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OLG München, Endurteil v. 29.11.2023 – 7 U 1209/22
Titel:

Kein Schadensersatzanspruch gegenüber Motorhersteller bei Motortyp EA 288

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 830
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; BeckRS 2023, 22177; BeckRS 2023, 26995; OLG Celle BeckRS 2021, 42362; BeckRS 2023, 6948; OLG Dresden BeckRS 2022, 23413; BeckRS 2022, 33522; BeckRS 2022, 23367; OLG Hamburg BeckRS 2022, 41537; OLG Koblenz BeckRS 2023, 25585; OLG München BeckRS 2023, 22881; BeckRS 2023, 24732; BeckRS 2023, 25588; OLG Oldenburg BeckRS 2023, 24388; BeckRS 2021, 45193; BeckRS 2023, 26748; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 50990; OLG Schleswig BeckRS 2022, 10559 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388; offen gelassen bei BGH BeckRS 2023, 27169. (redaktioneller Leitsatz)
2. Nur der Fahrzeughersteller – und nicht ein davon ggf. verschiedener Motorhersteller – hat die EG-Typengenehmigung herbeizuführen und sodann die Übereinstimmungsbescheinigungen im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV auszustellen. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Erstreckung der möglichen Haftung eines Fahrzeugherstellers nach § 823 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf den Motorhersteller ist europarechtlich nicht geboten. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatz, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, SCR-Katalysator, Differenzschaden, Motorhersteller
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 31.01.2022 – 9 O 2248/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 36827

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 31.01.2022, Az. 9 O 2248/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

1
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
2
Der Kläger schloss am 14.01.2017 mit dem Autohaus … in … einen Kaufvertrag über den von der … hergestellten Pkw …, FIN … zu einem Preis von 39.730,01 €. Das Fahrzeug wurde am 18.05.2017 mit einer Laufleistung von 10 km an den Kläger übergeben. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 288 mit der Schadstoffklasse Euro 6 und 135 kw Leistung verbaut. Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs findet durch eine Kombination aus einerseits einer innermotorischen Abgasrückführung (AGR-Rate) und andererseits einer nachgelagerten Abgasreinigung durch SCR-Katalysator mit AdBlue-Einspritzung statt.
3
Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.
4
Der Kläger behauptete, der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor EA 288 sei nahezu baugleich mit Motoren der Serie EA 189. In dem streitgegenständlichen Motor sei mindestens eine Abschalteinrichtung verbaut, die im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringere. Aufgrund der in dem Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung sei das Fahrzeug zum Erwerbszeitpunkt nicht in der Lage gewesen, die Grenzwerte der Euro 6 Norm einzuhalten. Das KBA, welches sich auf die schriftlichen Angaben des Herstellers im Typengenehmigungsverfahren verlasse, sei insofern von der Beklagten getäuscht worden.
5
Die aus den Motoren des Typs EA 189 bekannte Umschaltlogik sei als 'back-up' in dem Motor EA 288 implementiert und im amerikanischen Markt auch aktiviert worden.
6
Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug werde durch die Motorsteuerung die Menge des eingespritzten AdBlue abhängig von Außentemperatur und Motordrehzahl gesteuert. Außerhalb eines Thermofensters von 20° C bis 30° C und bei einer Motordrehzahl von ca. 2400 Umdrehungen pro Minute erfolge eine zu sparsame AdBlue-Einspritzung bis hin zu deren Abschaltung, wodurch die Stickoxidemissionen stiegen. Die Abgasreinigung funktioniere nur zwischen 17° C und 32° C vollständig. Zudem habe die Beklagte das Onbord-Diagnosesystem (OBD) manipuliert.
7
Der Kläger beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 39.730,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem Kilometer seit dem 18.05.2017 die sich nach folgnder Formel berechnet:
39.730,01 € x gefahrene Kilometer: (500.000 km -10 km)
Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs …,
Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …, nebst Fahrzeugschlüssel
2. Festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs …, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …, in Annahmeverzug befindet
3. Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klagepartei Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs … Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) … mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung resultieren.
8
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
9
Die Beklagte erwiderte, dass in dem betroffenen Motor, insoweit anders als in dem Vorgängermotor EA 189, keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.
10
Der bloße Verbau einer Prüfstandserkennung sei nicht unzulässig.
