersatz des sogenannten Differenzschadens gerichtet (BGH, Urteil vom 26.6.2023- VIa ZR 5/21, Rz. 39 ff.). Es handelt sich um das rechnerische Minus, welches sich daraus ergibt, dass der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt (a.a.O. Rz. 40). Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (a.a.O. Rz. 41).
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Die Höhe dieses Schadens ist nach § 287 ZPO zu schätzen, und zwar im Bereich zwischen 5% und 15% des Kaufpreises (a.a.O.Rz. 42, 43). Dabei ist insbesondere auf das Risiko behördlicher Anordnungen in Bezug auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs, vor allem auf Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Betriebsbeschränkungen im Zeitpunkt des Vertrages abzustellen (a.a.O. Rz. 76). Ferner ist, um dem europarechtlichen Gebot hinreichender Sanktionierung Rechnung zu tragen, auf das Gewicht des Rechtsverstoßes und den Grad des Verschuldens abzustellen (a.a.O. Rz. 77). Der Erholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht (a.a.O. Rz. 78).
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Der Senat schätzt nach diesen Grundsätzen den Differenzschaden vorliegend auf 10% des Kaufpreises. Auszugehen ist insoweit von einem nicht unbeträchtlichen, aber nur fahrlässigen Verstoß gegen die europarechtlichen Anforderungen. Andererseits erschien im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses das Risiko behördlicher Nutzungsbeschränkungen angesichts der Genehmigungspraxis des Kraftfahrzeugbundesamtes eher gering. Dem Senat erscheint es daher angemessen, sich in der Mitte des vorgegebenen Rahmens zu halten. Dies ergibt bei einem Kaufpreis von 21.930,- € im Ausgangspunkt einen klägerischen Schaden von 2.193,- €.
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Gegenzurechnen sind allerdings die Vorteile, die die Klagepartei aus dem erworbenen Fahrzeug gezogen hat. Dies sind der Restwert des klägerischen Fahrzeugs und die von ihm gezogenen Nutzungsvorteile (jeweils nach dem Stand der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung), allerdings nur, soweit die Summe dieser Positionen den wahren Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss (Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigt (BGH, a.a.O. Rz. 79).
53
Der wahre Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses betrug (21.930 – 2.193 =) 19.737,- €.
54
Die von der Klagepartei gezogenen Nutzungsvorteile betragen 12.963,57 €. Der Kläger ist mit dem Fahrzeug 172.620 km gefahren (km-Stand bei Veräußerung 180.605 – km-Stand bei Erwerb 7.985). Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung von einer Gesamtfahrleistung bei Dieselfahrzeugen von 300.000 km aus. Folglich war bei Erwerb des Fahrzeugs durch die Klagepartei eine mögliche Restfahrleistung von 292.015 km (300.000 – 7.985) zu erwarten. Der von der Klagepartei gezogene Nutzungsvorteil ergibt sich daher bei einem Kaufpreis von 21.930,- € nach der Formel Kaufpreis x gefahrene Kilometer zu Restfahrleistung (= 21.930 x 172.620 : 292.015).
55
Hinsichtlich des Restwerts des Fahrzeugs geht der Senat im Falle der Veräußerung des Fahrzeugs vom tatsächlich erzielten Verkaufspreis aus. Vorliegend ergibt sich daher ein zu berücksichtigender Restwert des Fahrzeugs von 9.000,- €.
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Die Nutzungsvorteile von 12.963,57 € und der Restwert von 9.000,- € (zusammen 21.963,57 €) übersteigen den wahren Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss (19.737,- €) um (21.963,57 – 19.737 =) 2.226,57 €. Dieser Betrag ist auf den Differenzschaden von 2.193,- € anzurechnen. Es ergibt sich daher kein zu erstattender Schadensersatzbetrag mehr.
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3. Vertragliche Schadensersatzansprüche (§ 280 Abs. 1 BGB) scheiden von vorneherein aus, weil zwischen den Parteien kein Schuldverhältnis besteht. Die Klagepartei hat das Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von einem Dritten erworben. Anhaltspunkte für ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB) sieht der Senat nicht.
D.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
59
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Eine Abwendungsbefugnis war nur hinsichtlich der Kosten der Beklagten zu 2 anzuordnen, weil das Urteil nur insoweit nichtzulassungsbeschwerdefähig ist.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Zu würdigen waren die Umstände des Einzelfalles.