Inhalt

FG München, Urteil v. 11.10.2023 – 4 K 699/23
Titel:

Folgen eines unzulässigen Antrags auf mündliche Verhandlung nach Gerichtsbescheid

Normenkette:
FGO § 52a Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 52d S. 1, S. 2
Schlagworte:
Folgen eines unzulässigen Antrags auf mündliche Verhandlung nach Gerichtsbescheid, Finanzgericht
Fundstellen:
EFG 2024, 228
StEd 2023, 763
LSK 2023, 36278
BeckRS 2023, 36278

Tenor

1. Der in der Streitsache ergangene Gerichtsbescheid des Senates vom 14. Juni 2023, der dem Klägervertreter am 16. Juni 2023 zugestellt wurde, wirkt als Urteil.
2. Das Verfahren ist nicht fortzusetzen.
3. Über die Kosten des Verfahrens ist nicht zu entscheiden.

Tatbestand

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Gegenstand des Verfahrens ist die Rechtsfrage, ob die Verhandlung der Streitsache infolge des dem Gericht mittels Telefaxes am 19. Juli 2023 übermittelten Antrages des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung entsprechend der Ansicht des Klägers fortgesetzt werden muss oder ob das Klageverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist, weil der in der Streitsache ergangene Gerichtsbescheid des Senates vom 14. Juni 2023 als Urteil wirkt.
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Ausgang des Klageverfahrens war der Bescheid vom 2. Juni 2022, durch den der Beklagte gegen den Kläger einen Verspätungszuschlag in Höhe von 23.116 € wegen verspäteter Abgabe der Erbschaftsteuererklärung festgesetzt hatte. Der Kläger war Alleinerbe seiner am 5. Oktober 2018 verstorbenen Tante, …, geworden, weswegen der Beklagte gegen den Kläger zeitgleich auch Erbschaftsteuer gegen ihn festgesetzt hatte. Nach Abschluss des für den Kläger auch in Bezug auf den Verspätungszuschlag erfolglos gebliebenen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens hatte der als Steuerberater bestellte Prozessbevollmächtigte des Klägers in dessen Namen am 13. April 2023 bei Gericht einen als Klage gegen die Festsetzung des oben genannten Verspätungszuschlages bezeichneten und auf denselben Tag datierten Schriftsatz eingereicht. Den Schriftsatz hatte er dem Gericht ausschließlich mittels Telefaxes übermittelt. Da die Klage nicht in der für Steuerberater gemäß der Vorschrift des § 52d Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -FGOseit 1. Januar 2023 zwingenden Form der Übermittlung über das besondere elektronische Steuerpostfach (§ 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO) erhoben worden war, sah der Senat die Klage als unwirksam an und wies sie wegen Unzulässigkeit durch Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2023 ab. Der Gerichtsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers laut Postzustellungsurkunde am 16. Juni 2023 „durch Einlegung in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung“ zugestellt. Mit wiederum im Wege des Telefaxes dem Gericht unter dem Datum des 19. Juli 2023 übermittelten Schriftsatz beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Streitsache. Mit gerichtlichem Schreiben vom 31. Juli 2023 wies der Vorsitzende den Kläger darauf hin, dass auch der Antrag auf mündliche Verhandlung wegen des Verstoßes gegen die gemäß § 52d Satz 2 FGO vorgeschriebene Form unwirksam ist und der Gerichtsbescheid infolge des zwischenzeitlichen Ablaufes der Antragsfrist als rechtskräftiges Urteil wirkt.
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Durch wiederum als Telefax dem Gericht am 21. August 2023 übermittelten Schreiben seines Prozessbevollmächtigten trug der Kläger vor, dass sein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung deswegen nicht verspätet gewesen sei, weil der Gerichtsbescheid am 16. Juni 2023, einem Freitag, in der Steuerberatungskanzlei zugestellt worden war. Für die Kanzlei erfolge an Freitagen mangels Parteiverkehrs jedoch keine Postzustellung, was mit der Deutschen Post auch so vereinbart worden sei. Diese Regelung sei unter anderem durch Aushang an der Büroeingangstüre und auch dem Postboten seit dem 19. November 2021 bekannt gemacht worden. Aufgrund dieser Sachlage sei der Gerichtsbescheid als dem Kläger erst am Montag, den 19. Juni 2023, zugegangen anzusehen und der Antrag auf mündliche Verhandlung am 19. Juli 2023 fristgerecht erfolgt. Der Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2023 gelte deswegen als nicht ergangen, sodass das Verfahren in der Sache fortgesetzt werden müsse. Außerdem kündigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers an, in dem anzuberaumenden Termin zur mündlichen Verhandlung die Fortsetzung des Verfahrens durch Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung über die Streitsache beantragen zu wollen.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 25. August 2023 wurde der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu dem auf den 11. Oktober 2023 um 9:00 Uhr bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung geladen. Die Ladung wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers laut Postzustellungsurkunde und 26. August 2023 zugestellt. Am Verhandlungstag ging um 8:30 Uhr bei Gericht mittels Telefaxes ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers ein, in dem er erklärte, die Klage zurückzunehmen. Außerdem trug er vor, sein Schreiben per Telefax gesendet zu haben, weil dessen elektronischer Versand aus technischen Gründen nicht möglich gewesen wäre. Zum Verhandlungstermin erschien weder der Kläger persönlich noch sein Prozessbevollmächtigter.
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Der Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2023 als Urteil wirkt.
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Zur Begründung seines Antrages macht der Beklagte keine weiteren Ausführungen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO auf die Gerichtsakte einschließlich des Gerichtsbescheides vom 14. Juni 2023, sowie die Schriftsätze der Beteiligten, auf die den Kläger betreffende Behördenakte und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1.) Der Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Verfahrens über die mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2023 bei Gericht eingereichte Klage hat keinen Erfolg.
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a) Das Gericht kann in geeigneten Fällen über eine Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) anstatt durch Urteil (§ 95 FGO) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90a Abs. 1 FGO). Die Beteiligten haben das Recht, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung zu beantragen (§ 90a Abs. 2 Satz 1 FGO). Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil, falls keiner der Beteiligten rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt (§ 90a Abs. 3 Halbsatz 1 FGO). Wird demgegenüber von den Beteiligten wirksam und rechtzeitig ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen (§ 90a Abs. 3 Halbsatz 2 FGO). Im letztgenannten Falle geht das Verfahren weiter, und zwar so, als ob kein Gerichtsbescheid erlassen worden wäre (Herbert/Gräber FGO 9. Aufl. 2019, § 90a Rdn. 24). Das Gericht muss dann erneut – und zwar durch Urteil – über den Rechtsstreit entscheiden, wobei das Gericht durch den Inhalt des Gerichtsbescheides nicht präjudiziert ist (vgl. Bundesfinanzhof -BFHBeschluss vom 31. Oktober 2012 X B 9/11, BFH/NV 2013, 233). Ist demgegenüber der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung unzulässig, so bleibt es bei der Wirkung des Gerichtsbescheides als Urteil. Ist die Frage nach der Zulässigkeit des Antrages auf mündliche Verhandlung zwischen den Beteiligten streitig, so entscheidet das Instanzgericht nicht durch Beschluss, sondern nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil. Im Urteilstenor ist im Falle der Unzulässigkeit des Antrages auf mündliche Verhandlung nur festzustellen, dass der Gerichtsbescheid als Urteil wirkt (vgl. BFH – Beschlüsse vom 20. November 2002 VI B 90/02, BFH/NV 2003, 336 und vom 20. Juni 2012 IV B 147/11, BFH/NV 2012, 1614). Über die Klage selbst ist durch das Gericht nicht mehr zu entscheiden, weil diese bereits im Gerichtsbescheid erfolgt ist.
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b) Der in der Streitsache durch den Senat unter dem Datum des 14. Juni 2023 erlassene Gerichtsbescheid wirkt gemäß § 90a Abs. 3 Halbsatz 1 FGO als Urteil, weil der Kläger innerhalb der hierfür vorgeschriebenen Frist von einem Monat keinen wirksamen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat.
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Auf die Rechtsauffassung des Klägers, der dem Gericht am 19. Juli 2023 mittels Telefaxes seines Prozessbevollmächtigten übermittelte Antrag auf mündliche Verhandlung sei wegen der angeblichen Absprache mit der Deutschen Post über die Zustellungspraxis an die Steuerberatungskanzlei – insbesondere an Freitagen – rechtzeitig gestellt, kommt es nicht an. Abgesehen davon, dass der erkennende Senat diese Rechtsauffassung nicht teilt, ist im Streitfall nicht etwa von einem verspäteten, sondern von einem gänzlich unwirksamen Antrag des Klägers auf mündliche Verhandlung auszugehen. Da der Antrag des Klägers durch seinen als Steuerberater bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgt ist, hätte dieser dem Gericht als elektronisches Dokument übermittelt werden müssen. Die Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach § 52a FGO gilt nicht nur für Rechtsanwälte (§ 52d Satz 1 FGO), sondern auch für die (übrigen) nach den Vorschriften der FGO vertretungsberechtigten Personen (§ 52d Satz 2 FGO), d. h. insbesondere auch für Steuerberater (§ 62 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Pflicht eines Steuerberaters zur Nutzung der elektronischen Übermittlung des Dokuments steht unter der Prämisse, dass ihm ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht. Hiervon ist ab dem Zeitpunkt der Einrichtung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs durch die Bundessteuerberaterkammer (§§ 86d ff des Steuerberatungsgesetzes – StBerG –) auszugehen. Da die Vorschriften der §§ 86c bis 86g StBerG erstmals nach Ablauf des 31. Dezember 2022 anzuwenden sind (§ 157e StBerG) hat für Steuerberater die Pflicht zur Nutzung der elektronischen Übermittlung der für das Gericht bestimmten Dokumente ab dem 1. Januar 2023 bestanden (BFHBeschluss vom 28. April 2023 XI B 101/22, NJW 2023, 1759).
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Der Formverstoß im Streitfall hat die Unwirksamkeit des am 19. Juli 2023 mittels Telefaxes übermittelten Antrags auf mündliche Verhandlung zur Folge gehabt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. April 2022 XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057, vom 23. August 2022 VIII S 3/22, BFHE 276, 566, BStBl II 2023, 83 und vom 29. November 2022 VIII B 88/22, juris). Da der Kläger trotz richterlichen Hinweises durch den Vorsitzenden weder zur Frage des Verstoßes gegen seine Pflicht zur Übermittlung der Klage als elektronisches Dokument (§ 52d Satz 2 FGO) und der hierdurch bedingten Formunwirksamkeit noch zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung (§ 52d Satz 3 FGO) Stellung genommen hat, ist von der Formunwirksamkeit des Antrags vom 19. Juli 2023 auszugehen. Der Kläger hat die Frist des § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO versäumt und auch keinen Wiedereinsetzungsantrag nach § 56 FGO gestellt. Die Wirkung des Gerichtsbescheids vom 14. Juni 2023 als Urteil steht damit fest.
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Das Verfahren ist deshalb – entgegen dem Antrag des Klägers – nicht fortzusetzen.
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c) Der erkennende Senat hat trotz des mittels Telefaxes am Tag der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers, in dem er ausdrücklich „die Rücknahme seiner Klage“ erklärt hat, über dessen Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens durch Urteil zu entscheiden.
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Ungeachtet dessen, dass dem Kläger eine Klagerücknahme (§ 72 Abs. 1 Satz 1 FGO) schon wegen des rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens infolge des unangefochten gebliebenen Gerichtsbescheides verwehrt gewesen ist, ist auch die Prozesshandlung vom 11. Oktober 2023 formunwirksam geblieben. Schließlich hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Gericht auch diesen Schriftsatz nicht in der zwingend erforderlichen Form als elektronisches Dokument übermittelt (§ 52d Satz 2 FGO). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trägt in diesem Schriftsatz zwar vor, dass ihm die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen nicht möglich gewesen sei und will sich hierbei offensichtlich auf die Ausnahmevorschrift des § 52d Satz 3 FGO berufen. Danach bleibt die Übermittlung des Schriftsatzes eines Steuerberaters nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die elektronische Übermittlung über ein bei diesem eingerichtetes besonderes elektronisches Postfach aus technischen Gründen lediglich vorübergehend nicht möglich ist. Hierbei genügt jedoch nicht die bloße Behauptung der vorübergehenden Unmöglichkeit; letztere muss durch Vorlage geeigneter Beweismittel unmittelbar bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach auch glaubhaft gemacht werden (vgl. § 52d Satz 4, § 155 Satz 1 FGO, § 294 der Zivilprozessordnung). Dies hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unterlassen.
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2.) Eine Kostenentscheidung findet nicht statt. Für den Fall, dass im Urteil lediglich die Wirkung des Gerichtsbescheids als Urteil ausgesprochen wird, bedarf es keiner weiteren Kostenentscheidung im Urteil, da die Kostenentscheidung im Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, bereits die gesamten Kosten des Verfahrens umfasst (vgl. Finanzgericht -FGMünchen, Urteile 23. Oktober 2007 6 K 3701/06, juris und vom 26. März 2009 14 K 12/09, juris; FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 1. Dezember 2010 3 K 1160/06, EFG 2011, 895).