11
Die Abgasrückführung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei in einem Temperaturbereich zwischen -24° C und 70° C zu 100% aktiv, eine Abrampung finde nicht statt. Bei Temperaturen unterhalb von -24° C und oberhalb von 70° C sei die Deaktivierung der Abgasrückführung zum Schutz des Motors erforderlich.
12
Das KBA habe ab Oktober 2015 Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 288 intensiv auf das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen untersucht und das Nichtvorhandensein mehrfach bestätigt.
13
Mit Endurteil vom 31.01.2022, Az. 9 O 2248/21 wies das Landgericht Traunstein die Klage ab.
14
Zur Begründung führt das Landgericht aus, hinsichtlich des Antrags zu Ziffer 3 sei die Klage zu unbestimmt und damit bereits unzulässig. Hinsichtlich der Anträge zu Ziffer 1 und Ziffer 2 sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe insoweit schon eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht ausreichend vorgetragen. Die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Fahrkurve im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht mit einer Umschaltlogik zur Abgasreinigung verknüpft sei. Auch Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten habe der Kläger nur unzureichend pauschal behauptet und dabei die beim Motortyp EA 189 für die Prüfstandsmanipulation behauptete Vorgehensweise mit dem Thermofenster des weiterentwickleten Motortyps EA 288 vermengt. Außerdem stehe einer Haftung der Beklagten die Tatbestandswirkung der Typengenehmigung entgegen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird im Übrigen Bezug genommen.
15
Mit seiner am 25.02.2022 eingelegten und mit Schriftsatz vom 30.03.2022 begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel unverändert weiter. Der Kläger führt hierzu aus, sein Vortrag zur AdBlue-Dosierstrategie erfülle die prozessualen Sunstantiierungsanforderungen. Der Kläger habe durch den Vortrag zur Fahrkurvenerkennung, zum Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig und zu Kartellabsprachen hinsichtlich der Größe von AdBlue-Tanks eine Indizienkette vorgetragen. Es sei daher Sache der Beklagten gewesen, den Vortrag des Klägers im einzelnen zu bestreiten und im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast dazu vorzutragen, weshalb trotz unstreitiger Existenz einer Fahrkurvenerkennung im Pkw und einer Grenzwertüberschreitung im Realbetrieb und auf dem Prüfstand (NEFZ) keine der vorgetragenen unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliege. Eine Bezugnahme auf die rechtliche Einschätzung einer Bundesoberbehörde, namentlich des KBA, genüge nicht.
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Des Weiteren verweist der Kläger mit Schriftsatz vom 10.02.2023 (Bl. 381 d.A.) auf Unterlagen der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DuH), welche nach Ansicht des Klägers belegen, dass die Beklagte Funktionen des Motorsteuergerätes der R. B. GmbH aktiviert habe, die bei Fahrzykluserkennung Auswirkung unter anderem auf die Dosierung von AdBlue (Schriftsatz vom 10.02.2023, dort Ziffern 1. bis 4., Bl. 388 ff. d.A.), auf das Aufheizen des SCR-Katalysators bei Kaltstart (Schriftsatz vom 10.02.2023, dort Ziffer 5, Bl. 391 d.A.), auf die NSC-Regeneration (Schriftsatz vom 10.02.2023, dort unter Ziffern 6. und 7., Bl. 391 f. d.A.) und auf die NiederdruckAbgasrückführungsrate (Schriftsatz vom 10.02.2023, dort Ziffer 8., Bl. 392 d.A.) hervorriefen. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro-Norm würden wegen dieser Funktionen nur im NOxoptimierten Modus des Prüfstandsfahrbetriebs eingehalten.
17
Hinsichtlich eines Anspruchs gegen die Beklagte auf Differenzschaden aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV führt der Kläger aus, die … gehöre seit Jahrzehnten zum …-Konzern und sei nahezu 100% im Eigentum der … AG. Bei vollkonsolidierten Unternehmen sei als Hersteller iSv Art. 4 der Verordnung 715/2007/EG entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch die Muttergesellschaft anzusehen, insbesondere wenn diese für die Konstruktion des Motors nebst Software eigenständig gehandelt habe. Die Beklagte sei zwar nicht Inhaberin der EG-Typengenehmigung, sie sei aber Inhaberin der Inhaberin … Diese Rechtsfrage sei zwingend dem EuGH vorzulegen (Schriftsatz vom 31.08.2023, Bl. 508 f. d.A..).
