Inhalt

OLG München, Beschluss v. 28.06.2023 – 12 UF 261/23 e
Titel:

Kein Recht der Kindesmutter auf unbegleiteten Umgang wegen befürchteter Kindeswohlgefährdung 

Normenketten:
BGB § 1684
FamFG § 21
Leitsätze:
1. Die Beschwerdeinstanz stellt eine neue Tatsacheninstanz dar, in der der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit zu beachten ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Beschwerdeinstanz erfolgt eine eigene Bewertung der Voraussetzungen für die Regelung des Umgangs durch die in der Beschwerdeinstanz zuständigen Richter, so dass die Frage der Befangenheit der erstinstanzlich zuständigen Richterin keine Auswirkungen auf das Verfahren in der Beschwerdeinstanz hat. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Aussetzung eines familiengerichtlichen Verfahrens wegen vor dem Verwaltungsgericht eingeklagter Verstöße gegen die DSGVO durch Jugendamt und Fachstellen ist nicht erforderlich, wenn diese Frage nicht vorgreiflich für das Verfahren zu beantworten ist und deren frühere Berichte ohnehin für das Verfahren nicht relevant sind. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Einschränkung des Umgangsrechts eines Elternteils ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren. (Rn. 38 – 44) (redaktioneller Leitsatz)
5. Grds. muss nicht das Jugendamt einen Umgang begleiten, sofern eine andere zur Mitwirkung bereite, aber auch hierfür geeignete Person zur Verfügung steht. (Rn. 46 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Umgangsausschluss, begleiteter Umgang, Kindeswohlgefährdung, Datenschutzverstoß, Recht auf Umgang, Einschränkung des Umgangsrechts
Vorinstanz:
AG Ingolstadt, Endbeschluss vom 09.03.2023 – 006 F 327/22
Rechtsmittelinstanz:
VerfGH München, Entscheidung vom 15.11.2023 – Vf. 28-VI-23
Fundstellen:
LSK 2023, 36503
BeckRS 2023, 36503
NZFam 2024, 598
NJW-RR 2024, 131

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Endbeschluss des Amtsgerichts I. vom 09.03.2023 wie folgt abgeändert:
Der Umgang der Antragstellerin mit ihrem Sohn K. F., geb. …2017 ist derzeit abzuweisen.
2. Im übrigen werden die Anträge, soweit sie sich auf Verstöße gegen die DSGVO beziehen, verworfen.
3. Von einer Auferlegung der Kosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4000,00 € festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Mutter wendet sich gegen einen Umgangsausschluss, den das Amtsgericht I. angeordnet hat.
2
Die Beteiligten sind die Eltern des Kindes K., geb. …2017. Sie waren nicht verheiratet und leben dauerhaft getrennt. K. ging aus einer kurzen Beziehung hervor. Die Mutter lebt und arbeitet in M. K. hatte seit seiner Geburt bis zum 19.03.2021 seinen Aufenthalt bei der Mutter. Der Vater lebt mit seiner Lebensgefährtin und dem Sohn aus dieser neuen Beziehung in I. Die Beteiligten hatten die gemeinsame elterliche Sorge für K., welche im Verfahren vor dem Amtsgericht M. Az:. 534 F 12212/19 eingerichtet wurde. Die Beziehung der Beteiligten war in der Vergangenheit sehr konfliktreich. Seit 19.03.2021 hat K. seinen gewöhnlichen Aufenthalt beim Antragsgegner in M. Das Verfahren zur Klärung der elterlichen Sorge für K. ist ebenfalls in der Beschwerdeinstanz unter Az.: 12 UF 433/23 anhängig. Mit Beschluss vom 28.06.2023 hat das OLG München die Entscheidung des Amtsgerichts I. zur Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Antragsgegner bestätigt. Seit seinem Aufenthaltswechsel nach I. zum Vater hatte K. keinen Umgang mehr mit seiner Mutter. Die Mutter hatte im Verfahren wegen elterlicher Sorge mitgeteilt, dass sie keinen Umgangsantrag stellen werde, da sie keine Schuldumkehr bewirken wolle. Der Vater müsse sich später für den Kontaktabbruch der Mutter zu K. rechtfertigen. Letztlich signalisiert sie jedoch ihr Anliegen, Umgang mit K. pflegen zu wollen und gab an, willens und in der Lage zu sein, umfangreiche Umgänge, auch Ferienumgänge wahrzunehmen. Es wurde daher erstinstanzlich ein Umgangsverfahren von Amts wegen eingeleitet.
3
Die Mutter ist der Auffassung, dass der Vater das Kind bewusst von der Mutter entfremde. Er lasse Telefonate nicht zu und verhindere am Geburtstag des Kindes, dass die Mutter K. persönlich ein Geschenk überreichen könne. Er suche keine psychologische Beratung für seine eigenen Ängste. Es gebe keinen Anlass, den Kontakt K. zur Mutter zu blockieren. Der Vater zeige sich als bindungsintolerant.
4
Der Vater gab an, dass der Kontakt mit der Mutter schwierig sei. Er befürchtet, dass die Mutter K. anlässlich eines unbegleiteten Umgangs gegen ihn aufhetzen und ihn manipulieren könne. K. sei inzwischen gut in der Familie angekommen und stabil und entwickle sich gut. Er solle nicht aus dieser Sicherheit herausgerissen werden. Er wünsche jedoch einen regelmäßigen Kontakt zwischen K. und seiner Mutter, allerdings zunächst begleitet. Es müsse sichergestellt sein, dass die Mutter ein angepasstes Verhalten zeige. Zu einem persönlichen Austausch sei die Mutter nicht bereit.
5
Das Jugendamt, Frau R., teilte mit, dass ein unbegleiteter Umgang dringend einen familiären Austausch erfordere, der derzeit nicht gewährleistet werden könne. Eine negative Auswirkung bei einem unbegleiteten Umgang für K. könne nicht ausgeschlossen werden aufgrund des hochkonflikthaften Familiensystems. Es gebe zwar keine konkreten Hinweise für eine Kindeswohlgefährdung, die einen Ausschluss erfordere, aber wegen des Verhaltens der Mutter bedürfe es zunächst einer Begleitung.
6
Die Verfahrensbeiständin, Rechtsanwältin I., befürwortete ebenfalls einen regelmäßigen Umgang, allerdings zunächst im geschützten Rahmen. Eine Kindeswohlgefährdung sei denkbar als eine Belastung des Kindes in Folge unzureichender Bindungstoleranz und Erziehungsfähigkeit der Mutter.
7
Die Mutter hatte sich geweigert mit dem Jugendamt oder der Verfahrensbeiständin ein Gespräch zu führen und widersetzte sich jeglicher Verwendung persönlicher Daten und bestritt die Ausführungen. Mutmaßungen ausschließlich anhand von Behauptungen des Vaters würden jeglicher Grundlage entbehren. Eine Einschränkung des Umgangs könne hierauf nicht gestützt werden. Sie bietet an, dass ein erster Umgang durch Freunde oder Familie begleitet wird. Eine weitere Begleitung lehnte sie ab.
8
Letztlich verweisen beide auf die Klärung der Frage in einem familienpsychologischen Gutachten.
9
Der Sachverständige Dr. S. der bereits mit der Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens im Verfahren wegen elterlicher Sorge beauftragt war, wurde daher beauftragt, zur Frage des Umgangs Stellung zu nehmen. In seiner vorläufigen gutachterlichen Einschätzung vom 18.11.2022 (s.Verfahren OLG 12 UF 433/23 bzw. 006 F 1266/21 AG Ingolstadt) führte der Sachverständige aus, dass aus familienpsychologischer Perspektive vor dem Hintergrund der inzwischen erheblichen Zeit der Trennung von Mutter und Sohn, dem damit verbundenen Verlust an Vertrautheit und Bindung sowie des fortbestehenden Elternkonflikts ein Umgang K. mit seiner Mutter zunächst einer fachlich begleiteten, getrennten Vorbereitung von Mutter und Sohn bedürfe, um nach der langen Zeit des ausbleibenden Kontakts insbesondere eine absehbare erhebliche Irritation des Kindes durch eine erste Begegnung und sodann wiederholte Umgänge zu vermeiden. Die Umgänge sollten für einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten in einem geschützten Rahmen sowie unter fachlicher Begleitung erfolgen.
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Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Es erfolgte ein Anhörungstermin mit den Beteiligten vor dem Amtsgericht Ingolstadt am 21.11.2022. Die Mutter wollte sich nicht zur Sache einlassen, da über Befangenheitsanträge noch nicht entschieden worden sei. Die Ausführungen des Vaters zu K. Befinden bestritt sie durchgehend mit Nichtwissen. Einen begleiteten Umgang lehnte sie ab. Das Jugendamt sei wegen Verstößen gegen die DSGVO verklagt, so dass sich eine Begleitung durch das Jugendamt ausschließe. Es könne eine Begleitung über Freunde erfolgen.
11
K. wurde am 05.09.2021 im Verfahren 006 F 1007/22 und 006F 935/22 vor dem Amtsgericht I. durch die auch für das Umgangsverfahren zuständige Richterin angehört und äußerte, dass er die Mutter gerne sehen würde.
12
Das Amtsgericht setzte mit Beschluss vom 09.03.2023 den Umgang der Mutter mit ihrem Sohn K. bis zum 08.03.2024 aus. Im Wesentlichen wurde der Umgang ausgeschlossen wegen des ablehnenden und bindungsintoleranten Verhaltens der Mutter.
13
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Mutter vom 14.03.2023.
14
Zur Begründung bezieht sich die Mutter zum einen auf ihre Einwendungen zur Entscheidung im Verfahren wegen elterlicher Sorge.
15
Es liege ein Verstoß gegen die Nichtöffentlichkeit vor, da das Jugendamt und Verfahrensbeiständin erstinstanzlich durchgehend beim Anhörungstermin anwesend gewesen seien, nicht nur zu ihrer Stellungnahme. Eine konkrete Gefährdung des Kindes durch einen Umgang mit der Mutter sei nicht nachgewiesen. Eine förmliche Beweisaufnahme sei unterblieben. Die Anordnung eines begleiteten Umgangs sei unzulässig. Die Mutter biete einen mitwirkungsbereiten Dritten an zur Begleitung der Umgänge. Sie legte eine schriftliche Bereitschaftserklärung vom 19.11.2022 eines R. K. zur Begleitung von ein bis zwei Umgängen vor. Sie ist der Auffassung, dass das Amtsgericht Ingolstadt das Verfahren hätte aussetzen müssen nach § 21 FamFG. Das Jugendamt könne nur unter der Bedingung rechtmäßiger Datenverarbeitung eingesetzt werden. Dazu habe sie eine Erklärung verlangt. Zur Klärung der Frage sei eine Klage beim Verwaltungsgericht anhängig, die für dieses Verfahren vorgreiflich sei. Erst nach Feststellung der Unrechtmäßigkeit der bisherigen Datenverarbeitung könne sie einen begleiteten Umgang über das Jugendamt wahrnehmen. Sofern ein Umgang von einer Zusammenarbeit mit Jugendamt, Verfahrensbeistand und Sachverständigen abhängig gemacht werde, sei das unzulässig. Sie legt Audioaufzeichnungen vor zur Dokumentation von Erfahrungen K. beim Umgang mit dem Vater. Sie regt einen Kontakt zunächst über Videotelefonie in neutraler Sphäre an und möchte dann einen Umgang alle zwei Wochen sowie hälftige Ferien.
16
Der Beschluss der Richterin beruhe auf Vermutungen zu ihrer Bindungsintoleranz und sie gehe fälschlicherweise von einer Inobhutnahme des Kindes 2021 aus wegen Kindeswohlgefährdung. Sie vermute, dass die Mutter keine Rolle mehr im Leben des Sohnes spiele und vermute, dass ein Umgang nur durch Anordnung eines begleiteten Umgangs möglich sei. Sie vermute ihre ablehnende Haltung gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und vermute, dass sie einen Umgangspfleger ablehne. Die Richterin sei nicht sachlich.
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Die Schätzungen des Sachverständigen Dr. S. werden bestritten. Eine prüfbare Anknüpfungstatsache liege nicht vor. Die Begutachtung verletzte die Persönlichkeitsrechte ihres Sohnes. Seine Daten würden unrechtmäßig verwendet. Es sei nicht geklärt, ob die Beteiligten in den Gesprächen mit dem Sachverständigen die Wahrheit gesagt hätten. Die Verwendung der gutachterlichen Schätzung sei rechtsmissbräuchlich.
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Die Verfahrensbeiständin Ihm sei zu Unrecht bestellt worden. Ein Verfahrensbeistand könne nur bestellt werden, wenn ein Umgangsausschluss in Betracht käme. Das Verfahren sei somit nicht mehr ergebnisoffen geführt worden.
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Die Richterin habe Schreiben an das Jugendamt weitergeleitet ohne Befugnis und damit sei ihre Rechtstreue anzuzweifeln. Eine Beratung durch das Jugendamt sei unmöglich geworden.
20
Der von ihr vorgelegte Datenträger mit Audioaufzeichnungen ihres Sohnes sei nicht verwertet worden.
21
Sie schlägt eine Anbahnung eines Kontakts über Videotelefonie vor, wobei sie eine Schweigepflicht des Dritten fordert.
22
Im Übrigen fordert sie eine förmliche Beweisaufnahme. Hierzu wird auf das Schreiben vom 14.04.2023 Bezug genommen. Hier geht es jedoch um Fragen, die das Verfahren wegen elterlicher Sorge betreffen und nicht das Umgangsverfahren.
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Die Mutter beantragt zuletzt,
den Beschluss aufzuheben und zuletzt einen 2x durch eine Fachstelle begleiteten Umgang und dann durch Kindergartenfreunde begleiteten Umgang und die Kosten des Verfahrens nicht der Mutter aufzuerlegen. Danach müsse der Umgang schleunigst ausgeweitet werden zu einem erweiterten Umgang. Zudem stellte sie im Anhörungstermin zuletzt vor dem OLG folgende Anträge:
Die Feststellung, dass der Sachverständige keinen Nachweis zur rechtmäßigen Datenverarbeitung bringen konnte gem. Art. 5 und 35 DSGVO.
Feststellung, dass die Verfahrensbeiständin erstinstanzlich einen Schriftsatz vom 21.10.2021 aufgrund unrechtmäßiger Datenverarbeitung gelöscht habe, dies aber dem Gericht nicht nach Art. 19 DSGVO mitgeteilt hat.
24
Sie beantragt
die Verletzung von Rechten nach Art.6, 8 EMRK und Art. 7,8, 24 und 47 Grundrechtcharta festzustellen.
25
Der Vater beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
26
Der Vater gab mit Schreiben vom 25.04.2023 an, dass seit knapp 7 Jahren die Kommunikation mit der Mutter geprägt sei von absurden Behauptungen und Verleumdungen ihm gegenüber. Er informiere die Mutter regelmäßig über K. Es werde ihm Fälschung von Dokumenten unterstellt. Als K. noch in M. gelebt habe, habe die Mutter ihn bei Übergaben im Beisein von K. übelst und lautstark beschimpft. Es sei deshalb einige Zeit ein Anwalt anwesend gewesen. K. sei im Alter von 3 Jahren genötigt worden, bei der Polizei bestimmte Aussagen zu formulieren. Er sei nach den Umgängen von der Mutter durch immer wieder gestellte Suggestivfragen interviewt und dabei aufgezeichnet worden. Sie habe vielfach angekündigt, alles zu dokumentieren, um K. eines Tages die „Wahrheit“ zeigen zu können. Sie lehne seit 2 Jahren einen unbegleiteten Umgang ab. Sie freue sich auf Gerichtsverhandlungen und habe 2021 ausführlich erläutert, dass sie hinter dem gesamten Geschehen eine Verschwörung sehe. K. entwickle sich gut und benötige Ruhe, Verlässlichkeit und Struktur im häuslichen Umfeld.
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Das Jugendamt teilte in einer Stellungnahme vom 17.04.2023 mit, dass eine Vorgreiflichkeit der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zum Datenschutz zu klärenden Fragen nicht vorliege. Die Mutter nehme die verwaltungsgerichtlichen Verfahren zum Anlass, die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt zu negieren. Sie habe jedoch gleich zu Beginn des Verfahrens jegliche Zusammenarbeit verweigert bevor überhaupt der Vorwurf eines Verstoßes gegen den Datenschutz erhoben worden sei. Sie habe jegliche Kontaktaufnahme verweigert. Einen begleiteten Umgang habe sie abgelehnt. Konsequent sei deshalb der Umgang ausgeschlossen worden. Hinsichtlich eines etwaigen Datenverstoßes im Hinblick auf den Sohn sei sie nicht beschwerdeberechtigt, da sie keine elterliche Sorge habe.
28
Es erfolgte eine Anhörung K. in der Beschwerdeinstanz am 28.06.2023 mit anschließender Anhörung der Beteiligten. Das Jugendamt ist zum Termin nicht erschienen.
II.
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Die Beschwerde der Mutter ist zulässig nach §§ 58 ff FamFG. In der Sache ist sie teilweise begründet. Der erstinstanzlich angeordnete völlige Umgangsausschluss kann keinen Bestand haben.
1. Formale Verfahrensfehler
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Formale Fehler, die erstinstanzlich nach Auffassung der Antragsgegnerin erfolgt sein sollen und zur Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses führen sollen und gegebenenfalls zur Zurückverweisung führen sollen, liegen nicht vor.
31
Die Mutter trägt vor, dass Jugendamt und Sachverständiger erstinstanzlich im Anhörungstermin zugelassen waren, auch nach deren bereits erfolgten Stellungnahme, so dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit vorliege. Die Beschwerdeinstanz stellt eine neue Tatsacheninstanz dar, in der dieser Grundsatz beachtet wurde, so dass dieser Umstand nicht zu einer Aufhebung und Zurückverweisung führt. Der Senat hat den Sachverhalt umfassend nochmals in eigener Zuständigkeit aufgeklärt. Das Jugendamt war nicht anwesend, da die Mutter das Jugendamt wegen angeblicher Datenschutzverstöße verklagt hat, so dass das Jugendamt von einer Teilnahme am Anhörungstermin abgesehen hat. Die Verfahrensbeiständin vertritt die Interessen des Kindes und hat während des gesamten Anhörungstermins ein
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Anwesenheitsrecht. Entsprechend nahm sie am Anhörungstermin durchgehend teil. Der Sachverständige Dr. S. war nur zur Erstattung seines Gutachtens und zur Beantwortung weiterer Fragen anwesend und wurde im Anschluss entlassen.
33
Die Mutter erhebt den Einwand, dass über ihre Beschwerde gegen die Ablehnung eines Befangenheitsantrag durch die erstinstanzlich zuständige Richterin erstinstanzlich vom 11.04.2023 bisher nicht entschieden worden sei. Darüber wäre in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden. Zudem hat diese Frage keine Auswirkungen auf das Verfahren in der Beschwerdeinstanz. In der Beschwerdeinstanz erfolgt eine eigene Bewertung der Voraussetzungen für die Regelung des Umgangs durch die in der Beschwerdeinstanz zuständigen Richter.
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Soweit die Mutter bemängelt, dass zu einzelnen Tatsachen keine förmliche Beweisaufnahme erfolgt sei, so sind die Tatsachen, über welche Beweis erhoben werden soll, im Zeitpunkt der Beschwerdeinstanz nicht mehr entscheidungsrelevant, da sie den Umgang des Vaters mit K. vor März 2021 betreffen. Hierzu wird unten näher ausgeführt. Zudem stellt die Einholung eines Sachverständigengutachtens eine förmliche Beweisaufnahme dar. Der Sachverständige Dr. S. hat sich bei Erstellung seines Gutachtens auf keinen der Umstände gestützt, über die die Mutter förmlichen Beweis erheben möchte. Dies hat er nochmals im Anhörungstermin vom 28.06.2023 vor dem OLG ausdrücklich dargestellt, dass die subjektive Sicht der Antragsgegnerin zu Vorfällen während der Beziehung mit dem Antragsteller oder Angaben des Antragstellers zu Verhalten der Antragstellerin in der Vergangenheit keine Rolle bei der Erstellung seiner vorläufigen sachverständigen Einschätzung gespielt haben. Grundlage ist allein sein eigener Eindruck anlässlich eines ausführlichen Gesprächs mit dem Antragsteller in seiner Praxis von ca. drei Stunden sowie eines Hausbesuchs in Anwesenheit aller Familienmitglieder von ca. zweieinhalb Stunden und seine Erkundigungen in Nachbarschaft und Kindergarten, also einzig und allein die aktuelle Situation, wie sie sich für K. darstellt.
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Entgegen der Auffassung der Mutter war auch eine Aussetzung des familiengerichtlichen Verfahrens wegen vor dem Verwaltungsgericht eingeklagter Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung durch Jugendamt und Fachstellen nicht erforderlich, da diese Frage nicht vorgreiflich für das Verfahren zu beantworten ist. Die früheren Berichte der Fachstellen und des Jugendamtes sind für das Verfahren nicht relevant. Zudem wurden die Berichte nicht explizit benannt, die vorgreiflich relevant sein sollen. Die früheren Jugendamtsberichte und Berichte der damaligen Umgangsbegleiter waren nicht Gegenstand der Erörterung im Anhörungstermin vom 28.06.2023 und sind nicht relevant für die Umgangsentscheidung nach § 1684 BGB.
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Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hatte die Mutter mehrfach Akteneinsicht, so dass sie auf alle Schriftstücke Zugriff hatte, die für das Verfahren relevant wurden. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt somit nicht vor, auch wenn möglicherweise erstinstanzlich Schriftstücke nicht übersandt wurden. Mittlerweile konnte die Mutter alle Schriftstücke einsehen.
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2. Materielle Voraussetzungen für Umgang, § 1684 BGB. Derzeit kann ein Umgang nicht geregelt werden.
38
a. Die Mutter ist der grundsätzlichen Auffassung, dass sie ein Recht auf unbegleiteten Umgang habe, da eine Kindeswohlgefährdung K. bei einem Umgang mit ihr nicht nachgewiesen sei. Tatsächlich ist aber nur ein begleiteter Umgang derzeit möglich.
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Die grundsätzliche erstinstanzliche Feststellung, wonach die Umgangskontakte der Mutter mit K. nur begleitet stattfinden könnten, beruht auf § 1684 Abs. 4 BGB. Nach dieser Vorschrift kann das Familiengericht das Umgangsrecht einschränken, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt, kann nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Dabei kann das Familiengericht insbesondere anordnen, dass der Umgang nur stattfinden darf, wenn ein mitwirkungsbereiter Dritter anwesend ist.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 29.11.2007, Az.: 1 BvR 1635/07) ist eine Einschränkung des Umgangsrechts nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren. Die längerfristige Anordnung begleiteten Umgangs beschränkt nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Mutter massiv in ihrem Elternrecht und greift intensiv in das Recht des Kindes ein, mit seinem umgangsberechtigten Elternteil grundsätzlich ohne Beobachtung durch Dritte Umgang zu pflegen.
41
Im Verfahren wegen Regelung des Umgangsrechts ist somit die Feststellung zu treffen, ob der Schutz des Kindes eine Umgangsbegleitung erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren.
42
K. hat seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter. Er hat selbst angegeben, dass er gerne Kontakt zu seiner Mutter hätte. Wie sich ein Umgang mit der Mutter gestalten würde, lässt sich nicht beurteilen. Die Schilderungen des Vaters zum Verhalten der Mutter bei früheren Umgängen geben jedoch Anlass anzunehmen, dass eine ruhige Übergabe sichergestellt werden muss. Es muss gewährleistet sein, dass K. nicht durch den Elternkonflikt belastet wird. Die Mutter hat an einer familienpsychologischen Abklärung nicht mitgewirkt. Es besteht somit das Dilemma zwischen der grundrechtlichen Position des Kindes, das vom Staat verlangen kann, gegen wahrscheinlich eintretende Gefährdungen seines Wohls Vorkehrungen zu treffen und der grundrechtlichen Position der Mutter, die ein Recht auf Umgang hat.
43
Zur Einschätzung einer Gefährdung des Kindes steht die vorläufige Einschätzung des Sachverständigen Dr. S. zur Verfügung, aber auch die völlig unbestrittene Tatsache, dass K. im Alter von vier Jahren nach Ingolstadt zum Vater wechselte und seither seine Mutter nicht mehr gesehen oder gesprochen hat. Der Sachverständige Dr. S. kommt, ohne Verwertung irgendwelcher persönlicher Daten der Mutter, in einer vorläufigen Einschätzung vom 18.11.2022 zum Ergebnis, dass aus familienpsychologischer Perspektive vor dem Hintergrund der inzwischen erheblichen Zeit der Trennung von Mutter und Sohn, dem damit verbundenen Verlust an Vertrautheit und Bindung sowie des fortbestehenden Elternkonflikts ein Umgang K.s mit seiner Mutter zunächst einer fachlich begleiteten, getrennten Vorbereitung von Mutter und Sohn bedürfe, um nach der langen Zeit des ausbleibenden Kontakts insbesondere eine absehbare erhebliche Irritation des Kindes durch eine erste Begegnung und sodann wiederholte Umgänge zu vermeiden. Die Umgänge sollten für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten in einem geschützten Rahmen sowie unter fachlicher Begleitung erfolgen. Der Sachverständige selbst ist zu keiner Begleitung der Umgänge bereit, sofern er nicht zuvor einen Umgang des Kindes mit der Mutter selbst im Rahmen einer Interaktionsbeobachtung beurteilen kann. Hierzu ist die Antragsgegnerin nicht bereit. Die Mutter müsste sich in einer gewissen Weise verhalten. So wäre es beispielsweise schlecht, an frühere Zeiten anzuknüpfen oder gegen den Vater zu opponieren. Dies hätte lediglich zur Folge, dass K. sie vermutlich nicht mehr würde sehen wollen. Er befinde sich mit sechs Jahren auf der ersten Stufe der „Theory of Minds“, was bedeute, dass er ein solches Verhalten der Mutter als ein Infragestellen seines Aufenthalts beim Vater und seiner Familie sehen würde, wogegen er sich wehren würde.
44
Diese Einschätzung ist nachvollziehbar und entspricht der Vorgehensweise in zahlreichen Umgangsverfahren, in denen es einen längeren Kontaktabbruch zum umgangsberechtigten Elternteil gegeben hat. Ein längerer Kontaktabbruch stellt den klassischen Fall für einen zunächst begleiteten Umgang dar. Zum Schutz des Kindes ist der Umgang im Rahmen einer Begleitung anzubahnen. Hingegen genügen die erstinstanzlichen und die vom Senat getroffenen Feststellungen nicht, um einen Umgangsausschluss wegen Kindeswohlgefährdung zu begründen. Es kann nicht beurteilt werden, wie ein Umgang der Mutter mit K. ablaufen würde und ob sie sich kindeswohlgerecht verhalten würde oder nicht. Allerdings ist aktuell ein Umgang durch geeignetes Fachpersonal vorzubereiten. Sowohl die Mutter als auch K. müssen auf die möglichen Szenarien einer Reaktion auf den Umgang durch den jeweils anderen, vorbereitet werden, um unangemessene Reaktionen, die K. schaden könnten, zu vermeiden. Der angedachte Zeitraum zur Anbahnung von mindestens sechs Monaten erscheint hierfür ausreichend und nicht überzogen.
45
b. Die Mutter lehnte bisher eine Begleitung durch das Jugendamt ab. Sie verlangte die Unterzeichnung einer Datenschutzerklärung. Sie hat nun vor dem Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragt, um eine Mitwirkung des Jugendamtes am begleiteten Umgang durchzusetzen.
46
c. Grundsätzlich muss nicht das Jugendamt einen Umgang begleiten, sofern eine andere zur Mitwirkung bereite, aber auch hierfür geeignete Person zur Verfügung steht. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Umgang fachlich vorbereitet werden muss. Dies kann ein Elternbeirat oder Kindergartenfreunde, die die Mutter als Begleitperson vorgeschlagen hat, nicht bewerkstelligen. Hierzu bedarf es fachlicher Kompetenzen, die bei den von der Mutter vorgeschlagenen Personen nicht gewährleistet sind. Ein Bekannter der Mutter hat sich zur Begleitung von ein bis zwei Umgängen bereit erklärt, nicht aber zu vorbereitenden Gesprächen. Dies reicht nicht aus, um einen für K. sicheren Umgang zu gewährleisten. Es ist K. nicht zuzumuten, dass nach zwei Begleitungen eine andere Person die Begleitung übernimmt. Es ist für ein Kind belastend, sich jeweils auf eine neue Person einzustellen. Dies gilt es zu vermeiden. Da das Jugendamt aktuell nicht akzeptiert wird und auch nicht zur Verfügung steht, besteht vorliegend die Situation, dass keine geeignete zur Mitwirkung bereite dritte Person zur Verfügung steht. In einem solchen Fall ist ein Umgang von Amts wegen derzeit nicht zu regeln.
47
Eine Anordnungskompetenz gegenüber dem Jugendamt zur Begleitung des Umgangs hat der Senat nicht, zudem lehnt die Mutter einen Einsatz des Jugendamts zur Einrichtung eines begleiteten Umgangs derzeit ab. Ein Ausschluss für einen festgelegten Zeitraum ist jedoch deshalb nicht veranlasst, da damit für ein Jahr auch ein begleiteter Umgang ausgeschlossen wäre. Sofern sich jedoch die Mutter zu einer Zusammenarbeit mit dem Jugendamt entschließt oder das Jugendamt hierzu verpflichtet würde vor dem Verwaltungsgericht oder sich eine andere geeignete mitwirkungsbereite Person finden würde, könnte ein begleiteter Umgang auch vor Ablauf der erstinstanzlich gesetzten Jahresfrist organisiert werden.
48
d. Aktuell ist die Mutter zudem auch nicht bereit für eine Begleitperson eine Schweigepflichtsentbindung zu erteilen, so dass bei der Begleitperson keine Erkundigungen zum Verlauf des Umgangs eingeholt werden könnten. Dies hat zur Folge, dass sich auch nicht feststellen ließe, ob die Begleitung noch weiter erforderlich ist oder nicht und inwieweit das Verhalten der Mutter den Bedürfnissen Ks während des Umgangs gerecht wird. Eine konkrete Umgangsregelung ist daher derzeit nicht möglich.
49
e. Entsprechend war der erstinstanzliche Beschluss abzuändern. Ein Umgang ist derzeit nicht regelbar und daher abzuweisen. Eine Aussetzung des Umgangsverfahrens in der Beschwerdeinstanz im Hinblick auf das eingeleitete verwaltungsgerichtliche Verfahren nach § 21 FamFG war nicht angezeigt, da dies dem Beschleunigungsgrundsatz in Kindschaftssachen widerspricht. Somit ist die Antragsgegnerin auch nicht daran gehindert, jeder Zeit aufgrund eigener Initiative mit dem Jugendamt einen begleiteten Umgang zu regeln.
50
3. Verstöße gegen Art. 6 und 8 EMRK sowie Art. 7, 8, 24 und 47 der Grundrechtscharta liegen nicht vor. Die Entscheidung orientiert sich an den innerstaatlichen Gesetzen sowie der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
51
4. Etwaige Datenschutzverstöße von Jugendamt oder vom Sachverständigen muss die Antragsgegnerin vor dem Verwaltungsgericht klären. Der Senat ist hierfür nicht zuständig, zumal persönliche Daten der Antragsgegnerin im Verfahren nicht verwendet werden für die hier zu treffende Sorgerechtsentscheidung. Es besteht auch kein Anlass den Bericht der Verfahrensbeiständin vom 21.10.2021 aus den Akten zu löschen. Der Bericht wurde rechtmäßig erstellt und darf Bestandteil der Akten sein. Letztlich ist auch das eine Frage, die nicht der Senat zu klären hat.
III.
52
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 84, 81 Abs. 1 FamFG. Von einer Auferlegung der Kosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen, da die Beschwerde zwar keinen unbegleiteten Umgang zur Folge hat, aber auch keinen Umgangsausschluss.
53
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 40, 45 Abs. 1 Nr.2 FamGKG.
54
Gründe, die Rechtsbeschwerde nach § 70 FamFG zuzulassen, sind nicht erkennbar. Die Entscheidung stellt eine Einzelfallentscheidung dar unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG):
Übergabe an die Geschäftsstelle am 03.07.2023