Titel:
Kein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Dieselfall wegen Risikohinweises bei Kaufvertragsabschluss
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Wurde der Erwerber bei Kaufvertragsabschluss umfassend nicht nur auf das konkret anstehende freiwillige Software-Update hingewiesen, sondern auch auf mögliche weitere behördliche Maßnahmen bis hin zur Nutzungsuntersagung aufgrund zukünftig abweichender Beurteilung weiterer potentiell unzulässiger Softwarefunktionen, verbunden mit einer Wertminderung des Fahrzeugs, so hat er sämtliche Risiken in Kauf genommen und kann sich nicht auf den Erfahrungssatz berufen, dass er bei Kenntnis der wahren Sachlage den Kaufvertrag nicht oder zu einem geringeren Preis abgeschlossen hätte. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, EG-Typgenehmigung, Differenzschaden, Risikohinweis bei Erwerb
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 06.08.2021 – 10 O 1375/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 36048
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 09.06.2021, Az. 10 O 1375/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Haftung der Beklagten als Herstellerin eines Dieselmotors wegen der behaupteten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung.
2
Die Klagepartei nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr mit verbindlicher Bestellung vom 22.10.2019 beim Porsche-Zentrum … als Gebrauchtwagen für einen Kaufpreis von … € brutto bei einer Laufleistung von 78.000 km von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Händler erworbenen Pkw Porsche Cayenne, 180 kW, (Erstzulassung am 13.06.2013) in Anspruch (vgl. Anlage K1). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 02.06.2021 hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 124.190 km. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA) aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
3
Teil der Kaufvertragsunterlagen war eine schriftliche „Kundeninformation zur Fahrzeugkonformität; Cayenne Diesel (E5)“, das für die Klagepartei und den Verkäufer am 22.10.2019 unterschrieben wurde (Anlage K1). Auszugsweise heißt es dort nach allgemeinem Hinweis auf „Diskussionen über die Emissionen von Dieselfahrzeugen“:
4
Infolge allgemeiner politischer Diskussionen zu diesen Themen prüft Porsche fortlaufend die Möglichkeit von freiwilligen Software-Updates, die Emissionen im innerstädtischen Verkehr weiter reduzieren. Sofern ein solches Software-Update auch für ihr Fahrzeug verfügbar sein sollte, werden sie unaufgefordert informiert und dieses Software-Update im Rahmen einer für Sie kostenfreien Serviceaktion aufgespielt.
5
Ferner gilt für ihr Fahrzeug darüber hinaus Folgendes. Die allgemeinen Diskussionen zu Dieselfahrzeugen dauern an. Es kann nicht stets vorhergesagt werden, wie die Behörden oder Gerichte gewisse Fahrzeugeigenschaften bewerten. Daher können wir nicht ausschließen, dass es über die bekannten Fahrzeugeigenschaften hinaus bis dato nicht ersichtliche, eventuell potenziell unzulässige Softwarefunktionen gibt.
6
Daher ist es möglich, dass Behörden aufgrund dessen Maßnahmen gegen Fahrzeughalter anordnen und/oder ein Entzug der Zulassung droht. Obwohl dies im Rahmen der momentanen Diskussion bei Porsche noch nicht vorgekommen ist, kann auch eine Nutzungsuntersagung nicht ausgeschlossen werden. Aus solchen Maßnahmen folgende Auswirkungen auf den Wiederverkaufswert der Fahrzeuge können ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.
7
Für die bisher mit den zuständigen Behörden diskutierten Fahrzeugkonzepte haben wir mit den Behörden bisher stets Lösungen gefunden, die als freiwillige Maßnahme oder aufgrund eines angeordneten Rückrufs ein Software-Update vorsahen.
8
Es wird derzeit mit Hochdruck daran gearbeitet, neue Software zu entwickeln, ausführlich zu testen und von den Behörden freigeben zu lassen. Sofern Sie sich für einen Kauf des Fahrzeugs entscheiden, müssen Sie in der Zwischenzeit insoweit nichts unternehmen. Wir würden auf Sie zukommen, sobald wir ihrem Fahrzeug neue Software aufspielen können.