18
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts
1. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 39.730,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenem Kilometer seit dem 18.05.2017 die sich nach folgnder Formel berechnet:
39.730,01 € x gefahrene Kilometer: (500.000 km -10 km)
Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs …,
Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …, nebst Fahrzeugschlüssel
2. Festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs …, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …, in Annahmeverzug befindet
3. Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klagepartei Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs … Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) … mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung resultieren.
19
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
20
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts. Der Vortrag des Klägers zu angeblichen Manipulationen erfolge ins Blaue hinein. Der Kläger habe schon keine unzulässige Abschalteinrichtung und erst recht keine vorsätzliche sittenwidrige Täuschung substantiiert dargelegt. Die Beklagte habe die Farhkurve dem KBA bereits Ende 2015 offen gelegt. Die nachfolgenden Testungen durch das KBA hätten ergeben, dass Fahrzeuge mit Motoren des Typs EA 288 die jeweils geforderten Emissionsgrenzwerte nach NEFZ auch dann einhalten, wenn man die Fahrkurve in der Motorsteuerung entfernt. Ein Anspruch auf Differenzschaden bestehe auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht. Da die Abgasrückführung innerhalb eines Temperaturbereichs von -24° C bis 70° C zu 100% aktiv sei, handle es sich bei dem Thermofenster bereits tatbestandlich nicht um eine Abschalteinrichtung. Hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung hätte sich die Beklagte – alle weiteren Aspekte zu Gunsten des Klägers unterstellt – jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Hinzu komme, dass die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nur den Hersteller treffe. Hersteller des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei nicht die Beklagte, sondern die … Der Senat hat am 29.11.2023 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2023, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
21
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat hinsichtlich des großen Schadensersatzes die Voraussetzungen eines Anspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB nicht dargelegt und auch andere Anspruchsgrundlagen sind insoweit nicht ersichtlich. Hinsichtlich eines Anspruchs auf Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist die Beklagte, die Herstellerin des Motors aber nicht Herstellerin des Fahrzeugs und auch nicht Inhaberin der EG-Typengenehmigung ist, nicht passivlegitimiert, sodass es auf die Frage, ob insoweit die weiteren Voraussetzungen dargelegt wurden, nicht ankommt.
22
Infolgedessen kann auch dahinstehen, ob der Feststellungsantrag zu Ziffer 3 – wie das Landgericht meinte – zu unbestimmt und daher unzulässig war. Da der Kläger gegen die Beklagte im Ergebnis keine Schadensersatzansprüche wegen der Ausstattung des streitgegenständlichen PKW … mit einer – nach dem Klagevortrag – unzulässigen Abschalteinrichtung hat, ist die Klage jedenfalls insgesamt unbegründet (zur Abweisung einer möglicherweise unzulässigen Klage als jedenfalls unbegründet vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage, Köln 2022, Rdnr. 7 aE zu § 256 ZPO m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung).
Im Einzelnen:
23
I. Vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte, die Herstellerin des Motors des Fahrzeugs, aber nicht Verkäuferin des Fahrzeugs ist, kommen nicht in Betracht. Anhaltspunkte für ein zwischen den Parteien bestehendes vorvertragliches Schuldverhältnis sieht der Senat nicht.
24
II. Das Landgericht hat Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Recht verneint, denn die Voraussetzungen für einen Anspruch gem. §§ 826, 31 BGB liegen nicht vor.
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1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15, BGH Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 14). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es maßgeblich darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 17).
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Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Motorherstellers, der nicht zugleich Hersteller des Fahrzeugs ist vor, wenn der Motorhersteller auf der Grundlage einer für sein Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung den Motor im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer unmittelbar auf die arglistige Täuschung des Typengenehmigungsbehörde abzielenden und eigens zu diesem Zweck entwickelten Steuerungssoftware ausstattet und diesen Motor in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von seiner Tochtergesellschaft in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 20). Eine unmittelbar auf die arglistige Täuschung des KBA als Typengenehmigungsbehörde abzielende Steuerungssoftware ist gegeben, wenn die zu diesem Zweck entwickelte Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die Software dadurch dem KBA wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die festgelegten Grenzwerte einhalten (s. BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 17 zur entsprechenden Haftung des Fahrzeugherstellers).
27
Im Falle eines Emissionskontrollsystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht bereits im Ausgangspunkt danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 18), ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten Motorherstellerin nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 28).
28
Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
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2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Kläger nicht vorsätzlich und sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB geschädigt.
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a) Soweit die Klagepartei eine der Umschaltlogik im Motor EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung behauptet, enthält ihr Vortrag keine greifbaren Anhaltspunkte hierzu und vermag eine Beweisaufnahme daher nicht zu rechtfertigen.
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aa) Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde oder Einblicks in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 26 f.). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH a.a.O. Rz. 28; BGH, Urteil vom 16.9.2021, VII ZR 190/20, juris Rz. 23).
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bb) Nach diesen Anforderungen verfehlen die Behauptungen der Klagepartei zu einer der Umschaltlogik des EA 189 vergleichbaren Motorsteuerung die Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag. Denn sie bieten angesichts der Tatsache, dass das KBA bei den dargestellten mehrfachen Überprüfungen keine Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gefunden hat, keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vergleichbar unzulässigen Abschalteinrichtung.
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(1) Der Vortrag, die gesetzlichen Abgaswerte würden im Realbetrieb anders als auf dem Prüfstand nicht eingehalten, ist kein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer dem EA 189 vergleichbaren Umschaltlogik, da angesichts der unterschiedlichen Bedingungen im Prüfstands- bzw. Realbetrieb ein unterschiedliches Abgasverhalten auch unabhängig von einer Umschaltlogik zu erwarten war (BGH, Urteil vom 13.7.2021, VI ZR 128/20, juris Rz. 23 a.E.; Hinweisbeschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 30; vgl. auch Beschluss vom 25.11.2021, III ZR 202/220, juris Rz. 17; Urteil vom 26.4.2022, VI ZR 435/20, juris Rz. 15).
34
Soweit die Klagepartei als Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung auf anderweitige Messungen der DUH Bezug nimmt, dringt sie damit ebenfalls nicht durch. Das KBA hat ausweislich des Berichts zur Untersuchungskommission Diesel (Anlage B 1) Messungen bezüglich des Motors EA 288 gerade nicht nur im NEFZ, sondern auch mit einer Reihe anderer Fahrzyklen auch außerhalb des Prüfstandes vorgenommen (Anl. B 1, S. 15 ff.). Hierbei hat das KBA bezüglich des Motors EA 288 nur solche Abweichungen von den Messungen im NEFZ festgestellt, die aufgrund der abweichenden Rahmenbedingungen zu erwarten waren, aber nicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen schließen lassen (Anl. B 1, S. 12, S. 18, S. 60). Im Unterschied dazu wurden bei vergleichbaren Messungen bezogen auf den Motor EA 189 Abweichungen festgestellt, die nur durch eine Abschalteinrichtung zu erklären waren (Anl. B 1 S. 12, S. 114). Sodann hat das KBA auch eine Straßenmessung so durchgeführt, wie es der späteren RDE-Vorschrift, basierend auf dem RDE-Vorschlag der Europäischen Kommission entspricht (a.a.O. S. 17 unten). Abweichende Messungen der DUH im „realen Fahrbetrieb“ unter anderweitigen – unklaren – Parametern sind mithin nicht aussagekräftig und stellen kein Indiz für eine Manipulationssoftware dar.
35
(2) Aus dem gleichen Grund stellt auch die nach einem Bericht eines Fernsehmagazins an einem Golf VII durchgeführte Messung mit – nach diesem Bericht – erhöhten Stickoxidwerten keinen greifbaren Anhaltspunkt für den Einbau einer dem Motor EA 189 vergleichbaren Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Motor dar. Streitgegenständlich ist kein Golf VII, sondern ein … und die weiteren Parameter der nach dem Fernsehbericht durchgeführten Messung werden nicht mitgeteilt.
36
(3) Nichts anderes folgt aus der von der Klagepartei vorgetragenen Behauptung, die Beklagte habe sich mit anderen Herstellern kartellrechtswidrig über die Größe der AdBlue-Tanks verständigt. Auch eine solche Absprache wäre im Rahmen einer Haftung nach § 826 BGB nicht entscheidungserheblich. Die Größe der Tanks könnte allenfalls ein Indiz dafür sein, dass im realen Fahrbetrieb weniger AdBlue eingespritzt würde als auf dem Prüfstand. Indessen hält der Motor, wie nach dem Vortrag der Beklagten vom KBA festgestellt, auch bei Abschaltung der Fahrkurvenerkennung und der damit verbundenen Funktionen, mithin auch bei der behaupteten geringeren AdBlue-Einspritzung, die maßgeblichen Grenzwerte ein. Der Kläger ist dem nicht substantiiert entgegengetreten. Infolgedessen erweist sich die von dem Kläger behauptete „Indizienkette“ (Berufungsbegründung vom 30.3.2022, dort S. 6 oben, Bl. 254 d.A.) als nicht zielführend.
37
(4) Auch dass die Beklagte freiwillige Software-Updates anbietet, die den Schadstoffausstoß reduzieren sollen, ist entgegen dem Vorbringen der Klagepartei kein Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, das freiwillige Software-Update sei im Rahmen des Nationalen Forums Diesel vereinbart worden, habe aber nichts mit einem drohenden Rückruf durch das KBA zu tun. Ein Zusammenhang mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ist daher nicht erkennbar. Dagegen spricht, dass das KBA für den streitgegenständlichen Motortyp stets bestätigt hat, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei. Es spricht daher nichts dafür, dass die Beklagte das freiwillige Update nur anbiete, um verpflichtenden Rückrufen zuvorzukommen, die gegenteilige Annahme der Klagepartei bewegt sich dem gegenüber auf der Ebene der Spekulation. Soweit die Klagepartei hier allgemein auf (deutsche) Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren rekurriert, wird der Bezug zu dem konkreten Streitgegenstand ebenfalls nicht klar.
38
(5) Schließlich stellen auch die erstmals im Berufungsverfahren angeführten Unterlagen der DUH zur Motorsteuerung der R. B. GmbH keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Handeln der Beklagten dar. Insoweit ist bereits der konkrete Bezug zu dem streitgegenständlichen Motor nicht ersichtlich. Dass eine Software Möglichkeiten einer bestimmten Bedatung hat, bedeutet nicht, dass diese abstrakten Möglichkeiten durch die Beklagte auch genutzt wurden. Der fehlende Bezug gerade zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug erweist sich besonders deutlich in dem Klägervortrag zu den softwareseitigen Möglichkeiten zur Steuerung von „Regenerationsereignissen“ (Schriftsatz vom 10.02.2023, dort S. 11 f, Ziffern 6. bis 8., Bl. 391 f. d.A.), denn Regenerationsereignisse betreffen NOx-Speicherkatalysatoren, während das streitgegenständliche Fahrzeug unbestritten gerade nicht mit einem NOx-Speicherkataysator, sondern mit einem SCR-Katalysator ausgestattet ist.
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b) Auch die Verwendung eines SCR-Katalysators in Verbindung mit einer Fahrkurvenerkennung rechtfertigt nicht die Annahme eines besonders verwerflichen Verhaltens der Beklagten. Nach dem Vortrag der Klagepartei soll die Fahrkurvenerkennung bewirken, dass im Prüfstand anders als im Realbetrieb zum einen die Abgasrückführungsrate erhöht und zum anderen vermehrt AdBlue eingespritzt werde. Die Beklagte hat dies bestritten.
40
Ob der Vortrag der Klagepartei zutrifft und ob es sich dabei tatsächlich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handelt, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lässt sich – anders als bei der Umschaltlogik der EA189-Motoren – nicht schon aus der Verwendung der behaupteten und – unterstellt unzulässigen – Fahrkurvenerkennung ein arglistiges Verhalten der Beklagten ableiten. Eine Fahrkurvenerkennung / Zykluserkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve relevante Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 48). Daran fehlt es.
41
Es fehlen greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Einsatz der Fahrkurvenerkennung für die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen durch den streitgegenständlichen Motor im Prüfstand relevant war. Das KBA hat u.a. mit Auskunft vom 13.11.2020 (Anlage B 18) und mit Auskunft vom 25.01.2021 (Anlage B 28) bestätigt, dass auch bei Deaktivierung der Funktion der Fahrkurvenerkennung die Grenzwerte im Prüfverfahren eingehalten werden. Speziell zu einem Fahrzeug … … mit der identischen Motorkonfiguration (2,0 TDI, EA 288, 135 kw) hat das KBA mit Auskunft vom 04.03.2022 (Anlage BE 123) gegenüber dem LG Ulm bestätigt, dass nach Tests keine unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens bestehe.
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Die EA-288-Motoren wurden vom KBA insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission … vom Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe des freiwilligen Software-Updates (im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel) und nochmals in den Jahren 2019 und 2020. Dabei war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach Ansicht des KBA unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des Motors EA 189 sensibilisiert. Zudem hatte die … AG das KBA mit Schreiben vom 29.12.015 (Anl. B 5) von der Fahrkurvenerkennung im Motor EA 288 unterrichtet. Dennoch kam das KBA bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorläge und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung eingehalten würden.
43
Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wurde, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typengenehmigung nicht zu tragen. Daher kommt es nicht darauf an, ob gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug die Fahrkurvenerkennung überhaupt je enthalten war oder noch enthalten ist. Der Erholung eines Sachverständigengutachtens hierzu bedarf es insgesamt nicht.
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c) Auch das unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend nicht. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 13.; Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 16). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und / oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH vom 19.1.2021, a.a.O. Rz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 28).
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Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob ein Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, war hoch umstritten. Der Bericht der Untersuchungskommission … vom April 2016 ging von der Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte (BGH v. 16.9.2021 VI ZR 190/20, juris Rz. 30).
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Zwar könnten sich unter Umständen aus einer etwaigen Verschleierung im Typengenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführung (auch) temperaturabhängig ist, Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung einzusetzen, und mithin für die Täuschungsabsicht ergeben (BGH vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, juris Rz. 24). Indes lässt sich aus dem Klägervortrag hier keine derartige Verschleierung ableiten, der ein solcher Indizcharakter zukäme. Eine unterbliebene Offenlegung des Thermofensters oder dessen genauer Wirkungsweise gegenüber dem KBA reichen insofern nicht aus (BGH, Hinweisbeschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 15; Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 26; Urteil vom 24..2022, III ZR 270/20, juris Rz. 22; Urteil vom 18.9.2023, VIa ZR 1508/22, juris Rz. 22). Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vorträgt, bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei die Abgasrückführung innerhalb eines Temperaturbereichs von -24° C bis 70° C zu 100% aktiv. Demgegenüber trug der Kläger zunächst in der Klageschrift vom 02.09.2021 (dort S. 20 oben) vor, außerhalb eines Thermofensters von 20° C bis 30° C erfolge eine zu sparsame Einspritzung von AdBlue, um sodann im Schriftsatz vom 15.12.2021 (dort Seite 17 Mitte, Bl. 138 d.A.), wie auch in der Berufungsbegründung vom 30.03.2022 (dort S. 16 oben, Bl. 264 d.A.) anzugeben, außerhalb eines Temperaturfensters zwischen 17° C bis 32° C finde keine Abgasreinigung statt. Nähere Erläuterungen zu diesen einander widersprechenden Angaben finden sich in den Schriftsätzen des Klägers nicht. Dies spricht aus Sicht des Senats dafür, dass die Angaben schlicht ins Blaue hinein erfolgte, zumal es aus Sicht des Senats lebensfern erscheint, dass eine bereits unter 17° C und über 32° C vollständig entfallende Abgasreinigung – so aber der Klägervortrag – während der auch außerhalb des Temperaturbereichs des NEFZ und im realen Fahrbetrieb durch das KBA veranlassten Messungen zur Überprüfung des Motors EA 288 nicht entdeckt worden wäre.
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Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, VI ZR 190/20, juris Rz. 32; Beschluss vom 15.9.2021, VII ZR 2/21, juris Rz. 23).
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d) Der weitere Vortrag der Klagepartei zu einer angeblichen Modifikation des Onbord-Diagnose-Systems (OBD) ist ebenfalls nicht geeignet, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte auch nur darzulegen. Auch insoweit fehlen jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für eine bewusste Täuschung durch die Beklagte.
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e) Der Senat vermag schließlich auch in der Gesamtschau der vorstehend unter II. 2 Buchstabe a) bis Buchstabe d) erörterten Umstände kein den Vorwurf der Sittenwidrigkeit tragendes besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten gegenüber der Klagepartei zu erkennen.
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III. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB scheidet mangels vorsätzlichen Handelns (vgl. oben) aus. Im übrigen würde es, da vorliegend ein Gebrauchtfahrzeug erworben wurde, an einer Stoffgleichheit zwischen dem von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteil und einem Schaden der Klagepartei fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020, VI ZR 5/20, juris Rz. 19 ff.).
51
IV. Der Kläger hat gegen die Beklagte im Ergebnis auch keinen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder nach § 830 Abs. 2 BGB
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1. Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich (Urteile vom 26.6.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann. Voraussetzung hierfür wäre aber, dass in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind, dass die Beklagte Adressat der Pflichten aus §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist und dass sich die Beklagte als Verpflichteter von der sie aufgrund der objektiven Verletzung des Schutzgesetzes treffenden Vermutung (mindestens) fahrlässigen Handelns nicht entlasten kann.
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2. Ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG verbaut gewesen ist, kann gleichwohl dahinstehen, denn die Beklagte ist bezogen auf das hier streitgegenständliche Fahrzeug schon nicht Adressat der Pflichten aus §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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a) Die eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gegebenenfalls begründende Verletzungshandlung besteht nach der Rechtsprechung des BGH darin, trotz Verwendung einer – unterstellt – unzulässigen Abschalteinrichtung eine Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne von § 6 Abs. 1 EG-FGV ausgegeben und dadurch §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV verletzt zu haben (BGH Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rz. 59). Voraussetzung des Anspruches nach §§ 823 Abs. 2, §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV wäre daher, dass die Beklagte Ausstellerin der Übereinstimmungsbescheinigung nach §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist. Nach § 6 Abs. 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typengenehmigung die Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen. Inhaber der Typengenehmigung wiederum ist nach Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang IX der RL 2007/46/EG der Hersteller des Fahrzeugs. Der Fahrzeughersteller – und nicht ein davon ggf. verschiedener Motorhersteller – hat somit die EG-Typengenehmigung herbeizuführen und sodann die Übereinstimmungsbescheinigungen im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV auszustellen (BGH Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/23, juris Rz. 20 und BGH Urteil vom 18.09.2023, Via ZR 1652/22, juris Rz. 10.
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b) Da das hier streitgegenständliche Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von … hergestellt wurde, hätte die Beklagte auch bei unterstelltem Einbau einer unterstellt unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung des von ihr gebauten Motors eine Pflicht nach §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verletzt. Da die Beklagten somit durch die hier relevante Sonderpflicht aus § 6 Abs. 1 EG-FGV nicht verpflichtet wird, kann sie auch weder Mittäterin des Fahrzeugherstellers, noch mittelbare Vorsatztäterin hinter dem gegebenenfalls fahrlässig handelnden Fahrzeughersteller sein (BGH Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/22, juris Rz. 20).
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c) Auch ein auf Beihilfe gestützter Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nach § 830 Abs. 2 BGB kommt auf der Grundlage des Klagevortrags selbst dann nicht in Betracht, wenn man den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt. Zwar kann grundsätzlich auch zu Sonderdelikten, bei denen eine täterschaftliche Beteiligung nicht möglich ist, Beihilfe geleistet werden. Voraussetzung einer Gehilfenhaftung ist aber zum einen eine Vorsatztat (hier des Fahrzeugherstellers) und zusätzlich zum anderen ein Gehilfenvorsatz sowohl hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat, als auch hinsichtlich der eigenen Unterstützungsleistung (BGH Urteil vom 10.07.2023, Via ZR 1119/22, juris Rz. 21). Eine Vorsatztat der … und einen (doppelten) Vorsatz der Beklagten hinsichtlich der Unterstützung einer Vorsatztat der … hat der Kläger indes weder vorgetragen, noch ist auch nur eines von beidem sonst ersichtlich.
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3. Eine abweichende Betrachtung ist entgegen dem Vorbringen des Klägers auch nicht aus Gründen des Unionsrechts geboten. Einer Vorlage an den EuGH bedarf es insoweit nicht.
