Inhalt

FG München, Urteil v. 26.09.2023 – 5 K 1017/20
Titel:

Formale Voraussetzungen an eine Anzahlzungsrechnung

Normenketten:
UStG § 3, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3
RL 77/388/EWG Art. 5 Abs. 1 der Sechsten
AO § 164 Abs. 1, § 168
Schlagwort:
Vorsteuerabzug
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – XI R 30/23
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
StEd 2023, 762
EFG 2024, 171
BeckRS 2023, 36276
DStRE 2025, 281
MwStR 2024, 994
LSK 2023, 36276

Tenor

1. Die Umsatzsteuer für 2011 wird unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 1. April 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2020 auf den negativen Betrag von 4.789,92 € herabgesetzt; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 16 Prozent und der Beklagte zu 84 Prozent.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist, ob der Klägerin der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb einer wegen eines ihr gegenüber begangenen Anlagebetrugs tatsächlich nicht gelieferten Photovoltaikanlage zusteht.
2
Die Klägerin zeigte dem Beklagten (dem Finanzamt; im Folgenden: FA) im Juli 2011 die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit zum 1. Januar 2011 an. Art der Tätigkeit war die Vermietung und Verpachtung einer Photovoltaikanlage. Ihre Besteuerung erfolgte gemäß Antrag vom 5. Juli 2011 nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 des Umsatzsteuergesetzes der Fassung des Streitjahres – UStG –).
3
Die Klägerin kaufte Komponenten einer Photovoltaikanlage im Rahmen des Anlagemodells „S“. Dieses sah vor, dass die G-KG Photovoltaikanlagen (Module und Zubehör) an die Kunden veräußerte. Die Kunden verpachteten die Anlage an bestimmten Anlagestandorten zu einem festen Pachtzins und für eine feste Laufzeit an die S-KG und später an die C-KG.
4
Mit zwei Rechnungen jeweils vom 22. Dezember 2010 (Nr. ... und 20100256) erwarb die Klägerin von der G-KG, die den Vertrieb für die C-AG übernommen hatte und zu deren Unternehmensgruppe gehörte, eine Komponenten einer Photovoltaikanlage mit circa 7,89 kWp, bestehend aus Modulen, Unterkonstruktion, Wechselrichter und erforderlichem Zubehör zu einem Gesamtkaufpreis in Höhe von € zzgl. € Umsatzsteuer (Rechnung Nr. ...5 über netto € zzgl. € USt und Rechnung Nr. ...über € zzgl. € USt); ein Standort der Photovoltaikanlage wurde in den Rechnungen nicht genannt.
5
Die Rechnung Nr. ... enthielt folgende Leistungsbeschreibung:

Pos

Menge

Nr.

Text

[1]

1,00

Stück

700200-01

Photovoltaikanlage mit 7,89 kWp Photovoltaikanlage bestehend aus folgenden Komponenten:

[2]

70026-SN- SN50Wp

SN Solartechnics

SN5OWp Dünnschicht …

[3]

70020-02

Unterkonstruktion inkl. aller Aluminiumprofile, Klemmen, Edelstahlschrauben und Dachanbindungen.

6
In der Rechnung Nr. ...sind folgende Leistungen angegeben:

Pos

Menge

Nr.

Text

[1]

1,00

Stück

70020-03

Wechselrichter ausgelegt auf 7,89 kWp. Selbstverständlich erfüllt jeder installierte Wechselrichter alle notwendigen Richtlinien und Normen.

[2]

1,00

Stück

70020-04

Elektrik & Verteiler für 7,89 kWp Elektromaterial inkl. aller notwendigen Kabel, Stecker, Verteiler bis zum Zählerkasten. Zählerschrank, Zählerfeld, Zähler inkl. Aller Schienen und Halterungen im Zählerschrank.

7
Die Rechnungen enthalten den Hinweis: „Das Rechnungsdatum entspricht dem Leistungsmonat.“ Bei der Rechnung Nr. ... findet sich zusätzlich als Zahlungsmodalität die Aussage „Vorauskasse“. Die Bezahlung der Rechnung Nr. ... leistete die Klägerin am 12. Januar 2011 und die der Rechnung Nr. ...im Dezember 2011.
8
Die G-KG hatte die Anlage zuvor in Bauteilen von der C-AG erworben. Laut Lieferschein vom 19. Januar 2011 (Nr. GL20110007) sollte „die Ware im Kundenauftrag direkt an die Firma C-AG ausgehändigt werden“.
9
Gleichzeitig wurde mit dem Erwerb am 21. Dezember 2010 ein Pachtvertrag über die Anlage zwischen der Klägerin (Verpächterin) und der C-AG (Pächterin) abgeschlossen. Darin war in der Vorbemerkung zum Pachtvertrag vereinbart, dass die Klägerin die Photovoltaikanlage „kaufe, um sie im Rahmen ihrer privaten Vermögensverwaltung an den Pächter zu verpachten“. In dem Pachtvertrag wurde vereinbart, dass die Klägerin monatliche Pachtzahlungen in Höhe von € zzgl. € Umsatzsteuer erhalten soll (§ 5 des Pachtvertrags). Weiter wurde eine grundsätzlich unkündbare Pachtdauer von 215 Monaten zugrunde gelegt. Nach Beendigung der Pachtdauer wurde der Pächterin ein Vorkaufsrecht in Höhe von € (netto) eingeräumt. Hinsichtlich der weiteren Vereinbarungen wird auf den Pachtvertrag vom 21. Dezember 2010 verwiesen.
10
Wegen des Erwerbs der Photovoltaikanlage reichte die Klägerin für den Monat Januar 2011 eine Umsatzsteuer-Voranmeldung ein. Darin machte sie lediglich die abziehbare Vorsteuer (€) aus dem Erwerb der Photovoltaikanlage geltend und meldete eine Steuer in Höhe eines Negativbetrages von € an. Das FA erteilte keine Zustimmung zu dieser Umsatzsteuer-Voranmeldung nach § 168 Satz 2 der Abgabenordnung (AO). In den folgenden Monaten meldete die Klägerin die Umsatzsteuern aus den erhaltenen Pachtzahlungen in ihren UmsatzsteuerVoranmeldungen an.
11
Am 14. Dezember 2012 reichte die Klägerin ihre Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2011 und am 2. Mai 2013 die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2012 ein. Im Rahmen der Erklärung machte die Klägerin für 2011 die Vorsteuer aus dem Erwerb der Photovoltaikanlage geltend und erklärte die erhaltene Umsatzsteuer aus den Pachtzahlungen. Eine Zustimmung nach § 168 AO erteilte das FA weiter nicht. In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2012 erklärte die Klägerin nur die Umsatzsteuer aus den Pachtzahlungen und machte eine geringe Vorsteuer aus Rechnungen für Rechtsanwalts- und Steuerberaterkosten geltend.
12
Hinsichtlich des im Jahr 2011 geltend gemachten Vorsteuerabzugs bestanden für das FA erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Klägerin, denn aufgrund des gleichen Geschäftsmodells hatten deutschlandweit zahlreiche andere Anleger Photovoltaikanlagen im Rahmen des Anlagemodells „S“ erworben und anschließend verpachtet. Deshalb führte das FA bei der Klägerin am 15. Januar 2014 für den Prüfungszeitraum 2011 und 2012 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch (Bericht vom 16. Januar 2014). Dabei gelangte das FA zu der Auffassung, dass die Klägerin durch den Kauf der Anlagenteile keine Verfügungsmacht an der Photovoltaikanlage erlangt hatte und somit auch keine Lieferung i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG vorliegen würde. Mangels Lieferung im Sinn des § 3 Abs. 1 UStG wurde somit der Vorsteuerabzug versagt.
13
Der abgeschlossene Pachtvertrag war insofern für das FA umsatzsteuerlich ohne Bedeutung. Deshalb war nach Auffassung des FA auch keine Umsatzsteuer aus dem Pachtvertrag für die Jahre 2011 und 2012 abzuführen. Allerdings behandelte das FA zunächst die im Pachtvertrag unrichtig oder unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer als Steuer nach § 14c UStG. Die Pachtzahlungen erfolgten nach den Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung im Jahr 2011 für den Zeitraum Februar bis Oktober 2011 insgesamt in Höhe von € zzgl. € Umsatzsteuer, sowie im Jahr 2012 für den Zeitraum November 2011 bis Oktober 2012 insgesamt in Höhe von € zzgl. € Umsatzsteuer. Insgesamt wurden € brutto an Pachtzahlungen in den Streitjahren vereinnahmt; weitere Pachtzahlungen erfolgten nicht mehr.
14
Aufgrund der Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung ergingen am 1. April 2014 Umsatzsteuerbescheide sowohl für 2011 als auch für 2012 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO.
15
Darin waren folgende Besteuerungsgrundlagen angesetzt (Beträge in €):

2011

2012

festgesetzte Umsatzsteuer:

Zinsen zur Umsatzsteuer:

[0]

Lieferungen und Leistungen:

[0]

[0]

Abziehbare Vorsteuerbeträge:

[0]

[0]

unrichtig/unberechtigt ausgewiesene USt:

16
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2014 stellte die Klägerin beim FA Anträge auf Änderung der vorgenannten Umsatzsteuerbescheide, da Iaut eines Urteils des Landgerichts vom 11. Juli 2014 der Pachtvertrag ungültig und daher die festgesetzte Umsatzsteuer vom FA zurückzuerstatten sei.
17
Diese Anträge lehnte das FA mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 mit Rechtsbehelfsbelehrungab und erläuterte, dass eine Rückerstattung der festgesetzten Umsatzsteuer nicht in Betracht komme, da eine Gefährdung des Steueraufkommens durch einen unberechtigten Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers (= Pächter) nicht ausgeschlossen werden könne.
18
Gegen diese Ablehnung ihres Änderungsantrags legte die Klägerin mit Schreiben vom 20. Dezember 2015 Einspruch ein, verwies inhaltlich nochmals auf das vorgenannte Urteil des Landgerichts und beantragte die Rückerstattung der nach § 14c UStG festgesetzten Umsatzsteuer.
19
Das Landgericht verurteilte die Hauptverantwortlichen des Anlagemodells „S“ mit rechtskräftigem Urteil vom 19. Mai 2016 wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu mehrjährigen Haftstrafen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Täter über ein Geflecht von Unternehmen insgesamt 272 private Anleger – unter denen sich auch die Klägerin befand – betrogen hatten, wobei ein Gesamtschaden von circa 10,5 Mio. Euro entstanden sei. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe der garantierte Pachtzins über der von den Pächtern zu erzielenden Einspeisevergütung gelegen. Zur Erwirtschaftung der Pachtzinsen wäre der zeitnahe Bau von Zweitanlagen (sog. Spiegelanlagen) erforderlich gewesen, der aber nicht erfolgt sei. Den Anlegern sei über zwischengeschaltete Vermittler vorgetäuscht worden, dass die Pachtzinsen hätten erwirtschaftet werden können. Ab einem bestimmten Zeitpunkt seien aber mehr Anlageteile veräußert worden, als Anlagekapazität in den einzelnen Photovoltaikanlagen zur Verfügung gestanden hätte. Das Schneeballsystem sei dann zusammengebrochen, als nicht mehr genügend Anleger gefunden worden seien. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Sachverhalts wird auf das Urteil des Landgerichts vom 19. Mai 2016 Bezug genommen.
20
Mit Schreiben vom 24. April 2018 legte der zwischenzeitlich von der Klägerin beauftragte Prozessbevollmächtigte dar, dass die Photovoltaikanalage, deren Komponenten die Klägerin erworben hatte, nach den Feststellungen im Strafprozess des Landgerichts (Urteil vom 19. Mai 2016) tatsächlich nie errichtet worden sei. Da die Klägerin keine Anlage erhalten habe, liege auch keine Lieferung an sie vor. Dennoch stehe ihr der volle Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der G-KG zu, da sie als Betrugsopfer gutgläubig erworben habe. Unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH – z.B. Urteil vom 31. Januar 2013 EuGH, LVK – 56, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2013, 346) komme es für den Vorsteuerabzug nicht ohne weiteres darauf an, ob eine Lieferung oder Leistung tatsächlich ausgeführt worden sei. Vielmehr sei das Recht auf den Vorsteuerabzug immer dann gegeben, wenn der Leistungsempfänger im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung sei und nicht gewusst habe bzw. nicht habe wissen können, dass eine Lieferung nicht bewirkt worden sei. Darüber hinaus seien auch von der Klägerin in den Streitjahren 2011 und 2012 keine umsatzsteuerpflichtigen Umsätze ausgeführt worden, auch wenn die Absicht hierfür vorgelegen habe bzw. die Klägerin gutgläubig von Umsätzen ausgegangen sei und diese erklärte habe. Daher sei die in den Jahren 2011 und 2012 festgesetzte Umsatzsteuer zu erstatten.
21
Mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 2020 setzte das FA (unter anderem) die hier streitige Umsatzsteuer für 2011 unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auf 0 € herab. Die Klägerin schulde keine Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG, weil die Gefährdung des Steueraufkommens offensichtlich beseitigt sei und die festgesetzte Steuer von Beginn an rückabzuwickeln sei.
22
Dagegen ist die Klage vom 8. Mai 2020 gerichtet.
23
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass das Landgericht im Urteil zum Strafprozess gegen die Verantwortlichen von S, C-KG und G-KG vom 28. November 2016 ausdrücklich festgestellt habe, dass die Klägerin tatsächlich keine Photovoltaikanlage erhalten habe. Da es sich um ein Schneeballsystem gehandelt habe, seien nach den Feststellungen des Landgerichts von den Anlegern, die in Deutschland eine Anlage erworben hätten bzw. hätten erwerben wollen, insgesamt 17 Anleger ohne Anlage geblieben. Die Klägerin sei eine dieser 17 Anleger gewesen.
24
Der EuGH habe in zwei vergleichbaren Fällen des Anlegerbetrugs nach einem Schneeballsystem bzw. von Voraus- oder Anzahlungen zweier Anleger auf je ein nicht geliefertes Blockheizkraftwerk entschieden, dass den Anlegern der Vorsteuerabzug zustehe, wenn sie je die gekauften Gegenstände verpachtet und daraus Pachteinnahmen erzielt hätten (EuGH-Urteil vom 31. Mai 2018 C-660/16, C-661/16, Kollroß und WirtI, UR 2018, 519). Der EuGH habe dabei zunächst festgestellt, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs unter Umständen, in denen die betreffenden Gegenstände aufgrund von Handlungen nicht geliefert worden seien, die zur Verurteilung von für die Lieferer handelnden Personen wegen Betrugs geführt hätten, nicht objektiv auszulegen seien, sondern nach den Informationen, von denen der Steuerpflichtige, der die Anzahlung geleistet habe, Kenntnis gehabt habe oder hätte haben müssen (EuGH-Urteil in UR 2018, 519, Rz 36). Dabei habe der EuGH darauf abgestellt, dass die Gegenstände, die geliefert werden sollten, zum Zeitpunkt der Anzahlungsleistung klar bezeichnet gewesen seien. Insbesondere seien die Merkmale und der Preis dieser Gegenstände klar bestimmt gewesen (EuGH-Urteil in UR 2018, 519, Rz. 43). Die Klägerin habe ebenfalls keine entsprechende Kenntnis, da sie ja die Pachteinnahmen aus der Anlage erhalten habe. In dem vom EuGH entschiedenen Fall habe der Anleger/Kläger Anzahlungen vor der tatsächlichen Lieferung erhalten und diese Lieferung sei dann aufgrund des bandenmäßigen Betrugs unterblieben. Die fehlende Lieferung und damit die fehlende Existenz der Anlage habe dem Vorsteuerabzug für den Anleger jedoch nicht entgegengestanden.
25
Die entsprechenden Voraussetzungen seien im Fall des Kaufs der Photovoltaikanlage durch die Klägerin ebenfalls erfüllt. Sie habe aus dem Erwerb der Anlage, für die sie eine Vorauszahlung geleistet habe, Einnahmen in Form von Pachteinnahmen erzielt. Die tatsächliche Lieferung der Photovoltaikanlage sei infolge des bandenmäßigen Betrugs unterblieben. Ein Fall der Hinterziehung von Mehrwertsteuer liege ebenfalls nicht vor. da die von der Klägerin geleistete Umsatzsteuer von der G-KG ordnungsgemäß an das zuständige Finanzamt abgeführt worden sei. Auch die Klägerin habe die erhaltenen Pachtzahlungen ordnungsgemäß versteuert. Ein Steuerausfallrisiko des Fiskus sei damit vorliegend nicht gegeben. Es sei richtig, dass ein betrügerisches bzw. kollusives Zusammenwirken von G-KG und C-AG vorgelegen habe. Entgegen den Ausführungen des FA in der Einspruchsentscheidung vom 24. April 2020 sei hier aber kein Nachteil des Fiskus entstanden, da G-KG und C-AG ihren steuerlichen Pflichten – ebenso wie die Anleger bzw. konkret die Klägerin – vollumfänglich nachgekommen seien und insbesondere die G-KG die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Fiskus abgeführt habe.
26
Nach einem Urteil des Finanzgerichts München vom 28. Oktober 2021 (Az.: 14 K 396/19, n. V.) habe der dortige Kläger trotz fehlenden tatsächlichen Erwerbs der Photovoltaikanlage die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt, weshalb ihm dieser zugesprochen worden sei. Dieses Urteil stütze sich im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 13. März 2014 C-107/13, FIRIN, UR 2014, 705, Rz. 39 und in UR 2018, 519) sowie auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – (Urteil vom 29. Januar 2015 V R 51/13, BFH/NV 2015, 708, Rz. 13). In dem vom EuGH entschiedenen Fall habe der Anleger/Kläger Anzahlungen vor der tatsächlichen Lieferung geleistet und diese Lieferung sei dann aufgrund des bandenmäßigen Betrugs unterblieben. Die entsprechenden Voraussetzungen seien im Fall des Kaufs der Photovoltaikanlage durch die Klägerin ebenfalls erfüllt. Die Klägerin habe aus dem Erwerb der Anlage, für die sie die Vorauszahlung geleistet habe, Einnahmen in Form von Pachteinnahmen erzielt. Es sei zwar zutreffend, dass auf der zweiten Rechnung nicht explizit Vorkasse erwähnt sei. Dennoch habe bezüglich der Rechnungen vom 22. Dezember 2010 eine Zahlung vor Ausführung der Umsätze im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 UStG vorgelegen. Denn mit der Rechnung über (brutto) 5.700 € habe die G-KG zum einen Wechselrichter und anderes sowie zum anderen Elektrik & Verteiler und anderes abgerechnet. Aus dem Lieferschein der G-KG vom 19. Januar 2011 (Lieferschein Nr. GI20110007) ergebe sich, dass die Lieferung von Wechselrichter und anderes (Position 3 des Lieferscheins) sowie von Elektrik & Verteiler und anderes (Position 5 des Lieferscheins) erst nach der Bezahlung der 2. Rechnung habe erfolgen sollen. Denn die Bezahlung der 2. Rechnung habe die Klägerin vereinbarungsgemäß am 12. Januar 2011 geleistet. Zudem habe die G-KG auch hier in den AGB vereinbart, dass die Lieferung spätestens innerhalb von 14 Tagen nach vollständiger Bezahlung des Kaufpreises, jedoch nicht vor Ablauf der Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erfolgen solle. Bereits hieraus ergebe es sich, dass eine Zahlung vor Lieferung vereinbart gewesen sei.
27
Das FA berufe sich im Schriftsatz vom 31. Mai 2022 zum ersten Mal darauf, dass keine Vorkasse-Rechnung vorliege und beziehe sich insoweit auf das Urteil des Finanzgerichts München vom 28. Oktober 2021 (Az.: 14 K 396/19, n.V.). Im dort entschiedenen Parallelfall habe das Finanzgericht München tatsächlich geurteilt, dass kein Vorsteuerabzug aus der dortigen zweiten Rechnung bestanden habe. Entscheidend hierfür sei jedoch gewesen, dass der Kläger im Parallelfall die Zahlung der zweiten Rechnung nicht im Streitjahr (2010) geleistet habe, sondern erst im Folgejahr 2011. Entsprechend sei diese Umsatzsteuer nicht mehr Gegenstand der Klage gewesen, sondern sie sei bereits bestandskräftig festgesetzt gewesen. Der dortige Kläger habe sich auch nicht auf die Regelung in den AGB der G-KG berufen und das Finanzgericht habe dies entsprechend unberücksichtigt gelassen. Das Finanzgericht München habe sich im Zusammenhang mit der zweiten Rechnung noch mit dem Gesichtspunkt des allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung auseinandergesetzt. Auch dies habe das Finanzgericht München jedoch abgelehnt, da die Zahlung der Umsatzsteuer nicht im Streitjahr (2010), sondern erst im Folgejahr 2011 erfolgt sei.
28
Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Akten verwiesen.
29
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer für 2011 unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 1. April 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2020 auf den negativen Betrag von € herabzusetzen.
30
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
31
Zur Begründung verweist das FA auf die Einspruchsentscheidung und trägt weiter vor, dass im Streitfall die Zahlung der Rechnungen erst im Januar 2011 erfolgt sei, also erst nach dem in der Anzahlungsrechnung genannten Lieferdatum. Damit seien im Zeitpunkt der Zahlung durch die Klägerin nicht mehr alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung bekannt gewesen und sie habe nicht mehr ohne Weiteres davon ausgehen können, dass die ausstehende Leistung noch sicher sei, denn das in den Rechnungen vom 22. Dezember 2010 angegebene und der Klägerin damit bekannte Leistungsdatum sei objektiv nicht eingehalten worden. Zwar habe es der EuGH in seinem Urteil in UR 2018, 519 in der Rz. 45 mit Blick auf die maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung für unbeachtlich gehalten, wenn der künftige Leistungszeitpunkt nicht genau bestimmt sei. Diese Feststellung betreffe allerdings nur den vom EuGH beurteilten Sachverhalt, eines bei Anzahlung (nicht genau bestimmten) zukünftigen Leistungszeitpunkts. Eine generelle Irrelevanz des Leistungszeitpunkts als maßgebliches Element der zukünftigen Leistung sei damit gleichwohl nicht verbunden (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 5. Dezember 2018 XI R 44/14, UR 2019, 255), in dem der BFH in Rz. 46 insoweit ausdrücklich auf den Lieferzeitpunkt Bezug nehme.
32
Da das Leistungsdatum im vorliegenden Streitfall im Zeitpunkt der Anzahlung bereits in der Vergangenheit gelegen habe, hätten sich der Klägerin Zweifel an der Sicherheit der Lieferung aufdrängen müssen. Habe die Klägerin es unterlassen, hierzu vor der Zahlung Nachforschungen anzustellen, könne sie nicht geltend machen, von der Unsicherheit keine Kenntnis gehabt zu haben. Zumindest hätte sie unter diesen Umständen wissen müssen, dass die Bewirkung der Lieferung unsicher gewesen sei. Der Vorsteuerabzug aus der höheren Rechnung sei deshalb nach wie vor zu versagen. Darüber hinaus hätten bei einer behaupteten Lieferung im Monat der Rechnungstellung die Vorsteuern von vornherein allenfalls im Veranlagungszeitraum 2010 berücksichtigt werden können.
33
Aus der zweiten Rechnung, die nicht als Vorausrechnung kenntlich gewesen sei, scheide der Vorsteuerabzug ebenfalls aus nach den Entscheidungsgründen im Urteil des Finanzgerichts München vom 28.Oktober 2021 (Az.: 14 K 396/19, n.V.) aus.
34
Zu dem weiteren Vorbringen des FA wird auf die eingereichten Stellungnahmen verwiesen.
35
Am 26. September 2023 fand die mündliche Verhandlung statt.

Entscheidungsgründe

II.
36
Die Klage ist überwiegend begründet.
37
Der Klägerin steht der Vorsteuerabzug aus der Rechnung Nr. ... über netto € zzgl. € Umsatzsteuer vom 22. Dezember 2010 zu, weil es sich hierbei um eine Anzahlungsrechnung handelt. Bei der zweiten Rechnung Nr. ...über € zzgl. € Umsatzsteuer vom gleichen Tag handelt es sich um keine Anzahlungsrechnung und der Klägerin ist der Vorsteuerabzug hieraus mangels Verschaffung der Verfügungsmacht zu versagen.
38
1. Im Streitfall ist die Klägerin mangels Lieferung der Photovoltaikanlage durch die G-KG zunächst nicht zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG berechtigt.
39
a) Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG).
40
Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). § 3 Abs. 1 UStG setzt Art. 14 Abs. 1 der RL 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL – (vormals Art. 5 Abs. 1 der Sechsten RL 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern) in nationales Recht um.
41
Der unionsrechtliche Begriff „Lieferung von Gegenständen“ bezieht sich dabei nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen. Er umfasst vielmehr jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (EuGH-Urteil vom 2. Juli 2015 C-209/14, NLB Leasing, UR 2015, 628, Rz. 29, m.w.N.).
42
b) Hiervon ausgehend konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass die Photovoltaikanlage tatsächlich an die Klägerin geliefert wurde.
43
Im Streitfall fehlt es an einer tatsächlichen Durchführung der vereinbarten Lieferung. Es liegen keine Unterlagen oder objektive Anhaltspunkte vor, die darauf schließen lassen, dass die vereinbarte Lieferung der bestellten Anlage tatsächlich durchgeführt wurde. Auch die Feststellungen des Landgerichts im Urteil vom 19. Mai 2016 lassen nicht auf eine Lieferung an die Klägerin schließen. Sie legen vielmehr nahe, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt die Verfügungsmacht über die bestellte Anlage bzw. ihren Komponenten erlangt hat. Das Landgericht hatte in dieser Hinsicht festgestellt, dass die Klägerin keine Anlage erhalten hatte, sie wurde in den Urteilsgründen als „Anleger ohne Anlage“ bezeichnet. Hiervon gehen beide Beteiligten übereinstimmend aus.
44
Vor diesem Hintergrund lässt auch die Tatsache, dass die Klägerin tatsächlich Pachtzahlungen erhalten haben, nicht den Rückschluss zu, dass der Klägerin Verfügungsmacht über die gekaufte Anlage eingeräumt wurde. Die anfänglichen Pachtzahlungen erfolgten offenkundig unabhängig von der Übereignung der Anlage; es liegt nahe, dass sie der Aufrechterhaltung des Betrugsmodells dienten.
45
2. Die Zahlung der Klägerin in Höhe von € (€ zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von €) aufgrund der Rechnung Nr. ...5 vom 22. Dezember 2010 berechtigt die Klägerin zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG, nicht hingegen die Zahlung aufgrund der Rechnung Nr. 20100256.
46
a) Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung des Umsatzes entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG). Die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG beruht auf Art. 167 und Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 65 MwStSystRL. Gemäß Art. 167 MwStSystRL entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Werden Anzahlungen oder Vorauszahlungen geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht ist, ist das gemäß Art. 65 MwStSystRL zum Zeitpunkt der Vereinnahmung des Geldes der Fall.
47
aa) Der Eintritt des Steuertatbestands darf zum Zeitpunkt der Anzahlung bzw. Vorauszahlung nicht „unsicher“ sein. Maßgeblich hierfür ist, ob im Zeitpunkt der Zahlung alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als dem Erwerber bekannt angesehen werden konnten, so dass der Gegenstand der Lieferung genau bestimmt war und anhand objektiver Umstände nicht erwiesen ist, dass er zu diesem Zeitpunkt wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung dieser Lieferung unsicher war (EuGH-Urteil in UR 2018, 519, Tenor 1; BFH-Urteile vom 17. Juli 2019 V R 9/19 (V R 29/15), BFH/NV 2019, 1466, Rz 20 ff.; in UR 2019, 255, Rz 41 ff.).
48
bb) Der Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG setzt ferner voraus, dass der Unternehmer gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Dies folgt bereits aus dem Regelungszusammengang, weil sich § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG auf vorhergehenden Regelungen bezieht. Dementsprechend bestimmt das Unionsrecht in Art. 178 Buchst. a MwStSystRL, dass der Unternehmer für den Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und dem Erbringen von Dienstleistungen eine gemäß den Art. 220 bis 236 MwStSystRL sowie Art. 238, 239 und 240 MwStSystRL ausgestellte Rechnung besitzen muss, um den Vorsteuerabzug auszuüben. Diese Anforderung stellt das Unionsrecht für alle Fälle des Vorsteuerabzugs nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL, also auch für die Fälle, die auf einer Entstehung der Steuer durch eine Anzahlung nach Art. 65 MwStSystRL beruhen.
49
Nach § 14 Abs. 5 Satz 1 UStG gelten § 14 Abs. 1 bis 4 UStG sinngemäß, wenn der Unternehmer das Entgelt oder einen Teil des Entgelts für eine noch nicht ausgeführte Lieferung oder sonstige Leistung vereinnahmt.
50
(a) Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung muss u.a. nach § 14 Abs. 4 Nr. 5
51
UStG Angaben über die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder den Umfang und die Art der sonstigen Leistung enthalten. Diese Voraussetzung ist jedenfalls dann erfüllt, wenn die Rechnung Angaben tatsächlicher Art enthält, die die Identifizierung der abgerechneten Leistung ermöglichen, ohne dass dabei eine erschöpfende Beschreibung der konkret erbrachten Leistungen erforderlich ist. Der Aufwand zur Identifizierung der Leistung muss dahingehend begrenzt sein, dass die Rechnungsangaben eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Leistung, über die abgerechnet worden ist, ermöglichen. Was zur Erfüllung dieser Voraussetzung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BFH-Urteil vom 10. Juli 2019 XI R 28/18, BStBl II 2021, 961, Rz 15 ff.).
52
(b) Eine Anzahlungsrechnung muss als solche erkennbar sein. Denn gem. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 UStG muss die Rechnung unter anderem den Zeitpunkt der Lieferung oder sonstigen Leistung, in den Fällen des § 14 Abs. 5 Satz 1 UStG den Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts enthalten, sofern der Zeitpunkt der Vereinnahmung feststeht und nicht mit dem Ausstellungsdatum der Rechnung übereinstimmt. Die Angabe des Datums der Vereinnahmung des Entgelts wird dem leistenden Unternehmer regelmäßig nicht möglich sein, weil der Leistungsempfänger grundsätzlich erst nach oder gleichzeitig mit der Rechnungsstellung zahlt. In der Rechnung muss aber kenntlich gemacht werden, dass über eine noch nicht ausgeführte Leistung abgerechnet wird, weil die Rechnungsangaben eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug ermöglichen sollen. Andernfalls bestünde für die Finanzverwaltung stets die Ungewissheit, ob über eine Anzahlung abgerechnet wird oder ob die Angabe des Leistungszeitpunkts aus anderen Gründen fehlt. Die Kenntlichmachung ist auch im Hinblick auf die Gefahr geboten, dass vom Empfänger andernfalls mit Hilfe von schon vor Leistungsausführung erteilten Rechnungen, die den Eindruck erwecken, es würde über eine bereits erbrachte Leistung abgerechnet, missbräuchlich Vorsteuern geltend gemacht werden könnten (Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 14. Januar 2015 1 StR 93/14, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2015, 273, Rz 45 ff.). Dementsprechend scheidet eine Steuerschuld des Unternehmers wegen eines unberechtigten Steuerausweises nach § 14c Abs. 2 UStG aus, wenn eine Vorausrechnung vorliegt, die einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt der Leistung erkennen lässt (BFH-Urteil vom 6. April 2016 V R 12/15, BStBl II 2017, 188, Rz 39). Hinzu kommt, dass sich durch eine Kennzeichnung als Anzahlungsrechnungen leicht und eindeutig der Wille der Vertragspartner entnehmen lässt, dass sie alle mit der Bewirkung der Lieferung oder der Erbringung der Dienstleistung verbundenen finanziellen Folgen auf sich nehmen wollen. Dies ist der Grund für die Entstehung der Steuerschuld bei Anzahlungen (hierzu: EuGH-Urteil in UR 2018, 519, Rz 47).
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b) Im Streitfall sind diese Voraussetzungen für die Zahlung der Klägerin in Höhe von 30.000 € aufgrund der Rechnung Nr. ...5 vom 22. Dezember 2010 vor Ausführung der Lieferung der Photovoltaikanlage erfüllt.
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aa) Die Leistung der Zahlung (durch Überweisung) erfolgte mit Wertstellung vom 12. Januar 2011, mithin circa drei Wochen nach Vertragsabschluss; diese Bezahlung wurde durch die Klägerin durch Vorlage eines Kontoauszugs nachgewiesen.
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bb) Ferner war die Leistung aus Sicht des Erwerbers, der Klägerin, nicht unsicher.
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Denn die maßgeblichen Elemente der künftigen Lieferung der Photovoltaikanlage, wie Kaufgegenstand, Kaufpreis sowie Lieferdatum in der Rechnung vom 22. Dezember 2010 Nr. ...5 waren hinreichend bestimmt, lediglich der Lieferort war noch unbestimmt. Insbesondere ergibt sich aus dieser Rechnung die Menge und die Art der gelieferten Gegenstände. Aus ihr geht hervor, dass der Klägerin eine Photovoltaikanlage („1,00 Stück“) mit einer Leistung von 7,89 kWp geliefert wird, die mit Dünnschichtmodulen des Typs SN50Wp aufgebaut ist. Anders als nach dem Sachverhalt, der dem Urteil des Finanzgerichts (FG) Thüringen vom 23. November 2021 3 K 219/18 (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2022, 207) zu Grunde lag, enthielt die Rechnung hier keine missverständliche Angabe der Stückzahl. Während dort bei den Modulen „1,00 Stück“ angegeben war, fehlt hier eine Stückzahl. Ferner ist bereits aus der Bezeichnung der Module, welche deren Leistung enthält („50Wp“) ohne weiteres ersichtlich, dass die Solaranlage nicht aus einem Modul bestehen kann, was zudem untypisch für Photovoltaikanlagen wäre. Schließlich ist die Position 3 der Rechnung (Unterkonstruktion) hinreichend genau.
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Anhaltspunkte, dass der Klägerin die zur Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs führenden Handlungen der für das Modell “S“ verantwortlichen Personen, aufgrund derer die Lieferung der Photovoltaikanlage unterblieb, im Zeitpunkt der Zahlung bekannt waren, sind nicht ersichtlich. Auch eine Versagung des Vorsteuerabzugs wegen fahrlässiger Unkenntnis der Klägerin, dass die Bewirkung der Lieferung unsicher war, kommt nicht in Betracht. Selbst wenn die Klägerin hätte erkennen können, dass die Pachtzinsen nicht erwirtschaftet werden konnten – was nach den Feststellungen des Landgerichts nicht leicht erkennbar war (vgl. S. 31 des Urteils) – hätte sie trotzdem nicht wissen können, dass die Lieferung der Photovoltaikanlage nicht bewirkt werden würde. Auch ist nicht ersichtlich, dass sie von der Überzeichnung der tatsächlich bestehenden Anlagen Kenntnis haben konnte. Zudem ist davon auszugehen, dass die Klägerin die Zahlung des Kaufpreises nicht vorgenommen hätte, wenn sie wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung der Lieferung ungewiss ist (vgl. hierzu BFH-Urteil in UR 2019, 255, Rz 55). Es war gerade Sinn und Zweck des in der Geldanlage „S“ angelegten Betrugssystems, dass den Anlegern die Sicherheit ihrer Geldanlage in eine Photovoltaikanlage vorgespiegelt wurde.
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cc) Schließlich enthält die Rechnung vom 22. Dezember 2010 Nr. ...5 die erforderlichen Angaben (II.2.b.bb) und ist als Anzahlungsrechnung erkennbar, weil aus ihr die Zahlungsmodalität „Vorkasse“ hervorgeht.
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c) Die Rechnung Nr. ...vom 22. Dezember 2010 über netto € zzgl. € Umsatzsteuer berechtigt hingegen nicht zum Vorsteuerabzug, weil aus ihr nicht hervorgeht, dass es sich dabei um eine Anzahlungsrechnung handelt; anders als bei der Rechnung Nr. ...5 vom 22. Dezember 2010 fehlt hier die Angabe „Vorauskasse“; aus dem Text in der Rechnung „Das Rechnungsdatum entspricht dem Leistungsmonat.“ ergibt sich nicht hinreichend, ob es sich um eine Anzahlungsrechnung handelt. Ferner lässt sich dies nicht aus dem Zusammenhang mit der Rechnung ...5 vom 22. Dezember 2010 schließen. Denn dort wird der Klägerin zwar die Lieferung einer Photovoltaikanlage in Rechnung gestellt; vereinbart war aber nur die Lieferung einzelner Komponenten, deren Lieferzeitpunkte voneinander abweichen können. Es ist daher nicht leicht und eindeutig erkennbar, dass mit der Rechnung Nr. ...Leistungen abgerechnet werden sollten, die zeitgleich mit der Rechnung Nr. ...5 ausgeführt werden.
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3. Die Klägerin schuldet keine Steuer gem. § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG für die Pachtzahlungen; denn das FA hat in seiner Einspruchsentscheidung vom 30. April 2020 gem. § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG entschieden, dass für das Streitjahr keine Gefährdung des Steueraufkommens bestanden habe. Daran ist das Gericht gebunden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
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5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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6. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO wegen der beim BFH anhängigen Streitsache V R 42/21 (Revision gegen das Urteil des FG Thüringen in EFG 2022, 207) zugelassen.