(…) Durch ihre Unterschrift bestätigen Sie, der unterzeichnende Kunde, dass:
1. Ihnen die vorgenannten Umstände von dem für den Händler Unterzeichnenden erläutert worden sind,
2. Sie Ihr Angebot auf den Erwerb des oben genannten Fahrzeugs in Kenntnis der oben beschriebenen Sachverhalt abgeben bzw. ein entsprechendes Angebot in Kenntnis dessen annehmen und
3. Sie mit der Durchführung einer eventuellen technischen Maßnahme einverstanden sind.
9
Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem von der … AG entwickelten und hergestellten 3.0 Liter TDI-Motor ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse 5 ausgestellt. Um den Ausstoß von Stickoxid zu optimieren, wird bei dem Fahrzeug im Wege der sogenannten Abgasrückführung ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die Abgasrückführung wird außerhalb eines bestimmten Temperaturfensters zurückgefahren („Thermofenster“).
10
Die Klagepartei hat behauptet, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug käme eine unzulässige prüfstandbezogene Abschalteinrichtung zum Einsatz, durch welche die einzuhaltenden Stickoxidwerte der maßgeblichen Euro-5-Norm lediglich auf dem Prüfstand, jedoch nicht im Realbetrieb eingehalten werden würden. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei von der „Aufheizstrategie“ betroffen wie vergleichbare Fahrzeuge der Euro 6-Norm. Zudem werde die Abgasreinigung reduziert, wenn die Lufttemperatur außerhalb des NEFZ-Temperaturfensters von … °C liege. Hierdurch erhöhe sich der Stickoxid-Ausstoß im normalen Straßenbetrieb. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Abschalteinrichtung zum Schutz des Motors notwendig sei. Die Organe im materiellen Sinne der Beklagten hätten Kenntnis vom Einsatz der Abschalteinrichtung gehabt. Die Klägerin sei schriftlich darüber informiert worden, dass die illegale Abschalteinrichtung entfernt werden müsse. Das manipulierte Fahrzeug habe einen Wertverlust erlitten. Die Klagepartei habe durch die Handlung der Beklagten einen Vermögensschaden erlitten. Dieser bestehe darin, dass sie in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen Pkw erworben und damit einen ihr wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen habe. Der merkantile Minderwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs betrage 20 % des Kaufpreises. Zwar habe die Beklagte durch ihr Informationsschreiben, welches dem Kaufvertrag beigefügt gewesen sei, darauf hingewiesen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einer freiwilligen Service-Maßnahme betroffen sein könnte. Jedoch habe die Beklagte die Klägerin nicht in Kenntnis gesetzt über den Umstand, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form von einer Aufheizstrategie und einem Thermofenster verwendet werde. Darüber hinaus sei die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst nie an die Öffentlichkeit getreten sei, um sie über die Unregelmäßigkeiten im Abgasrückführungssystem und die seitens des KBA angeordneten Rückrufe zu unterrichten. Die Beklagte hafte zudem gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 27 EG-FGV). Die Beklagte habe bewusst in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung eine falsche, gegen die Schutznormen verstoßende EG-Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt.
11
Die Klagepartei hat daher beantragt:
12
Die Beklagte hat beantragt,
13
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte keine unzulässige Abschalteinrichtung. Im Hinblick auf diesen Fahrzeugtyp habe das KBA Ende 2019 ein Anhörungsverfahren eingeleitet. Dieses sei im September 2020 abgeschlossen worden. Nach umfangreichen Untersuchungen habe das KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Dies habe das KBA in einem Parallelverfahren im Wege einer amtlichen Auskunft an den 16a. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am 11.09.2020 bestätigt. Die zuständige Bundesoberbehörde habe den Motorentyp des streitgegenständlichen Fahrzeugs umfangreich über einen erheblichen Zeitraum technisch untersucht. Zu den untersuchten Funktionen sei die „Notwendigkeit zur Gewährleistung zum Motorschutz“ insbesondere durch historische Daten der … AG und aktuelle Messungen umfangreich belegt. Im Rahmen der amtlichen Auskunft habe das KBA auch die grundsätzliche Kenntnis vom Vorhandensein von Thermofenstern und deren technischer Notwendigkeit bestätigt, konkret für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp. Im System der Abgasrückführung könne es insbesondere bei kalten Temperaturen und einer stetig hohen AGR-rate zu Ablagerungen („Versottung“) kommen. Diese Versottung könne zu Motorschäden führen. Daher werde die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren. Dieser Vorgang nenne sich „Ausrampen“ der Abgasrückführung und sei bei Dieselmotoren aller Hersteller notwendig und üblich. Das Thermofenster sei zulässig, um das Fahrzeug vor Motorschäden zu schützen. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei daher nicht von einem verpflichtenden Rückruf betroffen. Seit Anfang 2020 stehe jedoch für Modelle des Porsche Cayenne Diesel V6 Euro 5 ein freiwilliges Software-Update zur Verfügung, das vom KBA freigegeben worden sei. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei schließlich auch nicht von der Aktualisierung der Software bei anderen Fahrzeugtypen der Euro 6-Norm betroffen. Somit bestehe auch kein Zulassungsverbot.
14
Porsche habe seinem Händlernetzwerk – mittels der rechtlich separaten Porsche Handelsorganisation – am 04.06.2018 eine Kundeninformation zur Verfügung gestellt und dazu aufgefordert, diese Kundeninformation bei zukünftigen Verkäufen mit den Kunden durchzugehen und unterschreiben zu lassen. Die Klagepartei sei im Rahmen des Vertragsschlusses schriftlich über die beim streitgegenständlichen Fahrzeug geplanten Anpassungen des Emissionsverhaltens informiert worden. Sie habe sich nach dieser Information nicht nur für den Vertragsschluss zum streitgegenständlichen Fahrzeug entschieden, sondern sich auch ausdrücklich mit der Durchführung erforderlicher technischer Maßnahmen einverstanden erklärt. Es sei vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, dass die Klagepartei bei Abschluss des Vertrags in irgendeiner Form getäuscht worden sein könnte.
15
Zudem habe die Beklagte den streitgegenständlichen Motor samt Abgasnachbehandlungssystem nicht hergestellt und die zugehörige Motorsteuerungssoftware nicht selbst entwickelt, sondern von der … AG bezogen. Eine deliktische Haftung sei vorliegend ausgeschlossen.
16
Der Klagepartei stehe auch kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 6 Absatz 1 Satz 1, § 27 Absatz 1 EG-FGV zu, da der von der Klagepartei geltend gemachte Schaden, eine angeblich ungewollte Verbindlichkeit, nicht in den Schutzbereich der vorgeblich verletzten Normen falle.
17
Wegen des Sachvortrags der Parteien erster Instanz wird ergänzend auf die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts Bezug genommen.
18
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Endurteil vom 09.06.2021, das am 09.06.2021 an den Klägervertreter zugestellt wurde, die Klage als unbegründet abgewiesen.
19
Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz, sittenwidriger Schädigung oder Haftung für Verrichtungsgehilfen unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen, nämlich mit einer Prüfstandserkennung verbundenen Abschalteinrichtung seien von der Klagepartei unschlüssig und nicht ausreichend dargelegt worden. Es fehle zudem an einer vorsätzlichen Täuschung.
20
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klagepartei mit ihrer am 06.07.2021 eingegangenen Berufung, die innerhalb verlängerter Begründungsfrist mit am 08.11.2021 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag begründet wurde.
21
Die Klagepartei stellt mit ihrer Berufung das Urteil des Landgerichts in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Berufungsgericht. Die Klagepartei wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Insbesondere stehe die Tatsache, dass das KBA in Bezug auf das hier streitgegenständliche Fahrzeug noch keinen verpflichtenden Rückruf angeordnet habe, der Annahme, dass sich unzulässige Abschalteinrichtungen in dem Fahrzeug befinden, nicht entgegen.
22
Die Klagepartei beantragt daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils:
23
Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags die erstinstanzliche Entscheidung. Selbst bei einem unterstellten Schaden würde dieser nicht auf einer Handlung von Porsche beruhen, da die Klagepartei explizit über mögliche Anpassungen des Emissionsverhaltens informiert worden sei.
24
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 08.11.2021, die Berufungserwiderung vom 13.01.2022 und die Schriftsätze der Beklagten vom 17.05.2022 und 29.06.2023 Bezug genommen.
25
Die zulässige Berufung ist offensichtlich unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
26
1. Die Entscheidung des Erstgerichts, wonach der Klagepartei gegen die Beklagte mangels sittenwidriger Schädigungshandlung bzw. mangels Täuschungsvorsatz kein Anspruch aus § 826 BGB zusteht, ist nicht zu beanstanden.
27
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, Rn. 11 bei juris; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 14 bei juris; Beschluss vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 15 bei juris).
28
Die Klagepartei trägt grundsätzlich die volle Darlegungs- und gegebenenfalls Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen einer deliktischen Haftung der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 35, beck-online). Genauso wenig wie das Bestehen eines Rückrufes des Kraftfahrtbundesamts für ein konkretes Fahrzeug wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zwingende Voraussetzung für einen für § 826 BGB maßgeblichen Sachvortrag ist, ist das Bestehen von Rückrufen gegenüber einem bestimmten Automobilhersteller stets als hinreichend „greifbarer Anhaltspunkt“ zu sehen. Maßgeblich ist, ob der Vortrag der Klagepartei einen Sachverhalt nahelegt, nach dem die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt hat, die darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Ausführung von vornherein das Merkmal der Arglist in sich trägt auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung bzw. bezüglich derer aufgrund anderer Umstände ein täuschungsgleiches Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten festgestellt werden kann, so dass der Vorwurf der objektiven Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB im Raum steht. Es ist dabei immer auf den konkreten Einzelfall abzustellen. Vorliegend ist der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs unstreitig nicht von der Beklagten, sondern von der … AG hergestellt worden. Ein sittenwidriges Vorgehen des betreffenden Automobilherstellers kommt dabei in Betracht, wenn seine verfassungsmäßig berufenen Vertreter zumindest wussten, dass die von einem anderen hergestellten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren und sie Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstands mit einem solchen Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 25.10.2022-III ZR 211/20, BeckRS 2022, 35299, Rn. 14, beck-online).
29
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt somit die Klagepartei die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände. Dabei hängen die Anforderungen an die Substanziierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substanziiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substanziieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (Senat BGHZ 221, 139 = NJW-RR 2019, 467 Rn. 17; BGH NJW 1999, 1404 [1405 f.], BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 36, beck-online).
30
Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber auf Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 Rn. 22, WM 2021, 1609; Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 Rn. 8, ZIP 2020, 486; Urteil vom 20. Februar 2014 – VII ZR 26/12 Rn. 26, BauR 2014, 1023; Urteil vom 14. Januar 1993 – VII ZR 185/91, BGHZ 121, 210, juris Rn. 26). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte sie rechtfertigen können (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 Rn. 22, WM 2021, 1609; Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 Rn. 8, ZIP 2020, 486; Urteil vom 14. Januar 1993 – VII ZR 185/91, BGHZ 121, 210, juris Rn. 26; BGH, Hinweisbeschluss v. 15.9.2021 – VII ZR 2/21, BeckRS 2021, 37995 Rn. 28, 29, beck-online).
31
b) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Behauptung der Klagepartei, bei dem Fahrzeug sei eine prüfstandsbezogene unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, insbesondere die sogenannte Aufheizstrategie, als Vortrag „ins Blaue hinein“ anzusehen. Da es bereits an einer objektiven Sittenwidrigkeit bei der verwendeten Motorsteuerungssoftware fehlt, kommt es auf eine etwaige Kenntnis der verfassungsgemäßen Vertreter der Beklagten beim Einbau des … Motors im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht mehr an.
32
Soweit sich die Klagepartei auf einen Rückruf des KBA bezogen auf 3,0 V-TDI Motoren der Euro Norm 6 Bezug nimmt, fehlt es am erforderlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug. Dieses unterliegt unstreitig keinem verpflichtenden Rückruf und unterliegt der Emissionsklasse Euro 5. Anders als die Euro 6-Fahrzeuge verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über einen SCR-Katalysator zur Abgasnachbehandlung. Die Beklagte hat zudem zu der Behauptung der Klagepartei, es lägen illegale Abschalteinrichtungen bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug vor, ihrerseits substantiiert vorgetragen, die zuständige Behörde, das KBA, habe bei Überprüfung gerade keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt und das Fahrzeug unterliege keinem verpflichtenden Rückruf, sondern nehme an einer freiwilligen Servicemaßnahme teil. Hierzu hat die Beklagte bereits in erster Instanz insbesondere eine amtliche Auskunft des KBA vom 11.09.2020 an das OLG Stuttgart vorgelegt (Anlage Nicht-Betroffenheit KBA 11.09.2020). Hieraus ergibt sich, dass für die Gruppe an Fahrzeugen des … konzerns mit dem V6-TDI Euro 5 Generation 2 Motoren keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt und auch kein amtlicher Rückruf angeordnet wurde. Diesem Vortrag ist die Klagepartei nicht mehr substantiiert entgegengetreten. Es fehlt an der Darlegung greifbarer Anhaltspunkte, weshalb dennoch unzulässige Abschalteinrichtungen beim streitgegenständlichen Fahrzeug vorliegen sollen. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt auf der Grundlage dieser Feststellungen, hier der Vorlage entsprechender amtlicher Auskünfte aus Parallelverfahren, eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 223/20, juris Rn. 9; außerdem BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, zVb, Rn. 17 ff.; hier BGH Beschl. v. 9.5.2022 – VIa ZR 303/21, BeckRS 2022, 11891, beck-online).
33
Aus der Ankündigung freiwilliger Servicemaßnahmen lassen sich zudem keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung – spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses (vgl. BGH,Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 21, beck-online) ziehen.
34
c) Der Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ bei der Abgasrückführung allein reicht nicht aus, um den objektiven Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB zu bejahen. Ausreichend greifbare Anhaltspunkte für insoweit vorliegende sittenwidrige Schädigung hat die Klagepartei nicht vorgetragen.
35
Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 27 bei juris; Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, Rn. 13 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 25. November 2021 – III ZR 202/20, Rn. 14 bei juris; bestätigt durch BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 48).
36
Zur Begründung verweist der Bundesgerichtshof darauf, dass die Entscheidung zum Einsatz der hier interessierenden Funktion nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen sei, in der die … … AG (bezogen auf den Motortyp EA 189) die grundlegende strategische Frage getroffen habe, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von einer Einhaltung der neu eingeführten Abgasgrenzwerte im realen Fahrbetrieb komplett abzusehen und dem KBA stattdessen zur Erlangung der Typgenehmigung mithilfe einer eigens hierfür entwickelten Steuerungssoftware wahrheitswidrig das Einhalten der Grenzwerte vorzuspiegeln. Die Software (des Motortyps EA 189) sei bewusst und gewollt so programmiert gewesen, dass die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden („Umschaltlogik“), und habe damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 17 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 16 bei juris). Bei der Implementierung eines „Thermofensters“ fehle es demgegenüber an einem vergleichbaren arglistigen Vorgehen des Motorenherstellers, welches die Einstufung seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Die in Rede stehende temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung unterscheide nämlich gerade nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Sie weise keine Funktion auf, die bei Erkennen eines Prüfstandbetriebs eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere, sondern arbeite in beiden Situationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) entspreche die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 4331/9, Rn. 18 bei juris).
37
Für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB bedarf es vielmehr „weiterer Umstände“, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist schon der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 28 bei juris; Urteil vom 23. September 2021 – III ZR 200/20, Rn. 22 bei juris). Die notwendigen „weiteren Umstände“ könnten sich zum Beispiel aus (gegebenenfalls) unzutreffenden Angaben der Beklagten im Typengenehmigungsverfahren über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rn. 22 bei juris). Die Klagepartei, die insoweit darlegungsbelastet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 35 bei juris; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 19 bei juris), zeigt im Streitfall keine „weiteren Umstände“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung auf, aus denen eine besondere Verwerflichkeit abgeleitet werden könnte.
38
Eine Täuschung des KBA konnte zudem schon deshalb nicht gelingen, weil der Behörde der Einsatz von „Thermofenstern“ in Dieselfahrzeugen spätestens seit dem Jahr 2008 grundsätzlich bekannt war (vgl. die in dem Verfahren vor dem OLG Stuttgart, 16a U 194/19, eingeholte amtliche Auskunft des KBA vom 11. September 2020, Anlage Nicht-Betroffenheit KBA 11.09.2020). Detaillierte Beschreibungen der Standard-Emissionsstrategien und etwaiger zusätzlicher Emissionsstrategien sind erst seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/646 vom 20. April 2016 vorgeschrieben, mit der die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 geändert und insbesondere Art. 5 dieser Verordnung um die Absätze 11 und 12 erweitert worden ist. Das vorliegend betroffene Fahrzeug ist jedoch vor diesem Termin erstmals zugelassen worden. Und selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren bestimmte – nach den einschlägigen Vorschriften damals nicht erforderliche – Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG) gehalten gewesen, diesbezüglich von sich aus nachzufragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 126/21, Rn. 26 bei juris).
39
Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit einer von der Außentemperatur abhängigen Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens zu wenig geklärt war, als dass sich die (aus der Perspektive der Gegenwart unterstellte) Unzulässigkeit einer solchen Funktion förmlich aufgedrängt hätte, (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 31 f. bei juris).
40
Hinsichtlich des Thermofensters kann dessen Unzulässigkeit unterstellt werden. Diesbezüglicher Vortrag ist damit nicht beweisbedürftig. Insoweit fehlt es aber an der substantiierten Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit und des Schädigungsvorsatzes. Da der Kläger bereits seiner primären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, greift auch nicht die sekundäre Darlegungslast der Beklagten.
41
Wesentlicher Sachvortrag wurde durch das Landgericht nicht übergangen. Ein Verstoß gegen Art. 103 GG liegt daher nicht vor.
42
d) Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre zudem vorliegend jedenfalls im Hinblick auf den – hier unterstellten – Einbau eines mit einer unzulässigen Steuerungssoftware versehenen Motors in das streitgegenständliche Fahrzeug zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei am 22.10.2019 aufgrund einer vor dem Kauf erfolgten maßgeblichen Verhaltensänderung der Beklagten und der damit einhergehenden fehlenden Täuschung der Klagepartei nicht (mehr) gerechtfertigt (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az. VII ZR 391/21 – juris, Rn. 27 ff; BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 533/21).
43
Denn im Fall der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setzt die Zufügung eines Schadens zwingend voraus. Zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist in einer Gesamtschau das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris Rnr. 30 ff., BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 533/21, Rn. 16). Vorliegend hat die Beklagte unstreitig ihren Vertragshändlern am 04.06.2018 eine Kundeninformation zur Verfügung gestellt. Eine solche Kundeninformation hat die Klagepartei am 22.10.2019, unterschriftlich bestätigt, zur Kenntnis genommen. Hiermit wurde die Klagepartei ausdrücklich zum einen konkret über das bevorstehende (freiwillige) Software-Update hingewiesen und zum anderen aber auch auf weiter bestehende Unsicherheiten. Ausdrücklich lässt die Beklagte darauf hinweisen, dass sie nicht ausschließen könne, dass es über die bekannten Fahrzeugeigenschaften hinaus bis dato nicht ersichtliche, eventuell potenziell unzulässige Softwarefunktionen gibt. Ausdrücklich weist die Beklagte auch darauf hin, dass aufgrund dessen behördliche Maßnahmen gegen Fahrzeughalter angeordnet werden könnten und/oder ein Entzug der Zulassung drohen könnte und dass auch Auswirkungen auf den Wiederverkaufswert der Fahrzeuge nicht ausgeschlossen werden können. Dieser Hinweis ist allumfassend und bezieht sich zum einen auf das konkret bevorstehende freiwillige Software-Update und betont aber andererseits auch Unsicherheiten, die konkret mit dem Kauf eines solchen Fahrzeugs verbunden sind. Zusammenfassend hält der Senat daher aufgrund dieses Hinweises eine Täuschung der Klagepartei für widerlegt. Ein Hinweis auf eine Aufheizstrategie bei Euro 6-Fahrzeugen musste bei dem streitgegenständlichen Euro 5-Fahrzeug nicht erfolgen. Konkret wusste die Klägerin überdies aufgrund dieses Hinweises, dass ein freiwilliges Software-Update entwickelt wird und dass diese technische Maßnahme zur Durchführung ansteht. Zuletzt wurde auch die Arglosigkeit der Klagepartei dahingehend beseitigt, dass es selbst mit dem bereits avisierten Software-Update es nicht sein Bewenden haben könnte, sondern behördliche Maßnahmen aufgrund geänderter Bewertung von Fahrzeugeigenschaften möglich sein könnten. Somit ist auch einer etwaigen geänderten Bewertung des Thermofensters Rechnung getragen. Dieses war, wie beklagtenseits insoweit unbestritten vorgetragen, im Rahmen eines Anhörungsverfahrens in 2019 vom KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung gewertet worden. Aus der bereits erwähnten Auskunft des OLG Stuttgart vom 11.09.2020 ergibt sich hierzu, dass dem KBA seit 2008 die Problematik von umgebungstemperaturgeführten Regelungen prinzipiell bekannt war, für die festgestellten emissionsbezogenen Abschaltungsstrategien jedoch eine Unzulässigkeit nicht festgestellt worden sei, weil umfangreiche vorgelegte Unterlagen des Herstellers zu spezifischen Feldausfällen verbunden mit entsprechenden Nachweistest der Notwendigkeit zur Gewährleistung des Motorschutzes belegten. Eine mögliche Änderung dieser Einschätzung, etwa aufgrund der strengen Maßstäbe des EuGH zum Thermofenster (Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, NJW 2022, 23605; Urteile vom 14.07.2022 C-134/20, EuZW 2022, 1073; – C-145/20, EuZW 2022, 1080) ist von dem ausdrücklichen Hinweis daher bereits umfasst. Die Klagepartei musste aufgrund des ausdrücklichen Hinweises auch mit einer etwaigen Minderung des Wiederverkaufswerts ihres Fahrzeugs rechnen.
44
e) Vorliegend fehlt es daher auch aufgrund der Kenntnis der Käuferin von den konkret bevorstehenden behördlichen und technischen Maßnahmen sowie der offengelegten Unsicherheit über etwaige derzeit noch unbekannte Maßnahmen an einem Schaden in Gestalt eines ungewollten Vertragsschlusses.
45
2. Deliktische Ansprüche – die in der vorliegenden Konstellation einzig in Betracht kommen – ergeben sich auch nicht unter sonstigen Gesichtspunkten.
46
Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sind nicht schlüssig dargetan. An die obigen Ausführungen anknüpfend ist festzuhalten, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine bewusste, der Beklagten zurechnende Täuschung und für eine auf eine rechtswidrige Bereicherung abzielenden Absicht vorliegen. Im Übrigen würde der in Rede stehende Anspruch, da es hier um einen Gebrauchtwagenkauf geht, auch am Fehlen der erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden scheitern (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, Rn. 17 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, Rn. 40 bei juris).
47
3. Der Klagepartei steht auch kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
48
a) Zwar kann nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, Urteile vom 26.06.2023 – Via ZR 335/21, Via 533/21 und Via ZR 1031/22 – und vom 20.07.2023 – III ZR 267/20) dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeuges gegen den Fahrzeughersteller unter den Voraussetzungen von § 823 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Ersatz des sogenannten Differenzschadens in einem Bereich von 5 bis 15 Prozent des für das Kraftfahrzeug aufgewendeten Kaufpreises zustehen. Das unionsrechtlich geschützte Interesse, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, ist von § 823 II BGB i.V.m. §§ 6 I, 27 I EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart geschützt (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Via ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 32, beck-online). Der BGH hat den Differenzschaden auf der Grundlage der EuGH Rechtsprechung (EuGH ECLI:EU:C:2023:229 = NJW 2023, 1111 Rn. 81 – Mercedes-Benz Group) entwickelt, die das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft hat (vergleiche BGH, a.A. O., Rn. 30). Ein Vermögensschaden des Käufers im Sinne der Differenzhypothese liegt vor, wenn der Vergleich der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt (BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 45) bzw. der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt (BGHZ 230, 224 = NJW 2021, 3041 Rn. 19). Der Geschädigte wird durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens so behandelt, als wäre es ihm in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden liegt daher in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 40, beck-online).
49
b) Unstreitig ist in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Thermofenster verbaut. Dem Vortrag der Klagepartei, wonach dies dahingehend programmiert ist, dass die Abgasreinigung zwischen … und … ° nicht funktioniert, ist die Beklagte nicht mit der Behauptung eines anderen Temperaturrahmens entgegengetreten. Ausgehend vom klägerischen Vortrag ist daher eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Absatz 2 VO (EG) 715/2007 anzunehmen und folgerichtig, dass die Beklagte eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat. Eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ist anzunehmen, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gem. Art. 5 II VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, weil die Bescheinigung dann eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit Art. 5 II VO (EG) 715/2007 ausweist (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa 335/21; NJW 2023, 2259 Rn. 34, beck-online).
50
c) Vorliegend fehlt es aber an der notwendigen Erwerbskausalität. Da das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Absatz 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, ist der Erwerbszeitpunkt maßgeblich. Es steht hier aber gerade nicht fest, dass die Klägerin in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung den Kaufvertrag nicht oder nicht zu diesem Kaúfpreis abgeschlossen hätte. Schließlich ist sie, wie oben ausgeführt, umfassend nicht nur auf das konkret anstehende freiwillige Software Update hingewiesen worden, sondern auch auf mögliche weitere behördliche Maßnahmen bis hin zur Nutzungsuntersagung aufgrund zukünftig abweichender Beurteilung weiterer potentiell unzulässiger Softwarefunktionen, verbunden mit einer Wertminderung des Fahrzeugs. Wenn die Klagepartei nach diesem ausführlichen Hinweis dennoch am Verkaufsschluss festhält, so hat sie sämtliche Risiken in Kauf genommen. Sie kann sich mithin nicht auf den Erfahrungssatz berufen, dass sie bei Kenntnis der wahren Sachlage den Kaufvertrag nicht oder zu einem geringeren Preis abgeschlossen hätte. Der Käuferin musste aufgrund des ausführlichen Hinweises das hiermit verbundene Risiko bewusst sein.
51
d) Zudem fehlt es an dem für die Haftung notwendigen Verschulden der Beklagten. Zwar besteht bei der hier zu unterstellenden objektiven Schutzgesetzverletzung eine hiervon ausgehende Verschuldensvermutung (BGH, a.a.O., Rn. 59, beck-online). Es genügt auch ein fahrlässiger Verstoß. Jedoch hat der Fahrzeughersteller mit seinem ausdrücklichen Hinweis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Klagepartei schriftlich auf die mit dem Kauf verbundenen Risiken, wie oben dargelegt, hingewiesen. Es ist unschädlich, dass hierbei nicht ausdrücklich auf das Vorhandensein eines Thermofensters hingewiesen wurde. Konkret wird aber auf behördliche Maßnahmen bis hin zu Betriebsuntersagung hingewiesen, die in Reaktion auf potentiell unzulässigen Softwarefunktionen erfolgen könnten. Der Vorwurf einer fahrlässigen Schädigung der Klägerin, die das Fahrzeug nach der Verhaltensänderung des Herstellers gekauft hat, kann der Beklagten daher nicht mehr gemacht werden (vergleiche BGH, a.a.O., Rn. 61).
52
e) Letztlich fehlt es auch an einem Schaden der Klagepartei. Da die Parteien des Kaufvertrags von der Notwendigkeit einer Software-Updates wussten und auch eine potentiell mögliche Betriebsuntersagung in den Blick nahmen, ist davon auszugehen, dass diese Gesichtspunkte auch bei der Preisgestaltung berücksichtigt wurden. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden das die Klagepartei andernfalls einen niedrigeren Preis erzielt hätte.
53
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
54
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf … € festzusetzen.
55
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.