Titel:
Kein Schadensersatz wegen Verwendung eines Thermofensters und einer Prüfstandserkennung
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der bloße Verbau einer Fahrkurven-, Zyklus- oder Prüfstanderkennung stellt für sich genommen noch keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Erst wenn die Ermittlung von Parametern genutzt wird, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im normalen Fahrzeugbetrieb verringert wird, liegt eine (grundsätzlich unzulässige) Abschalteinrichtung vor. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes sind im Wege des Vorteilsausgleichs sowohl der Nutzungswert als auch der tatsächliche Restwert des Fahrzeugs in Ansatz zu bringen. Diese sind allerdings erst dann und nur insoweit schadensmindernd zu berücksichtigen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugkäufers kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen und den Restwert des Fahrzeugs vollständig aufgezehrt werden. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
1. Der bloße Verbau einer Fahrkurven-, Zyklus- oder Prüfstanderkennung stellt für sich genommen noch keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Erst wenn die Ermittlung von Parametern genutzt wird, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im normalen Fahrzeugbetrieb verringert wird, liegt eine (grundsätzlich unzulässige) Abschalteinrichtung vor. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes sind im Wege des Vorteilsausgleichs sowohl der Nutzungswert als auch der tatsächliche Restwert des Fahrzeugs in Ansatz zu bringen. Diese sind allerdings erst dann und nur insoweit schadensmindernd zu berücksichtigen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugkäufers kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen und den Restwert des Fahrzeugs vollständig aufgezehrt werden. (Leitsätze der Redaktion) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fahrkurvenerkennung, EA 288, Thermofenster, On-Board-Diagnose-System, Vorteilsausgleich, DAT-Auskunft
Vorinstanz:
LG Passau, Endurteil vom 05.03.2021 – 4 O 977/20
Fundstellen:
FDStrVR 2024, 936039
BeckRS 2023, 36039
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Passau vom 05.03.2021, Az. 4 O 977/20, wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das in Ziffer genannte Urteil des Landgerichts Passau sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 15.902,68 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO bedarf es des Tatbestandes nicht, weil ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
2
Die nach §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung des Klägers (im Folgenden: die Klagepartei) gegen das Endurteil des Landgerichts Passau vom 05.03.2021 bleibt in der Sache ohne Erfolg.
3
Der Klagepartei steht der zuletzt gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des objektiven Minderwertes („kleiner Schadensersatz“ bzw. Differenzschaden) nicht zu (dazu Ziffern I bis III). Auch mit ihrem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige weitere Schäden ist die Klagepartei abzuweisen (dazu Ziffer IV). Gleiches gilt für den hilfsweise gestellten Antrag, die Beklagte zur Beseitigung von unzulässigen Abschalteinrichtungen zu verurteilen (dazu Ziffer V). Schließlich bestehen auch die geltend gemachten Nebenansprüche nicht (dazu Ziffer VI).
4
Das Landgericht Passau hat einen Schadensersatzanspruch der Klagepartei wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB zu Recht verneint. Insoweit scheidet bereits eine sittenwidrige Verhaltensweise der Beklagten aus.
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1. Dies gilt zum einen hinsichtlich des Vorwurfs des Vorhandenseins einer Fahrkurvenerkennung bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug mit NSK (NOx-Speicher-Katalysator).
6
a) Unstreitig ist, dass in der Steuerungssoftware des streitgegenständlichen Motors vom Typ EA 288 mit NSK beim Erwerb durch die Klagepartei am 07.10.2016 eine Fahrkurvenerkennung enthalten war. Diese erkennt, ob sich das Fahrzeug im Straßenverkehr bewegt oder auf dem Prüfstand zum Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befindet, und regelt in diesem Fall die Abgasbehandlung in anderer Weise als im normalen Straßenverkehr.
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b) Der bloße Verbau einer Fahrkurven-, Zyklus- oder Prüfstanderkennung stellt aber für sich genommen noch keine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Erst wenn die Ermittlung von Parametern genutzt wird, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im normalen Fahrzeugbetrieb verringert wird, liegt eine (grundsätzlich unzulässige) Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Abs. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 vor.
8
Bei Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung kommt die Bewertung des Verhaltens eines Fahrzeugherstellers als besonders verwerflich und damit sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB dann in Betracht, wenn dieser im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) systematisch Fahrzeuge in Verkehr bringt, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Denn damit geht einerseits eine erhöhte NOx-Belastung der Umwelt und andererseits die Gefahr für den Fahrzeugerwerber einher, dass bei einer Aufdeckung des Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung erfolgen könnte (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – ZR 252/19, Rn. 16 ff.).
9
c) Nach diesen Maßstäben und bei Gesamtabwägung aller Umstände ist im vorliegenden Fall jedenfalls nicht vom sittenwidrigen Einsatz einer Fahrkurvenerkennung durch die Beklagte auszugehen.
10
Der Klagepartei zufolge sei es schlicht falsch, dass die Fahrkurvenerkennung beim Motor EA 288 „ohne Einfluss auf Emissionen“ sei. Wenn dem so wäre, wäre die Abschalteinrichtung nach dem klägerischen Vorbringen von vorneherein nicht erforderlich gewesen. Der „saubere“ Modus sei auch nicht in der Lage, die gesetzlichen Grenzwerte auf Dauer einzuhalten (S. 57 der Berufungsbegründung vom 29.04.2021 = Bl. 263 d.A.).
11
Dieser Vortrag zu den Auswirkungen der Fahrkurvenerkennung ist schon wenig substantiiert und wurde im Übrigen von der Beklagten bestritten. Sie behauptet, dass das Fahrzeug vom Typ ... Golf 2.0 TDI mit einem 135 kW-Aggregat auch ohne die in der Steuerungssoftware verbaute Fahrkurvenerkennung den gesetzlichen NOx-Emissionsgrenzwert im Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung eingehalten hätte. Die Fahrkurvenerkennung stelle mithin keine unzulässige Abschalteinrichtung dar (S. 14 f. des Schriftsatzes vom 02.05.2023 = Bl. 477 f. d.A.).
12
Der Senat legt den Vortrag der Beklagten zur fehlenden Grenzwertkausalität zugrunde, weil er durch die von der Beklagten vorgelegten Auskünfte des KBA zum Ergebnis der Überprüfung verschiedener Fahrzeugtypen mit EA 288-Dieselmotor belegt wird (s. etwa die Anlage BE 16 für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp mit NSK). Für den klägerischen Pkw gibt es unstreitig auch keinen Fahrzeugrückruf und kein verpflichtendes Software-Update. Im Hinblick auf den Zeitablauf seit dem Bekanntwerden von Einzelheiten zur Motorsteuerung ist hiermit auch nicht mehr zu rechnen.
13
Damit kann nicht von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten ausgegangen werden. Hält das Fahrzeug den NOx-Grenzwert auch ohne Fahrkurvenerkennung ein, so muss der Fahrzeugerwerber nicht mit betriebsbeschränkenden Maßnahmen des KBA rechnen und es entfällt die verwerfliche Täuschung des Käufers über die uneingeschränkte Straßenverkehrstauglichkeit des von ihm erworbenen Fahrzeugs.
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2. Ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB ergibt sich ferner nicht im Hinblick auf den von der Klagepartei behaupteten Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines sog. „Thermofensters“.
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a) Unstreitig ist zunächst, dass im Fahrzeug der Klagepartei ein Thermofenster zum Einsatz kommt.
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Die Klagepartei trägt vor, dass die Abgasreinigung nur innerhalb eines Temperaturbereichs von +20 °C bis +30 °C und damit nur unter den Bedingungen des NEFZ-Zyklus optimal zu 100% funktioniere (S. 30 der Klageschrift vom 05.11.2020 = Bl. 30 d.A.; S. 57 f. der Berufungsbegründung vom 29.04.2021 = Bl. 263 f. d.A.).
17
Die Beklagte hat in beiden Instanzen bestritten, dass es sich bei dem im streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Die Beklagte behauptet, dass die Abgasrückführung bei einer Außentemperatur zwischen -24 °C und +70 °C zu 100% aktiv sei. Innerhalb dieses Thermofensters und der darin jeweils aktiven Motorbetriebsarten gebe es keine sog. „Abrampung“, mithin keine kontinuierliche Abstufung in Abhängigkeit zur Außentemperatur (S. 27 f. der Klageerwiderung vom 11.02.2021 = Bl. 137 f. d.A.; S. 24 der Berufungserwiderung vom 26.05.2021 = Bl. 364 d.A.).
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b) Zugrunde zu legen ist der Vortrag der Beklagten. Das klägerische Vorbringen zur Ausgestaltung des unstreitig vorhandenen Thermofensters ist als Behauptung ins Blaue zu werten. Die Klagepartei hat keine hinreichenden Anhaltspunkte für ihre Behauptung vorgebracht, dass die Abgasreinigung nur innerhalb eines Temperaturfensters von +20 °C bis +30 °C optimal funktioniere.
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c) Abgesehen davon hat die Klagepartei nicht ausreichend zu Umständen vorgetragen, die für ein Bewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen sprechen könnten, eine – hier unterstellt – unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines Thermofensters zu verwenden (zu dieser Voraussetzung der objektiven Sittenwidrigkeit beim Einsatz eines Thermofensters vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – ZR 889/20, Rn. 27 f.).
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3. Das On-Board-Diagnose-System (OBD-System) stellt bereits begrifflich keine Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 dar. Nach insoweit unstreitigem Beklagtenvortrag überwacht das OBD-System die abgasbeeinflussenden Systeme während des Fahrbetriebs, wirkt auf diese aber nicht ein.
21
Den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens kann die Klagepartei auch nicht aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB herleiten.
22
Hierfür mangelt es jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des auf Seiten der Beklagten erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden der Klagepartei (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – ZR 5/20, Rn. 17 ff.).
23
Ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht ebenfalls nicht.
24
Erteilt ein Fahrzeughersteller schuldhaft eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung, so steht dem Fahrzeugkäufer, der auf den Inhalt der Übereinstimmungsbescheinigung vertraut, ein Anspruch auf Erstattung des Betrags zu, um den er das Fahrzeug zu teuer erworben hat (sog. Differenzschaden). Unzutreffend ist eine Übereinstimmungsbescheinigung dann, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist oder das konkrete Kraftfahrzeug nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmt (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 18 ff.).
25
Dies kann jedoch dahin stehen, denn hier fehlt es schon an einem ersatzfähigen Schaden der Klagepartei.
26
1. Die Klagepartei hat den streitgegenständlichen ... Golf am 07.10.2016 mit einer Laufleistung von 99.015 km zu einem Bruttokaufpreis von 20.000,00 € erworben (Anlage K A2). Der Kilometerstand am 02.08.2023 betrug 155.813 km (Schriftsatz der Klagepartei vom 25.08.2023 = Bl. 486/488 d.A. mit Lichtbild).
27
Die Beklagte legte als Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 04.09.2023 (= Bl. 489/528 d.A.) eine Gebrauchtfahrzeugbewertung der Firma D. A. T. GmbH (im Folgenden: DAT-Auskunft) vor, wonach das streitgegenständliche Fahrzeug bei einer Laufleistung von 155.813 km zum 02.08.2023 einen Wert von 14.441,00 € aufgewiesen habe.
28
2. Unter Zugrundelegung dieser Angaben steht fest, dass der im Rahmen der Berechnung eines möglichen Schadensersatzes zu berücksichtigende Vorteilsausgleich dazu führt, dass kein positiver Saldo verbleibt. Der mit dem objektiven Minderwert geltend gemachte finanzielle Schaden (s. hierzu BGH, a.a.O., Rn. 28 ff.) wird durch die geldwerte Fahrzeugnutzung und den Restwert des Fahrzeugs aufgebraucht.
29
a) Bei Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes sind im Wege des Vorteilsausgleichs (s. hierzu auch BGH, Urteil vom 25.05.2020 – ZR 252/19, Rn. 65 m.w.N.) sowohl der Nutzungswert als auch der tatsächliche Restwert des Fahrzeugs in Ansatz zu bringen. Diese sind allerdings erst dann und nur insoweit schadensmindernd zu berücksichtigen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 44; Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 16 ff. und 22).
30
Ein etwaiger Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugkäufers kann durch die im Wege des Vorteilsausgleichs erfolgende Anrechnung gezogener Nutzungen und den Restwert des Fahrzeugs vollständig aufgezehrt werden (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – ZR 354/19, Rn. 15). Dies gilt auch bei Geltendmachung des Differenzschadens aufgrund der Anspruchsgrundlage der §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 80).
31
b) Die Nutzungsentschädigung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu ermitteln (BGH NJW 1995, 2159, 2161; OLG München, Endurteil vom 05.02.2020 – 13 U 4071/18, BeckRS 2020, 657 Rn. 94).
32
Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs von verschiedenen Faktoren wie der Lebensdauer des Motors und derjenigen der anderen Bauteile abhängig ist. Die Lebensdauer des Motors ist unter anderem von seiner Größe und Leistung und insbesondere auch vom Nutzungsverhalten abhängig. Für Dieselfahrzeuge der vorliegenden Preisklasse und Qualität wurde die durchschnittliche Laufleistung in der Rechtsprechung überwiegend auf 250.000 km geschätzt (BGH BeckRS 2015, 1267; OLG Karlsruhe BeckRS 2019, 28272 Rn. 104; OLG München, a.a.O., Rn. 95). Der Senat sieht auch mit Blick auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu den sog. „Dieselfällen“ (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19.01.2021 – ZR 8/20, Rn. 12 ff.; Urteil vom 30.07.2020 – ZR 354/19, Rn. 11 ff.) keine Veranlassung, von seiner ständigen Rechtsprechung abzuweichen. Dem Bundesgerichtshof zufolge ist der Tatrichter grundsätzlich auch nicht gehalten, für die Ermittlung der prognostizierten Gesamtlaufleistung ein Sachverständigengutachten einzuholen (BGH, Urteil vom 18.05.2021 – ZR 720/20, Rn. 13).
33
Das Fahrzeug hatte beim Kauf durch die Klagepartei am 07.10.2016 noch eine Restlaufleistung von 150.985 km (250.000 km – 99.015 km) und war bis zum 02.08.2023 unstreitig 56.798 km (155.813 km – 99.015 km) gefahren worden.
34
Bei Anwendung der Berechnungsformel „Nutzungsvorteil = Bruttokaufpreis x seit Erwerb gefahrene Strecke: erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ (vgl. BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rn. 24) errechnet sich im vorliegenden Fall folgender Nutzungsvorteil:
20.000,00 € x 56.798 km: 150.985 km = 7.523,66 €.
35
c) Der Senat erachtet die von der Beklagten eingeholte DAT-Auskunft als geeignete Grundlage für die Schätzung des Restwerts eines Gebrauchtfahrzeugs gemäß § 287 Abs. 1 ZPO.
36
Der Restwert eines Fahrzeugs entspricht dem marktüblichen Verkaufspreis. Nach dem insoweit unstreitigen Beklagtenvorbringen ermittelt die DAT GmbH anhand objektiver Kriterien wie dem Erstzulassungsdatum, dem Kilometerstand, der Anzahl der Halter und der Beliebtheit des konkreten Fahrzeugs auf dem Markt einen Verkaufswert (S. 37 des Schriftsatzes vom 04.09.2023 = Bl. 525 d.A.). Das Ergebnis stellt das Unternehmen – üblicherweise gegen Entgelt – sowohl gewerblichen Anbietern als auch Privatpersonen zur Verfügung. Gängige Fahrzeugbewertungen anhand von DAT-Auskünften oder anhand der sog. „Schwacke-Liste“ werden von Fahrzeugverkäufern aller Art auch in Anspruch genommen, um einen konkreten Anhaltspunkt für den Verkaufswert zu erhalten.
37
Nach der zugrunde zu legenden DAT-Auskunft, welche für das streitgegenständliche Fahrzeug von einer zutreffenden Laufleistung von 155.813 km zum 02.08.2023 ausgeht, hatte das Fahrzeug zu diesem Stichtag einen Restwert von 14.441,00 €.
38
Ein genereller Abschlag für das Risiko einer etwaigen Betriebsbeschränkung bei Fahrzeugen mit EA 288-Motor ist nicht angezeigt, weil dieses – angesichts der vorgelegten KBA-Auskünfte und des Zeitablaufs seit dem Bekanntwerden von Einzelheiten zur Motorsteuerung ohnehin allenfalls marginale – Risiko gleichermaßen bei allen Fahrzeugen, deren Verkaufsdaten in die Auskunft eingeflossen sind, vorhanden wäre.
39
d) Damit sind im Wege des Vorteilsausgleichs folgende Beträge auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch der Klagepartei anzurechnen:
7.523,66 € + 14.441,00 € = 21.964,66 €.
40
Der Gesamtbetrag übersteigt den von der Klagepartei für das Fahrzeug gezahlten Bruttokaufpreis von 20.000,00 € um 1.964,66 €. Dies bedeutet, dass ein etwaiger Anspruch der Klagepartei auf Erstattung des objektiven Minderwertes unabhängig von seiner Höhe in jedem Fall aufgezehrt ist.
41
Mit ihrem Antrag Ziffer auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige weitere Schäden war die Klagepartei ebenfalls abzuweisen.
42
1. Da die Beklagte nicht nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB haftet, ist auch ein auf diese Anspruchsgrundlagen gestützter Feststellungsantrag unbegründet.
43
2. Auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV fehlt dem Feststellungsantrag das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, weshalb der Antrag insoweit unzulässig ist.
44
Beim Anspruch auf den Differenzschaden aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind mögliche künftige Vermögensnachteile infolge der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bereits bei der Bemessung des Differenzschadens zu berücksichtigen und deshalb nicht gesondert ersatzfähig (BGH, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 37/21, Leitsatz und Rn. 19 m.w.N.).
45
Die gleichen Erwägungen gelten für den hilfsweise gestellten Antrag Ziffer IV, die Beklagte zur Beseitigung von nach Auffassung der Klagepartei unzulässigen Abschalteinrichtungen zu verurteilen, welche im Schriftsatz vom 25.10.2023 (= Bl. 602/604 d.A.) benannt werden (Fahrkurvenerkennung, temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung).
46
1. Ein Anspruch aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB steht der Klagepartei schon dem Grunde nach nicht zu.
47
2. Auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV kann lediglich der Ersatz des Differenzschadens verlangt werden (vgl. BGH a.a.O. für mögliche künftige Schäden; BGH, Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 14/22, Rn. 13 für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten; BGH, Urteil vom 11.09.2023 – VIa ZR 1533/22, z.V.b. für Finanzierungskosten).
48
Die geltend gemachten Nebenansprüche stehen der Klagepartei ebenfalls nicht zu.
49
1. Weil der erstmals mit Schriftsatz vom 04.09.2023 (= Bl. 529/563 d.A.) geltend gemachte Anspruch auf den Differenzschaden nicht besteht, scheidet auch eine Verzinsung aus.
50
2. Die Feststellung des Annahmeverzugs käme nur dann in Betracht, wenn Gegenstand der Klage ein Anspruch auf Rückabwicklung des Fahrzeugkaufvertrags („großer Schadensersatz“) wäre. Das ist hier nicht (mehr) der Fall.
51
3. Die Klagepartei kann schließlich auch nicht die Freistellung von außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten gemäß Nr. 2300 VV RVG verlangen.
52
Mit dem von der Klagepartei vorgelegten Rechtsanwaltsschreiben vom 21.07.2020 (Anlage K B1) wurde die Beklagte bezogen auf die behauptete Verwendung eines Thermofensters zur „Vornahme des ordnungsgemäßen Zustands des betroffenen Fahrzeugs“ aufgefordert; außerdem wurde die Rückgabe des Fahrzeugs Zug-um-Zug gegen Erstattung des Kaufpreises angeboten und somit der große Schadensersatz gemäß § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB geltend gemacht. Dieser Anspruch bestand aber zu keinem Zeitpunkt.
53
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.
54
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
55
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen nicht vor.
56
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern kein Urteil des Revisionsgerichts. Es handelt sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
57
Der Streitwert ergibt sich aus §§ 63, 47, 48, 40, 45 Abs. 1 S. 2 und 3 GKG, §§ 3, 4 ZPO.
58
Der Feststellungsantrag und der Hilfsantrag wirken sich wegen wirtschaftlicher Identität mit dem Antrag auf Zahlung des Differenzschadens nicht streitwerterhöhend aus (§§ 45 Abs. 1 S. 2 und 3 GKG; vgl. hierzu Binz/Dörndörfer/ Zimmermann/Dörndörfer, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl., GKG § 45 Rn. 18 ff. und 4).