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a) Soweit der Kläger anregt, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 267 AEUV die Frage vorzulegen, ob das Verbot der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen aus Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG sich nur an den Hersteller des jeweiligen Fahrzeugs richtet oder – insbesondere bei vollkonsolidierten Unternehmen – auch an den Hersteller einzelner Fahrzeugkomponenten wie insbesondere des Motors (Schriftsatz des Klägers vom 31.08.2023, dort S. 3, Bl. 509 d.A.) verkennt der Kläger, dass die Differenzschadenshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht an dem europarechtlichen Verbot der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen anknüpft, sondern an der in § 6 Abs. 1 EG-FGV niedergelegten Pflicht, (zutreffende) Übereinstimmungsbescheinigungen auszustellen. Nicht die Verordnung 715/2007/EG, sondern die (untergesetzliche) nationale Vorschrift der EG-FGV ist insoweit das infrage stehende Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Da es somit für die hier allein streitentscheidende Frage, wer als Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung Adressat der Sonderpflichten aus §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist, gar nicht darauf ankommt, ob es – wovon aus Sicht des Senats im Übrigen auszugehen wäre – auch dem Motorhersteller durch Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG untersagt ist, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, wäre eine darauf gerichtete Vorlage an den EuGH für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich und die Vorlage selbst damit unzulässig (ständige Rechtsprechung, s. aus jüngerer Zeit EuGH Urteil vom 06.10.2021, Rs C-561/19, juris Rz. 34 ff. und die dort angeführten Nachweise).
59
b) Eine Erstreckung der möglichen Haftung eines Fahrzeugherstellers auf den Motorhersteller ist europarechtlich nicht geboten. Auch insoweit ist zunächst festzuhalten, dass die hier infrage stehende Haftung nicht unmittelbar aus dem Europarecht folgt. Denn auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft hat – worauf der BGH im Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21 in Rz. 36 ausdrücklich hinweist – in seiner Entscheidung vom 21.03.2023 nicht etwa einen Ersatzanspruch des Käufers für den Fall einer unzulässigen Abschalteinrichtung unmittelbar aus dem Europarecht abgeleitet, sondern lediglich eine Pflicht der Mitgliedstaaten bejaht, einen entsprechenden Anspruch vorzusehen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, Rs. C-100/21, juris Rz. 91). Dieser Pflicht ist mit dem Differenzschadensanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV Genüge getan. Dadurch, dass sich die mögliche Ersatzpflicht (nur) gegen den Fahrzeughersteller richtet, wird deren Verfolgung weder übermäßig erschwert, noch praktisch unmöglich.
60
c) Unerheblich ist insoweit schließlich, dass in der hier vorliegenden Konstellation die Fahrzeugherstellerin ein Tochterunternehmen der beklagten Motorherstellerin ist, denn sowohl im faktischen Konzern, als auch im Vertragskonzern gilt weiterhin die rechtliche Selbständigkeit verbundener Unternehmen, § 15 AktG.
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Eine allgemeine konzernweite Durchgriffshaftung besteht weder nach dem hier maßgeblichen deutschen Recht, noch nach europäischem Recht.
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Diesem Grundsatz steht namentlich und zuletzt auch nicht die zu Fragen des Kartellschadensersatzes im Konzern ergangene Rechtsprechung des EuGH entgegen. Zwar können nach dieser Rechtsprechung die haftungsrechtlichen Folgen von Kartellverstößen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit auch diejenigen rechtlich selbständigen unternehmenstragenden Gesellschaften treffen, die selbst nicht an dem Kartellverstoß beteiligt waren (s. EuGH, Urteil vom 06.10.2021, Rs. C-882/19, juris Rz. 51). Jedoch knüpft diese Rechtsprechung gerade an die begriffliche Besonderheit an, dass Adressaten des Europäischen Kartellrechts nach Art. 101 f. AEUV „Unternehmen“ und nicht etwa „Gesellschaften“ oder „juristische Personen“ sind und dass nach der insoweit autonomen Begriffsbildung des Europäischen Kartellrechts als Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und ihrer Finanzierung gilt, und dies auch dann, wenn die wirtschaftliche Einheit aus rechtlicher Sicht aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen besteht (EuGH, a.a.O., juris Rz. 41). Da somit die ggf. konzernweite, gesamtschuldnerische Haftung für Kartellschadensersatzansprüche auf den Besonderheiten gerade des Europäischen Kartellrechts gründet, ist eine Erstreckung auf andere Fälle, in denen innerhalb eines Konzerns durch ein Konzernunternehmen gegen europarechtlich fundierte Pflichten verstoßen wird, nicht geboten.
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V. Da somit ein Schadensersatzanspruch insgesamt nicht besteht, besteht bereits dem Grunde nach auch kein Anspruch auf Feststellung eines Annahmeverzugs und auf Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten, weitere Schäden zu bezahlen. Darüber hinaus besteht mangels Hauptforderung auch kein Anspruch auf die begehrten Zinsen.
C.
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Der Ausspruch zu den Kosten ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegt.