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AG München, Endurteil v. 16.02.2023 – 335 C 13100/22
Titel:

Erstattungsfähigkeit coronabedingter Desinfektionskosten bei Fahrzeugreparatur

Normenketten:
StVG § 7, § 18
BGB § 249 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Schädiger hat die Kosten coronabedingter Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der Reparatur eines durch sein Verhalten schuldhaft verursachten Schadens zu tragen. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die in einer Reparaturrechnung ausgewiesenen Instandsetzungskosten sind in Verbindung mit einem ihnen in etwa entsprechenden Sachverständigengutachten unabhängig von ihrer Begleichung ein Indiz für ihre Erforderlichkeit.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch wenn die von dem Geschädigten beauftragte Fachwerkstatt den Sachverständigen selbst auswählt, bleibt er in seinem Vertrauen schutzwürdig, dass ihm nicht unnötige oder nicht sachgerechte Reparaturpositionen in Rechnung gestellt werden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Fahrzeugschaden, Reparaturkosten, Desinfektionskosten, Sachverständigengutachten, Dispositionsfreiheit, Werkstattrisiko, subjektbezogene Schadenbetrachtung, Schadenservice aus einer Hand
Fundstelle:
BeckRS 2023, 36597

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60,74 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.11.2022 zu bezahlen Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche des Klägers auf Schadloshaltung aufgrund der Fahrzeuginstandsetzung zu Auftragnummer … vom 14.02.2022 gegen …
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 60,74 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
2
Gegenstand des Rechtsstreits sind weitere Schadensersatzsansprüche in Höhe von insgesamt 60,74 EUR aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 13.02.2022 in der F. Ch. in 1… A., bei welchem das Fahrzeug des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen … durch das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … beschädigt wurde.
3
Der Unfallhergang und die alleinige Haftung der beklagten Partei für die Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall sind zwischen den Parteien unstreitig.
4
Das vorab erholte Schadensgutachten bewertete die Reparaturkosten am verunfallten Klägerfahrzeug derzeit mit 10.579,71 EUR brutto und gab Kosten für eine eventuelle Reparaturausweitung mit 953,54 EUR brutto an. Der Kläger ließ sein Fahrzeug sodann bei der … reparieren, welches ihm hierfür Reparaturkosten in Höhe von 10.850,35 brutto in Rechnung stellte.
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Die Beklagte zahlte die Reparaturkosten vorgerichtlich unter Abzug der hierin enthaltenen Desinfektionskosten in Höhe von 60,74 EUR brutto.
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Der noch offene Restbetrag in Höhe von insgesamt 60,74 EUR ist Gegenstand der Klage.
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Die zulässige Klage ist umfassend begründet mit der Maßgabe, dass vorliegend eine Zug-um Zug-Abtretung hinsichtlich etwaiger Ansprüche des Klägers auf Schadloshaltung gegen die Reparaturwerkstatt auszusprechen war.
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Der Kläger kann weitere Reparaturkosten in Höhe von 60,74 EUR von der Beklagten als Haftpflichtversichererin des unfallverursachenden Fahrzeugs erstattet verlangen, §§ 115 Abs. 1 S. 1 VVG, 1 PflVG i.V.m. 7, 18 StVG.
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Nach Auffassung des erkennenden Gerichts sind die noch offenen Reparaturkosten vorliegend vom Werkstattrisiko umfasst.
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Grundsätzlich gilt, dass der Schädiger das sog. Werkstatt- und Prognoserisiko trägt, falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft. Denn die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB. „Bei der Instandsetzung eines beschädigten Kraftfahrzeugs schuldet der Schädiger als Herstellungsaufwand nach § 249 S. 2 BGB grundsätzlich auch die Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat; die Werkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten“ (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73; Leitsatz).
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Der BGH führte weiter aus (a.a.O.): „Es darf aber nicht außer acht gelassen werden, dass seinen Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten bei der Schadenregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Unfallfahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben hat; auch diese Grenzen bestimmen das mit, was „erforderlich“ ist. Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 S. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis – sei es aus materiell-rechtlichen Gründen, etwa gar in Anwendung des § 278 BGB, oder aufgrund der Beweislastverteilung – im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadenbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadenbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Insoweit besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das „Werkstattrisiko“ abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 S. 1 BGB überlassen würde. Die dem Geschädigten durch § 249 S. 2 BGB gewährte Ersetzungsbefugnis ist kein Korrelat für eine Überbürdung dieses Risikos auf ihn. Ebensowenig ist eine Belastung mit diesem Risiko deshalb angezeigt, weil der Geschädigte für das Verschulden von Hilfspersonen bei Erfüllung seiner Obliegenheiten zur Schadenminderung nach § 254 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 278 BGB einstehen müsste. In den Fällen des § 249 S. 2 BGB, in denen es lediglich um die Bewertung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes geht, ist die Vorschrift des § 254 BGB ohnehin nur sinngemäß anwendbar […]“.
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Die Anwendung des Werkstattrisikos ist auch billig, da der Geschädigte nach Übergabe des unfallbeschädigten Fahrzeugs an die Reparaturwerkstatt faktisch keinen Einfluss mehr darauf hat, ob sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welcher andernfalls die von ihm aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde. Dem Geschädigten sind daher in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen sind, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. (so BGH, a.a.O.) Zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehören auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten, welche durch die Werkstatt ausgeführt wurden (AG München, Urteil vom 06.07.2015, Az. 335 C 26842/14).
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Vorliegend greift zugunsten des Klägers das Werkstattrisiko hinsichtlich der Reparaturkosten ein: Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die tatsächlichen Reparaturkosten die im Sachverständigengutachten als erforderlich prognostizierten Reparaturkosten im Verhältnis zum Gesamtbetrag nur geringfügig überschreiten und der hier streitige Rechnungsposten der Desinfektionskosten auch im Gutachten vorgesehen ist, sodass eine für den Laien offensichtliche, klar erkennbare ungerechtfertigte Abrechnung der Werkstatt nicht gegeben ist.
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Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden des Klägers sind auch nicht ersichtlich.
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Die Kosten für die Corona-Schutzmaßnahmen sind im Sachverständigengutachten so vorgesehen sind und erscheinen aus der maßgeblichen ex-ante Sicht eines verständigen Betrachters angesichts der in vielen Lebensbereichen auch zum Zeitpunkt der Reparatur im März 2022 noch zusätzlich getroffenen Schutzvorkehrungen durchaus nachvollziehbar. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist es insoweit auch nicht überraschend, dass die Kosten durch die Werkstatt als gewinnorientiertes Unternehmen an den Kunden weitergegeben werden.
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Auch das LG München hat bezüglich der Erforderlichkeit von Corona-Maßnahmen derzeit entschieden (Az. 19 S 2978/21): „Bei den Desinfektionskosten handelt es sich um erforderliche Kosten zu Schadensbeseitigung. In diesem Zusammenhang kann auf die Hinweise des Robert Koch Instituts verwiesen werden. Dort heißt es: „Generell nimmt die Infektiosität von Coronaviren auf unbelebten Oberflächen in Abhängigkeit von Material und Umweltbedingungen wie Temperatur und Feuchtigkett ab. Für SARS-CoV-1 konnte gezeigt werden, dass das Virus bis zu 6 Tage auf bestimmten Oberflächen infektiös bleibt [Rabenau 2005J, jedoch auf z.B. Papier und andern porösen Materialien schon nach wesentlich kürzerer Zeit inaktiviert wird [Lai 2005]. Aus ersten Untersuchungen geht hervor, dass SARS-CoV-2 ähnliche Eigenschaften zeigt [Doremalen 2020]. Generell kann bei niedrigen Temperaturen von einer längeren Infektiosität des Virus ausgegangen werden. Auch in biologischen Sekreten (bei Anschmutzung) ist davon auszugehen, dass das Virus länger stabil bleibt. Eine Kontamination der Oberflächen in der unmittelbaren Umgebung von infizierten Personen ist nicht auszuschließen. Nachweise über eine Übertragung durch Oberflächen im öffentlichen Bereich liegen jedoch bisher nicht vor.’ https://www.rki.de/DE/ContentllnfAZIN/Neuartiges_Coronavirus/Reinigung_Desinfektion.html).
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Da im Rahmen der Reparatur das Fahrzeug des Geschädigten durch Dritte berührt wird, stellt die Desinfektion eine durchaus erforderliche Maßnahme dar, Coronaviren auf den möglicherweise kontaminierten Oberflächen des Fahrzeugs unschädlich zu machen. Dabei erfolgen die Desinfektionsmaßnahmen auch nicht nur zum Schutz der Mitarbeiter der Klägerin, sondern gerade auch zum Schutz des Geschädigten, der sein Fahrzeug zur Reparatur gibt und in der heutigen Zeit erwarten kann, dass dieses desinfiziert wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es der derzeit allgegenwärtigen Lebenserfahrung entspricht, dass in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens vermehrt Schutzmaßnahmen empfohlen werden, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Auch wenn es sich beim erstmaligen Desinfizieren um eine Maßnahme handelt, die auch dem Arbeitsschutz dient, handelt es sich um ersatzfähige Kosten. Die Tatsache, dass eine Maßnahme/ein Arbeitsschritt auch dem Arbeitsschutz dient, hindert nicht deren Ersatzfähigkeit, zumal es sich vorliegend um einen der Reparatur vorgelagerten, für diese jedoch erforderlichen Arbeitsschritt handelt. Dies gilt unabhängig von etwaigen ausdrücklichen vertraglichen Bestimmungen, vielmehr sind COVID-19-Schutzmaßnahmen derzeit selbstverständlich im Wege der Auslegung vom Reparaturauftrag umfasst.“
18
Vor diesem Hintergrund erachtet es das Gericht bei der hier anzuwendenden subjektiven Schadensbetrachtung für einen Laien nicht für hinreichend erkennbar, dass hier eine überhöhte Abrechnung nicht erforderlicher Posten gegeben ist.
19
Entgegen der Auffassung der Beklagtenpartei kommt es im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, ob die Rechnung vorliegend bereits vollständig von der Klägerin beglichen wurde. Nach Auffassung des Gerichts kommt vielmehr der Reparaturrechnung in Verbindung mit dem erstellten Sachverständigengutachten unabhängig von einer vollständigen Zahlung eine Indizwirkung dahingehend zu, dass die in der Rechnung genannten Reparaturposten den tatsächlichen Herstellungsaufwand wiedergeben. Denn der erforderliche Herstellungsaufwand bestimmt sich nicht allein nach Art und Ausmaß des Schadens, sondern auch nach den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Behebung des eingetretenen Schadens (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90). Insoweit ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung zu Grunde zu legen: Nach Auffassung des erkennenden Gerichts kommt es daher maßgeblich auf eine subjektbezogene Schadensbetrachtung an: Der Geschädigte, der bei Vorliegen eines privaten Sachverständigengutachtens zur Höhe der erforderlichen Reparaturkosten einen Reparaturauftrag erteilt und sich sodann dem Werklohnanspruch der Reparaturwerkstatt ausgesetzt sieht, soll am Risiko, dass die Reparaturkosten dass tatsächlich zur Wiederherstellung erforderliche Maß übersteigen, nur in dem Maße beteiligt werden, in welchem er hierauf tatsächlich Einfluss nehmen kann. Demnach ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung nur dann nicht angezeigt, wenn der Geschädigte nach seinen Erkenntnismöglichkeiten bei sorgfältiger Prüfung der Reparaturrechnung die Überhöhung klar hätte erkennen können. Denn auch im Falle, dass der Geschädigte die Rechnung nicht vollständig beglichen hat, sieht er sich letztlich dem vollen Werklohnanspruch der Reparaturwerkstatt ausgesetzt und kann insoweit verklagt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, unabhängig von der vollständigen Zahlung der Rechnung auf die begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten abzustellen (so AG München, Urteil vom 05.01.2021, Az. 343 C 19249/20).
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Anders als in der vom BGH zu entscheidenden Konstellation zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten bei noch nicht beglichener Honorarrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 19.7.2016, Az. VI ZR 491/15 sowie jüngst BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674) hat der Geschädigte aufgrund des erholten Gutachtens auch einen belastbaren Anhaltspunkt dafür, in welcher Höhe er mit Reparaturkosten zu rechnen hat (so auch AG München Urteil vom 05.01.2021, Az. 343 C 19249/20).
21
Nichts anderes ergibt sich auch aus der beklagtenseits in Bezug genommenen aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.04.2022 zum Werkstattrisiko (vergleiche BGH Urteil vom 20.04.2022 Aktenzeichen IV ZR 147/21, NJW 2022, 2840).
22
Der Bundesgerichtshof hat in der genannten Entscheidung vielmehr ausdrücklich entschieden, dass die von ihm hinsichtlich der Sachverständigenkosten vertretene Linie, wonach nur eine beglichene Rechnung hinreichende Anhaltspunkte zur Bestimmung des erforderlichen Herstellungsaufwandes gewährt, nicht auch bei unbeglichen Reparaturrechnungen im Falle einer konkreten Abrechnung zur Anwendung gelangt.
23
Soweit der Bundesgerichtshof in der Entscheidung wie folgt ausführt:
„… Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass im Falle einer (noch) nicht bezahlten Rechnung vom Geschädigten ohne Verschulden veranlasste und tatsächlich durchgeführte Schadensbeseitigungsmaßnahmen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes – den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung zuwider – nur deshalb außer Betracht bleiben müssen, weil sie sich nach fachkundiger Prüfung bei rein objektiver Betrachtung als unangemessen erweisen. …“,
lässt sich hieraus bereits nicht der Rückschluss ziehen, dass nur im Falle, dass es dem Geschädigten gelingt, die Durchführung der durch den Gegner bestrittenen Reparaturmaßnahme beweissicher nachzuweisen, das Werkstattrisiko zu seinen Gunsten zur Anwendung gelangt.
24
Der Bundesgerichtshof betont in der Entscheidung vielmehr erneut den Kern der subjektiven Schadensbetrachtung, nämlich dass auf die spezielle Situation des Geschädigten Rücksicht zu nehmen ist und seinen oftmals eingeschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten und den für ihn bestehenden Schwierigkeiten Rechnung zu tragen ist. Auch betont der BGH erneut, dass die Abhängigkeit des Geschädigten von Fachleuten, welche er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss, zu berücksichtigen ist.
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Nach Auffassung des erkennenden Gerichts liefe die Rechtsauffassung der Beklagtenseite diesen Grundsätzen deutlich zuwider, als sich die eingeschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Unfallgeschädigten gerade auch hinsichtlich der nachträglich nur erschwert zu überprüfenden Frage, ob in welchem Umfang die hier streitige Fahrzeugdesinfektion tatsächlich durchgeführt wurde, auswirkt. Es kann nicht angehen, dass der Geschädigte ungeachtet der Natur der streitigen Rechnungspostion zunächst deren vollständige Durchführung nachzuweisen hat, auch wenn dies für ihn – anders als bei der Behebung eines augenscheinlich wahrnehmbaren Schaden wie bspw. einer offensichtlichen Lackbeschädigung – nur erschwert überprüfbar und nachweisbar ist.
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Vielmehr trifft der BGH erneut die Wertentscheidung, wonach der Unfallgeschädigte im Falle der konkreten Abrechnung auf Grundlage eines Sachverständigengutachten nicht mit Streitigkeiten mit der Reparaturwerkstatt über die Korrektheit der Reparaturabrechnung belastet werden soll und diese vielmehr durch die Zug-um-Zug-Verurteilung auf das Verhältnis Unfallverursacher – Werkstatt zu verlagern sind.
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Letztlich kann dies vorliegend auch offen stehen. Die Beklagtenseite hat jedenfalls nur pauschal mit Nichtwissen bestritten, dass die abgerechnete Fahrzeugdesinfektion auch tatsächlich durchgeführt wurde. Ohne hierfür irgendwelche belastbaren Anhaltspunkte aufzuzeigen, wird der Werkstatt vielmehr ein betrügerisches Abrechnungsverhalten unterstellt. Der Vortrag ist insoweit als bloße „Behauptung ins Blaue“ hinein bereits unbeachtlich.
28
Die Beklagte ist vorliegend hinreichend durch die ausgesprochene Zug-um-Zug- Verurteilung geschützt und bleibt es ihr unbenommen, die ggf. überhöht abrechnende Werkstatt selbst gerichtlich in Anspruch zu nehmen.
29
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sieht es das Gericht vorliegend auch nicht als angezeigt an, dem geschädigten Kläger unter dem Gesichtspunkt des „Schadensservice aus einer Hand“ den Vertrauensschutz nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos zu versagen: Für einen Laien stellt sich ein Verkehrsunfall oftmals durchaus als Sondersituation dar, in welcher er sowohl hinsichtlich der Feststellung des Schadensausmaßes als auch sodann bei der Schadensbehebung der Hilfe von Fachleuten bedienen muss, ohne hier auf umfangreiche eigene Erfahrungswerte zurückgreifen zu können. Auch wenn der Geschädigte daher einwilligt, dass die von ihm ausgewählte Fachwerkstatt den Sachverständigen selbst auswählt und einschaltet, bleibt er nach Auffassung des erkennenden Gerichts durchaus in seinem Vertrauen schutzwürdig, dass hier der Sachverständige und die die reparaturausführende Werkstatt nicht in unlauterer Weise zusammenarbeiten und dem Unfallgeschädigten unnötige bzw. nicht sachgerechte Reparaturpositionen in Rechnung stellen. Die Grundsätze des „Schadensservice aus einer Hand“ wurde insbesondere vom OLG München auch dahingehend bemüht, die Sachverständigenkosten in der Höhe auf ein noch angemessenes Maß zu begrenzen. Vorliegend steht jedoch primär nicht die Angemessenheit der Höhe der abgerechneten Posten im Streit, sondern ob diese für eine fachgerechte Reparatur überhaupt erforderlich waren bzw. tatsächlich durchgeführt wurden. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts kann das schutzwürdige Vertrauen des Geschädigten insoweit nicht durch den Einwand des Schadensservice aus einer Hand versagt werden und ist der geschädigte Kläger insoweit von dem Prozessrisiko, von der ausführenden Werkstatt hinsichtlich der Werklohnforderung verklagt zu werden, freizuhalten. Wie ausgeführt tragen die Grundsätze des Werkstattrisikos den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeit von nicht regelmäßig mit Unfallregulierungen befassten Laien Rechnung. Hierfür mach es kein Unterschied, ob der Laie zeitlich zunächst selbst einen Sachverständigen auswählt, vor Erteilung des Reparaturaufrages bereits Kenntnis des Schadensgutachtens erlangt hat und dann gezielt hierauf den Reparaturauftrag erteilt oder der Sachverständige intern auf Vermittlung der Werkstatt tätig wird und diese auf Grundlage des Gutachtens repariert und der Geschädigte sodann erst Kenntnis erlangt. In beiden Fällen darf der Geschädigte grundsätzlich davon ausgehen, dass Werkstatt und Sachverständiger nicht zu seinem Nachteil kollusiv zusammenarbeiten. Angesichts des Umstandes, dass die Reparaturkosten sich im Rahmen der prognostizierten Reparaturkosten bewegen, ergeben sich vorliegend auch keinerlei Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken. Der Kläger kann daher unabhängig davon, ob die Auswahl und Beauftragung des Sachverständigen durch ihn selbst erfolgte, bzw. dass Gutachten ihm vorab vorlag, die noch offenen Reparaturkosten erstattet verlangen.
30
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 280,286,288 ZPO.
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708, 713 ZPO.
32
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Die herrschende Meinung in der Rechtsprechung bejaht die Anwendung der sog. Theorie vom Werkstattrisiko auch dann, wenn die Reparaturrechnung vom Geschädigten nicht vollständig bezahlt wurde. Die von der Beklagtenseite diesbezüglich zitierten Entscheidungen betreffen hingegen entweder eine andere Konstellation (BGH, Urt. V. 19.07.2016 zu den Sachverständigenkosten, nicht den Reparaturkosten) oder stellen einzelne Mindermeinungen dar. Die Berufung war vorliegend daher nicht zuzulassen.
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Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Berücksichtigung der als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen.