Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 07.03.2023 – 8 U 3056/22
Titel:

Materielle Einwendungen gegen die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
VAG § 155, § 160
KVAV § 17
GVG § 172 Nr. 2, § 174 Abs. 3
Leitsätze:
Im Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung muss das Gericht dem pauschalen Einwand des Versicherungsnehmers, dem Treuhänder seien die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig vorgelegt worden, nicht nachgehen. (Rn. 19, 20 und 22 – 29)
Erhebt der Versicherungsnehmer einer privaten Krankenversicherung materielle Einwendungen gegen die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung, haben die Gerichte allein die Prämienanpassung inhaltlich zu überprüfen, nicht hingegen den Treuhändervorgang an sich (Anschluss an LG Köln BeckRS 2022, 32937 Rn. 31; LG Gießen Urt. v. 11.1.2023 – 2 O 178/22; LG Koblenz Urt. v. 17.11.2022 – 16 O 208/22; LG Bad Kreuznach BeckRS 2022, 38182 Rn. 24; LG Düsseldorf BeckRS 2023, 2927; LG Frankfurt (Oder) BeckRS 2022, 40575 Rn. 31 f.). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, Treuhänder, Treuhänderprüfung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 30.09.2022 – 33 O 174/22
Fundstellen:
VersR 2023, 1147
r+s 2023, 320
LSK 2023, 3605
NJW-RR 2023, 888
BeckRS 2023, 3605

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 30.09.2022, Az. 33 O 174/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Beitragsanpassungen im Rahmen einer privaten Krankenversicherung, die der Kläger bei der Beklagten unterhält.
2
In erster Instanz waren zuletzt die jeweils zum 1. Januar 2018, 2019 und 2020 im Tarif „C. …“ erfolgten Beitragsanpassungen Gegenstand des Rechtsstreits, aus deren behaupteter Unwirksamkeit der Kläger die Erstattung von 4.224,68 € verlangt hat.
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Das Landgericht hat diese Klage ohne Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die angegriffenen Beitragsanpassungen formell und materiell wirksam gewesen seien.
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Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge inhaltlich unverändert weiterverfolgt (einschließlich Feststellungsbegehren betr. Unwirksamkeit von Prämienanpassungen und Verpflichtung zur Nutzungsherausgabe).
II.
5
Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht die Feststellungs- und Leistungsklage insgesamt abgewiesen. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
7
Es wird zunächst Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Urteils, die den Senat überzeugen.
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Ergänzend ist zur kurzen Begründung der Bestätigung der angefochtenen Entscheidung (vgl. § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) im Hinblick auf die Berufungsbegründung vom 25.10.2022 noch auszuführen:
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1. Die inhaltlichen Anforderungen an die gemäß § 203 Abs. 5 VVG erforderliche Begründung der Beitragserhöhung sind inzwischen weitgehend höchstrichterlich geklärt (vgl. insbesondere BGH, Urteile vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19, NJW 2021, 378 und vom 21.07.2021 – IV ZR 191/20, NJW-RR 2021, 1260). Danach ist die Angabe der Rechnungsgrundlage erforderlich, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Anzugeben ist auch, dass die Veränderung den maßgeblichen Schwellenwert überschritten hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe und Richtung sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben. Insgesamt dient das Begründungserfordernis nicht der Plausibilitätskontrolle durch den Versicherungsnehmer. Im Übrigen genügt es, wenn sich die erforderliche Begründung aus einer Zusammenschau aller dem Versicherungsnehmer übersandten Unterlagen ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2022 – IV ZR 337/20, NJW-RR 2022, 606 Rn. 31; OLG Dresden, BeckRS 2022, 4631).
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Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.
11
Der Senat ist – insbesondere auch im Hinblick auf die Entscheidung des BGH vom 09.02.2022 (IV ZR 337/20, juris Rn. 27-31) – in Übereinstimmung mit dem Erstgericht der Auffassung, dass im Streitfall den gesetzlichen Erfordernissen – in ihrer differenzierenden Auslegung durch aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung – Genüge getan ist (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 23.06.2022 – 20 U 128/22, BeckRS 2022, 15948) und die im vorliegenden Berufungsverfahren zur Überprüfung gestellten Beitragsanpassungen – soweit (noch) entscheidungserheblich – rechtswirksam sind.
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Auf die entsprechenden – sachlich und rechtlich zutreffenden – Ausführungen in der Berufungserwiderung (vgl. dort S. 3-11, jeweils mit eingescannten Nachtragsversicherungsscheinen) wird zur Vermeidung bloß wiederholender Schreibarbeit verwiesen und Bezug genommen.
13
Der Kläger als Versicherungsnehmer und Empfänger der jeweiligen schriftlichen Mitteilungen zu den streitgegenständlichen Beitragsänderungen konnte mühelos erkennen, dass die Prämienanpassungen damit begründet wurden, dass eine solche bei einer bestimmten Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten „Leistungsausgaben“, d.h. den Versicherungsleistungen, erforderlich werde und dass dies zu dem bezeichneten Zeitpunkt in den gekennzeichneten Tarifen erfolgen müsse. In den beigefügten weiteren Informationen zur Beitragsanpassung ist beschrieben, dass die jeweilige Beitragsanpassung nicht willkürlich, sondern aufgrund gesetzlicher Vorschriften erfolgt und dass eine Abweichung vom prozentual benannten Schwellenwert als Ergebnis des „jährlich für jeden einzelnen Tarif“ vorgenommenen Vergleichs der „tatsächlichen mit den kalkulierten Leistungsausgaben“ eine Beitragsüberprüfung und Anpassung ergeben kann. Dass dies im Fall des Klägers eingetreten ist, konnte dieser bereits dem Einleitungssatz des Anschreibens und dem geänderten Versicherungsschein mit den im einzelnen ausgewiesenen Änderungsbeträgen entnehmen.
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2. Das Landgericht hat neben der formellen Wirksamkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen auch ausdrücklich deren materielle Wirksamkeit für gegeben und die hiergegen vom Kläger gerichteten erstinstanzlichen Angriffe (gestützt auf § 8b MB/KK sowie auf fehlerhafte Treuhänderprüfung) für nicht durchgreifend erachtet (LGU 6-7).
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Hiergegen hat der Kläger folgende Berufungsangriffe gerichtet (vgl. Berufungsbegründung, S. 8-11; verkürzt, Hervorhebungen durch den Senat):
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Zudem verkannte das Gericht erster Instanz, dass die Klägerseite die technischen Berechnungen mithin die versicherungsmathematischen Kalkulationen nicht angreift. Der Klägerseite geht es ausschließlich um die Frage der Vollständigkeit der dem Treuhänder von der Beklagten vorgelegten Unterlagen zur Überprüfung und Zustimmung der Beitragserhöhungen. In zeitlicher Hinsicht wird also nach der Kalkulation und vor der Zustimmung des Treuhänders angegriffen. Nachdem bereits herausgestellt wurde, dass die Klägerseite nicht an dem Ergebnis von kalkulatorischen Berechnungen der Beitragserhöhungen interessiert ist, sondern lediglich an der Überprüfung der Vollständigkeit der Unterlagen, kann die Beklagte diese Unterlagen so modifizieren, dass keine Geheimhaltungsbedürftigkeit vorliegt. Die einzelnen geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, die durch die streitgegenständlichen Unterlagen bekannt werden würden, sind zu schwärzen, sodass das im Ergebnis die geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen gar nicht erst Streitstoff werden können. Die Beklagte hat es selbst in der Hand, die geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen so zu schützen, dass keine dieser Tatsachen bekannt werden. Dies gilt insbesondere für die Erforderlichkeit der Dokumentation zur Erstkalkulation. Ist beispielsweise eine Begründung für die Auswahl der Limitierungsmittel maßgeblich, kommt es nicht auf die Begründung an sich an, sondern nur darauf an, ob die Beklagte die Begründung dem Treuhänder vorgelegt hat. Gleiches gilt für das kalkulatorische Ergebnis der Beitragsberechnungen und einzelne Kalkulationsfaktoren. Auch der zu bestellende Sachverständige darf nicht über das hinausgehen, was streitig gestellt und damit zu begutachten ist. Das Ergebnis der Kalkulationen der Beklagten ist für den Sachverständigen irrelevant. Er hat ausschließlich zu prüfen, ob der Treuhänder auf Grundlage der ihm vorliegenden Unterlagen eine Zustimmung treffen dürfen. Dieses Vorgehen würde dem Geheimhaltungsschutz über das Maß der §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG garantieren, denn so liefe die Beklagte keinerlei Gefahr, dass irgendein Verfahrensbeteiligter Kenntnis erlangt nicht einmal das Gericht. Die Abwägung ergibt also, dass ein Verfahren nach §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG den Interessen der Beklagten nicht gerecht wird. Zudem werden Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit vermieden. Die Belange der Öffentlichkeit, des rechtlichen Gehörs und des Geheimnisschutzes werden allseits vollumfänglich gewahrt. Mit einer solchen Abwägung setzte sich das erstinstanzliche Gericht trotz mehrfacher Bitte nicht auseinander. Es orientierte sich vielmehr an Verfahren, in denen es um den Angriff der kalkulatorischen Berechnungen ging und wo es demnach auch um die Offenlegung geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen und konkrete Zahlen geht. Im hiesigen Fall geht es aber gerade nicht um die konkreten Zahlen. Das erstinstanzliche Gericht ignorierte den dahingehenden klägerischen Vortrag völlig.
17
Diese Berufungsrügen überzeugen nicht und können den Bestand des Ersturteils im Ergebnis nicht gefährden. Die vom Berufungsführer vermisste Abwägung zwischen den „Belangen der Öffentlichkeit, des rechtlichen Gehörs und des Geheimnisschutzes“ ist hier nicht entscheidungserheblich und ist deshalb nicht geboten.
18
a) Hinsichtlich des gerichtlichen Rechtsschutzes bezogen auf die inhaltliche Richtigkeit einer Beitragsanpassung gilt Folgendes (vgl. KG, Urteil vom 08.02.2022 – 6 U 20/18, BeckRS 2022, 1916 Rn. 32 f.; Revision anhängig: BGH, Az. IV ZR 67/22; vgl. dazu Aussetzungsbeschluss des OLG Celle vom 20.10.2022 – 8 U 46/21, NJOZ 2022, 1589):
19
Nach § 203 Abs. 2 VVG ist der Versicherer bei einem Versicherungsverhältnis, bei dem sein ordentliches Kündigungsrecht – wie hier – ausgeschlossen ist, bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage (§ 203 Abs. 2 Satz 3 VVG) berechtigt, die Prämien entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. Grundlage der Prämienänderung sowie ihrer Überprüfung und Zustimmung durch den Treuhänder sind die Vorschriften der §§ 12 b, 12 c VAG a.F. i.V.m. der Kalkulationsverordnung (KaIV / Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation und zur Berechnung der Alterungsrückstellung in der privaten Krankenversicherung vom 18.11.1996; BGBl. I S. 1783), bzw. §§ 155, 160 VAG i.V.m. der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV / Verordnung betreffend die Aufsicht über die Geschäftstätigkeit in der privaten Krankenversicherung vom 18.04.2016; BGBl. I S. 780). Damit wird dem Versicherer unabhängig von einer vertraglichen Anpassungsklausel ein gesetzliches Anpassungsrecht eingeräumt, dessen nähere Voraussetzungen sich aus dem Aufsichtsrecht ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2004 – IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323 Rn. 10 [noch zu § 178 g Abs. 2 VVG a.F.]). In einem gerichtlichen Verfahren über die Beitragsanpassung hat der Versicherer darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen der vorgenannten Rechtsvorschriften für die erhöhte Prämie vorliegen. Da hierin die einseitige Bestimmung einer Hauptleistungspflicht durch den Versicherer liegt, der Versicherungsnehmer mithin von einer gesetzlichen Einschränkung der Vertragsfreiheit betroffen ist, ist diesem ein wirkungsvoller Rechtsschutz zu gewähren, was die umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes voraussetzt. Aus diesem Grunde unterliegen die Prämienanpassungen im Individualprozess in sachlicher Hinsicht einer wirkungsvollen richterlichen Kontrolle auf Veranlassung des einzelnen Versicherungsnehmers, die durch eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung durch die Zivilgerichte anhand der maßgeblichen privatrechtlichen Normen zu gewährleisten ist (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2015 – IV ZR 272/15, juris Rn. 21; BVerfG, Kammerbeschluss vom 28.12.1999 – 1 BvR 2203/98, juris; BGH, Urteil vom 16.06.2004, a.a.O. juris Rn. 7; Boetius in: Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, 2. Aufl. 2017, § 203 Rn. 904). Maßstab für die gerichtliche Prüfung ist, ob die Prämienanpassung nach aktuariellen Grundsätzen als mit den bestehenden Rechtsvorschriften und eventuell davon abweichenden wirksamen vertraglichen Bestimmungen in Einklang stehend anzusehen ist (§ 12 b Abs. 1 Satz 2 VAG a.F.; § 155 Abs. 1 Satz 2 VAG). Die danach vorzunehmende Kontrolle der Prämienerhöhung hat sich auf der Grundlage der dem Treuhänder vom Versicherer vorgelegten Unterlagen zunächst darauf zu erstrecken, ob die Anpassungsvoraussetzungen gegeben sind (§§ 12 b Abs. 2 Satz 2 VAG a.F.; § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG). Ist das der Fall, ist der Umfang der Prämienerhöhung zu überprüfen (BGH, Urteil vom 16.06.2004, a.a.O. juris Rn. 15). Die Überprüfung erfolgt hinsichtlich des Vorliegens der Anpassungsvoraussetzungen und sodann hinsichtlich der vom Versicherer vorgenommenen Neuberechnung der Prämie zunächst anhand der ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen materiellen Vorgaben und umfasst schließlich auch die sog. Limitierungsmaßnahmen. Steht die Neuberechnung der Prämie nach aktuariellen Grundsätzen mit den bestehenden Rechtsvorschriften bzw. maßgeblichen vertraglichen Bestimmungen in Einklang, so hat der Treuhänder die ihm obliegende Zustimmung zu erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2004, a.a.O. juris Rn. 13). Die gerichtliche Überprüfung ist dabei auf diejenigen Unterlagen beschränkt, die der Versicherer dem Treuhänder zur Prüfung gemäß §§ 12 b VAG a.F., 15 KaIV a.F. bzw. § 155 VAG, § 17 KVAV vorgelegt hat. Denn nur darauf gründet sich die für die Wirksamkeit der Erhöhung erforderliche Zustimmung des Treuhänders. Aus diesen Unterlagen müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der vorgenommenen Anpassung für den Sachverständigen nachvollziehbar und in tatsächlicher Hinsicht belegt ergeben. Soweit dies nicht der Fall ist, fehlt es (ganz oder teilweise) schon mangels entsprechender Unterlagen an der Berechtigung des Versicherers zur Prämienerhöhung. Der Versicherer kann dem grundsätzlich nicht dadurch entgehen, dass er im Prozess weitere oder neue Unterlagen beibringt oder mit einer anderen Berechnungsmethode belegt, dass die Erhöhung im Ergebnis doch berechtigt ist. Allenfalls bei geringen offensichtlichen Unvollständigkeiten im Rechenwerk oder in den statistischen Nachweisen kann eine spätere Nachbesserung in Betracht kommen. Das Zustimmungserfordernis des Treuhänders aus § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG erfüllt daher auch eine Filterfunktion, denn es beschränkt auch die Möglichkeiten des Versicherers, die Berechtigung der Prämienerhöhung durch das Nachschieben von Unterlagen im Prozess darlegen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2004, a.a.O. juris Rn. 15 f. und 25; BGH, Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17, juris Rn. 54).
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b) Hieran gemessen ist die angegriffene Entscheidung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Es kann insoweit dahinstehen, ob es der Klagepartei mit Blick auf die seitens der Beklagten vorgelegten Unterlagen zum Zweck der Substantiierung ihres Vorbringens aus prozessualen Gründen oblegen hätte, sich im Einzelnen hiermit auseinanderzusetzen. Jedenfalls ist die Auffassung des Erstgerichts zutreffend, dass die von der Klagepartei auch im Berufungsrechtszug im Zusammenhang mit der materiellen Rechtmäßigkeit der Prämienanpassung lediglich monierte „Unvollständigkeit“ der seitens der Beklagten dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen kein Umstand ist, der seitens der Gerichte einer isolierten Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterzogen werden könnte. Bei der vorliegenden Fallgestaltung kann der von der Klagepartei eingeforderte wirkungsvolle Rechtsschutz gegen die von der Beklagten vorgenommenen Beitragsanpassungen aber ohne Weiteres gewährleistet werden. Erforderlich hierfür ist die Prüfung, ob seitens der Beklagten die ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen materiellen Vorgaben gewahrt wurden und ob die inzident mit zu prüfende Zustimmung des Treuhänders sachlich richtig war (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17, juris Rn. 57). Eine hierauf bezogene und von der Beklagten angebotene Beweiserhebung war aber schon deswegen nicht geboten, weil die Klagepartei bereits in der ersten Instanz wiederholt ausführte, dass die versicherungsmathematischen Kalkulationen nicht angegriffen würden und dass es der Klägerseite ausschließlich um die Frage der „Vollständigkeit“ der dem Treuhänder von der Beklagten vorgelegten Unterlagen gehe. Ausdrücklich führte die Klagepartei in diesem Zusammenhang zudem aus, dass ein versicherungsmathematisches Gutachten unter keinen Umständen erforderlich sei (vgl. S. 1 f. des Schriftsatzes vom 11.08.2022). Auch in der Berufungsbegründung wird herausgestellt, „dass die Klägerseite nicht an dem Ergebnis von kalkulatorischen Berechnungen der Beitragserhöhungen interessiert ist“ (Seite 9 der Berufungsbegründung).
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Im Einzelnen sind ergänzend folgende Erwägungen von Bedeutung:
22
aa) Der Senat folgt auf der Grundlage des vorliegenden Sachverhalts der Auffassung des Landgerichts Köln, dass die Gerichte allein die Prämienanpassung inhaltlich zu überprüfen haben, nicht aber den Treuhändervorgang an sich (vgl. LG Köln, Urteil vom 01.06.2022 – 20 O 475/21, juris Rn. 46 sowie dem folgend LG Gießen, Urteil vom 11.01.2023 – 2 O 178/22, juris Rn. 50; LG Koblenz, Urteil vom 17.11.2022 – 16 O 208/22, juris Rn. 42; LG Bad Kreuznach, Urteil vom 05.12.2022 – 2 O 87/22, juris Rn. 54; LG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.2023 – 9 O 46/22, juris Rn. 60; LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 27.12.2022 – 15 O 305/22, juris Rn. 64). Auch im vorliegenden Verfahren hat der Kläger die versicherungsmathematische Richtigkeit der Prämienerhöhung ausdrücklich nicht infrage gestellt.
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bb) Die hier in pauschaler Weise monierte „Unvollständigkeit“ der dem Treuhänder übergebenen Unterlagen betrifft schon keine für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Tatbestandsvoraussetzung; die Klagepartei trägt insoweit auch keinen Sachverhalt vor, der einer Subsumtion zugeführt werden könnte.
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Soweit die Zustimmung des Treuhänders gem. § 155 Abs. 1 VAG betroffen ist, sind ihm sämtliche für die Prüfung der Prämienänderungen erforderlichen technischen Berechnungsgrundlagen einschließlich der hierfür benötigten kalkulatorischen Herleitungen und statistischen Nachweise vorzulegen. Das eine Prämienanpassung prüfende Gericht kann aber grundsätzlich davon ausgehen, dass der Treuhänder im Rahmen seiner Prüfung der Beitragsanpassung all diejenigen Unterlagen erhalten und gesichtet hat, die zu einer Kontrolle erforderlich sind (vgl. Franz/Püttgen, VersR 2022, 1, 22) bzw. die er im Rahmen seiner Tätigkeit für erforderlich gehalten hat. Die Zustimmung des Treuhänders, die von Rechts wegen auf der Grundlage sämtlicher erforderlicher Unterlagen erteilt wird, ist von der Klagepartei nicht bestritten worden. Die Frage der Erforderlichkeit der vorzulegenden (und mit den Kalkulationsunterlagen der Versicherung kongruenten) Unterlagen beurteilt sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.
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Die von der Klagepartei angesprochene „(Un-)Vollständigkeit“ der vorgelegten Unterlagen bezieht sich schon nicht auf konkrete Unterlagen, die in jedem Fall einer inhaltlichen Überprüfung einer Beitragsanpassung dem zustimmenden Treuhänder vorgelegen haben müssen. Von Bedeutung ist zudem, dass sich die dem Treuhänder vorzulegenden Unterlagen je nach Fallgestaltung voneinander unterscheiden. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Treuhänder nicht dazu verpflichtet ist, die gesamte Neukalkulation nachzurechnen. Er hat auch auf der Grundlage einer selbständigen Bewertung der Aussagekraft der vorgelegten Unterlagen ein Nachfragerecht, das, je nach Fallgestaltung, zu einer Vorlage weiterer Dokumente und Informationen führen kann. Die Frage, welche Unterlagen die konkrete Prüfung des Treuhänders tatsächlich unterstützen, ist unter Berücksichtigung des normativen und der Bewertung des Treuhänders unterliegenden Begriffs der Erforderlichkeit eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, die sich von Versicherer zu Versicherer und auch innerhalb desselben Unternehmens von Tarif zu Tarif unterscheiden kann (vgl. hierzu Franz/Püttgen, VersR 2022, 1, 19).
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cc) Entgegen der Auffassung der Klagepartei lässt sich die Frage der Prüfung der „Vollständigkeit“ (richtig wohl: der im Einzelfall zu prüfenden Erforderlichkeit) der vorgelegten Unterlagen nicht trennen von der jeweiligen und der Versicherungsmathematik unterworfenen Beitragskalkulation. Das Vorbringen der Klagepartei ist in prozessualer Hinsicht auch nicht konsequent. Obgleich die Klagepartei, nach Auffassung des Senats in unzutreffender Weise, meint, das Gericht könne die von der Klagepartei angesprochene Vollständigkeit (und Aussagekraft) der vorgelegten Unterlagen als eine „logisch-rechtliche“ Frage selbst erörtern und prüfen (vgl. Seite 21 der Klageschrift), hat sie selbst die aus ihrer Sicht fehlenden Unterlagen nicht konkret bezeichnet. Das hätte ihr aber für den Fall der Richtigkeit ihrer Auffassung aus prozessualen Gründen oblegen. Die Klagepartei hat aber bereits keine konkreten Unterlagen als fehlend bezeichnet, die nach ihrer Auffassung in jedem Fall einer Beitragsanpassung dem Treuhänder vorgelegt werden müssten. Sie hat auch keine Unterlagen benannt, die im vorliegenden Einzelfall für eine den rechtlichen Maßstäben entsprechende Zustimmung des Treuhänders erforderlich gewesen wären und die ihm nicht vorgelegen haben. Die Klagepartei hat sich noch nicht einmal die ihrer (unzutreffenden) Auffassung entsprechende und hiernach auch naheliegende Mühe gemacht, auf der Grundlage einer etwaigen Geheimhaltungsverpflichtung gem. § 174 Abs. 3 GVG Einblick in die Unterlagen zu nehmen, die in unbestrittener Weise seitens der Beklagten dem Treuhänder für dessen Prüfverfahren übermittelt wurden.
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dd) Soweit die Klagepartei in der Berufungsbegründung (wohl in einem nicht näher erläuterten Zusammenhang mit ihrem erstinstanzlichen Vorbringen zur „Vollständigkeit der Unterlagen in Bezug auf die Erstkalkulation“, vgl. S. 2 ff. des Schriftsatzes vom 25.08.2022) die aus ihrer Sicht bestehende „Erforderlichkeit der Dokumentation zur Erstkalkulation“ anspricht, verkennt sie bereits, dass gem. § 155 Abs. 3 Satz 4 VAG eine Erstkalkulation ohnehin nur in den Fällen für eine spätere Beitragsanpassung relevant ist, wenn sie dieser (dann: Zweitkalkulation) unmittelbar vorangegangen ist. Zudem ist auch die Überprüfung einer jeweils vorangegangenen Kalkulation nur dann geboten, wenn es für deren Unzulänglichkeit Anhaltspunkte gibt. Sie muss insbesondere nicht „ins Blaue hinein“ erfolgen (vgl. hierzu Franz/Püttgen, VersR 2022, 1, 10).
28
ee) Nur am Rande ist von Bedeutung, dass die Klagepartei hinsichtlich der von ihr monierten „Unvollständigkeit“ auch nicht in der erforderlichen Weise zwischen der Zustimmung des Treuhänders nach § 155 Abs. 1 VAG und der Zustimmung des Treuhänders nach § 155 Abs. 2 VAG unterscheidet. Beide Verfahren sind auch hinsichtlich der jeweils dem Treuhänder vorzulegenden Unterlagen voneinander zu unterscheiden. Während § 155 Abs. 1 VAG die Zustimmung zur Beitragsanpassung als solcher betrifft, bezieht sich § 155 Abs. 2 VAG auf den nachgelagerten Schritt der Limitierung der Beitragsanpassung. Hinzu kommt, dass die Entscheidung eines Versicherers, ob und in welcher Höhe Mittel aus den Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen als Limitierungsmittel zu verwenden sind, vorrangig im Ermessen des Versicherers liegt (vgl. hierzu Franz/Püttgen, VersR 2022, 1, 12) und im Kern eine unternehmerische Entscheidung darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 – IV ZR 255/17, juris Rn. 52).
29
ff) Maßstab für die gerichtliche Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Prämienanpassungen ist, ob die Prämienanpassung nach aktuariellen Grundsätzen als mit den bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang stehend anzusehen ist. Die danach vorzunehmende Kontrolle der Prämienerhöhung hat sich auf der Grundlage der dem Treuhänder vom Versicherer vorgelegten Unterlagen zunächst darauf zu erstrecken, ob die Anpassungsvoraussetzungen gegeben sind. Ist das der Fall, ist der Umfang der Prämienerhöhung zu überprüfen. Die gerichtliche Überprüfung dieser Fragen kann aber regelmäßig nur mit Hilfe eines Sachverständigen erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2004 – IV ZR 117/02, juris Rn. 15 f.). Seitens der Klagepartei wird nicht gerügt, dass das Erstgericht ein derartiges versicherungsmathematisches Gutachten hätte einholen müssen. Das Erstgericht hat auch zu Recht von einer Beweiserhebung mittels eines entsprechenden Gutachtens abgesehen, weil die versicherungsmathematische Kalkulation von der Klagepartei nicht bestritten wurde. Die auf die „(Un-)Vollständigkeit“ bezogenen Rügen der Klagepartei waren, wie ausgeführt, ohne rechtliche Bedeutung, weswegen es hinsichtlich der erstinstanzlichen Bewertung der materiellen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Beitragsanpassungen sein Bewenden haben muss. Dies gilt nach den obigen Ausführungen ungeachtet der differenziert zu bewertenden Frage der Beweislast, deren Verteilung davon abhängt, ob die Versicherung einen Beitragsanspruch auf der Grundlage eines angepassten Beitrags geltend macht oder ob der Versicherungsnehmer bereits bezahlte Beiträge bereicherungsrechtlich zurückverlangt.
30
3. Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass es auf die Frage der Wirksamkeit der Prämienanpassung zum 01.01.2018 nicht entscheidungserheblich ankommt und diese letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf.
31
Denn die Beklagte hatte bereits in ihrer Klageerwiderung vom 03.05.2022 die Verjährungseinrede erhoben (vgl. dort, S. 4-5; LGU 3-4) und herausgestellt, dass die Klage erst im Jahre 2022 anhängig gemacht wurde (vgl. Klageschrift vom 03.02.2022, eingegangen beim Landgericht am selben Tage).
32
Die Replik vom 16.05.2022 enthält hierzu nichts Weiterführendes (vgl. ebda., S. 3-4), die dort behauptete fehlende Kenntnis des Versicherungsnehmers von den tarifbezogenen „auslösenden Faktoren“ ist für die Berechnung der Verjährungsfristen unmaßgeblich.
33
Denn unabhängig von dieser fraglichen Detailkenntnis hatte der Kläger mit dem Zugang der Änderungsmitteilung im November 2017 auch zu diesen Zeitpunkten bereits im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021 – IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31, juris Rn. 42).
34
Entgegen der Ansicht des Klägers ist es für die Feststellung der Verjährung nicht entscheidungserheblich, ob der Kläger mit Zugang der Änderungsmitteilungen auch Kenntnis von den Tatsachen hatte, aus denen die von ihm ebenfalls geltend gemachte materielle Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen folgen könnte. Für den Beginn der Verjährungsfrist ist dies ohne Bedeutung. Der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB hat Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, wenn er von der Leistung und den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt. Maßgeblich ist daher das Fehlen des Rechtsgrundes, das dem Kläger mit Erhalt der Änderungsmitteilungen jedenfalls aufgrund der seiner Auffassung nach bestehenden formalen Mängel bereits bekannt war. Eine erneute Kenntnisnahme vom Fehlen desselben Rechtsgrundes aus weiteren Gründen setzt keine neue Verjährungsfrist in Gang (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 47).
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Dann sind aber jegliche bereicherungsrechtlichen Erstattungsansprüche des Klägers aus Beitragsleistungen, die bis 31.12.2018 geleistet wurden, verjährt.
36
Da die wirksame neuerliche Beitragsanpassung zum 01.01.2019 dann eine Rechtsgrundlage für die neue Tarifprämie in ihrer Gesamthöhe ist, und weil zugleich aus unverjährter Zeit (bis 31.12.2018) keinerlei Ansprüche des Klägers aus der Vertragsänderung zum 01.01.2018 mehr entstanden sein können, sind auf diesen Zeitraum bezogen sowohl Leistungs- als auch Feststellungsbegehren abzuweisen.
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4. Im Ergebnis bestehen deshalb die eingeklagten bereicherungsrechtlichen Ansprüche des Klägers aus den streitgegenständlichen Prämienanpassungsvorgängen nicht und das klageabweisende Ersturteil erweist sich als richtig.
38
5. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
39
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.